Anschlag im Thalys-Zug 9364

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Thalys-Zug 9364 von Amsterdam nach Paris in Bruxelles-Midi (Juni 2014)

Im Thalys-Zug 9364 von Amsterdam nach Paris ereignete sich am Abend des 21. August 2015 im belgisch-französischen Grenzgebiet ein Anschlag, als der in Brüssel zugestiegene Attentäter Ayoub El Khazzani das Feuer auf andere Fahrgäste eröffnete. Er wurde rasch von mehreren Passagieren überwältigt. Mehrere Menschen wurden verletzt, darunter der Angreifer.

Terrorlage in Frankreich vor dem Anschlag[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frankreich war in den Monaten zuvor wiederholt Ziel von Terroranschlägen oder -plänen mit islamistischem Hintergrund. Im Januar 2015 hatten drei Islamisten bei Anschlägen auf die Satirezeitung Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris 17 Menschen getötet. In der Region Paris galt seitdem die höchste Terrorwarnstufe (Plan Vigipirate). Im Juni 2015 enthauptete ein 35-Jähriger bei einem mutmaßlich islamistischen Anschlag nahe Lyon seinen Vorgesetzten und brachte in einer Industrieanlage Gasflaschen zur Explosion. Auch in diesem Fall soll es Verbindungen zur Miliz des IS in Syrien gegeben haben.

Ablauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karte der Thalys-Verbindungen zum Zeitpunkt des Attentats

In Brüssel stieg der marokkanische Attentäter Ayoub El Khazzani in den Zug ein. Während der Fahrt von Belgien nach Frankreich suchte er die Bordtoilette in Wagen 12 auf[1] und lud dort zwei Waffen: Eine Selbstladepistole vom Typ Luger sowie ein Sturmgewehr des Fabrikats Kalaschnikow. Für das Sturmgewehr führte er neun Magazine mit knapp 300 Schuss Munition mit, zudem befand er sich im Besitz eines Teppichmessers und einer Flasche mit brennbarer Flüssigkeit.[2] Als er die Zugtoilette um etwa 18 Uhr verließ, gab er mindestens einen Schuss ab. Damien A., ein 28-jähriger Franzose, der anonym bleiben möchte, und der 51-jährige Sorbonne-Professor Mark Moogalian waren die Ersten, die sich dem Angriff widersetzten.[3] Sie hatten den Attentäter vor der Schussabgabe als solchen wahrgenommen und versucht, ihn zu überwältigen.[4] Moogalian wurde dabei im Hals getroffen.[5]

Drei miteinander befreundete Passagiere, der US-Luftwaffensoldat Spencer Stone und Aleksander Skarlatos, Angehöriger der Nationalgarde von Oregon[6] und der Student Anthony Sadler, stürzten sich dann auf den Attentäter und überwältigten ihn.[7][8] Dabei verletzte der Attentäter den US-Soldaten Stone mit seinem Teppichmesser an Daumen, Nacken und Augenbraue.[9] Die drei nahmen dem Angreifer die Pistole und das Sturmgewehr ab[10] und schlugen ihn bewusstlos.[11] Zusammen mit Chris Norman, einem britischen Geschäftsmann, fesselten sie ihn mithilfe der Krawatte eines Zugbegleiters.[6][12][1] Norman wurde beim Überwältigen des Angreifers leicht verletzt.[10]

Daraufhin kümmerte sich der durch das Messer verletzte Stone um Moogalian, der durch das Projektil am Hals verletzt war und viel Blut verlor. Ein kurz nach der Überwältigung aufgenommenes Video zeigt unter anderem den gefesselten Attentäter mit nacktem Oberkörper am Boden des Abteils liegend.[13][14] Aleksander Skarlatos inspizierte den Rest des Zuges, um zu sehen, ob noch ein weiterer Attentäter anwesend war.[15] Dabei nahm er die Kalaschnikow des Angreifers mit, um einen möglichen zweiten Angreifer „ausschalten“ zu können. Als er wieder im Wagen 12 ankam, bemerkte er, dass die Waffe zu dem Zeitpunkt nicht funktionsfähig war, da der Verschluss klemmte. Auch die Pistole war nicht schussbereit, da das Magazin entweder nicht richtig oder gar nicht eingesetzt war.[1]

Der Zug wurde danach ins französische Arras umgeleitet, wo die Verletzten ins Krankenhaus gebracht wurden und die Polizei den mutmaßlichen Attentäter festnahm.[16] Später am Abend wurden die Passagiere nach Paris gebracht.[17]

