Bethel Henry Strousberg

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Bethel Henry Strousberg
Bethel Henry Strousberg (Illustrirte Zeitung vom 16. Oktober 1869)
Karikatur der rumänischen Satire-Zeitschrift Ghimpele vom 7. Mai 1871, der Hund (Deutschland) frisst aus einem Gefäß („Strousberg-Affäre“), ertappt und an die Leine genommen von der rumänischen Abgeordnetenkammer
Familienbildnis Strousberg von Ludwig Knaus, 1870
Strousberg-Mausoleum nach der Restaurierung

Bethel Henry Strousberg (* 20. November 1823 in Neidenburg, Ostpreußen; † 31. Mai 1884 in Berlin; gebürtig/eigentlich Baruch Hirsch Strousberg, eingedeutscht Barthel Heinrich Strausberg) war ein deutscher jüdischstämmiger Unternehmer der Gründerzeit, der sich hauptsächlich im Eisenbahnbau engagierte. Als standesgemäßen Wohnsitz nutzte Strousberg das 1867/68 von August Orth errichtete Palais Strousberg in der Berliner Wilhelmstraße.

Leben

Nach dem frühen Tod seines Vaters 1835 wurde Strousberg in die Obhut und Lehrmeisterschaft seines in London lebenden Onkels gegeben und erlernte in dessen Handelshaus (Kohlenhandel) den kaufmännischen Beruf. Nebenbei beschäftigte er sich mit Sprachen, Musik und Geschichte. Ebenfalls in London lernte er das Banken- und Börsenwesen kennen und erwarb einen Ruf als Wirtschaftsfachmann. Der fortschreitende Eisenbahnbau in Großbritannien erweckte sein Interesse, daher fasste er seit Anfang der 1860er Jahre Pläne, Eisenbahnen in Preußen zu bauen.

Gute Kontakte zur preußischen Regierung und zu britischen Finanziers bescherten ihm 1862 eine erste Konzession zum Bau der Ostpreußischen Südbahn (Eisenbahnlinie TilsitInsterburg). In den nächsten Jahren folgten weitere Strecken wie z. B. Berlin–Görlitz und Hannover-Altenbeken.

Neuartig war die von Strousberg praktizierte Methode von Ausführung und Finanzierung der Bauvorhaben. Er beauftragte Generalunternehmer und streute damit die Risiken. Die Leistungen des Generalunternehmers wurden jedoch nicht in Geld, sondern ratenweise nach Baufortschritt mit Aktien der neu gegründeten Eisenbahngesellschaft bezahlt. Die Gründer und Kapitalgeber mussten damit nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten aufbringen und erhielten erhebliche Provisionen, teilweise auch Gewinne aus der Lieferung von Eisenbahnmaterial oder aus dem Verkauf von Grundstücken, die für Bahnanlagen benötigt wurden.

Unseriös daran war, dass das Aktienkapital höher als die tatsächlichen Baukosten angesetzt wurde. Der Generalunternehmer erhielt damit Aktien, deren Nennwert höher als die Baukosten war. Der Handel mit diesen Aktien blähte den Wert der Gesellschaften künstlich auf.

Strousberg engagierte sich zusätzlich in weiteren Projekten, z. B. als Zeitungsherausgeber mit der 1866 neu erschienenen Tageszeitung „Die Post“; kaufte u. a. die Maschinenfabrik Georg Egestorff in Hannover, betrieb Walzwerke und Hochöfen sowie den damals hochmodernen Berliner Viehmarkt. Gemessen an anderen Unternehmern der Epoche war er sehr sozial eingestellt, zahlte vergleichsweise gute Löhne und sorgte für zusätzliche soziale Leistungen. 1868 erwarb Strousberg das Schloss Miröschau in Böhmen, auch im benachbarten Sbirow war er Besitzer des Schlosses.

Als 1866 Prinz Karl Eitel Friedrich aus dem Hause Hohenzollern Fürst von Rumänien wurde, nutzte Strousberg seine Regierungskontakte, um sich als Unternehmen für dortige Eisenbahnprojekte ins Gespräch zu bringen. Infolge der damaligen preußisch-österreichischen Gegensätze bestand ein preußisches Interesse daran, das österreichische Monopol auf die Donauschifffahrt zu durchbrechen und einen Verkehrsweg über Land zu etablieren. Mittels Intrigen und Bestechung erhielt Strousberg im Sommer 1868 die Konzession für den rumänischen Eisenbahnbau. Nach dessen erfolgversprechendem Beginn zeigten sich jedoch bald technische und finanzielle Probleme, die teils zu einer minderwertigen Bauausführung, teils zum Baustillstand führten. Die Kritik an Strousberg führte sogar zu diplomatischen Verwicklungen. Strousberg musste sich mit großen finanziellen Verlusten aus dem Geschäft zurückziehen.

