Anna Leopoldowna

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Porträt Anna Leopoldownas von Louis Caravaque, nach 1733
Porträt Anna Leopoldownas von Louis Caravaque, 1740

Anna Leopoldowna, geboren als Elisabeth Katharina Christine Herzogin zu Mecklenburg(-Schwerin) (* 18. Dezember 1718 in Rostock; † 18. März 1746 in Cholmogory an der Dwina), war durch Heirat Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel sowie von 1740 bis 1741 als Großfürstin Regentin des Russischen Kaiserreichs. Als Urenkelin des Zaren Alexei Michailowitsch war sie mütterlicherseits eine mittelbare Nachfolgerin zum russischen Zarenthron.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Abstammung; frühe Jahre; Heirat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Elisabeth Katharina Christine, wie der Taufname von Anna Leopoldowna lautete, war die einzige Tochter von Herzog Karl Leopold von Mecklenburg und dessen dritter Gemahlin Katharina Iwanowna, Schwester der späteren Zarin Anna Iwanowna. Die Ehe ihrer Mutter mit dem despotischen Herzog verlief unglücklich, sodass diese ihren Ehemann 1722 verließ und mit ihrer kleinen Tochter nach Russland zurückkehrte. Dort wuchs Elisabeth Katharina Christine auf und hatte praktisch keinen Kontakt mit ihrem Vater. Sie lebte mit ihrer Mutter zurückgezogen in Ismailowo, Moskau und Sankt Petersburg, zunächst bei der Zarenwitwe Praskowja Fjodorowna Saltykowa.[1]

Als 1730 die kinderlose, verwitwete Anna Iwanowna den Zarenthron bestieg, benötigte sie zum Erhalt der Romanow-Dynastie einen Erben. Damit rückte Elisabeth Katharina Christine in den Fokus der Öffentlichkeit, da ein von ihr dereinst geborener Sohn ein potentieller Thronfolger wäre. Im Auftrag der Kaiserin wurde sie an deren Hof gebracht und erhielt eine gediegene Ausbildung. Ein Generaladjutant reiste nach Deutschland und hielt dort nach einem passenden Bräutigam für die russische Prinzessin Ausschau. Als erster Heiratskandidat wurde der Markgraf Karl Friedrich Albrecht von Brandenburg-Schwedt in Betracht gezogen, doch wurde dann auf Empfehlung des Wiener Hofs dem Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel wegen seiner Verwandtschaft mit Kaiser Karl VI. der Vorzug gegeben. Durch diese Auswahl des Bräutigams sah sich die vom Grafen Heinrich Johann Friedrich Ostermann und Generalfeldmarschall Burkhard Christoph von Münnich angeführte deutsche Partei am Zarenhof gestärkt. Im März 1733 reiste der Prinz Anton Ulrich nach Russland. Elisabeth Katharina Christine war mittlerweile im orthodoxen Glauben unterwiesen wurden und nahm anlässlich ihres Übertrittes zur russisch-orthodoxen Kirche den Namen Anna Leopoldowna an.[1]

Für den ihr bestimmten Bräutigam verspürte Anna Leopoldowna keine Sympathie. Sie ging mehrere Liebesaffären ein, u. a. mit dem sächsischen Gesandten Moritz Karl Graf zu Lynar. Kaiserin Anna versuchte dieses Verhalten der russischen Prinzessin zu unterbinden, indem sie diese isolieren und streng überwachen ließ. Auch der mächtige Herzog Ernst Johann von Biron hintertrieb die angepeilte Heirat von Anna Leopoldowna mit Anton Ulrich, da er seinen eigenen Sohn Peter mit ihr vermählen wollte. Er konnte seinen Plan jedoch nach der Aufdeckung seiner Intrige nicht realisieren. Schließlich fand am 12. Juli 1739 die Hochzeit von Anna Leopoldowna und Anton Ulrich in Sankt Petersburg statt. Der frisch angetraute Prinz sollte nach Auffassung Kaiserin Annas nur für die Geburt eines Thronerben sorgen; auch wurde kein politischer Ehrgeiz von seiner Gemahlin erwartet.[2]