Ermittlungen und Strafprozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erste Ermittlungen ergaben, dass Ayoub El Khazzani zur Tatzeit 26 Jahre alt und marokkanischer Abstammung sowie geheimdienstbekannt war. Er habe eine Zeit in Spanien gewohnt und sei kurz vor der Tat gereist. Er soll vom spanischen Geheimdienst beobachtet worden sein. Diese Information lag auch den französischen Sicherheitsbehörden vor.[6]

Ayoub El Khazzani ließ zunächst zwei Tage nach der Tat über seine Anwältin mitteilen, dass er die Mitreisenden lediglich berauben wollte und jeden Terrorverdacht zurückweise. Das Sturmgewehr und die neun Magazine habe er in einem Koffer in dem Brüsseler Park gefunden, in dem er für gewöhnlich übernachtete.[18]

Später erklärte er nach Angaben der Presseagentur AFP vor Ermittlern, dass Abdelhamid Abaaoud, der Organisator der Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, ihn angewiesen habe, die Tat zu begehen.[19] Abaaoud habe, so El Khazzani im Strafprozess, ihn auch im Mai 2015 in Syrien in die Benutzung von Waffen eingewiesen, und mit ihm sei er im August desselben Jahres heimlich nach Europa zurückgekehrt. Den Ermittlern hatte er allerdings nach seiner Festnahme verschwiegen, dass Abaaoud sich wieder in Brüssel aufhielt und nicht, wie diese vermuteten, immer noch in Syrien. El Khazzani bestritt, von den Pariser Anschlägen im Vorfeld Kenntnis gehabt zu haben.[2]

Am 16. November 2020 begann in Frankreich der Prozess gegen den Haupttäter und drei mutmaßlicher Helfer. Ayoub El Khazzani wurde wegen versuchten Mordes als Teil einer terroristischen Unternehmung sowie Verschwörung zu terroristischen Verbrechen angeklagt. Die Mitangeklagten Bilal C., Mohamed B. und Redouane S. wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zu versuchtem Mord angeklagt.[19] Am 17. Dezember 2020 wurde El Khazzani zu lebenslanger Haft verurteilt; die Mitangeklagten erhielten Haftstrafen von 7 bis 27 Jahren[20]. Am 8. Dezember 2022 bestätigte ein Schwurgericht als Berufungsinstanz die lebenslange Haftstrafe gegen El Khazzani mit einer Mindestverbüßungsdauer von 22 Jahren und einem anschließenden unbefristeten Aufenthaltsverbot in Frankreich. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft.[2]

Reaktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Politische Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Etwas mehr als eine Woche nach dem Thalys-Vorfall beschlossen eine Reihe von EU-Innen- und -verkehrsministern in Paris die Verschärfung der Überwachungsmaßnahmen im grenzüberschreitenden europäischen Zugverkehr.[21][veraltet]

Ehrungen der eingreifenden Passagiere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Chris Norman, Anthony Sadler, Präsident Hollande, Spencer Stone und Alek Skarlatos nach der Verleihung der Orden der Ehrenlegion im Élysée-Palast am 24. August 2015

US-Präsident Barack Obama lobte, die Passagiere hätten mit ihren „heldenhaften Taten“ eine weitaus schlimmere Tragödie verhindert. NATO-Oberbefehlshaber Philip M. Breedlove zeigte sich „extrem stolz“ auf die beteiligten Militärs.[22] Frankreichs Staatschef François Hollande lud sie für die kommenden Tage in den Élysée-Palast ein, während französische Medien ihnen bereits den Ehrentitel „Helden des Thalys“ verliehen. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve bezeichnete den Vorfall als Terrorakt.[12] Auch der belgische Premierminister Charles Michel verurteilte die Tat als „Terrorangriff“.[23] Am Abend des 21. August 2015, während sich Stone noch im Krankenhaus befand, wurden den anderen drei Rettern, Skarlatos, Sadler und Norman, in Arras vom Bürgermeister Frédéric Leturque Medaillen der Stadt überreicht.[24] Am nächsten Tag wurde Stone aus der Klinik in Lesquin entlassen. Er musste am Daumen operiert werden, der durch die Messerattacke schwer verletzt worden war.[25]

Am 24. August 2015 erhielten die Hauptakteure bei der Überwältigung des Attentäters – die drei Amerikaner Skarlatos, Sadler und Stone sowie der Brite Norman – den Orden der Legion d’Honneur aus den Händen von Präsident François Hollande.[26]

Die Vorgänge wurden von Regisseur Clint Eastwood im Film 15:17 to Paris aufgearbeitet, der 2018 erschien. Stone, Skarlatos und Sadler spielen sich darin selbst.

