Natale Conti

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Natale Conti, lateinisch: Natalis Comes, französisch: Noël le Comte (* 1520 in Mailand; † 1582 ebenda) war ein venezianischer Gelehrter und Historiker, der vor allem durch sein 1551 erschienenes mythographisches Handbuch, die Mythologiae, sive explicationis fabularum libri decem, bekannt geworden ist.

Über sein Leben ist wenig bekannt. Er studierte in Venedig und war Lehrer von Francesco Panigarola. Sein Hauptwerk, die Mythologia, wurde 1551 von Aldus Manutius, erneut 1568 mit einer Widmung an Charles IX, den König von Frankreich, schließlich ein drittes Mal zu seinen Lebzeiten 1581 mit Glossen von Geoffroi Linoicer gedruckt. Die häufigen Widmungen seiner Werke an Charles IX könnten auf einen Aufenthalt in Frankreich hinweisen, wo sein Hauptwerk sehr erfolgreich war (die erste Übersetzung erschien dort 1604), möglicherweise hatte er gar Kontakt zur Pléiade.

Die Mythologiae sive explicationis fabularum libri decem

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Die lateinisch abgefasste Mythologia[1] nimmt im Original mehr als tausend Seiten ein und erlebte im 16. und 17. Jahrhundert weit über 20 Auflagen; die französische Übersetzung durchlief ihrerseits sechs Auflagen. Damit war die Mythologia Contis weit über ihre Zeit hinaus das maßgebliche Werk zur antiken Mythologie. Im Unterschied zu den Handbüchern von Giraldi und Cartari zieht Conti in größerem Umfang Epigramme, Eidyllien und Ekphrasen aus der griechischen Literatur heran. Für die Mythendarstellung bevorzugt er einen eher literarischen als philologischen Stil. Nach einem aus dem Mittelalter übernommenen Schema werden die Mythen historisch, „naturwissenschaftlich“ und moralisch interpretiert;[2] neuplatonischer Einfluss ist in dieser allegorischen Mythendeutung klarer als bei seinen Vorgängern zu erkennen. Zum Begriff des Mythos sagt Conti in der Einleitung zur Mythologia, dass die frühen Philosophen ihr Wissen von Mythen abgeleitet haben „und daß ihre Philosophie nichts anderes war als die Bedeutung dieser Sagen, die sich ergibt, wenn man ihre Hülle und ihre Einkleidung abstreift“. Contis Thesen wirkten über Francis Bacon (Weisheit der Alten, 1609) bis auf Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923–1929) fort.

Die Mythologiae wurden bis ins 18. Jahrhundert als autoritative Quelle für die griechische Mythologie zitiert. Philologische Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass Conti ungenau zitierte und seine Darstellung oft mit selbst ausgedachten Details ergänzte. Somit kommen die Mythologiae nicht als primärer Überlieferungsträger antiker Mythen in Frage, stellen jedoch ein wichtiges Zeugnis frühneuzeitlicher Antikenrezeption dar.[3]

Als humanistischer Dichter veröffentlichte er unter anderem Elegien in griechischer und lateinischer Sprache, ein parodistisches Kurzepos mit dem Titel Myrmicomyamachiae libri quattuor („Der Kampf der Ameisen und Fliegen in vier Büchern“) und elegische bzw. hexametrische Gedichte zum Thema der Zeit: De quattuor anni temporibus („Über die vier Jahreszeiten“) und das Cosimo de’ Medici gewidmete Gedicht De horis liber unus („Über die Stunden des Tages, in einem Buch“). In den vier Büchern des Gedichts De venatione („Über die Jagd“) nimmt Conti die vergilischen Georgica auf.

Sein zweites gelehrtes Hauptwerk ist Universae historiae sui temporis, eine Chronik der Jahre 1545 bis 1581. Außerdem verfasste Conti eine Reihe von Übersetzungen antiker Abhandlungen zur Rhetorik wie etwa der Progymnasmata des Aphthonios, weiter der Deipnosophistae des Athenaios und der pseudo-plutarchischen Schrift De fluviis.

