Boris Nikolajewitsch Jelzin

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Boris Jelzin, offizielles Porträt (1996) Unterschrift von Boris Jelzin

Boris Nikolajewitsch Jelzin (russisch Борис Николаевич Ельцин anhören/?, wiss. Transliteration Boris Nikolaevič El'cin; * 1. Februar 1931 in Butka, Ural-Oblast (heute Rajon Taliza, Oblast Swerdlowsk); † 23. April 2007 in Moskau) war ein sowjetischer und russischer Politiker. Von 1991 bis 1999 war er der erste Präsident Russlands. Er war zudem das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt in der Geschichte Russlands.

Leben

Herkunft

Boris Jelzin kam als ältester Sohn von Nikolaj Ignatjewitsch Jelzin und Klawdja Wassiljewna, geb. Starygin im Dorf Butka im Ural zur Welt.[1] Die Eltern waren Bauern und Boris hatte noch zwei jüngere Geschwister.

Aus wirtschaftlicher Not musste die Familie einige Jahre später nach Beresniki in die Stadt ziehen. Um die Familie zu ernähren, arbeitete der Vater fortan als Bauarbeiter, während die Mutter nachts zu Hause nähte. In Beresniki ging Boris auch zur Schule.[2][3][4]

Studium und Berufstätigkeit, Heirat

Von 1949 bis 1955 studierte Jelzin am Polytechnischen Institut des Urals in Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) und schloss als Bauingenieur ab. Er wurde Chefingenieur und übernahm die Bauverwaltung des „Jushgorstroi“-Trusts.

1956 heiratete er die Bauingenieurin Naina Iossifowna Girina, mit der er zwei Töchter hatte, Tatjana und Jelena.

Parteikarriere

Im Jahr 1961 trat Jelzin in die KPdSU ein, 1963 wurde er Leiter des Wohnungsbaukombinats in Swerdlowsk. Von 1976 bis 1985 war er als erster Sekretär des Gebietskomitees Parteichef von Swerdlowsk. 1977 befahl Jelzin auf Anordnung des Moskauer Politbüros die Zerstörung des Ipatjew-Hauses, in dem 1918 der letzte russische Zar und seine Familie von Bolschewiki umgebracht worden waren. Das Ipatjew-Haus wurde am 27. Juli 1977 über Nacht abgerissen.[5]

Ein weiterer Schritt in seiner Parteikarriere war 1981 die Wahl ins Zentralkomitee der KPdSU, in dem er das Amt des Leiters der Abteilung für Bauangelegenheiten übernahm. Im Oktober 1985 wurde Jelzin zusätzlich 1. Sekretär des Stadtkomitees (Parteichef) von Moskau und Kandidat (nicht stimmberechtigtes Mitglied) des Politbüros. In Moskau setzte er sich persönlich gegen das Verschieben knapper Lebensmittel ein; er beendete die vorher übliche Praxis, halbfertige Mietskasernen bereits den Mietern zu übergeben, und rettete einige beliebte alte Gebäude vor dem drohenden Abriss. Anfang Mai 1986 berichtete er auf dem DKP-Parteitag in Hamburg als erster KPdSU-Politiker im Westen ausführlich über die Katastrophe von Tschernobyl.[6]

Er profilierte sich während der Perestroika als Radikalreformer und geriet dadurch sowohl mit Michail Gorbatschow als auch mit konservativen Kräften in der KPdSU in Konflikt. Schließlich verlor Jelzin seine Ämter. Im November 1987 wurde er als Moskauer Parteichef abgelöst und im Februar 1988 von seinen Pflichten als Kandidat des Politbüros entbunden. Stattdessen war er bis 1989 1. Stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Baubehörde mit dem Rang eines Ministers. Auf dem XXVIII. Parteitag der KPdSU gab Jelzin am 12. Juli 1990 seinen Austritt aus der Partei bekannt.

Demokratie

Jelzin verfolgt Bill Clintons Spiel am Saxophon

Bei den ersten demokratischen Wahlen im März 1989 wurde Jelzin Mitglied des Kongresses der Volksdeputierten der Sowjetunion. Im Wahlkreis Moskau erhielt er dabei 89 Prozent der Stimmen. Im Mai 1989 wurde Jelzin auch in den Obersten Sowjet der Sowjetunion gewählt. Dort bildete er mit anderen Reformpolitikern die erste parlamentarische Oppositionsgruppe.

