Betablocker

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Betablocker, auch Beta-Rezeptorenblocker, β-Blocker oder Beta-Adrenozeptor-Antagonisten, sind eine Reihe ähnlich wirkender Arzneistoffe, die im Körper β-Adrenozeptoren blockieren und so die Wirkung des „Stresshormons“ Adrenalin und des Neurotransmitters Noradrenalin hemmen. Die wichtigsten Wirkungen von Betablockern sind die Senkung der Ruheherzfrequenz und des Blutdrucks, weshalb sie bei der medikamentösen Therapie vieler Krankheiten, insbesondere von Bluthochdruck und Koronarer Herzkrankheit, eingesetzt werden.

Wegen der gut belegten Wirksamkeit[1] und der großen Verbreitung der Krankheiten, bei denen Betablocker eingesetzt werden, zählen sie zu den am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln: 2006 wurden in Deutschland 1,98 Milliarden definierte Tagesdosen (DDD)[2] Betablocker verschrieben. Der bekannteste und mit Abstand am meisten verschriebene Wirkstoff ist Metoprolol (für das Jahr 2006: 780,9 Millionen DDD[3]).

In manchen Sportarten ist die Einnahme von β-Blockern nicht erlaubt; sie stehen in Disziplinen, die eine hohe Konzentration und präzise Bewegungen erfordern, als leistungssteigernde Substanzen auf der Dopingliste.[4]

Wirkstoffe und chemischer Aufbau

Einige β1-selektive Betablocker (ohne Angabe der Stereochemie).
Einige nicht-selektive Betablocker (ohne Angabe der Stereochemie).

Strukturell sind Betablocker Phenolether von vicinalen Diolen.

Für die Wirksamkeit von Betablockern entscheidend sind die Subtypen β1 und β2 des β-Adrenozeptors. Die verschiedenen Wirkstoffe unterscheiden sich in der Affinität für diese Rezeptoren. Der erste Betablocker, Propranolol, wurde in den 1960er Jahren entwickelt. Dieser wirkt ungefähr gleich stark auf beide Typen des Rezeptors und wird daher als nichtselektiver Betablocker bezeichnet. In der Folge wurden selektivere Betablocker entwickelt, da vor allem die Blockade des β1-Adrenozeptors erwünscht ist. Ein Wirkstoff, der ausschließlich den β2-Adrenozeptor blockiert, ist nicht verfügbar. Wirkstoffe wie Metoprolol oder in noch ausgeprägterer Form Bisoprolol[5] wirken aber stärker auf den β1-Subtyp und werden deshalb als selektive Betablocker bezeichnet.

Im Gegensatz zu Alphablockern haben Betablocker große strukturelle Ähnlichkeit zu β-Sympathomimetika. Deshalb haben manche der Betablocker eine geringfügige erregende (agonistische) Wirkung auf Beta-Rezeptoren. Diese Eigenschaft wird als intrinsische sympathomimetische Aktivität (ISA) oder partielle agonistische Aktivität (PAA) bezeichnet und ist meist unerwünscht.[6]

Einige neuere Betablocker haben zusätzliche gefäßerweiternde (vasodilatierende) Eigenschaften: Carvedilol bewirkt eine Blockade des α1-Adrenozeptors, Nebivolol eine Stickstoffmonoxid-Freisetzung und Celiprolol hat eine aktivierende Wirkung am β2-Adrenozeptor.

ohne ISA mit ISA
β1-selektive Betablocker Atenolol
Bisoprolol
Metoprolol
Nebivolol
Esmolol
Betaxolol
Acebutolol
Celiprolol
Nicht-selektive Betablocker Propranolol
Bupranolol
Timolol
Carvedilol
Sotalol
Nadolol
Pindolol
Oxprenolol
Alprenolol
Carteolol

Der Bedeutung der Enantiomerenreinheit der synthetisch hergestellten Wirkstoffe wird zunehmend Beachtung eingeräumt, denn die beiden Enantiomeren eines chiralen Arzneistoffes zeigen fast immer eine unterschiedliche Pharmakologie und Pharmakokinetik. In einer Übersicht wurden die stereospezifischen Wirkungen der Enantiomeren zahlreicher Betablocker beschrieben.[7] Aus Unkenntnis der stereochemischen Zusammenhänge wurden derartige Unterschiede oft ignoriert.[8] Arzneimittel enthalten Arzneistoffe häufig als Racemat (1:1-Gemisch der Enantiomere), wobei aus grundsätzlichen Überlegungen die Verwendung des besser bzw. nebenwirkungsärmer wirksamen Enantiomers zu bevorzugen wäre. Im Fall der β-Blocker ist deren pharmakologische Aktivität in der Regel praktisch vollständig auf das (S)-Enantiomer zurückzuführen, das 10 bis 500 Mal aktiver als das Distomer, also (R)-Enantiomer, ist.[9] Timolol, Penbutolol und Levobunolol werden als enantiomerenreine (S)-konfigurierte Arzneistoffe vermarktet,[10] die meisten anderen β-Blocker werden als Racemate eingesetzt.

