Anhaltelager Wöllersdorf

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Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen Anhaltelagers Wöllersdorf
Plan des Lagers im Industrieviertel-Museum Wiener Neustadt
Tafel beim Zugang zum Mahnmal
Detail des Mahnmals

Das Anhaltelager Wöllersdorf war ein Anhaltelager des Austrofaschismus in Wöllersdorf-Steinabrückl, Niederösterreich.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 1933 richtete die Regierung des österreichischen Ständestaates in einigen Hallen der Wöllersdorfer Werke ein sogenanntes Anhaltelager ein. Im Oktober wurden die ersten Häftlinge – neun Nationalsozialisten und ein Kommunist – nach Wöllersdorf gebracht. Mit Jänner 1934 wurde mit dem Anhaltelager Kaisersteinbruch im Burgenland ein zweites Anhaltelager begonnen. Mit dem Bürgerkrieg im Februar 1934 wurden hunderte Schutzbündler und sozialdemokratische Funktionäre nach Wöllersdorf verbracht. Zum 1. Mai 1934 befanden sich 831 politische Gefangene im Lager, 508 Sozialdemokraten und Kommunisten sowie 323 Nationalsozialisten. Mit dem gescheiterten Juliputsch 1934 erweiterte sich das Anhaltelager Wöllersdorf mit tausenden Nationalsozialisten. Im Oktober 1934 war mit knapp 5.000 Personen der Höchststand erreicht, davon 4256 Nationalsozialisten und 538 Sozialdemokraten und Kommunisten.[1] Durch eine Amnestie im Jahre 1936 verringerte sich die Zahl der Inhaftierten auf rund 500 Personen. Nach dem Berchtesgadener Abkommen zwischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und Adolf Hitler im Februar 1938 wurde das Lager aufgelöst. Kurz vor Schließung waren noch 114 Personen in Wöllersdorf, darunter 45 Nationalsozialisten, 11 Sozialdemokraten und 58 Kommunisten.

Die Bedingungen im Lager werden als vergleichsweise angenehm beschrieben.[2] Die unterschiedlichen Häftlingsgruppen entwickelten dabei jeweils eigene Wöllersdorf-Narrative. In der NS-Erinnerungsliteratur wurde die Inhaftierung in Wöllersdorf zum „Martyrium“ stilisiert, um den Heldenmythos der Illegalen vor dem „Anschluss“ zu etablieren. In der Erinnerungsliteratur der linksoppositionellen Häftlinge steht die Anhaltung in Wöllersdorf im Schatten der späteren Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Der Lageralltag in Wöllersdorf erschien dabei als relativ milde verglichen mit der Inhaftierung in den Gefangenenhäusern und noch mehr im Vergleich mit nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Alle Häftlinge kritisierten den Freiheitsentzug als massive Grundrechtsverletzung. Die milde und menschenfreundliche Darstellung des Lageralltags in Wöllersdorf lässt sich nicht ohne Weiteres auf andere, kleinere Anhaltelager übertragen.[3]

Im Zuge des Anschlusses von Österreich an Hitlerdeutschland im März 1938 wurde das Lager von den Nationalsozialisten für die Inhaftierung von Funktionären des Ständestaates reaktiviert. Im Sinne der Propaganda einer sogenannten Befreiung wurde das Lager zum 2. April 1938 geschlossen und die Baracken niedergebrannt. Die Gefangenen wurden in das KZ Dachau verbracht.

Im Jahre 1973 wurde nach einem Entwurf von A. Kirchner an der Stelle des ehemaligen Anhaltelagers ein Mahnmal errichtet und zur 40-jährigen Erinnerung an die Februarkämpfe im Februar 1974 enthüllt. Im Herbst 2023 wurde das Mahnmal restauriert.[4] Siehe auch die Liste von Denkmälern für den Februaraufstand 1934.

Bekannte Gefangene[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kommunisten
 
Sozialdemokraten
 
Nationalsozialisten
 

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • S.n.: Österreichische Konzentrationslager. In: Schweizer Monatshefte. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur. Band 14/April 1934 – März 1935, ZDB-ID 2600245-0. Genossenschaft zur Herausgabe der Schweizer Monatshefte, Zürich 1935, S. 98–102. doi:10.5169/seals-157842.
  • Karl Flanner: Das Konzentrations-/Anhaltelager Wöllersdorf. (= Dokumentation des „Industrieviertel-Museums“ Wiener Neustadt, Band 129). Verein Museum und Archiv im Viertel unter dem Wienerwald, Wiener Neustadt 2008, OBV.
  • Anton Philapitsch: Wöllersdorf 1933–1938 Trauma oder Mythos? In: Klaus Mulley, Hans Leopold (Hrsg.): Geschosse – Skandale – Stacheldraht, Arbeiterschaft und Rüstungsindustrie. Ebenfurth-Pottendorfer Linie, 1999, ISBN 3-9500563-1-6.
  • Pia Schölnberger: Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938. Strukturen – Brüche – Erinnerungen. Lit, Wien 2015, ISBN 978-3-643-50628-3.
  • Regina Zodl: Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938 Ergänzende Bemerkungen. In: Klaus Mulley, Hans Leopold (Hrsg.): Geschosse – Skandale – Stacheldraht, Arbeiterschaft und Rüstungsindustrie. Ebenfurth-Pottendorfer Linie 1999, ISBN 3-9500563-1-6.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Anhaltelager Wöllersdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Gerhard Jagschitz: Die Anhaltelager in Österreich. In: Ludwig Jedlicka, Rudolf Neck (Hrsg.): Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938. Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1975, S. 149.
  2. Pia Schölnberger: „Durchaus erträglich“? Alltag im Annhaltelager Wöllersdorf. In: in DÖW Mitteilungen, Folge 195, S. 3. März 2010, abgerufen am 18. März 2021.
  3. Pia Schölnberger: Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938. Strukturen – Brüche – Erinnerungen. Lit, Wien 2015, S. 185–191.
  4. Fünf Denkmäler wurden in Wiener Neustadt restauriert. In: noen.at. 25. Dezember 2023, abgerufen am 26. Dezember 2023.

Koordinaten: 47° 51′ 2,2″ N, 16° 11′ 39,5″ O