Naturraum

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Naturraum-Analyse)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

In der physischen Geographie versteht man unter Naturraum eine durch messbare Parameter der Geofaktoren Klima, Relief, Wasserhaushalt, Boden, geologischer Bau und Biosphäre charakterisierte Einheit des geographischen Raumes. Der sehr ähnliche geographische Begriff der Landschaft wird teils in identischer Bedeutung verwendet, teils auch differenzierend, indem „Naturraum“ allein die naturgesetzlich determinierte Komponente des jeweiligen Raumausschnittes beschreibt, während „Landschaft“ weitere (kulturlandschaftliche) Komponenten wie die aktuelle Landnutzung einschließt.

Die einzelnen Naturräume können entweder als räumliche Individuen, deren Gesamtcharakter sich in einzelnen oder mehreren Geofaktoren von den benachbarten Flächeneinheiten unterscheiden, oder als Typen, die eine gleichartige Merkmalskombination aufweisen, konzipiert sein. In beiden Fällen sind landschaftliche Einheiten von bestimmter Erscheinung und Standortausprägung sowie Lagequalität gegenüber benachbarten Flächen mit unterscheidbarer Charakteristik abgetrennt.

Naturräumliche Gliederung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Naturräume werden in der Regel nicht jeder für sich ermittelt und abgegrenzt, sondern flächendeckend für mehr oder weniger ausgedehnte Ausschnitte der Landschaftssphäre. Je nach Auswahl und Kombination der betrachteten Geofaktoren ergeben sich Einheiten unterschiedlicher Größenordnung, die in hierarchischen Strukturen geordnet werden können. Dabei sollen Naturräume gleicher Ebene durch gleiche Parameter bestimmt sein. Ein Wechsel in der Rangstufe, also zu hierarchisch über- bzw. untergeordneten Einheiten, geht stets mit einem entsprechenden Wechsel der charakterisierenden Merkmale einher.

Die Anzahl der ausgewiesenen hierarchischen Ebenen ist variabel, desgleichen ihre Bezeichnungen. Verallgemeinernd unterscheidet die Landschaftsforschung die Maßstabsbereiche oder Dimensionsstufen topisch, chorisch, regionisch und planetarisch. Die unterste, topische Dimension wird von homogenen, d. h. nicht weiter sinnvoll unterteilbaren Grundeinheiten (Physiotopen, Ökotopen) gebildet. Die chorische Dimension meint Verbände oder Mosaike von Grundeinheiten in einer etwa dem umgangssprachlichen Begriff von „Landschaften“ entsprechenden, also für den Menschen zumeist noch in der Natur überschaubaren Flächengröße (Geochoren). Die Grenze zwischen chorischer und regionischer Dimension ist nicht scharf gezogen. Die planetarische oder globale Dimension ist die oberste, ihr Gegenstand ist die gesamte Erdoberfläche.

Über die Frage der zweckmäßigen Strukturierung oder naturräumlichen Gliederung wird bei Landeskundlern, Geographen, Biologen und anderen mit den räumlichen Strukturen Befassten schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts intensiv diskutiert. Gegenwärtig sind zwei Vorgehensweisen etabliert. Die ältere ist eine Gliederung im Wortsinn, man geht also von großen Einheiten aus und unterteilt anhand differenzierender Merkmale fortgesetzt in immer kleinere Einheiten. Das jüngere Verfahren der sogenannten naturräumlichen Ordnung beginnt dagegen mit einer Kompletterfassung der kleinsten Grundeinheiten und aggregiert dann anhand gemeinsamer bzw. übergeordneter Merkmale zu immer größeren Einheiten.

Naturraumerfassung und -gliederung ist oft anwendungsorientiert, geht also auf spezifische Zwecke; der jeweils vorgesehene bestimmt dabei das bearbeitete Gebiet wie auch seine inhaltlichen Schwerpunkte. Deshalb kann es für ein bestimmtes Territorium mehrere verschiedene Gliederungen geben und daran angrenzende Territorialgliederungen können inkompatibel sein – auffällig wird das etwa, wenn aneinander grenzende Kartenblätter ein über ihrer Grenze liegendes Gebiet anders benennen oder unterteilen.

Globale Dimension

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Landschaftsformen oder physiographischen Regionen der Erde – ihre naturräumlichen Einheiten – werden vor allem in der angloamerikanischen Literatur nach Nevin Fenneman (1916) unterteilt.[1][2][3][4][5] In der deutschen Geographie, die sich teilweise von dieser fast rein auf Geomorphologie, beziehungsweise der Kombination aus geologischen Verhältnissen und Topographie gestützten Betrachtungsweise unterscheidet, brachte unter anderem Ernst Neef[6] diese Übersicht näher.