Am 12. Juni 1991 wurde Jelzin bei den ersten russischen Präsidentschaftswahlen zum Präsidenten der Russischen Teilrepublik (RSFSR) gewählt und war maßgeblich an der Auflösung der Sowjetunion beteiligt. Während des Augustputsches 1991 gegen Gorbatschow bezog er öffentlich Stellung gegen die Putschisten und verschanzte sich im Weißen Haus in Moskau, das von der Bevölkerung erfolgreich gegen Angriffe verteidigt wurde. Der Machtverfall der KPdSU und der Zerfall der Sowjetunion waren nun nicht mehr aufzuhalten. Im November 1991 erließ Jelzin ein Dekret, das die Partei auf dem Gebiet der RSFSR verbot. Jelzin und seine Amtskollegen Leonid Krawtschuk (Ukraine) und Stanislau Schuschkewitsch (Weißrussland) erklärten nach einem Treffen am 8. Dezember die Auflösung der Sowjetunion und deren Umwandlung in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten; mit dem Inkrafttreten der Vereinbarung zum Jahreswechsel wurde Jelzin zum ersten Präsidenten des unabhängigen Russlands. Das Parlament der Ukraine hatte die Ukraine zuvor am 24. August für unabhängig erklärt; bei einem Referendum am 1. Dezember 1991 fand dies eine große Mehrheit (Näheres siehe Geschichte der Ukraine (seit 1991)).

Präsidentschaft

Jelzin während seiner Rücktrittsrede am 31. Dezember 1999

In der Verfassungskrise 1993 löste er das Parlament (Kongress der Volksdeputierten), das sich seinen Wirtschaftsreformen widersetzt hatte, ohne Rechtsgrundlage auf. Daraufhin enthob das Parlament Jelzin seines Amtes und ernannte den bisherigen Vizepräsidenten Ruzkoi zum neuen Präsidenten. Jelzin setzte sich jedoch mit Hilfe des Militärs durch.

Jelzin gilt in Russland als eine der zentralen Figuren der Coupon-Privatisierung der neunziger Jahre. Diese trug wesentlich zum Entstehen der postsowjetischen Oligarchie bei.

Russland geriet in seiner Regierungszeit in eine tiefe Wirtschaftskrise, in seiner Amtszeit halbierte sich Russlands Bruttonationaleinkommen. Ungeachtet der innenpolitischen Probleme nahm Jelzin als erster russischer Präsident am G-7-Gipfeltreffen der westlichen Industrienationen am 8. Juli 1994 in Neapel teil. Die Wirtschaftsmisere ging weiter, unter anderem aufgrund des Rückgangs der Rohölpreise während der Asienkrise (1997/1998). Am 17. August 1998 war Russland zahlungsunfähig, sogar die Guthaben auf Privatkonten wurden eingefroren.

In Jelzins Amtszeit fiel auch der Erste Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996), dem mindestens 80.000 Menschen zum Opfer fielen. Hintergrund war eine Unabhängigkeitserklärung Tschetscheniens im November 1991. Diese bestand nach dem Krieg faktisch, auch wenn Tschetschenien offiziell kein eigenständiger Staat wurde.

Gerüchte über eine Alkoholkrankheit Jelzins gab es während seiner ganzen Amtszeit.[7]

Am 31. Dezember 1999 erklärte Jelzin seinen Rücktritt, er übergab um 12 Uhr Moskauer Zeit die Regierungsgeschäfte an Ministerpräsident Wladimir Putin. Eine der ersten Amtshandlungen Putins garantierte Jelzin dann die Freiheit vor Strafverfolgung.

Späte Jahre

Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl und Boris Jelzin 2000 auf der Frankfurter Buchmesse

Gesundheitlich war Jelzin bereits seit Ende seiner Amtszeit als russischer Präsident stark angeschlagen. Mehrere Herzinfarkte hatten in den 1990er Jahren Bypassoperationen notwendig gemacht.