Von 1867 bis 1871 war Strousberg als Abgeordneter des Wahlkreises Königsberg 9 (Allenstein - Rössel) Mitglied des Reichstages des Norddeutschen Bundes[1] für die Konservative Partei[2]

1873 geriet Strousberg auch auf der politischen Ebene unter Kritik, deren Wortführer der liberale Reichstagsabgeordnete Eduard Lasker war. Dieser prangerte die Finanzierungspraktiken der Gründer an und machte Strousberg zum Exempel für unredliche Machenschaften; sein Förderer Graf Heinrich Friedrich August von Itzenplitz musste als Minister zurücktreten. Den ebenfalls 1873 erfolgten Gründerkrach überstand Strousberg glimpflich. 1875 wurde er jedoch nach einer überhasteten Abreise im Zug von Moskau nach St. Petersburg wegen der Nichteinlösung fälliger Wechsel festgenommen. Wenige Wochen später wurde er wegen Anstiftung zu Kreditvergehen in Moskau angeklagt. Seine Unternehmen gingen darauf in Konkurs. 1876 wurde er zur Aberkennung der in Russland verliehenen Rechte und zur Ausweisung verurteilt; die Wiedereinreise wurde ihm verboten.

Seine letzten Jahre verbrachte er unter wirtschaftlich sehr beengten Verhältnissen in Berlin mit fehlgeschlagenen Versuchen, an seine früheren Erfolge anzuknüpfen. Seine große Villa in der Wilhelmstraße kam in die Konkursmasse und wurde später von der Britischen Botschaft gekauft, 1998 erfolgte ein Neubau am Originalort. Er starb am 31. Mai 1884 in Berlin nach einem Herzinfarkt. Die Familiengrabstätte im Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg an der Ostwand, Feld J-OE-005 besteht noch heute. 2009 wurde das Mausoleum restauriert durch die Stiftung Verkehrsgeschichte/Denkmalamt Bonn.

Das von Strousberg für seinen 1873 verstorbenen Sohn Arthur Strousberg in Auftrag gegebene und von Bildhauer Reinhold Begas 1874 modellierte Grabmal konnte er nicht mehr bezahlen. Das Modell verblieb im Besitz des Künstlers, der es 1900 auf eigene Kosten für die Pariser Weltausstellung in Bronze gießen ließ und damit einen Grand Prix errang. Aus dem Nachlass von Begas kaufte die Stadt Berlin das Grabmal und ließ es 1913 auf dem II. Städtischen Friedhof Reinickendorf aufstellen, wo es erhalten blieb.

Ehrungen

Im Jahre 1926 benannte die Stadt Hannover eine Querstraße zwischen der Göttinger und der Ricklinger Straße nach ihm. Da Strousberg jüdischer Herkunft war, wurde sie in der NS-Zeit 1935 nach dem Gründer des Statistischen Bundesamtes in Hannover und des Niedersächsischen Heimatbundes in Kettlerstraße umbenannt. Seit 1945 heißt sie wieder Strousbergstraße.

Werke

  • Lawson’s merchant’s magazine: statist and commercial review ed. by B. H. Strousberg. 1852–1853
  • Dr. Strousberg und sein Wirken von ihm selbst geschildert. Mit einer Photographie und einer Eisenbahn-Karte. J. Guttentag (D. Collin), Berlin 1876 Digitalisat
  • Berlin als Stapelplatz des Welthandels durch den Nord-Ostsee-Kanal. J. Guttentag (D. Collin), Berlin 1878
  • Das kleine Journal. Hrsg. von Bethel Henry Strousberg. Berlin 1878–1881
  • Fragen der Zeit. Essays. 1. Über Parlamentarismus. J. Guttentag (D. Collin), Berlin 1879 Digitalisat