Die Grobeinteilung erfolgt in Kontinente, wobei es zwischen den einzelnen Kontinentalblöcken durchaus wegen gemeinschaftlicher Vergangenheit oder ähnlicher Genese Verbindungen gibt. Unterhalb der Kontinente als oberstes Gliederungskriterium folgen in diesem Schema Divisions, Provinces (Provinzen) und Sections (Sektionen), entsprechend der Nomenklatur des USGS.

Regionische und chorische Dimension

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Naturräumliche Großregionen nach der Bundesanstalt für Landeskunde.
Die Grenzen der Haupteinheitengruppen entsprechen, von der Zusammenlegung einiger alter Gruppen abgesehen, noch der Kartierung von 1960 des Handbuchs der naturräumlichen Gliederung Deutschlands und sind daher im Einzelfall randständig nicht mit den erst später ausgewiesenen Großregionen 1. und 2. Ordnung kompatibel.

Das Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands mit seinen Fortschreibungen stellt seit den 1950er-Jahren das gebräuchlichste Gliederungsmodell in Deutschland dar. Es dient in den meisten Bundesländern als Planungs- und Beobachtungsgrundlage und wird in leicht abgewandelter Form auch bei phänologischen Untersuchungen zum Beispiel des Deutschen Wetterdienstes herangezogen. Die Gliederung erfolgt hierarchisch in sieben Ebenen.

Die Landfläche Deutschlands hat Anteil an fünf[7] als Naturräumliche Großregionen 1. Ordnung[8] bezeichneten Einheiten der obersten Ebene. Nach aktuellem Stand ergeben sich durch Untergliederung dieser Einheiten folgende Naturräumliche Großregionen 2. Ordnung (vorangestellter Pfeil „→“):[9]

Otto Klausing bezeichnet die zweite Ordnungsstufe der naturräumlichen Einheiten als Region.[13]

Naturräumliche Großregionen 3. Ordnung entsprechen im Regelfalle den Haupteinheitengruppen, sofern diese nicht bereits Großregionen 2. Ordnung darstellen (z. B. Harz und Oberrheingraben). Jedoch wurden sehr viel Raum einnehmende Einheiten 3. Ordnung oftmals auf zwei oder mehr Gruppen aufgeteilt, im Schichtstufenland etwa die Schwäbisch-Fränkischen Gäue (12/13), Keuper-Lias-Länder (10/11) und Alben (08/09) – im vorliegenden Falle auch aus kulturräumlichen Aspekten heraus. Das Rheinische Schiefergebirge stellt, trotz seiner Aufspaltung in immerhin 8 Haupteinheitengruppen, gleichzeitig eine Einheit zweiter und dritter Ordnung dar.

Die weiteren Untergliederungen – chorische Dimension:

4. Ordnung: Haupteinheit (dreistellige Kennziffer)
5. Ordnung: Untereinheit (dreistellige Kennziffer mit einer Nachkommastelle)
6. Ordnung: Teileinheit (dreistellige Kennziffer mit zwei Nachkommastellen)

topische Dimension (noch kaum ausgearbeitet):

7. Ordnung: Grundeinheit („Fliese“; dreistellige Kennziffer mit drei Nachkommastellen)
Singularität/Einzelform („Fliese“; meistens ohne Kennziffer)

In einzelnen Bundesländern werden alternative Gliederungen erarbeitet und angewendet. Das System der Naturräume in Sachsen beruht konsequent auf dem Prinzip der naturräumlichen Ordnung (von unten nach oben). Die Naturräume Thüringens sind auf chorischer Ebene zu Typen abstrahiert und dadurch nicht ohne weiteres mit den auf naturräumliche Individuen orientierten Gliederungen der benachbarten Territorien kompatibel.

Listen nach Bundesländern:

Eine nur geringfügig unter biogeographischen Aspekten modifizierte Variante dieser Gliederung verwendet das Bundesamt für Naturschutz als Planungsgrundlage für das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000. Deutlichere Abweichungen entsprechend der speziellen Schwerpunktsetzung weist die Waldökologische Naturraumgliederung Deutschlands auf.

Traditionelle wissenschaftliche Gliederung:

Siehe Großlandschaften Österreichs

In der Schweiz ist die geographische Gliederung historisch dreiteilig:[14][15]

Die biogeographischen Regionen der Schweiz:[16]

Die Zuteilung erfolgt auf Gemeindeebene. Da es sich um eine Gliederung zu statistischen Zwecken handelt, wurde keine feinere Gliederung vorgenommen.

