Behandlungswunsch

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Ein Behandlungswunsch ist eine vorsorgliche Willensbekundung über Art, Umfang und Dauer sowie die Umstände einer Behandlung, die nicht die Voraussetzungen einer Patientenverfügung erfüllt (§ 1901a Abs. 2, § 1901 Abs. 3 BGB).[1]

Behandlungswünsche im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung, die nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden.[2]

Bedeutung im Betreuungsrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Liegt eine Willensbekundung des Betroffenen vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts den Betreuer. Der Wille des Patienten muss stets beachtet werden, unabhängig von der Form, in der er geäußert wird.[3]

Im Fall einer wirksamen Patientenverfügung obliegt es dem Betreuer, den in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen gegenüber dem behandelnden Arzt zum Ausdruck zu bringen und ihm Geltung zu verschaffen (§ 1901a Abs. 1 Satz 2, § 1901 Abs. 3 BGB).

Wenn nicht sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung vorliegen oder die Patientenverfügung nicht auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, kommt es auf die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen an (§ 1901a Abs. 2 BGB).[4] Dieser ist in einem Gespräch zwischen Arzt und Betreuer gem. § 1901b BGB zu ermitteln.[5]

Können Arzt und Betreuer kein Einvernehmen darüber herstellen, dass eine Behandlungsmaßnahme dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten entspricht, ist gem. § 1904 Abs. 2, § 1901a Abs. 2 BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt.[6]

Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers im Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts von 2009 sichergestellt sein, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist.[7] Liegt kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein sich gegebenenfalls durch mehrere Instanzen hinziehendes betreuungsgerichtliches Verfahren belastet werden. Auch im Fall eines Einvernehmens kann indessen eine gerichtliche Genehmigung beantragt werden, um die Entscheidung des Betreuers in einem justizförmigen Verfahren zu legitimieren und ihn subjektiv zu entlasten sowie seine Entscheidung objektiv anderen Beteiligten zu vermitteln und ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung zu schützen.[8]

Weitere Bedeutungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außerhalb des Betreuungsrechts kann der Behandlungswunsch ein Indikator für die Motivation eines Patienten zu einer bestimmten Behandlung sein bzw. eine bestimmte Erwartungshaltung ausdrücken (Patientenbegehren),[9] im Rahmen einer Dysmorphophobie oder des Münchhausen-Syndroms auch krankhaft übersteigert.[10]

Hepatitis-C-Behandlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Frage nach dem Ausmaß eines Behandlungswunsches kann dazu dienen, die Wertigkeit von Symptomen für den Patienten zu eruieren bzw. (nach umfassender Aufklärung) die Motivation für eine Behandlung abzuschätzen.[11] Das Ausmaß der Motivation kann in der Praxis über die Terminvergabe „abgeklärt“ werden: So erhalten beispielsweise Patienten mit einer Hepatitis C und einem intravenösen Substanzkonsum in der Vorgeschichte den Termin für den Erstkontakt in einigen Wochen. Bei jenen Patienten, die dann auch erscheinen, wird in den meisten Behandlungszentren (soweit keine weiteren Kontraindikationen bestehen) davon ausgegangen, dass sie sich der körperlich und psychisch belastenden Therapie ausreichend lange unterziehen werden. Ein starker Behandlungswunsch wird somit als wichtigster prognostischer Faktor für einen Behandlungserfolg betrachtet.[12]

Akzeptanz von Chemotherapien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einer viel zitierten Studie von Slevin u. a. (1990)[13] wurde untersucht, wie groß die Heilungsaussichten, die Lebensverlängerung und die Reduktion unangenehmer Symptome sein müssten, um eine sehr belastende oder weniger belastende Chemotherapie zu wählen. Zusammengefasst zeigte sich, dass die Patienten im Gegensatz zu den behandelnden Onkologen, noch mehr zu den behandelnden Hausärzten, am meisten aber im Gegensatz zu betreuendem Pflegepersonal und Gesunden „nach jedem Strohhalm“ greifen würden.