Die Mythologia

  • Das lateinische Original
    • Natalis Comitis Mythologiae, sive explicationis fabularum libri decem (Venedig: Aldus Manutius 1551, 1568; auch: Frankfurt 1581; Genf 1651; Paris: Fr. Gueffier 1605) Digitalisat Padua 1616
  • Die französische Übersetzung
    • Noël le Comte: Mythologie ou Explication des fables. Zuerst: 1604. Paris: Chevalier 1627; Ndr. v. Stephen Orgel, New York, London: Garland 1976 (The Renaissance and the Gods, 26)
  • Moderne Übersetzungen ins Englische

Weitere Werke

  • De venatione libri IIII (1551)
  • Lettere volgari di diversi nobilissimi huomini (1551)
  • Myrmicomyamachiae libri quattuor
  • De quattuor anni temporibus
  • De horis liber unus
  • Universae historiae sui temporis
  • Rosemary E. Bancroft-Marcus: A dainty dish to set before a king: Natale Conti and his translation of Athenaeus’ Deipnosophistae. In: David Braund, John Wilkins (Hrsg.): Athenaeus And His World. Reading Greek Culture in the Roman Empire. University of Exeter Press, Exeter 2000, ISBN 0-85989-661-7, S. 53–76 (Inhaltsverzeichnis).
  • Virgilio Costa: I frammenti di Filocoro tràditi da Boccaccio e Natale Conti. In: Eugenio Lanzillotta (Hrsg.): Ricerche di antichità e tradizione classica. Tored, Tivoli 2004, ISBN 88-88617-05-1, S. 117–147.
  • Virgilio Costa: Natale Conti e la divulgazione della mitologia classica in Europa tra Cinquecento e Seicento. In: E. Lanzillotta (Hrsg.): Ricerche di Antichità e Tradizione Classica. Tored, Tivoli 2004, ISBN 88-88617-05-1, S. 257–311.
  • Virgilio Costa: «Quum mendaciis fallere soleat». Ancora sui frammenti della storiografia greca tràditi da Natale Conti. In: Cecilia Braidotti, Emanuele Dettori, Eugenio Lanzillotta (Hrsg.): οὐ πᾶν ἐφήμερον. Scritti in memoria di Roberto Pretagostini. 2 Bände. Quasar, Rom 2009, ISBN 978-88-7140-429-5, Bd. 2, S. 915–925.
  • Yasmin Haskell: Work or play? Latin „recreational“ Georgic poetry of the Italian Renaissance. In: Humanistica Lovaniensia. Bd. 48, 1999, S. 132–159 (online in der Google-Buchsuche)
  • Jean Seznec: La survivance des dieux antiques. Essai sur le rôle de la tradition mythologique dans l’humanisme et dans l’art de la Renaissance (= Studies of the Warburg Institute. Bd. 11). The Warburg Institute, London 1940; 2. Auflage: Flammarion, Paris 1980, Nachdruck 1993.
    • englisch: The survival of the pagan gods. The mythological tradition and its place in Renaissance humanism and art. Übersetzt von Barbara F. Sessions. Pantheon, New York 1953; Nachdrucke: Princeton University Press, Princeton 1972, 1995.
    • deutsch: Das Fortleben der antiken Götter. Die mythologische Tradition im Humanismus und in der Kunst der Renaissance. Übersetzt von Heinz Jatho. W. Fink, München 1990, ISBN 3-7705-2632-5.
  • Reinhard Steiner: Prometheus. Ikonologische und anthropologische Aspekte der bildenden Kunst vom 14. bis zum 17. Jahrhundert (= Forschungen. Bd. 2). Boer, Grafrath 1991, ISBN 3-924963-42-8 (zur Prometheus-Deutung bei Conti; Kurzfassung).
  • Michael Thimann: Natale Conti und der Status der fabula in den „Mythologiae“. In: Ders.: Lügenhafte Bilder: Ovids favole und das Historienbild in der italienischen Renaissance (= Rekonstruktion der Künste. Bd. 6). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-52547-905-0, S. 40–42 (online in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

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  1. Der Titel Mythologiae wird weithin als Nominativ Plural im Sinne von „Darstellungen und Interpretationen von Mythen“ aufgefasst; korrekt ist jedoch die Auffassung als Genitiv Singular, parallel zu explicationis fabularum abhängig von libri decem, im Sinne von „Darstellung und Interpretation von Mythen“; die Interpunktion steht dem zu dieser Zeit nicht entgegen. Die gleiche Verwechslung von Kasus-Numerus kommt auch in Bezug auf die Genealogia deorum gentilium des Giovanni Boccaccio vor.
  2. Die Geschichte dieser Interprationsarten wird von Jean Seznec (s. o. zur Literatur) erörtert.
  3. Robert Louis Fowler: Early Greek Mythography. Volume 2: Commentary, Oxford 2013, ISBN 978-0-198-14741-1, S. 735–737.