Albert Hellwig

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Albert Ernst Karl Max Hellwig (* 29. November 1880 in Berlin; † 3. Dezember 1950 in Reutlingen) war ein deutscher Jurist, Kriminologe und Publizist. Er führte im Jahre 1911 das Begriffspaar Schmutz- und Schundfilm in Bezug auf den Kinofilm ein und gilt auch als prägend für diese Terminologie, auch wenn sie bereits schon zuvor im Zusammenhang mit der Trivialliteratur als „Schundliteratur“ verwendet worden war, beispielsweise von Ernst Schultze.

Studium und juristische Laufbahn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sohn des Eisenbahnoberinspektors a. D. und Rechnungsrates Ernst Hellwig und der Ehefrau Marie Schönemann besuchte das Gymnasium in Altona. Zum Sommersemester 1900 nahm er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Jena auf[1] und wechselte nach zwei Semestern an die Universität Freiburg im Breisgau, später an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.[2] Hier wirkte er im März 1903, noch während seines Jurastudiums, als Beisitzer im Prozess gegen das „Blumen-Medium“ Anna Rothe mit;[3] hieran knüpfte seine Sammeltätigkeit von Fällen aus dem Spektrum „Krimineller Aberglaube“ an.[4] Zum Dr. jur. wurde er an der Universität Rostock promoviert.[5] Am Amtsgericht in Frankfurt (Oder) war er als Richter tätig.

Während der Weimarer Republik wurde er 1919 als Generalreferent für Strafrecht und Strafprozess an das Preußische Justizministerium berufen. Da er sich zuvor sowohl publizistisch als auch als Richter mit Jugendkriminalität beschäftigt hatte, arbeitete er an dem Entwurf des ersten Jugendgerichtsgesetzes mit, das 1923 in Kraft trat.[6] Da ihm die Arbeit im Ministerium nicht lag, ließ er sich auf eigenen Wunsch 1921 wieder in den Justizdienst versetzen. Als Landgerichtsdirektor in Potsdam wirkte Hellwig als Leiter einer Strafkammer und führte seine kriminalpsychologischen Studien fort.[7][8]

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beantragte er am 1. Mai 1933 die Mitgliedschaft in der NSDAP,[9] außerdem war er Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund und in der NS-Volkswohlfahrt.[10] In Potsdam wirkte er als Landgerichtsdirektor bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am 30. Januar 1945, den er selbst wegen Dienstunfähigkeit beantragt hatte.[10]

Nach dem Kriege wurde Hellwig in Reutlingen, wo er sich zuletzt als „Fachschriftsteller“ niedergelassen hatte, im Zuge der Entnazifizierung am 2. Mai 1950 als „unbelastet“ eingestuft.[11]

Aus zwei Ehen hatte Albert Hellwig fünf Kinder;[10] nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Margarethe Mader († 14. Februar 1920) heiratete Hellwig 1922 Antonie Kade, Tochter des Berliner Landgerichtsrats C. Kade.[12]

Prozesse und publizistische Tätigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hellwig wurde der Öffentlichkeit durch den 1930 unter seinem Vorsitz geführten Frenzel-Prozess wegen Blutschande bekannt, über den auch Carl von Ossietzky in der Weltbühne vom 9. Dezember 1930 berichtete.[13][14] Die Zeitschrift für Parapsychologie glossierte den Umfang der Urteilsbegründung durch Richter Hellwig, die sich schließlich auf 651 Seiten belief.[15]

In der Fachwelt wurde Hellwig durch seine etwa vierzig selbständigen Veröffentlichungen und mehr als einhundert Aufsätze in Fachzeitschriften bekannt. In der internationalen Kriminologie galt er als Fachmann für Fragen der Parapsychologie und der Kriminaltelepathie. In mehreren Fällen gelang es ihm als Sachverständiger, bei Schwindlern und Betrügern, die sich als Telepathen und Okkultisten ausgaben, ihre Täuschungsmanöver aufzuklären. Seine Arbeiten zum kriminellen Aberglauben beeinflussten auch seinen Bruder Karl (* 1884), der 1910 in Kiel eine Dissertation Zur Psychologie des Aberglaubens vorlegte.[16]

Hellwigs zweites großes Fachgebiet war der Jugendmedienschutz. Bis Anfang der 1930er Jahre begleitete er die rechtliche Ausgestaltung der öffentlichen Filmvorführung mit seinen zahlreichen Publikationen auf dem Gebiet. Als Teil der Kinoreformbewegung stand er zwar kritisch gegenüber dem damals noch neuem Medium, beschäftigte sich aber als einer der ersten wissenschaftlich mit den Auswirkungen des Films. Viele der aktuellen Aussagen zur Wirkung von Mediengewalt wie die Suggestionsthese, Habitualisierungsthese oder der sozialkognitiven Lerntheorie finden sich bereits in seinen Ausführungen. Er gilt damit als einer der ersten bedeutenden Medienwirkungsforscher zum Medium Film.[17]

