Andrei Platonowitsch Platonow

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Andrei Platonowitsch Platonow (russisch Андрей Платонович Платонов, wiss. Transliteration Andrej Platonovič Platonov, eigentlich Андрей Платонович Климентов/Andrei Platonowitsch Klimentow; * 16. Augustjul. / 28. August 1899greg. bei Woronesch; † 5. Januar 1951 in Moskau) war ein russischer Schriftsteller.

Platonow, dessen Werke den Existentialismus vorwegnahmen, war einer der ersten Schriftsteller, die nach der Oktoberrevolution in Erscheinung traten. Obgleich er Kommunist war, wurden seine Werke zu Lebzeiten wegen ihrer skeptischen Haltung zur Kollektivierung und anderer Erscheinungen des Stalinismus verboten. Zu seinen bekanntesten Werken zählt die Dystopie Tschewengur.

Leben

Platonows Grab in Moskau

Der Sohn eines Metallarbeiters und Ältester von zehn Kindern wurde in einem Dorf in der Nähe von Woronesch geboren. Nach seiner Jugendzeit in verschiedenen Berufen und dem Militärdienst in der Roten Armee wurde er 1924 Ingenieur und schrieb kurze Stücke für Zeitungen. Er begann Anfang der 1920er Jahre mit der Veröffentlichung von Erzählungen und Gedichten, zugleich arbeitete er als Spezialist für Elektrifizierung und Landgewinnung in Zentralrussland. Hier wurde er Augenzeuge der durch die Zwangskollektivierung verursachten Veränderungen und Schäden. 1927 wurde er hauptberuflicher Schriftsteller in Moskau. Er war ein Mitglied der Schriftstellervereinigung Perewal, die sich das Ziel gesetzt hatte, Widerstand gegen die doktrinären Kulturfunktionäre zu leisten.[1] Er schuf die Kurzgeschichtensammlung Die Epiphaner Schleusen, bei deren Publikation er von Boris Pilnjak unterstützt wurde.

Platonows Hauptarbeiten, die Romane Tschewengur und Die Baugrube, entstanden zwischen 1926 und 1930 in etwa mit dem Beginn des ersten Fünfjahrplanes 1928. Diese Arbeiten mit ihrer impliziten Systemkritik brachten ihm heftige Kritik durch Parteifunktionäre ein. 1931 erhielt die Redaktion der Zeitschrift Krasnaja now einen Verweis durch die Parteiführung, weil sie Platonows Erzählung Zum Vorteil abgedruckt hatte; darin klingt nämlich Kritik an der Zwangskollektivierung an. Stalin persönlich fällte ein Verdikt: Er schrieb an den Rand des Abdrucks das Wort "Lump" (сволочь).[2]

Fortan wurde Platonow nicht mehr gedruckt. Er bat deshalb Maxim Gorki, den Vorsitzenden des sowjetischen Schriftstellerverbandes, um Hilfe. Gorki reagierte auf die ersten beiden Briefe Platonows nicht; die ihm mit einem dritten Brief 1934 zugesandte Erzählung Der Müllwind wies er wegen ihres Inhaltes zurück, "der an einen finsteren Albtraum grenzt".[3]

Während des stalinistischen Großen Terrors in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde Platonows fünfzehnjähriger Sohn wegen „Terrorismus und Spionage“ verhaftet und in ein Arbeitslager deportiert, wo er an Tuberkulose erkrankte. Als er schließlich zurückgebracht wurde, steckte sich Platonow bei der Pflege an. Der Sohn berichtete seinem Vater, die Geheimpolizei NKWD habe ihn nach seiner Verhaftung erpresst: Falls er das Geständnis nicht unterzeichne, kämen die Eltern ins Gefängnis.[4]

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Platonow als Kriegsberichterstatter eingesetzt, aber sein Gesundheitszustand verschlechterte sich. Nach dem Krieg verlegte er sich vom individuellen literarischen Schaffen auf das Sammeln von Volkserzählungen und gab zwei Sammelbände heraus. Er starb 1951. Sein Grab befindet sich auf dem Armenischen Friedhof in Moskau.

Obgleich er zum Zeitpunkt seines Todes relativ unbekannt war, war sein Einfluss auf die neueren russischen Schriftsteller beträchtlich. Ein Teil seines Werkes wurde während der Tauwetterperiode von 1958 an veröffentlicht. Wegen des antitotalitären Inhaltes seiner Werke und seines frühen Todes an Tuberkulose nannten ihn englische Kommentatoren den „russischen George Orwell“.

Werk

Platonows Werk zeigt deutliche Verbindungen zu den Arbeiten älterer russischer Schriftsteller wie Fjodor Dostojewski. Er verwendet zahlreiche christliche Symbole.

Seine 'Baugrube' kombiniert die ländliche Sprache mit ideologischen und politischen Begriffen, um eine Atmosphäre von Sinnentleerung zu schaffen, unterstützt durch überraschende und manchmal phantastische Plots. Diese Erforschung der Sinnleere ist ein Kennzeichen des Existentialismus und des Absurden.