Tod und Beisetzung

Jelzins Grab auf dem Nowodewitschi-Friedhof
Monumentaler Gedenkstein für Jelzin auf dem Friedhof (2008)

Jelzin starb am Nachmittag des 23. April 2007 um 15:45 Uhr im Moskauer Regierungskrankenhaus an Herzinsuffizienz. Mehr als 25.000 Trauernde zogen an seinem in der russisch-orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau aufgebahrten Sarg vorbei und erwiesen dem Toten die letzte Ehre.[8]

Das Requiem wurde am 25. April 2007 in der Christ-Erlöser-Kathedrale abgehalten. Neben der russischen Prominenz um Wladimir Putin und Michail Gorbatschow waren unter anderem George Bush sen., Bill Clinton, John Major, Horst Köhler und EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner anwesend. Die Zelebranten waren der Metropolit Juwenali von Krutizy und Kolomna, Metropolit Kyrill von Smolensk und Kaliningrad (der spätere Kyrill I.) und Metropolit Kliment von Kaluga und Borowsk.[9] Im Anschluss an die Totenmesse wurde der Sarg auf einer Geschützlafette durch das Zentrum Moskaus zum Friedhof des Neujungfrauenklosters gefahren, wo Jelzin beigesetzt wurde.

Es war das erste Staatsbegräbnis nach russisch-orthodoxem Ritus seit mehr als 100 Jahren.[10] Auch in Jekaterinburg, wo er studiert hatte, und in seinem westsibirischen Heimatdorf Butka wurden Trauerfeiern zu Ehren Jelzins abgehalten.[11] Die KP-Fraktion im russischen Parlament verweigerte am Tag der Beisetzung Jelzins eine Schweigeminute für den ersten Präsidenten des postsowjetischen Russlands mit der Begründung, dass man niemals den Zerstörer des Vaterlandes ehren werde.[12]

In späteren Jahren wurde auf dem Friedhof des Neujungfrauenklosters nach Plänen seiner Witwe ein monumentaler Gedenkstein in den russischen Nationalfarben am Hauptweg aufgestellt.

Auszeichnungen

1996 erhielt Jelzin den Deutschen Medienpreis in Baden-Baden.

2006 zeichnete ihn die lettische Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga mit dem höchsten Orden Lettlands für seine „historische Rolle“ bei der „Befreiung Lettlands“ aus.

Einrichtungen, die Jelzins Namen tragen

Am 27. Mai 2009 wurde in einem Teil der ehemaligen Senats- und Synodengebäude im Zentrum Sankt Petersburgs durch den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew die Bibliothek des Präsidenten B. N. Jelzin (Президентская библиотека имени Бориса Николаевича Ельцина) eingeweiht. Sie umfasst derzeit fast 40.000 Bücher zur russischen Geschichte, vom Zarentum über die Sowjetunion bis zum heutigen Russland.

In seiner Heimatstadt Jekaterinburg (im Ural) wurden eine Hauptstraße und die Technische Universität des Uralgebiets nach Jelzin benannt.[13] In einem Boris-Jelzin-Zentrum des Uralgebiets werden zudem Schriftstücke, Bücher und Fotografien des ersten Präsidenten Russlands ausgestellt, die vor allem mit seinen Regierungsjahren in der Swerdlowsker Region zu tun haben.

In Jekaterinburg wurde Ende 2015 das Zentrum des historischen Erbes des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin eröffnet, das eine Außenstelle in Moskau. Das Zentrum, dem jährlich ein Budget von 1,225 Milliarden Rubel aus Föderationsgeldern zur Verfügung steht, soll auch ein Museum, eine öffentliche Bibliothek und ein Archiv erhalten.[14] Bei der Eröffnung war unter anderem auch Präsident Putin anwesend.[15]

Literatur

In der frei zugänglichen bibliographischen Internet-Datenbank RussGUS[16] werden zu „Jelzin“ weit über 500 Literaturnachweise angeboten.[17]

Veröffentlichungen

  • Aufzeichnungen eines Unbequemen, aus dem Russischen von Annelore Nitschke. Droemer Knaur, München 1990, ISBN 3-426-26467-6.
  • Die Alternative. Demokratie statt Diktatur. Mit weiteren Beiträgen von Ruslan Chasbulatow, Grigori Jawlinski und Viktor Jaroschenko (mit der Rede Jelzins „An die Bürger Rußlands“ vom 19. August 1991), Goldmann, München 1991.
  • Auf des Messers Schneide. Tagebuch des Präsidenten. Siedler, Berlin 1994, ISBN 3-88680-520-4.
  • Mitternachtstagebuch. Meine Jahre im Kreml. Propyläen, Berlin / München 2000, ISBN 3-549-07120-5.