Auch auf dem Gebiet des Prozessrechts hat Hellwig vielfach gewirkt. Mit seinem 1927 erschienenen Werk Psychologie und Vernehmungstechnik bei Tatbestandsermittlungen wurde erstmals umfassend die moderne Vernehmungstechnik für Richter, Staatsanwälte und Polizisten dargestellt.[18]

Hellwig setzte sich für die Anerkennung der Probe der Blutgruppen im Zuge der kriminalistischen Beweisführung ein, die unter Kriminologen heftig diskutiert wurde.[19][20]

Im Zuge der Strafrechtsreformbestrebungen ab 1909 sprach er sich gegen die Bestrafung von Homosexualität nach § 175 StGB a.F. aus, gleichwohl sah er homosexuellen Sexualverkehr als moralisch tadelnswert an.[21]

Nachlass[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hellwig wurde in Reutlingen auf dem Friedhof Unter den Linden beigesetzt. 1962 wurde seine Urne auf den Friedhof Bergäcker in Freiburg im Breisgau umgesetzt. Das Grab existiert heute nicht mehr.

Ein Teilnachlass von Albert Hellwig befindet sich im Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau.[22] Einen weiteren Teil von Hellwigs Sammlungen zum kriminellen Aberglauben erwarb der Kölner Kriminologe Gotthold Bohne für das Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Die Sammlung befindet sich heute im Universitätsarchiv Köln (Zugänge 585 und 877).

Weitere Einzelnachweise, vor allem aus den Archiven der Verlage Mohr ([Tübingen]) und Vandenhoeck & Ruprecht ([Göttingen]) in der KALLIOPE-Datenbank[23].

Literatur zu Albert Hellwig[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stephan Bachter: Anleitung zum Aberglauben. Zauberbücher und die Verbreitung magischen „Wissens“ seit dem 18. Jahrhundert. phil. Diss. Universität Hamburg 2005[24]

Uwe Schellinger: Kaum zu fassen: Die spezifische Problematik der historischen Überlieferung paranormaler Erfahrungen im 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Anomalistik 11/2011, S. 166–196.[25]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Das Asylrecht der Naturvölker, 1903
  • Verbrechen und Aberglaube, 1908
  • Die Kinematographenzensur, in: Annalen des Deutschen Reichs 1910, S. 32–41, 96–120, 893–917
  • Gerichtliche Medizin und Feuerbestattung, Berlin 1910
  • Schundfilms – Ihr Wesen, ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, Halle (Saale) 1911
  • Die Filmzensur in Württemberg. Ihre Notwendigkeit, ihre rechtlichen Grundlagen und ihre zweckmäßige Gestattung, in: Zeitschrift für die freiwillige Gerichtsbarkeit und die Gemeindeverwaltung in Württemberg Nr. 55, 1913, S. 18–30
  • Rechtsquellen des öffentlichen Kinematographenrechts. Systematische Zusammenstellung der wichtigsten deutschen und fremden Gesetze und Gesetzentwürfe, Ministerialerlasse, Polizeiverordnungen. Aus amtlichen Material gesammelt und mit Einleitung, kurzen Erläuterungen und einem Sachregister versehen, Mönchengladbach 1913
  • Die maßgebenden Grundsätze für Verbote von Schundfilms nach geltenden und künftigem Rechte, in: VerwArch Nr. 21, 1913
  • Die Beziehungen zwischen Schundliteratur, Schundfilms und Verbrechen, in: Arch. f. Krim. Nr. 51, 1913, S. 1–32
  • Kind und Kino, 1914+
  • Moderne Kriminalistik – Aus Natur und Geisteswelt, 1914
  • Justizirrtümer, Minden, 1914
  • Die Filmzensur, Berlin 1914
  • Die Filmzensur nach den Grundsätzen der preußischen Verwaltungsgerichte, in: Volkswart Nr. 7, 1914, S. 99–105, 113–120, 147–152
  • Aktenmäßige Fälle über Schundliteratur und Schundfilms als Verbrechensanreiz, in: Der Gerichtssaal, Jg. 84, 1916, S. 402[26]
  • Zum Problem der Tatbestandsdiagnostik, in: Der Gerichtssaal, Jg. 84. 1916, S. 432[27]
  • Weltkrieg und Aberglaube, Erlebtes und Erlauschtes, Leipzig 1916
  • Der Krieg und die Kriminalitaet der Jugendlichen, Halle a.d.S. 1916
  • Lichtspielgesetz vom 12. Mai 1920 nebst den ergänzenden reichsrechtlichen und landesrechtlichen Bestimmungen, Berlin 1921
  • Jugendgerichtsgesetz : mit Einleitung und Erläuterungen, Berlin 1923
  • Die Grundsätze der Filmzensur und der Reklamezensur nach den Entscheidungen der Oberprüfstelle, Mönchengladbach 1923
  • Psychologie und Vernehmungstechnik bei Tatbestandsermittlungen : eine Einf. in d. forensische Psychologie f. Polizeibeamte, Richter, Staatsanwaelte, Sachverstaendige u. Laienrichter, Berlin 1927
  • Jugendschutz gegen Schundliteratur : Gesetz zur Bewahrung d. Jugend vor Schund- u. Schmutzschriften v. 18. Dez. 1926, Berlin 1927
  • Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. Februar 1927 : ausführlich erläutert, mit einer Einleitung versehen unter Abdruck der Ausführungsbestimmungen des Reichs, Preußens, Bayerns, Württembergs, Sachsens, Badens, Thüringens, Hessens und Hamburgs, sowie eines Sachverzeichnisses, München 1928
  • Okkultismus und Verbrechen, Berlin 1929
  • Kinematograph und Kriminalwissenschaft, in: Internationale Lehrfilmschau: Monatsschrift des Internationalen Instituts für Lehrfilmwesen, Völkerbund 1930, S. 270–287
  • Brandstiftungen und Brandursachen : die Technik ihrer Ermittlung mit Karl August Tramm und Rhode, Kiel 1933 und Berlin (Selbstverlag) 1934 als 2. verbesserte Auflage
  • Revolution und Lichtspielreform, in: Hochland 16 (19), S. 635–638