Regentin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 23. August 1740 gebar Anna Leopoldowna ihren ersten Sohn, Iwan, den die bereits schwerkranke Kaiserin zu ihrem Nachfolger bestimmte. Anna Iwanowna ernannte außerdem nach langem Zögern ihren Favoriten, den kurländischen Herzog Ernst Johann von Biron, auf dessen Drängen zum Regenten für den minderjährigen Thronfolger und überging somit ihre Nichte. Am 28. Oktober 1740 verstarb die Kaiserin. Biron hatte in der adligen russischen Führungsschicht sowie bei den Garderegimentern keinen ausreichenden Rückhalt und stand auch in Rivalität zum Generalfeldmarschall Münnich. Anna Leopoldowna fühlte sich zurückgesetzt und nutzte die weitverbreitete Ablehnung des Regenten zu dessen Sturz. Im Gegensatz zu ihrem Gemahl war sie machthungrig und stiftete Münnich zum Staatsstreich an. Münnich und dessen Adjutant Manstein gingen gemeinsam mit Anna Leopoldowna in der Nacht zum 20. November 1740 zum Preobraschenski Leib-Garderegiment. Vor dessen Soldaten klagte Anna über ihre erniedrigende Behandlung durch Biron und versprach ihnen für den Übertritt in ihre Dienste höheren Sold. Manstein verhaftete Biron in dessen Schlafzimmer mit Hilfe von 80 Soldaten und ließ ihn internieren. Der Verschwörung beschuldigt wurde Biron bald darauf nach Sibirien verbannt. Inzwischen hatte sich Anna Leopoldowna unter dem Titel einer Großfürstin zur Regentin ihres minderjährigen Sohnes erklärt und die Garde den Treueschwur auf sie geleistet.[3][4]

Das höchste zentrale Staatsorgan, das Ministerkabinett, wurde nun in Fachdepartements untergliedert, wobei Münnich dem Ministerium für Heeresangelegenheiten, der Graf Heinrich Johann Friedrich Ostermann jenem für die Außenpolitik sowie Čerkasskij und Golovkin jenem für die innere Verwaltung vorstanden. Münnich wurde zunächst als erster Kabinettsminister die dominierende politische Figur.[5] Anna Leopoldowna ernannte jedoch ihren Gatten Anton Ulrich zum Oberbefehlshaber der russischen Armee und strebte die Kaiserkrone an.[6] Münnich war antihabsburgisch gesinnt und schloss am 27. Dezember 1740 ein Defensivbündnis mit dem preußischen König Friedrich dem Großen. Er vollzog damit einen außenpolitischen Kurswechsel, weil Russlands Hauptbündnispartner zuvor Österreich gewesen war. Hierdurch wurde die russische Europapolitik zeitweilig geschwächt. Da Münnich nicht nur die Rolle eines Gefolgsmanns der politisch wenig befähigten Regentin spielen wollte und diese auch den Fortbestand der Allianz mit Österreich favorisierte, kam es bald zum Zerwürfnis zwischen Anna Leopoldowna und ihrem ersten Minister. Graf Ostermann rivalisierte mit Münnich um Einfluss und erwirkte, dass dieser am 13. März 1741 seine Ämter niederlegte. Daraufhin trat Ostermann als führender politischer Akteur an Münnichs Stelle.[7][8]

Die Regentin beschäftigte sich nur wenig mit den Staatsangelegenheiten, forderte aber immerhin tägliche Fortschrittsberichte der staatlichen Institutionen über den Abbau der Bürokratie ans Ministerkabinett und ordnete soziale Regelungen für die Industrie an. Kein Erfolg war ihrem Plan beschieden, eine rechenschaftspflichtige Haushaltsführung der Regierung durchzusetzen.[9] Im Privatbereich unterhielt sie ein Liebesverhältnis mit dem von ihr nach ihrer Machtergreifung nach Russland zurückgeholten sächsischen Gesandten Moritz Karl zu Lynar, den sie zum Schein mit ihrer ersten Hofdame Juliane von Mengden (einer Verwandten Münnichs) verloben ließ.[10] Ihre Affäre führte zur Entzweiung mit ihrem Gemahl. Ostermann konnte unterdessen seine Machtstellung nicht dauerhaft absichern, da er über keinen Rückhalt einer mächtigen Hofpartei verfügte. Außenpolitisch war das Zarenreich bedroht; das Osmanische Reich setzte die Krimtataren gegen Russland in Bewegung, und Schweden erklärte Russland im August 1741 den Krieg und fiel in Finnland ein.[7] [6] Als Ostermann gegen Golovkin um den Erhalt seiner Macht rang, wurde er von Anton Ulrich unterstützt, während Anna Leopoldowna Partei für Golovkin ergriff.[11]

Sturz, Verbannung und Tod[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Herbst 1741 bildete sich eine Verschwörung gegen Anna Leopoldowna mit dem Ziel, Annas Halbtante 2. Grades (also der Halbcousine ihrer Mutter) und Tochter Peters des Großen, Elisabeth Petrowna, auf den russischen Thron zu bringen. Der Putsch wurde in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1741 – unter finanzieller Unterstützung durch Frankreich – vom Preobraschensker Leib-Garderegiment vollzogen und Elisabeth Petrowna bestieg als Elisabeth I. den russischen Zarenthron, während Anna Leopoldowna mit ihrem Gemahl und ihren Kindern zunächst nach Riga gebracht, dann nach Cholmogory an der Dwina verbannt wurde. Hier starb sie am 18. März 1746 nach der Geburt ihres fünften Kindes. Ihre sterblichen Überreste befinden sich in der Verkündigungs-Kirche des Alexander-Newski-Klosters in Sankt Petersburg.[12] Ihr Sohn, der „unglückliche Zar“ Iwan VI., wurde 1756 nach Schlüsselburg gebracht und dort 1764 ermordet. Anton Ulrich von Braunschweig folgte ihr erst 1774 ins Grab.

