Kleinkönig

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Der lateinische Begriff regulus (Plural reguli) ist das Deminutiv zu rex („König“) und wird im Deutschen gewöhnlich als Kleinkönig wiedergegeben (in der angloamerikanischen Forschung bezeichnet man ihn als petty king). In der Regel bezeichnet dies einen Herrscher in Antike oder Mittelalter, der über einen Teilverband eines Stammes herrschte (für den Gegensatz dazu steht der Großkönig), oder allgemein den Machthaber eines (zumeist monarchisch geprägten) unabhängigen, aber lokal beschränkten Herrschaftsraumes in vormoderner Zeit. Das jeweilige Herrschaftsgebiet wird in der Fachliteratur vereinzelt als Kleinkönigreich bezeichnet.

Begriffsproblematik

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Die in verschiedenen antiken und mittelalterlichen Quellen erwähnten reguli sind differenziert zu betrachten. Antike römische Historiker wie Sallust, Livius, Tacitus und spätantike wie Ammianus Marcellinus bezeichneten damit ganz verschiedene Stammesführer, seien es numidische,[1] keltische,[2] mauretanische,[3] alamannische[4] und fränkische.

Der Begriff „Stammesführer“ konnte durchaus als rex, aber eben auch als regulus wiedergegeben werden. Dies zeigt bereits die Benutzung des Terminus bei Sallust und Livius: Beide haben etwa Stammesführer der Numidier als reges oder auch als reguli bezeichnet, ähnlich verfuhr Livius bezüglich keltischer Stammesführer.[5] Es handelte sich demnach um weitgehend austauschbare Begriffe.[6]

Ebenso konnte mit regulus in einigen Fällen auch eine unterschiedliche politische Rolle gekennzeichnet werden. Dies ist bereits bei Sallust zu erkennen, der zwei numidische Prinzen an einer konkreten Stelle als Erben ihres Vaters und nicht als reges, sondern als reguli bezeichnet. Damit sollte wohl der Aspekt der Co-Herrschaft betont werden; ähnliches findet sich bei Livius bezüglich numidischer und keltischer Fürsten: Bei beiden ist regulus nicht als Abwertung der betreffenden Fürsten zu verstehen.[7]

Allerdings wurde der Begriff auch benutzt, um so den begrenzten politischen Handlungsrahmen von antiken und mittelalterlichen Stammesführern zu kennzeichnen.[8] In diesem Sinne werden in der Regel die überlieferten lateinischen Berichte zu den alamannischen und fränkischen reguli verstanden. In beiden Stammesgruppen gab es jedenfalls erkennbar Stammesführer, die nur über unterschiedlich große Teile des Gesamtverbandes herrschten.

Ammianus Marcellinus betonte, dass sich verschiedene alamannische Stammesführer verbündeten, um gegen die Römer zu agieren. Der im späten 6. Jahrhundert schreibende Bischof und Geschichtsschreiber Gregor von Tours berichtete ebenfalls von fränkischen Stammesführern (wie Sunno, Marcomer und Gennobaudes), die sich verbündet und gemeinsam gegen die Römer vorgingen. Des Weiteren bezeichnete Gregor die entsprechenden fränkischen Anführer jeweils als subregolus (d. h. subregulus)[9] und machte damit deutlich, dass sie nur über Untergruppen der Franken herrschten. Dementsprechend werden sie in der modernen Forschung (sowohl auf Alamannen[10] wie auf Franken[11] bezogen) oft als Kleinkönige bezeichnet. Bei den Franken gelang es erst Chlodwig I., dem Sohn des fränkischen Kleinkönigs Childerich, die anderen fränkischen Kleinkönige auszuschalten und eine gesamtfränkische Königsherrschaft zu begründen.[12]

Entscheidend hierbei ist, dass es sich bei diesen „Kleinkönigen“ – bei Alamannen, Franken, Angelsachsen (vgl. Heptarchie) oder in Irland vor der englischen Eroberung – in der ausgehenden Spätantike und dem Frühmittelalter um Anführer zersplitterter Verbände handelte, denen es nicht gelang, die Herrschaft über den gesamten Stamm zu erringen oder die sich mit einer beschränkten Herrschaft begnügten.