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Amtliches Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Beamten, Anstalten und Studierenden der Gesamt-Universität Jena, Sommer-Semester 1900, S. 24
  2. Herrmann A. L. Degener, Wer ist’s? 9. Auflage. Berlin 1928, S. 624.
  3. Das spiritistische Medium Anna Rothe in: Hugo Friedländer, Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Berlin 1910
  4. Uwe Schellinger: Kaum zu fassen: Die spezifische Problematik der historischen Überlieferung paranormaler Erfahrungen im 20. Jahrhundert Zeitschrift für Anomalistik 11/2011, S. 172.
  5. Die Albert Hellwig zugeschriebene Marburger Dissertation Das Urteil im Inoffiziositätsprozeß nach Form, Inhalt und Wirkung wurde von Hans Hellwig, Sohn des Geheimen Justizrats Prof. Dr. Konrad Hellwig, eingereicht, vgl. den Lebenslauf im Exemplar der UB Köln, Sign. 1907/08MARB17. Hellwigs Dissertation ist Das Asylrecht der Naturvölker von 1903, vlg. UB Köln, Sig. 1903/04ROST68.
  6. Jugendgerichtsgesetz vom 16. Februar 1923. 31. Januar 1942, doi:10.1515/9783111392875.
  7. Kurzbiographie und Angaben zum Werk von Albert Hellwig bei Literaturport
  8. Fritz Hartung: Jurist unter vier Reichen. Köln, Berlin, Bonn, München 1971, S. 63f.
  9. Mitgliedsnr. 2651669.
  10. a b c Die Personalakte im Bundesarchiv, R 3001/59791@1@2Vorlage:Toter Link/www.archivportal-d.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juni 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  11. Die Spruchkammerakte im Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 2 Nr. 2555/225
  12. Herrmann A. L. Degener, Wer ist’s? 9. Auflage. Berlin 1928, S. 624.
  13. Carl von Ossietzky: Frenzel und Hellwig, in: ders., Sämtliche Schriften 1929–1930. Hg. von Bärbel Boldt, Ute Maack, Gunther Nickel, Bd. 5, S. 962.
  14. Albert Hellwig (in der Mitte) während der Urteilsverkündung im Frenzel-Prozess
  15. Digitalisat des Artikels auf „Freiburger historische Bestände – digital“
  16. Karl Hellwig: Zur Psychologie des Aberglaubens. phil. Diss. Kiel, 19. November 1910. Elberfeld 1911. Exemplar in UA Köln, Zugang 877/242.
  17. Michael Kunczik, Astrid Zipfel: Gewalt und Medien: Ein Studienhandbuch. UTB, 2006, ISBN 978-3-8252-2725-8, S. 38.
  18. Gotthold Bohne: Literaturbericht, Kriminalistik. In: ZStW. Band 48, 1928, S. 414 f.
  19. Albert Hellwig: Zur Frage der Anwendung der Blutgruppenprobe in Meineidsverfahren, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 51/1931, S. 269–271.
  20. G. Geserick, I. Wirth: Über die Anfänge der blutgruppenserologischen Abstammungsbegutachtung, in: Rechtsmedizin 21/2011, 39–44
  21. Albert Hellwig: Homosexualität und Strafrechtsreform. In: DMW - Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 37, Nr. 07, Februar 1911, ISSN 0012-0472, S. 312–313, doi:10.1055/s-0028-1130469.
  22. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 4. Mai 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.qualitative-research.net
  23. http://kalliope-verbund.info/de/query?q=ead.creator.gnd%3D%3D%22116690283%22
  24. Volltext der Dissertation
  25. Volltext des Artikels
  26. Text des Artikels (Memento des Originals vom 22. Januar 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dlib-zs.mpier.mpg.de
  27. Text des Artikels (Memento des Originals vom 7. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dlib-zs.mpier.mpg.de