Wirkmechanismus

Betablocker hemmen die aktivierende Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin auf die β-Adrenozeptoren, wodurch der stimulierende Effekt des Sympathikus auf die Zielorgane, vornehmlich das Herz, gedämpft wird. Die Wirkungen auf andere Organsysteme zeigen sich als gegengerichtet zu den Wirkungen von Adrenalin.

Zwei Typen von β-Adrenozeptoren spielen dabei eine Rolle: Über β1-Adrenozeptoren wird vor allem die Herzleistung (Herzkraft und -frequenz) und direkt der Blutdruck angeregt. Eine Anregung der β2-Adrenozeptoren wirkt dagegen auf die glatten Muskeln der Bronchien, der Gebärmutter sowie der Blutgefäße. Eine Blockierung dieser Rezeptoren wirkt kontrahierend auf die glatte Muskulatur. So erhöht sich unter anderem auch der Tonus der Bronchialmuskulatur, was zu deren Verkrampfung führen kann. Obstruktive Bronchialerkrankungen wie Asthma bronchiale oder COPD sind deshalb Kontraindikationen für eine Therapie mit β2-wirksamen Betablockern.

Der β1-Adrenozeptor findet sich auch in der Niere, wo er die Ausschüttung des blutdrucksteigernden Enzyms Renin steuert. Wahrscheinlich ist das der Hauptgrund für die langfristige Wirksamkeit[5] der Betablocker bei der Senkung des Blutdrucks. Hier sind die COPD so wie ein Asthma bronchiale mittlerweile keine Kontraindikationen mehr, da immer der Nettonutzen zu berücksichtigen ist.

Indikationen

Bluthochdruck

Wirkstoffkombinationen bei Bluthochdruck, Grüne Linien: empfohlene Kombination, synergistische Wirkung. Gelbe Linien: mögliche Kombination.

Bei der medikamentösen Therapie von Arterieller Hypertonie werden Betablocker meist in Kombination mit anderen Antihypertensiva angewendet. Die Einstufung als ein Medikament der ersten Wahl wurde durch Studien in Frage gestellt.[11] Nach den Leitlinien der Hypertoniebehandlung von 2008 gehören sie weiterhin zu den Medikamenten der ersten Wahl, da sie insbesondere bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und bei Herzinsuffizienz günstige Effekte haben. Nachteilig wirken sie sich jedoch aus auf das Risiko einer Gewichtszunahme, den Lipid- und den Glukosestoffwechsel. „Betablocker sollten daher vermieden werden bei Patienten mit metabolischem Syndrom oder seinen Komponenten, wie Bauchfettleibigkeit, hochnormalen oder erhöhten Plasmaglucosespiegeln und pathologischer Glucosetoleranz.“ (Zitat Leitlinie)[12]

Die Wirksamkeit von Betablockern zur Senkung des Blutdrucks ist zwar unbestritten, wie genau diese Senkung aber erreicht wird, ist nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Kombination von Wirkungen. So wird zu Beginn der Behandlung durch Minderung der Herzleistung eine Blutdrucksenkung erreicht. Langfristig spielen aber wohl auch die Hemmung der Sympathikusaktivität und die Verminderung der Freisetzung von Renin eine Rolle.[13]

Koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt

Betablocker senken durch die Abnahme der Herzleistung den Sauerstoffbedarf des Herzens. Außerdem wird über die Senkung der Herzfrequenz eine bessere Durchblutung der Herzkranzgefäße erreicht, da diese nur in der Diastole durchblutet werden.[14] Betablocker sind daher die wichtigsten Medikamente bei stabiler Angina Pectoris[15] und werden – mit demselben Ziel – auch nach einem Herzinfarkt eingesetzt. Für beide Indikationen ist eine lebensverlängernde Wirkung von Betablockern eindeutig belegt.[15]

Herzinsuffizienz

Auch bei stabiler, chronischer Herzinsuffizienz belegen Studien eine Prognoseverbesserung durch Anwendung von Betablockern ab dem Stadium NYHA-II, bei Hypertonie und nach Herzinfarkt auch im Stadium NYHA-I. Hier steht die Minderung des Sympathikuseinflusses auf das Herz und die Ökonomisierung der Herzarbeit im Vordergrund, wobei der genaue Wirkmechanismus noch nicht geklärt ist.[16] Wichtig ist bei der Behandlung der Herzinsuffizienz mit Betablockern, die Behandlung einschleichend zu gestalten, also mit niedrigen Dosen zu beginnen und die Dosis langsam zu steigern. Zugelassen zur Behandlung der Herzinsuffizienz sind die Betablocker Bisoprolol, Carvedilol, Metoprolol und Nebivolol.