Der Begriff „Kleinkönig“ ist in diesem Sinne auf Anführer oder Herrscher tribaler oder anderer Verbände und Territorien anwendbar, die eine lokal sehr begrenzte Herrschaft ausübten, etwa bei Slawen oder Wikingern. Des Weiteren kann eine regional beschränkte autonome Herrschaft innerhalb eines Reiches, dessen Zentralmacht zerfiel, als Kleinkönigreich bezeichnet werden. Beispielsweise werden auch die Provinzfürsten und Regionalherrscher in Al-Andalus, dem muslimisch beherrschten Teil der Pyrenäenhalbinsel, die vom 11. bis 13. Jahrhundert in mehreren Wellen sogenannte Taifa-Königreiche (taifas) errichteten, in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung oft als „Kleinkönige“ bezeichnet.[13]

Wenngleich „Kleinkönig“ weder in den Quellen noch in der modernen Forschung notwendigerweise abwertend gemeint ist, wurde der Begriff in einigen Quellen durchaus sehr polemisch gebraucht. So wird in der „Regensburger Fortsetzung“ der Annales Fuldenses für das Jahr 888 abschätzig vermerkt, dass nach dem Tod des Kaisers viele reguli in Europa nach der Macht gegriffen hatten. Noch einmal zugespitzter wurde regulus in der Stauferzeit von Rainald von Dassel, dem Kanzler Kaiser Friedrichs I., benutzt. Um die von staufischer Seite propagierte Vorrangstellung des römisch-deutschen Kaisertums besonders zu betonen, bezeichnete Rainald von Dassel die anderen Könige des lateinischen Europas im Vergleich zum Kaiser als Provinzkönige (reges provinciarum) und als reguli.[14]

  • Matthias Becher: „Herrschaft“ im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. Von Rom zu den Franken. In: Theo Kölzer, Rudolf Schieffer (Hrsg.): Von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde (Vorträge und Forschungen 70). Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2009, S. 163–188.
  • Steven Fanning: Reguli in the Roman Empire, late antiquity, and the early medieval Germanic Kingdoms. In: Ralph Mathisen (Hrsg.): Romans, barbarians, and the Transformation of the Roman World. Farnham u. a. 2011, S. 43–54.
  1. Sallust, Iugurtha 5,7, Iugurtha 9,4 und Iugurtha 11,5; Livius 42,65.
  2. Livius 43,5,8.
  3. Ammianus 29,5,2.
  4. Passim, beispielsweise Ammianus 17,2,8.
  5. Zur Benutzung der Begriffe rex/regulus bei Livius bezogen auf die Kelten vgl. auch Gerhard Dobesch: Die Kelten in Österreich nach den ältesten Berichten der Antike. Wien/Köln/Graz 1980, S. 388ff.
  6. Vgl. Steven Fanning: Reguli in the Roman Empire, late antiquity, and the early medieval Germanic Kingdoms. In: Ralph Mathisen (Hrsg.): Romans, barbarians, and the Transformation of the Roman World. Farnham u. a. 2011, S. 45.
  7. Steven Fanning: Reguli in the Roman Empire, late antiquity, and the early medieval Germanic Kingdoms. In: Ralph Mathisen (Hrsg.): Romans, barbarians, and the Transformation of the Roman World. Farnham u. a. 2011, S. 45–47.
  8. Gegen diese bis heute geläufige Interpretation der Forschung argumentiert Steven Fanning: Reguli in the Roman Empire, late antiquity, and the early medieval Germanic Kingdoms. In: Ralph Mathisen (Hrsg.): Romans, barbarians, and the Transformation of the Roman World. Farnham u. a. 2011, S. 49ff., der auch hier (nicht immer überzeugend) die Rolle der Co-Herrschaft betont.
  9. Gregor von Tours, Historiae 2,9. Vgl. die maßgebliche MGH-Ausgabe der Historiae: Bruno Krusch, Wilhelm Levison (Hrsg.): Scriptores rerum Merovingicarum 1,1: Gregorii Turonensis Opera. Teil 1: Libri historiarum X. Hannover 1951, S. 55, Z. 4 (mit Hinweis auf die Namensvarianten in den Manuskripten).
  10. Dieter Geuenich: Geschichte der Alemannen. 2., überarbeitete Auflage. Stuttgart 2005.
  11. Ulrich Nonn: Die Franken. Stuttgart 2013, siehe speziell S. 63ff.
  12. Matthias Becher: Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt. München 2011.
  13. Klaus Herbers: Geschichte Spaniens im Mittelalter. Stuttgart 2006, S. 133.
  14. Stefan Weinfurter: Das Reich im Mittelalter. München 2008, S. 121.