Bildungssystem in Brasilien

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Das Bildungssystem in Brasilien umfasst die Schulen, berufliche Bildungseinrichtungen und Universitäten bzw. Hochschulen.

Die Alphabetisierungsrate des Landes lag 2015 bei 92,6 %.[1]

Schulen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geschichte des Schulsystems[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das brasilianische Schulsystem war lange Zeit in den Händen des Klerus, vor allem des Jesuitenordens. Der Orden unterhielt zwei verschiedene Schultypen, einen für die Oberschicht und einen für die indigene Bevölkerung. Mit der Enteignung und Ausweisung der Jesuiten 1759 brach dieses System zusammen. Die Schulen für die Ureinwohner verschwanden, während Priester die Schulen für die Oberschicht übernahmen.[2]

Nach der Unabhängigkeit 1822 kam die geplante Einrichtung allgemeiner kostenloser Primarschulen nicht zustande. Stattdessen konzentrierte man sich auf Kaderschulen. Ein wie heute übliches mehrgliedriges Schulsystem gab es damals noch nicht. Erst unter dem Militärregime in den 1970er Jahren setzte sich der Gedanke durch, allen sozialen Schichten Zugang zu den Schulen zu verschaffen. Getragen wurden diese Anstrengungen nicht zuletzt von dem Wunsch, breiteren Einfluss auf die Erziehung ausüben zu können. Ein zweigliedriges Schulsystem mit einer integrierten Gesamtschule und Gymnasien wurde geschaffen.

Schulsystem[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Brasilien besteht Schulpflicht für Kinder zwischen sieben und 14 Jahren, welche jedoch nicht lückenlos überwacht wird. Seit einer Bildungsreform 1971 gibt es keine Differenzierungen in verschiedene Schultypen, sondern allgemein eine neunjährige Grundschule und einen mindestens dreijährigen Sekundarschulbereich. Dieser kann allgemeinbildend oder berufsbildend durchlaufen werden.

Da die Grundschule tatsächlich von vielen Armen nicht besucht werden kann, da nicht genügend Plätze zur Verfügung stehen oder zu weit entfernt ist, kann ab 14 Jahren der Primar- und ab 21 Jahren der Sekundarbereich im Rahmen der Erwachsenenbildung kostenlos nachgeholt werden.

Zugänglichkeit und Ausstattung der Schulen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schule in Serra Talhada (Pernambuco)

In dünn besiedelten Regionen liegen die Grundschulen häufig weit auseinander, weiterführende Schulen gibt es nur in den größeren Städten. An der Armut vieler Favela- und Landbewohner, die den Kauf der Schuluniform, von Büchern und Heften und das Fahrgeld unerschwinglich macht, scheitert ein Schulbesuch häufig. So besuchen trotz Schulpflicht 90 % der in der Landwirtschaft Tätigen weniger als vier Jahre die Schule, in den Favelas der Großstädte geht nur jedes achte Kind zur Schule. Auch erschweren regelmäßige Lehrerstreiks in den öffentlichen Schulen zwecks Lohnerhöhung (oft einige Monate pro Jahr) den Schulbesuch. Die brasilianische Regierung finanziert ihr Schulwesen mit rd. 3,4 % des Bruttoinlandprodukts, welches aber nur etwa dem der Niederlande entspricht. Für ein Land mit 200 Millionen Einwohnern sind die bereitgestellten finanziellen Mittel völlig unzureichend.

Neben den öffentlichen Schulen gibt es zahlreiche Privatschulen, meist in katholischer Trägerschaft. Diese Schulen haben ein weit höheres Niveau als die öffentlichen Einrichtungen, verlangen aber auch ein sehr hohes Schulgeld; im Durchschnitt, je nach Region und Qualität zwischen 500,00 und 1500,00 R$. (120,00 – 375,00 Euro, Stand Dez. 2015).

Berufsausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt in Brasilien keine strukturierte betriebliche Berufsausbildung wie im deutschen "Dualen System". Stattdessen übernehmen private brasilianische Institutionen des öffentlichen Interesses diese Funktion: Der Serviço Nacional de Aprendizagem Industrial (kurz: SENAI, deutsch „nationaler Ausbildungsdienst für die Industrielehre“), der SENAR (Serviço Nacional de Aprendizagem Rural), der für die berufliche Ausbildung im Landwirtschaftsbereich zuständig ist, und der SENAC (Serviço Nacional de Aprendizagem Comercial), bei dem die gewerbliche Ausbildung in Dienstleistungsberufen stattfindet. Der SENAI wurde 1942 gegründet. Die Regierung Getúlio Vargas verpflichtete die brasilianischen Industrieunternehmen per Gesetz, ein Prozent der von ihnen gezahlten Lohngelder an den SENAI abzuführen, um dessen Berufsbildungszentren zu finanzieren. In dieser Form besteht das System bis heute.[3] Der SENAI bietet berufsausbildende Kurse industrieller Art. Dabei ist er die einzige Organisation, die flächendeckend Kurse anbietet, die am ehesten mit der deutschen gewerblichen Berufsausbildung vergleichbar sind, allerdings oft deutlich kürzer. Auch finden meist sowohl Theorie als auch Praxis in den Berufsbildungszentren statt, während in Deutschland eine Dualität von praktischer Ausbildung im Betrieb und theoretischer Ausbildung in der Berufsschule existiert („Duales System“). Außerdem bietet der SENAI berufliche Weiterbildung und kooperiert mit den Hochschulen bei der akademischen Ausbildung im Industriebereich. SENAI, SENAR und SENAC dürfen keinen Profit erwirtschaften. Der SENAI hat 809 Niederlassungen in ganz Brasilien. Bis heute wurden dort mehr als 55 Millionen Ausbildungen abgeschlossen. Aktuell werden von 2.500.000 Schülern ca. 3.000 Kurse in 28 industriellen Berufsfeldern besucht (Stand: 2012).[4]

Universitäten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Universidade Federal do Paraná in Curitiba

Geschichte des Hochschulsystems[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im kolonialen Brasilien hatte es wenige Gründungen von Fakultäten unter der Kontrolle der portugiesischen Universität Coimbra gegeben. Mit der Vertreibung der Jesuiten, die auch diese Einrichtungen im Wesentlichen getragen hatten, war diesen Ansätzen jedoch ein Ende bereitet worden.

Im Kaiserreich wurden nach 1822 Hochschulen zur Ausbildung von Ärzten, Apothekern, Rechtsanwälten und Ingenieuren eingerichtet. Diese waren jedoch reine Lehrinstitute ohne eigene Forschung zu betreiben.

1837 wurde das angesehene Colégio Pedro II als Modellschule für ganz Brasilien eröffnet. Sie war die höchste Schule des Landes und die einzige Institution für höhere Bildung in Brasilien. Zu dieser Zeit gab es in Brasilien noch keine Universitäten.[5] Der am Colégio Pedro II ausgearbeitete Lehrplan galt de facto als offizieller Lehrplan für alle Schulen, die Diplome ausstellen konnten.[5] Nur Schulen, die dieses Programm einhielten, hatten die Berechtigung Oberschuldiplome auszustellen.[5] Diese Diplome stellten die höchsten Bildungsabschlüsse im Land dar. Die erste Universität Brasiliens, die Universidade Federal do Paraná, wurde im Dezember 1912 gegründet.

Erst 1912 wurde mit der Universidade do Paraná die erste brasilianische Universität gegründet – sehr spät im Vergleich mit dem übrigen Lateinamerika, wo die Spanier schon ab Mitte des 16. Jahrhunderts Hochschulen gegründet hatten. Weitere Universitäten entstanden durch den Zusammenschluss bisher selbständiger Hochschulen. Nur an der 1934 gegründeten Universität von São Paulo wurde unter europäischem, insbesondere französischem Einfluss ein systematisches Forschungssystem institutionalisiert. Die Universität von São Paulo war zunächst die einzige Universität, an der man nach europäischem Muster promovieren konnte.

Die meisten Bundesuniversitäten wurden in den 1930er und 1940er Jahren errichtet, eine zweite Gründungswelle gab es in den 1960er Jahren. In den 1970er und 1980er Jahren entstanden viele neue Bundes- und Länderuniversitäten in den kleineren Bundesstaaten. Seit den 1970er Jahren wurden auch zahlreiche Privathochschulen zugelassen.

2011 wurde das Austauschprogramm Ciência sem Fronteiras ins Leben gerufen, welches (ähnlich dem Erasmus+-Programm der EU) den akademischen Austausch mit anderen Ländern fördern soll. Das Programm wird hauptsächlich von der Bundesregierung getragen.

Hochschullandschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Universidade de São Paulo: Uhrenturm auf dem Campus

In 150 Universitäten werden fast 2,8 Millionen Studenten unterrichtet. Führend ist noch immer die Universität São Paulo, gefolgt von der von Rio de Janeiro. Die Bundesuniversitäten genießen in der Regel ein höheres Ansehen, als Landesuniversitäten. Gegen die Universitäten in den wohlhabenden Süden und Südosten (z. B. Porto Alegre, Florianópolis, Belo Horizonte, Vitória und Campinas) fallen diejenigen in den nördlichen Landesteilen deutlich ab.

Die zahlreichen privaten Hochschulen haben trotz hoher Studiengebühren oft kein großes Renommée, da sie meist ganz auf die Lehre ausgerichtet sind, keine Forschung betreiben und ihre Professoren häufig verhältnismäßig geringe akademische Qualifikationen haben. Auch um Studiengebühren zu sparen, versuchen die meisten Brasilianer an eine der kostenlosen öffentlichen Universitäten zu gelangen. Die Bewerberzahl für das Studium übersteigt meist bei weitem die Anzahl der vorhandenen Studienplätze. Bewerber bereiten sich deshalb nach dem Schulabschluss oft mit sogenannten cursinhos auf die Aufnahmeprüfung (vestibular) vor, die von privaten Bildungseinrichtungen angeboten werden und dementsprechend kostenpflichtig sind. Wegen des großen Konkurrenzkampfes um einen Studienplatz sind hier die Eingangstests an den staatlichen Hochschulen besonders schwierig, so dass die privaten Hochschulen den Ruf haben, weniger begabte, aber reiche Studenten aufzunehmen. Hohes Ansehen genießen unter den privaten Hochschulen allerdings die katholischen Pontifícias Universidades Católicas (PUC), die es in fast jeder größeren Stadt gibt.

Studiensystem[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1968 wurde durch ein Hochschulrahmengesetz das Universitätssystem nach europäischem Vorbild zugunsten des amerikanischen abgeschafft. So wurden Credits eingeführt, Professuren im europäischen Sinn gibt es nicht mehr.

Das Studiensystem ist in drei Stufen gegliedert: Die erste Stufe des Studiensystems ist die Graduação, ein vierjähriges Bachelor-Studienprogramm, das zum akademischen Grad Bachelor führt. Studenten der Ingenieurwissenschaften, Psychologie, Jura und Veterinärmedizin erlangen ein Diplom nach fünfjährigem Studium. Ein Medizinstudium dauert insgesamt sechs Jahre. Dazu kommen meistens noch zwei Jahre Residência, in denen sich der Arzt auf einen Zweig der Medizin spezialisiert.

Die zweite Studienstufe, die Pós-graduação, führt zum akademischen Abschluss Mestrado (Master of Science). Dafür muss ein weiteres Vorlesungsjahr absolviert und eine Abschlussarbeit verfasst werden, für die die Studenten in der Regel bis zu zwei Jahre Zeit haben.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der zweiten Studienstufe und einer Aufnahmeprüfung kann man mit dem Doutorado promovieren.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gerhard Jacob: Universitäten, Wissenschaft und Forschung in Brasilien. In: Brasilien heute. Hrsg. v. Dietrich Briesemeister u. a. Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 384–403.
  • Dietmar K. Pfeiffer: Das brasilianische Bildungswesen. Entwicklungen und Probleme. Wiss. Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-86573-137-6.
  • Stephanie Rauer de Schapiro, Christina Wegener: Studienführer Lateinamerika. Manuskript. Hrsg. v. DAAD. Bertelsmann, Bielefeld 2004, ISBN 3-7639-0409-3
  • Achim Schrader: Bildung. In: Brasilien heute. Hrsg. v. Dietrich Briesemeister u. a. Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 404–420.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. knoema.de
  2. books.google.de
  3. Stefan Dornbach: Berufsausbildung in Brasilien. 2016, ISBN 978-3-8391-1634-0
  4. SENAI in Zahlen (portugiesisch)
  5. a b c João Pitombeira de Carvalho: A Turning Point in Secondary School Mathematics in Brazil. Euclides Roxo and the Mathematics Curricular Reforms of 1931 and 1942. (Memento vom 28. September 2011 im Internet Archive; PDF; 1,9 MB) In: The International Journal for the History of Mathematics Education, 2006, S. 70