Literatur

  • Ernst Korfi: Dr. Bethel Henry Strousberg. Biografische Karakteristik. Mit Porträt. G. Eichler, Berlin 1870 Digitalisat.
  • Strousberg und die Arbeit. Ein Mahn- und Manneswort für Kapitalisten und gebildete Arbeiter. Kortkampf, Berlin 1870.
  • J. Hoppe: Dr. Strousberg und Consorten, die rumänische Regierung und die Besitzer rumänischer Eisenbahnobligationen. Eugen Grosser, Berlin 1871 Digitalisat.
  • Friedrich vom Rhein: Enthüllungen über Dr. Strousberg und sein rümanisches Eisenbahnunternehmen. Eugen Grosser, Berlin 1871 Digitalisat.
  • Dr. Strousberg der ‚Eisenbahnkönig‘. Sein Leben und Wirken bis zu seiner Verhaftung. 3. Aufl. Gloor, Stuttgart 1875.
  • Katalog der Dr. Strousberg’schen Bibliothek nebst einer Anzahl von Kunstgegenständen, welche den 12. Juni 1876 in Berlin versteigert werden. Berlin 1876.
  • Constantin von Wurzbach: Strousberg, Bethel Heinrich. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 40. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1880, S. 97–100 (Digitalisat).
  • Katalog der Dr. Strousberg’schen Bibliothek aus Schloss Zbirow in Böhmen R. Lephés 379. Berliner Auctions-Katalog. Lepke, Berlin 1882.
  • Henry Strousberg: Das Ende des Exils. Drama in fünf Akten. Magdeburg 1916.
  • Gottfried Reitböck: Der Eisenbahnkönig Strousberg und seine Bedeutung für das europäische Wirtschaftsleben. In: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie. 14, 1924, S. 65–84.
  • Karl Ottmann: Bethel Henry Strousberg, Eisenbahnkönig der Privatbahnzeit. In: Archiv für Eisenbahnwesen. 70, 1960, S. 167–208.
  • Wolfgang Voigt: Der Eisenbahnkönig oder Rumänien lag in Linden. Materialien zur Sozialgeschichte des Arbeiterwohnungsbaus während der Industrialisierung. Mit Beispielen aus Hannovers Fabrikvorort Linden (um 1845–75) sowie einem notwendigen Exkurs über Deutschlands Eisenbahnkönig B. H. Strousberg. Sozialpolitischer Verlag, Berlin 1980.
  • Horst Mauter: Aufstieg und Fall des „Eisenbahnkönigs“ Bethel Henry Strousberg (1823–1884). Berlin 1981 (Miniaturen zur Geschichte, Kultur- und Denkmalpflege Berlins, Nr. 5).
  • Heinz Wolter: Bethel Henry Strousberg. In: Gustav Seeber (Hrsg.): Gestalten der Bismarckzeit. Band II. Akademie-Verlag, Berlin 1986 ISBN 3-05-000089-9, S. 91–117.
  • Manfred Ohlsen: Der Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg. Eine preußische Gründerkarriere. Verlag der Nation, 2. Auflage, Berlin 1987, ISBN 3-373-00003-3.
  • Peter M. Fritsch, Günther Wermusch: Der kalkulierte Irrtum. Geschichten um Spekulanten und Hasardeure von gestern und heute. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1990, ISBN 3-349-00586-1 Kapitel „Gründungsschwindler“, S. 48–70.
  • Joachim Borchart: Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg. C. H. Beck, München 1991, ISBN 3-406-35297-9
  • Julius H. Schoeps: Strousberg, Bethel Henry. In: derselbe (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1992 ISBN 3-570-09877-X, S. 435.
  • Rüdiger vom Bruch: Das Finanzgenie und sein Industrieimperium. Der Fall des ‚Eisenbahnkönigs‘ Bethel Henry Strousberg. In: Uwe Schulz (Hrsg.): Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in Gesellschaft und Geschichte. C. H. Beck, München 2001 ISBN 3-406-47711-9, S. 250–260. Digitalisat nur Seite 250 bis 258.
  • Ralf Roth: Der Sturz des Eisenbahnkönigs Bethel Henry Strousberg. Ein jüdischer Wirtschaftsbürger in den Turbulenzen der Reichsgründung. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, 10. Berlin 2001, S. 86–112.
    • Ralf Roth: Aufstieg und Fall eines Eisenbahnkönigs, in Damals, 7, 2001, S. 22–27. Mit zahlreichen Abb.
    • Ralf Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800–1914. Ostfildern 2005, ISBN 3-7995-0159-2.
    • Ralf Roth: Strousberg-Affäre, in Handbuch des Antisemitismus. Ereignisse, Dekrete, Kontroversen. Bd. 4. Saur, München 2011 ISBN 3598240767 S. 402–405 (online einsehbar auf vd. Plattformen).

Weblinks

Commons: Bethel Henry Strousberg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Haunfelder, Bernd / Pollmann, Klaus Erich (Bearb.): Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867-1870. Historische Photographien und biographisches Handbuch. Düsseldorf: Droste Verlag, 1989, Foto S. 323, Kurzbiographie S. 475 (Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 2)
  2. Julius H. Schoeps, S.435.