Antibiotika bei banalen Infekten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Obwohl Antibiotika ausschließlich gegen Bakterien einsetzbar sind und bei banalen viralen Infekten keinerlei Wirksamkeit haben – [14] eine Tatsache, auf die seit Jahrzehnten hingewiesen wird – glauben viele Patienten, ihre Beschwerden durch deren Einnahme lindern zu können. An dieser Einstellung hat sich in den letzten Jahren wohl generell, zumindest aber nachgewiesenermaßen nach einem Aufklärungsprogramm in Neuseeland, nichts geändert.[15] Obwohl sich die Gruppen weder bezüglich der Anzahl der Krankheits-, Fieber- und Krankenstandstage unterschieden, glaubten die Patienten, die ein Antibiotikum bekommen hatten, dass dieses geholfen habe und gaben an, auch eine nächste ähnliche Episode medizinisch behandeln zu lassen.[16][17] Dieser Effekt ist wohl auch dem allgemeinen Ruf von Antibiotika zu verdanken. Sie gelten als starke und hochgradig wirksame Medikamente, was sich wohl werbewirksam in vielen Köpfen festgesetzt hat.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer: Hinweise und Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im ärztlichen Alltag Stand: 25. Oktober 2018, S. A 2437.
  2. Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann: Betreuungsrecht, 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 57; Palandt/Götz: BGB, 73. Aufl. § 1901 a Rn. 28; Jürgens/Jürgens: Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 16; HK-BUR/Bauer, Stand: Juli 2011, § 1901 a BGB Rn. 71.
  3. BT-Drucks. 16/13314 S. 22 zu § 1901 b BGB.
  4. Husebø, Klaschik: Palliativmedizin. 4. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-29888-5.
  5. vgl. Gerald Neitzke: Ermittlung des Patientenwillens. AINS 2019, S. 474–483.
  6. vgl. Die Patientenverfügung: Erfahrungen und Anforderungen aus medizinischer und rechtlicher Sicht Gemeinsames Kolloquium der Ärztekammer Nordrhein und der Rheinischen Notarkammer (ohne Jahr), Schaubild S. 5.
  7. Leitlinie der DRK Kliniken Berlin: Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten (Memento vom 27. Februar 2012 im Internet Archive; PDF; 88,3 kB)
  8. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13 Rdnr. 24 f.
  9. R. Körfer, G. Kleikamp: Welchen Behandlungswunsch hat der Patient im höheren Lebensalter an die Chirurgie und was kann die Chirurgie leisten — aus Sicht der Herzchirurgie, in: W. Hartel (Hrsg.): Wahrung des Bestandes, Wandel und Fortschritt der Chirurgie. Langenbecks Archiv für Chirurgie. Springer, Berlin und Heidelberg 1996, S. 434–438.
  10. Gefilterte Bilder beeinflussen Wunsch nach Schönheitsoperationen Deutsches Ärzteblatt, 25. Juni 2019.
  11. A retrospective study concerning TMD with regard to pain associated and psycho-social aspects
  12. Wie und wann soll man eine Hepatitis C behandeln? SEVHEP
  13. M. L. Slevin, L. Stubbs, H. J. Plant, P. Wilson, W. M. Gregory, P. J. Armes, S. M. Downer: Attitudes to chemotherapy: comparing views of patients with cancer with those of doctors, nurses, and general public. In: BMJ (Clinical research ed.). Band 300, Nummer 6737, Juni 1990, S. 1458–1460, PMID 2379006, PMC 1663147 (freier Volltext).
  14. B Arroll, T Kenealy: Antibiotics for the common cold and acute purulent rhinitis. (Memento vom 19. Januar 2010 im Internet Archive) Cochrane Database of Systematic Reviews 2005, Issue 3. Art. No.: CD000247 (archive.org).
  15. Misty Curry et al.: Public views and use of antibiotics for the common cold before and after an education campaign in New Zealand (Memento vom 23. Mai 2010 im Internet Archive) In: N Z Med J., 2006 May 5,119(1233), S. U1957, PMID 16680174
  16. P. Little, I. Williamson et al.: Open randomised trial of prescribing strategies in managing sore throat. In: BMJ, 1997 Mar 8, 314(7082), S. 722–727, PMID 9116551
  17. P. Little, C. Gould et al.: Reattendance and complications in a randomised trial of prescribing strategies for sore throat: the medicalising effect of prescribing antibiotics. In: BMJ, 1997 Aug 9, 315(7104), S. 350–352, PMID 9270458