Stürzende Linien

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Foto mit nach oben geneigter Kamera aufgenommen. Die zueinander parallelen Gebäudekanten erscheinen als stürzende Linien

Als stürzende Linien werden in Zentralprojektion dargestellte vertikale Linien, die im Objekt parallel verlaufen, bezeichnet. Bei oben befindlichem Fluchtpunkt scheinen sie in der Darstellung aufeinander zu zu „stürzen“.

Der Begriff wird häufig in der Fotografie – insbesondere der Architekturfotografie – gebraucht. In letzterer möchte man u. a. die frontale Ansicht auf eine Fläche (Gebäudefront, Wand u. ä.) zu Dokumentationszwecken oder für eine geometrische Auswertung darstellen. Daran ist man gehindert, weil der passende Aufnahmepunkt z. B. vor einem hohen Gebäude nicht oder schlecht erreichbar ist. In der Fototechnik wurde die Aufnahmemethode mit quer verschiebbarem Objektiv (Shift) entwickelt, womit anstatt verzerrter Aufnahmen von ungünstigen Standpunkten aus Abbildungen ohne stürzende Linien möglich sind (z. B. Aufnahmen einer Hochhausfassade vom Boden aus und in geringer Entfernung).

Inzwischen befinden sich entsprechend verstellbare Objektive auch für Kleinbildkameras zur Verwendung in der Amateurfotografie im Handel. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Shiften nicht zur Minderung oder Beseitigung eines Abbildungsfehlers dient. Im Gegenteil: die Perspektive, in der das Objekt dem Fotografen erscheint, wird gefälscht. Abgesehen von einer gezielten Verwendung wie in der Architekturfotografie, werden damit vom Fotografen gewünschte, i. d. R. verfremdende Effekte erzielt.

Eine fotografische Kamera unterliegt – wie das menschliche Auge – den Gesetzen der Zentralperspektive. Parallele Linien im Motiv werden daher nur dann im Bild ebenfalls parallel verlaufen, wenn sie im Motiv in einer Ebene liegen, die parallel zur Filmebene/Sensorfläche liegt. Wird also die Kamera z. B. vor einem Haus nach oben verschwenkt, entstehen stürzende Linien, das Haus scheint nach hinten zu kippen. Derselbe Effekt entsteht mit umgekehrtem Vorzeichen auch beispielsweise bei Sachaufnahmen, wenn die Kamera schräg nach unten gerichtet wird.

Ursache der unnatürlichen Wirkung

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Wenn die Objekte sehr hoch sind und man keinen großen Abstand einnehmen kann, können diese Objekte nur mit einem Weitwinkelobjektiv komplett aufgenommen werden. Betrachtet man das fertige Print- oder Monitorbild aus einem so kurzen Abstand, dass die diagonalen Bildecken dem Bildwinkel des Objektivs entsprechen, würde der Bildeindruck natürlich sein und keine stürzenden Linien mehr stören. Dieser Abstand wäre oft nur ein Bruchteil der Bilddiagonale (bei z. B. 90° Bildwinkel die halbe Diagonale). Üblicherweise wird ein Bild aus einem Abstand von knapp der doppelten Bilddiagonalen[1] betrachtet. Die Betrachtungsperspektive entspricht damit einem leichten Teleobjektiv. Wenn man das Objekt mit dieser Telebrennweite aus einem größeren Abstand (Annahme: genug freier Platz) fotografiert, würde man weniger steil nach oben fotografieren. Dadurch sind die Senkrechten wesentlich weniger zueinander geneigt (z. B. gegenüber einer 90°-Aufnahme nur ein Viertel). Diese Neigung ist das Maß, das als natürlich empfunden wird.

Da ein Objekt oft nicht aus einem größeren Abstand fotografiert werden kann, sollte die Neigung der Senkrechten zueinander auf das als natürlich empfundene Maß reduziert werden. Oft möchte man die Senkrechten auch ganz parallel machen, da eine Neigung gegenüber dem Bildrand auch als störend empfunden wird. Die dazu notwendige Maßnahme wird als Shiften bezeichnet. Bevorzugt kann dies unter Verwendung geeigneter Kameras und Objektive schon bei der Aufnahme geschehen, alternativ, stehen solche Möglichkeiten nicht zur Verfügung, mittels digitaler Nachbearbeitung.

Bei Großformatkameras bzw. dem Tilt-und-Shift-Objektiv von Kleinbild- und Mittelformatkameras werden stürzende Linien vermieden, indem zur Wahl des Bildausschnitts nicht die Kamera verschwenkt, sondern der Bildausschnitt verschoben wird. Für die digitale Nachbearbeitung stehen entsprechende Funktionen in den meisten Bildbearbeitungsprogrammen, aber auch spezialisierte Programme zur Verfügung, die teils auch Automatikfunktionen anbieten.

Grenzen der Korrektur

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Vor der „Entzerrung“ eines Bildes sollte geprüft werden, ob sich das jeweilig unbearbeitete Original überhaupt dazu eignet oder aber nach der Bearbeitung im Ergebnis vom Betrachter zu sehr den normalen Sehgewohnheiten widerspricht. Werden ungeeignete Aufnahmen mit stürzenden Linien durch die Bearbeitung mit entsprechender Software entzerrt, kann das fotografierte Objekt stark entstellt werden. Diese Bearbeitungen, die senkrechte Linien unter allen Umständen parallel abbilden, können dann unnatürlich wirken, weil sie nicht mehr den Sehgewohnheiten der Menschen entsprechen (insbesondere scheinen quader- oder zylinderförmige Objekte nach oben auseinanderzulaufen, also größer zu werden). Vermeiden kann man diesen Effekt häufig, indem man die senkrechten Linien nur moderat korrigiert, d. h. nicht bis zur völligen Parallelität.

Flächen in großer Höhe, die von der Fassade versetzt oder geneigt sind, werden trotz jeder Korrektur entstellt. Die Rückflächen von Vertiefungen rutschen nach unten, schräge Dachflächen kippen nach hinten oder verschwinden ganz.

Beispiele:

  • PanoTools Panorama Tools, ermöglicht auch die Korrektur von Verzeichnungen der Optik und die Ausrichtung des Bildes (Entfernung stürzender Linien) (freie Software), siehe auch: Hugin (Software) bzw. PTOpenGUI
  • ShiftN, automatische Korrektur stürzender Linien durch Auswertung der im Bild detektierten Objektkanten (Freeware)
  • rectif, ebene Entzerrung mit vier Punktkorrespondenzen (Win32, Linux, Freeware)
  • Digital Photo Shifter – Anleitung und Beispiele auf digitalfotokurs.de. (Das Werkzeug gehört heute zu FixFoto.)

Einzelnachweise

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  1. How far away should I sit from my 24" monitor? FindArticles