Herzrhythmusstörungen

Zur Behandlung tachykarder Herzrhythmusstörungen stehen verschiedene Klassen von Antiarrhythmika zur Verfügung. Betablocker werden daher auch als „Klasse II Antiarrhythmika“ bezeichnet. Im Gegensatz zu vielen anderen Antiarrhythmika ist die lebensverlängernde Wirkung der Betablocker nachgewiesen,[17] sodass sie zu den wichtigsten Medikamenten der antiarrhythmischen Therapie gehören. Für die Wirksamkeit der Betablocker spielt ihre erregungshemmende Wirkung am Herzen die entscheidende Rolle.

Weitere Indikationen

Weitere Indikationen für Betablocker sind bzw. können sein:

Compliance

Wichtig für die Wirksamkeit der Betablocker ist – wie bei anderen regelmäßig einzunehmenden Medikamenten – die Einnahmetreue (Compliance): Bei einer Analyse der Compliance von etwa 31.500 Patienten, die einen Herzinfarkt mindestens 15 Monate überlebt hatten und denen unter anderem auch Betablocker verschrieben worden waren, wurde festgestellt, dass eine schlechte Einnahmetreue die Lebenserwartung senkt. Die Compliance wurde als gut beurteilt, wenn die Patienten mindestens 80 % der verordneten Medikamente einlösten, als mäßig, wenn sie 40–79 % einlösten. Die Mortalität der Patienten mit „mäßiger“ war im Vergleich zu denen mit „guter“ Compliance um 1 % (innerhalb von einem Jahr) bzw. 13 % (zwei Jahre) erhöht.[18]

Kontraindikationen

Wichtige relative und absolute Kontraindikationen, die grundsätzlich für alle Betablocker gelten, sind:[5]

Nebenwirkungen

In der Regel sind Betablocker auch bei längerer Einnahme gut verträglich. Die bekannten Nebenwirkungen sind nach Absetzen des Medikaments oder Anpassung der Dosierung meist reversibel. Die wichtigsten Nebenwirkungen, die grundsätzlich für alle Betablocker gelten, sind:[5]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Martin Wehling: Klinische Pharmakologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-13-126821-1, S. 52, 76.
  2. U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2007. 1. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-72547-3, S. 9.
  3. U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2007. 1. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-72547-3, S. 464.
  4. The 2015 Prohibited List. WADA; abgerufen am 23. November 2015.
  5. a b c d Thomas Herdegen: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-13-142291-0, S. 79 ff.
  6. Martin Wehling: Klinische Pharmakologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-13-126821-1, S. 53.
  7. Reza Mehvar, Dion R. Brocks: Stereospecific Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Beta-Adrenergic Blockers in Humans. In: J. Pharm. Pharmaceut. Sci., 4, 2001, S. 185-200.
  8. E. J. Ariëns: Stereochemistry, a basis for sophisticated nonsense in pharmacokinetics and clinical pharmacology. In: European Journal of Clinical Pharmacology, 26, 1984, S. 663-668, doi:10.1007/BF00541922
  9. Joni Agustiana, Azlina Harun Kamaruddina, Subhash Bhatiaa: Single enantiomeric β-blockers – The existing technologies. In: Process Biochemistry, 45, 2010, S. 1587–1604.
  10. R. A. Sheldon: The Industrial Synthesis of Optically Active Compounds. In: Miklós Simonyi (Hrsg.): Problems and Wonders if Chiral Molecules. Akadémiai Kiadó, Budapest 1990, ISBN 963-05-5881-5, S. 349–386.
  11. Eine ausgewogene Betrachtung findet sich u. a. bei der Deutschen Herzstiftung: Thomas Eschenhagen: Beta-Blocker – wie gut sind sie? 2006.
  12. Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 1. Juni 2008, abgerufen am 1. Juli 2012.
  13. Klaus Aktories, Ulrich Förstermann, Franz Bernhard Hofmann, Klaus Starke (Hrsg.): Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage. Elsevier, München 2009, ISBN 978-3-437-42522-6, S. 4.7.2.
  14. Thomas Herdegen: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-13-142291-0, S. 91.
  15. a b Martin Wehling: Klinische Pharmakologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-13-126821-1, S. 76.
  16. Thomas Herdegen: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-13-142291-0, S. 96.
  17. Thomas Herdegen: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie. 1. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-13-142291-0, S. 105.
  18. Zitiert nach Schlechte Compliance ist tödlich, MMW-Fortschr. Med. Nr. 5 / 2007 (149. Jg.), S. 22, zitiert nach J. N. rasmussen et al, JAMA, 297 (2007) 177-186.
  19. Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). awmf.org, abgerufen am 17. Juni 2012.