Obwohl seine Werke im Allgemeinen eine materialistische Position vertreten und den Wert bzw. die Existenz der Seele negieren, weicht er stilistisch eindeutig vom sozialistischen Realismus ab, der auf eine schlichte Sprache und direkte Plots konzentriert ist.[5]

Russische Ausgaben

Deutsche Ausgaben (Auswahl)

  • Die glückliche Moskwa. Übersetzt von Renate Landa und Lola Debüser. Berlin, Volk und Welt 1993, ISBN 3-353-00966-3.
  • In der schönen und grimmigen Welt, Ausgewählte Prosa, 2 Bände. Berlin, Kultur und Fortschritt, 1969
  • Unterwegs nach Tschevengur. Darmstadt, Luchterhand 1973.
  • Tschewengur. Berlin, Volk und Welt, 1990, ISBN 3-353-00621-4.
  • Die Schustersfrau als Zarin: Märchen. Berlin, Kinderbuchverlag, 1975.
  • Die Kutschervorstadt: gesammelte Erzählungen. Ungekürzte Ausg. Frankfurt a. M. Ullstein, 1985, ISBN 3-548-20507-0.
  • Die Epiphaner Schleusen, Frühe Novellen. Berlin, Volk und Welt, 1986, ISBN 3-353-00004-6.
  • Müllwind, Erzählungen 1. Berlin Volk und Welt, 1987, ISBN 3-353-00147-6.
  • Die Reise des Spatzen, Erzählungen 2. Berlin, Volk und Welt 1988, ISBN 3-446-15203-2.
  • Die Baugrube, Das Juvenilmeer, Dshan, Romane. Berlin, Volk und Welt, 1989, ISBN 3-353-00511-0.
  • Gedanken eines Lesers, Essays. Leipzig und Weimar, Gustav Kiepenheuer, 1979.
  • Die Tragödie der 14 Roten Hütten. Stücke, Prosa, Briefe, Notizen. Berlin, Oberbaum, 1992, ISBN 3-926409-94-0.
  • Das Volk Dshan : Erzählungen, Briefe, Fotos, Dokumente. Berlin, Oberbaum, 1992, ISBN 3-926409-79-7.

Literatur

  • Robert Hodel/Jan Peter Locher (Hrsg.): Sprache und Erzählhaltung bei Andrej Platonov. Frankfurt a. M. 1998, ISBN 3-906759-83-0.
  • Stephan-Immanuel Teichgräber: Die Dekonstruktion der sozialistischen Mythologie in der Poetik Andrej Platonovs. Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-33928-3.
  • Pia-Susan Berger-Bügel: Andrej Platonov: der Roman „Ščastlivaja Moskva“ im Kontext seines Schaffens und seiner Philosophie. München Sagner, 1999, ISBN 3-87690-603-2.
  • Robert Hodel: Der Gewaltdiskurs der Politik als literarische Vorlage bei Andrej Platonov und Vladimir Sorokin. In: Verbrechen - Fiktion - Vermarktung. Gewalt in den zeitgenössischen slavischen Literaturen (Open Access); [Internationale Konferenz, 20. - 22. September 2012, Universität Hamburg]. Universitätsverlag, Potsdam 2013, ISBN 978-3-86956-271-1, S. 65–86.
  • Witali Schentalinski: Das auferstandene Wort. Verfolgte russische Schriftsteller in ihren letzten Briefen, Gedichten und Aufzeichnungen. Aus dem Russischen von Bernd Rullkötter. Bergisch Gladbach: Gustav Lübbe 1996, S. 419-436; ISBN 3-7857-0848-3
  • Konstantin Kaminskij: Elektrifizierung als Institution und Phantasma. Andrej Platonovs Prosaverfahren zwischen technischer Apparatur und sowjetischem Verwaltungsapparat. In: Texturen - Identitäten - Theorien (Open Access); [Ergebnisse des Arbeitstreffens des Jungen Forums Slavistische Literaturwissenschaft in Trier 2010]. Universitätsverlag Potsdam 2011, S. 101-117.

Weblinks

Commons: Andrei Platonow – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Kasack: Die Klassiker der russischen Literatur. Düsseldorf 1986, S. 158.
  2. Boris Frezinskij: Pisateli i sovetskie voždi. Moskau 2008, S. 525.
  3. Witali Schentalinski: Das auferstandene Wort. Verfolgte russische Schriftsteller in ihren letzten Briefen, Gedichten und Aufzeichnungen. Bergisch Gladbach 1996, S. 424.
  4. Witali Schentalinski: Das auferstandene Wort. Verfolgte russische Schriftsteller in ihren letzten Briefen, Gedichten und Aufzeichnungen. Bergisch Gladbach 1996, S. 435
  5. Konstantin Kaminskij: Störungssignale im sozrealistischen Normensystem. Der Fall Andrej Platonov. In: Konstruierte Realitäten - normale Abweichungen (Open Access); Wiesbaden 2010, S. 63-78.