Am 31. Januar 2019 verlieh der französische Generalkonsul in San Francisco, Emmanuel Lebrun-Damiens, den drei US-Bürgern Anthony Sadler, Alek Skarlatos und Spencer Stone in Sacramento die französische Staatsbürgerschaft. Die US-Bürger hatten um die französische Staatsbürgerschaft gebeten. Bereits im September 2018 wurde ihre Einbürgerung im französischen Amtsblatt veröffentlicht.[27]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23. August 2015, Titelseite
  2. a b c Attentat déjoué du Thalys: perpétuité pour Ayoub El Khazzani. In: lepoint.fr. 8. Dezember 2022, abgerufen am 8. Dezember 2022 (französisch).
  3. Stephanie Dube Dwilson: Mark Moogalian & Damien A., Mystery Belgium Train Heroes: 5 Fast Facts You Need to Know. 23. August 2015;.
  4. Train heroes: The men who helped avert a massacre in Europe. In: CNN online, 22. August 2015 (englisch)
  5. Attaque du Thalys : sans eux „nous serions tous morts“ In: LeMonde online, 22. August 2015 (französisch)
  6. a b c Attacke in Thalys-Schnellzug: „Das hätte ein Blutbad geben können“. In: Spiegel Online. 22. August 2015, abgerufen am 22. August 2015.
  7. Revealed: The mystery man who tackled AK-47 assault rifle from train gunman.
  8. Hero off-duty soldiers and British IT worker describe beating French train terrorist unconscious – LIVE. In: Telegraph.co.uk. 22. August 2015;.
  9. Blick: Amerikaner verhindern Blutbad im Zug nach Paris: So stoppten wir den Terroristen! - Blick.
  10. a b France train shooting: Hollande thanks‚ heroes‘ who foiled gunman, In: bbc.co.uk, abgerufen am 22. August 2015
  11. «Das Zugpersonal hat sich eingeschlossen».
  12. a b Frankreichs Innenminister bezeichnet Angreifer als Terroristen. In: Zeit Online. 22. August 2015, abgerufen am 22. August 2015.
  13. Exclusive cell phone video from inside train. In: CNN online, 22. August 2015 (englisch)
  14. "Schnapp ihn!": Zivilcourage verhindert Blutbad in französischem Zug.
  15. 'Wrong Place, Right People': U.S. Servicemen, Passengers Speak Out after Foiling Possible Terror Attack on European Train.
  16. US-Bürger verhindern Blutbad im Zug. In: Tagesschau.de. 22. August 2015, abgerufen am 22. August 2015.
  17. Statement regarding the incident of 21/08. In: Thalys-Website. 22. August 2015, abgerufen am 22. August 2015 (englisch).
  18. Angelique Chrisafis: France train attack: investigators focus on extremist motive. In: theguardian.com. 23. August 2015, abgerufen am 16. November 2020 (englisch).
  19. a b France train attack: Four stand trial over foiled Thalys shooting. In: bbc.com. 16. November 2020, abgerufen am 16. November 2020 (englisch).
  20. Lebenslange Haft für Thalys-Attentäter. In: Welt. 17. Dezember 2020, abgerufen am 10. Dezember 2021.
  21. vet/AFP/dpa: Europäische Minister planen mehr Zugkontrollen. Sicherheit an Bahnhöfen. SPIEGEL ONLINE, 29. August 2015, archiviert vom Original am 29. August 2015; abgerufen am 29. August 2015: „Bahnkontrollen sind europaweit eine Seltenheit – noch. In Zukunft sollen bei grenzüberschreitenden Fahrten Passagiere und Gepäck kontrolliert werden und auf Zugtickets der Name der Passagiere stehen. Das haben die europäischen Innenminister beschlossen.“
  22. Nach Attentat in Thalys-Zug: Belgiens Premier fordert Überarbeitung des Schengen-Abkommens. via Sueddeutsche.de;
  23. Neuer Terrorschock in Frankreich. In: RP Online. 21. August 2015, abgerufen am 22. August 2015.
  24. Le courage des héros américains et britanniques du Thalys salué après l'attaque. In: francetvinfo.fr, 22. August 2015, (französisch)
  25. Kölner Stadt-Anzeiger: Verletzter US-Soldat verlässt Klinik: Mutmaßlicher Thalys-Attentäter identifiziert.
  26. Hugh Schofield: France train shooting: 'Instinct' led US passengers to react. BBC News, 24. August 2015, abgerufen am 24. August 2015.
  27. Drei Thalys-Helden aus den USA bekommen die französische Staatsbürgerschaft. In: nau.ch. 1. Februar 2019, abgerufen am 3. Februar 2019.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]