  • Institut für angewandte Geodäsie (Hrsg.): Landschaften (Namen und Abgrenzungen). Frankfurt/Main 1979.
Commons: Naturräume – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Inge Gotzmann (verantw. für den Inh.): Die Kulturlandschaft und ihre Bestandsaufnahme. Betrachtungen aus geographisch-landeskundlicher Sicht – Begriffsbestimmungen sowie Überblicksdarstellung der Landschafts- und Naturraumerfassung in Vergangenheit und Gegenwart, In- und Ausland. Mit Beispielen und Karten. Bund Heimat und Umwelt in Deutschland, Bonn 2010; urn:nbn:de:kobv:109-opus-109391
  • Otto Klausing: Die Naturräume Hessens mit einer Karte der naturräumlichen Gliederung 1:200000. In: Hessische Landesanstalt für Umwelt (Hrsg.): Schriftenreihe des Hessischen Landesanstalt für Umwelt. Nr. 67. Wiesbaden 1988, ISBN 3-89026-066-7 (Heft ohne Karte von 1988 Karte von 1974).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Nevin M. Fenneman: Physiographic Subdivision of the United States. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Band 3, Nr. 1. National Academy of Sciences, 15. Januar 1917, S. 17–22, doi:10.1073/pnas.3.1.17, PMID 16586678, PMC 1091163 (freier Volltext) – (englisch).
  2. Physiographic divisions of the conterminous U. S. U.S. Geological Survey, abgerufen am 6. Dezember 2007 (englisch).
  3. Physiographic & Landform – World, U.S. Indiana University of Pennsylvania, archiviert vom Original am 12. Oktober 2007; abgerufen am 7. Dezember 2007 (englisch).
  4. The Atlas of Canada – Physiographic Regions. Abgerufen am 8. November 2021 (englisch).
  5. Harm J. De Blij: Physical geography of the global environment. 3. Auflage. Oxford University Press, New York 2004, ISBN 0-19-517114-4, 52. Physiographic Realms and Regions: The Spatial Variation of Landscapes (englisch).
  6. Ernst Neef: Das Gesicht der Erde. Brockhaus, DDR, 1956
  7. Bis 1979 gliederte das Institut für Landeskunde noch in vier Großregionen 1. Ordnung.
  8. Emil Meynen (Hrsg.): Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands. Selbstverlag der Bundesanstalt für Landeskunde, Remagen/Bad Godesberg 1953–1962
  9. Die Grenzziehung der Großregionen 1. und 2. Ordnung stammt in der Hauptsache aus den Einzelblättern beiliegenden Übersichten (hier jene von Blatt Arnsberg 1968, die Grenzziehung auf Blatt Coburg von 1987 ist identisch), in Sachsen Grenzziehung nach Naturräume in Sachsen; Übersicht mit Haupteinheitengruppen.
  10. a b c d e Genauer Name der Großregion 2. Ordnung nicht bekannt bzw. nicht vergeben.
  11. Der geläufige Begriff Mittelgebirgsschwelle fasst die jüngeren Bruchschollentafelländer und die älteren Grundgebirgsschollenländer zwischen Rheinischem Schiefergebirge und Böhmischer Masse zusammen. Die Erstgenannten bilden eine einfach zusammenhängende Mittelgebirgslandschaft, während die Grundgebirgsschollenländer in 3 Segmente geteilt werden, deren kleinstes und nördlich-mittleres der Harz darstellt.
  12. In der Haupteinheitengruppe Westhessisches Bergland zählt der Kellerwald nicht zum Bruchschollentafelland, sondern als West-Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges zum Grundgebirgsschollenland.
  13. Otto Klausing: Die Naturräume Hessens. In: Hess. Landesanstalt für Umwelt (Hrsg.): Schriftenreihe des Hessischen Landesanstalt für Umwelt. Nr. 67. Wiesbaden 1988, ISBN 3-89026-066-7, Zur Systematik der naturräumlichen Gliederung, S. 7 (hlnug.de [PDF; 4,1 MB]).
  14. Jürg Früh: Geographie der Schweiz. Die Einzellandschaften der Schweiz. Band III (1938).
  15. René Ch. Schilter: Versuch einer Landschaftsgliederung und -typologie der Schweiz. Zürich 1977.
  16. Yves Gonseth, Thomas Wohlgemuth, Bertrand Sansonnens, Alexandre Buttler: Die biogeographischen Regionen der Schweiz, UM-137-D, BAFU (2001)