Nachkommen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Iwan VI. (1740–1764)
  • Katharina (1741–1807)
  • Elisabeth (1743–1782)
  • Peter (1745–1798)
  • Alexej (1746–1787)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Detlef Jena: Die Zarinnen Russlands, Styria, Regensburg 1999, ISBN 3-222-12724-7, S. 131–140.
  • Walentin Janin u. a.: Otetschestwennaja istorija: istorija Rossii s drewneischich wremen do 1917 goda. Tom 1. Bolschaja Rossijskaja enziklopedija, Moskau 1994, ISBN 5-85270-076-2, S. 86 (russisch).
  • Erik AmburgerAnna Leopoldowna. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, ISBN 3-428-00182-6, S. 301 (Digitalisat).
  • Anna Leopóldowna. In: Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage. Band 1. Brockhaus, Leipzig 1911, S. 71 (Digitalisat. zeno.org).
  • Carl Schlettwein: Bild der Prinzessin Katharina, Enkelin des Herzogs Karl Leopold von Meklenburg In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, 1876, Band 41, S. 155–156 (mit Ausführungen zum weiteren Schicksal seiner Abkömmlinge).
  • Brückner: Die Familie Braunschweig in Russland. St. Petersburg 1876.
  • Friedrich II. von Preußen urteilte in seiner „Geschichte meiner Zeit“ über die Gemahlin seines Schwagers: „Die Regentin hatte sich durch ihre Schwäche gegen einen Fremden, den schönen Grafen Lynar, den sächsischen Gesandten, verhaßt gemacht; allein ihre Vorgängerin, die Kaiserin Anna, hatte noch weit öffentlicher Biron, einen Kurländer und ebenso fremd wie Lynar, ausgezeichnet. So sind dieselben Dinge nicht mehr dieselben, wenn sie zu anderer Zeit und von anderen Personen geschehen. Die Liebe stürzte die Regentin; die populärere Liebe, die die Prinzessin Elisabeth gegenüber der preobrashenskischen Garde an den Tag legte, erhob sie auf den Thron. Beide Prinzessinnen hatten denselben Sinn für Wollust. Die Mecklenburgerin deckte den Schleier der Sprödigkeit darüber und nur ihr Herz verriet sie; Prinzessin Elisabeth trieb die Wollust bis zur Ausschweifung. Jene war launenhaft und bösartig; diese heuchlerisch, aber leicht lenkbar. Beide haßten die Arbeit, beide waren nicht zum Regieren geboren.“

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Anna Leopoldowna – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Detlef Jena: Die Zarinnen Russlands, 1999, S. 132.
  2. Detlef Jena: Die Zarinnen Russlands, 1999, S. 132 f.
  3. Detlef Jena: Die Zarinnen Russlands, 1999, S. 133 f.
  4. Manfred Hildermeier: Geschichte Russlands. Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution, C H. Beck, 4. Auflage, München 2022, ISBN 978-3-406-79398-1, S. 474.
  5. Aristide Fenster: Iwan VI., in: Hans-Joachim Torke (Hrsg.): Die russischen Zaren, C. H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-38110-3, S. 203 f.
  6. a b Detlef Jena: Die Zarinnen Russlands, 1999, S. 134.
  7. a b Aristide Fenster: Iwan VI., in: Hans-Joachim Torke (Hrsg.): Die russischen Zaren, 1995, S. 204.
  8. Ursula Feder: Münnich, Burchard Christoph Graf von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 531 (Digitalisat).
  9. Sabine Kiekbusch: Anna Leopoldowna, in: Harenberg. Das Buch der Tausend Frauen, Meyers Lexikonverlag, Mannheim 2004, ISBN 3-411-76099-0, S. 43.
  10. Heinrich Theodor FlatheLynar, Moritz Graf zu. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 19, Duncker & Humblot, Leipzig 1884, S. 732.
  11. Erik AmburgerAnna Leopoldowna. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, ISBN 3-428-00182-6, S. 301 (Digitalisat).
  12. Das Grab von Anna Leopoldowna. knerger.de
VorgängerAmtNachfolger
Anna IwanownaRegentin des Russischen Reiches
1740–1741
Elisabeth Petrowna