Sekundärliteratur

  • Barbara Kerneck-Samson: Boris Jelzin – Ein Porträt. Heyne, München 1991, ISBN 3-453-04451-7.
  • John Morrison: Boris Jelzin – Retter der Freiheit. Ullstein, Berlin 1991, ISBN 3-550-07510-3.
  • Wladimir I. Solowjow; Elena Klepikowa: Der Präsident. Boris Jelzin – Eine politische Biographie. Rowohlt, Berlin 1992, ISBN 3-87134-043-X.
  • Wolfgang Strauß: Drei Tage, die die Welt erschütterten. Vom Untergang des sowjetischen Multikulturalismus – Boris Jelzin und die russische Augustrevolution. Gesamtdeutscher Verlag, Wesseling 1992, ISBN 3-928415-04-2.
  • Oleg M. Popzow: Boris Jelzin. Der Präsident, der nicht zum Zaren wurde – Russland und der Kreml 1991–1995. Edition Q, Berlin 1995, ISBN 3-86124-226-5.
  • Ljew Suchanow: Drei Jahre mit Jelzin: Aufzeichnungen des engsten Mitarbeiters. Coppenrath, Münster 1995, ISBN 3-8157-1295-5.
  • Heiko Pleines: Wirtschaftseliten und Politik im Russland der Jelzin-Ära (1994–1999). LIT, Münster 2003, ISBN 978-3-8258-6561-0.

Weblinks

Commons: Boris Jelzin – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Б. Н. Ельцин. Исповедь на заданную тему, 1990, p.12
  2. Boris Jelzin. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
  3. Jörg Mettke: Spiegel Online. 23. April 2007, abgerufen am 9. November 2007.
  4. Б. Н. Ельцин. Исповедь на заданную тему, 1990, p.12
  5. SEARCH Foundation. Scientific Expedition to Account for the Romanov Children: Chronologie (englisch)
  6. Hau doch ab. In: Der Spiegel. Nr. 33, 1986 (online).
  7. Boris Nikolajewitsch Jelzin. Russischer Ex-Präsident. Gestorben 2007. Russland-Aktuell; zuletzt aktualisiert am 29. Oktober 2010
  8. Russen nehmen Abschied von Jelzin – 25 000 Trauernde am Sarg in Erlöser-Kathedrale. RIA Novosti, 25. April 2007
  9. Trauerfeier für Jelzin in Christ-Erlöser-Kathedrale – Clinton und Bush senior erwartet. RIA Novosti, 24. April 2007
  10. Die Welt nimmt Abschied von Boris Jelzin. (Memento vom 21. September 2007 im Internet Archive) AOL, 26. April 2007
  11. Russen veranstalten Trauerfeiern in Jelzins Heimat. RIA Novosti, 25. April 2007
  12. Internationale Staatsgäste nehmen Abschied von Jelzin. In: Süddeutsche Zeitung, 25. April 2007
  13. Pavel Korobov, Yulia Taratuta, Ivan Buranov, Salman Ginazov: Remembering First Pres. Boris Yeltsin. In: Kommersant, Ausgabe vom 23. April 2008
  14. Yeltsin Center to Open in Ekaterinburg. kommersant.com, 28. Mai 2008
  15. Ein Museum für Russlands ersten Präsidenten, deutschlandradiokultur.de
  16. RussGUS Datenbank/Database. Humboldt-Universität zu Berlin. Institut für Bibliothekswissenschaft
  17. Dort suchen unter Formularsuche Sachnotationen:16.2.2./El'cin*
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