Condenado

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Als Condenado (spanisch, „verdammt“, „verflucht“, „verurteilt“, auf Quechua oft als kundinadu,[1][2] kundinaru[3][4] oder gundinaru,[5] auf Aymara[6][7] und teilweise im bolivianischen Quechua[8] kuntinaru transkribiert), regional oder lokal auf Quechua auch Kukuchi (Cusco,[9][10] Qullaw,[11] Bolivien)[12] oder Asyaq (Huanca),[13] ins Deutsche mit „Verdammter“[14][15] übersetzt, wird im Volksglauben in den Anden in Peru und Bolivien die Seele eines Menschen bezeichnet, der wegen schwerer Sünden eines qualvollen Todes starb und nun selbst des Nachts die Menschen terrorisiert und auch umbringt, bis ihn jemand durch Begleichung der Schuld endgültig tötet und so erlöst.

Verbreitung der Legende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorstellungen von verdammten Seelen sündhafter Menschen ohne Erlösung sind im spanischsprachigen Raum wie auch in Europa weit verbreitet, unter dem Namen Condenado ist die Legende von der verdammten Seele jedoch weitgehend auf den Andenraum beschränkt. Dabei werden europäische Glaubensvorstellungen mit andiner Erzähltradition verbunden. In Peru nimmt der Condenado einen besonders grausigen, monströsen Charakter an.[16] Ein Volksglaube an ähnliche Geisterwesen war unter Bauern in Spanien bis ins 20. Jahrhundert verbreitet und wurde wahrscheinlich durch die spanischen Eroberer nach Amerika gebracht.[17]

Ursprung der Legende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den Bewohnern des Andenraums war der Begriff der Sünde vor der Conquista noch unbekannt, doch brachten die spanischen Priester im Zuge der Christianisierung den unterworfenen Indigenen bald ein Gefühl von Schuld für begangene Sünden bei – hier zu verstehen als Verstöße gegen die Ordnung der neuen Herrschaft.[15] Die Patres stellten in der Dualität von Gut und Böse dem Bild von einer Seele, der die Gnade Gottes zuteilwurde, das Bild „einer verdammten Seele, die in allem die Schrecken ihrer Verzweiflung zeigte“, gegenüber.[18] In seinem Ritual formulario von 1631 stellt Juan Pérez Bocanegra den Yndios gegenüber klar: „Wenn deine Ahnen die Huacas anbeteten, hatten sie nicht das Licht des Gesetzes Gottes, noch kannten sie Gott, aber den Teufel, der sie fortwährend betrog; und für diese Sünde verdammte er sie für immer.“[19]

Eigenschaften des Condenado[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

José María Arguedas veröffentlichte 1953 als erster eine Reihe von Erzählungen über den Condenado, die er im peruanischen Departamento Junín im Tal des Río Mantaro (Provinzen Jauja und Concepción) aufgezeichnet hatte, und bis heute ist er hierfür die meist genutzte Referenz. Er stellt in diesem Werk fest: „Im Volksglauben sind die Condenados sündige Seelen, die von Gott gerichtet zu einem Leben in den Kordilleren verdammt sind. Sie sind Geister, die in der Abenddämmerung oder zu bestimmten Stunden des Nachts herauskommen, durch die Umgebung der Kordilleren wandern und die Reisenden mit Schrecken erfüllen.“[20] In einer mit El Asiaj betitelten Erzählung (Wanka-Quechua asyaq, „stinkend“) ist die Rede von einem Condenado, „der Seele einer Person, die auf tragische Weise gestorben ist, durch Mord, Selbstmord oder Unfall, was als „böser Tod“ (mala muerte) bezeichnet wird. Diese Geister haben keine Erlösung, streifen des Nachts durch die einsamen Gegenden und überraschen die allein Reisenden, deren Tod sie verursachen“.[13] In seiner Studie von 1956 über Puquio im Departamento Ayacucho führt er aus: „Die Menschen, welche Lasterhaftigkeit begingen, verbleiben leidend in der Welt als Verdammte. Sie irren heulend umher, verzehren wilde Tiere und menschliche Wesen, bis irgendein ungewisser Eingriff Gottes (des katholischen) sie rettet. Deswegen müssen sie noch einmal sterben, den wahren Tod erleiden, ihre Trennung von dieser Welt. Der Eingriff kann eine Begegnung sein mit einer Person, die sie erlöst und anbietet, für sie Buße zu tun, indem sie den Diebstahl wieder zurückerstattet und begangenes Unrecht wieder gutmacht im Namen des Verdammten oder sie durch irgendeine List lebendig verbrennt.“[21]

In einem peruanischen Quechua-Schulwörterbuch für die interkulturelle zweisprachige Erziehung von 2014 wird der Kukuchi, spanisch Condenado, auf Quechua als Wesen beschrieben, das in den „schlechten Stunden“ des Nachts [nach Art eines Hahns] krähend wie ein Mensch umherlaufen und wie ein Hund heulen, zudem Menschen fressen soll. Der folgende Beispielsatz lautet: „Die Kinder wollen nachts nicht umherlaufen, weil sie sich vor dem Kukuchi fürchten.“[11]

Laut mündlicher Tradition der Quechua der Region Cusco (Chinchero) können Condenados auch als Tiere erscheinen: Hunde, Katzen, Eidechsen, Kröten, Schlangen, Eulen oder andere Vögel. Treten sie in menschlicher Gestalt auf, so sind sie daran erkennbar, dass sie keine Nahrung für Menschen essen, sondern ungenießbare Dinge wie Stacheln und Dornen verschiedener Sukkulenten, dies aber in geringer Menge. In manchen Erzählungen sind sie auf das Fleisch ihrer menschlichen Opfer aus.[22]

In ihrer Abneigung gegen Menschennahrung und auch in ihrer Bosheit gleichen den Condenados die furchterregenden Suq'a[22] (auch soq'a), von denen Erzählungen unter anderem aus Chinchero und aus Q'ero bekannt sind. Sie sind die bösen Geister von Ñawpa Machu, Vorfahren der Indigenen in einem früheren Zeitalter, deren Körper in der Sonne ausgetrocknet sind, und werden auch Millay Machu, „Böse Alte [Vorfahren]“, genannt. Ihre Knochen und vertrocknete Haut findet man bei Q'ero noch in alten Gräbern (chullpa) aus der Inkazeit.[23]

Der Condenado wird vom Sohn des Bären erschlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Erzählungen der Quechua der Region Cusco in Peru wie auch im dortigen Bärentanz beim Fest Quyllur Rit'i („Stern-Schnee“) in Ocongate am Berg Ausangate wird die Legende vom Condenado mit dem Bärenmythos von Juan Oso, dem Sohn eines Bären und einer menschlichen Frau, verknüpft. Seiner eigenen Bürde, durch seine übernatürliche Bärenkraft eine Gefahr und Last für das Dorf seiner Mutter zu sein, kann der Bärensohn sich entledigen, indem er das Dorf von einem Condenado befreit, wobei er auch diesen durch den endgültigen Tod von der Verdammnis erlöst.[24][25][5][9][4] Derselbe Erzählstoff vom Sieg des Bärensohns über den Condenado ist auch aus der Region Ayacucho (Lucanamarca)[26] sowie von den Aymara in Bolivien bekannt.[6]

Adaptation in der Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

José María Arguedas nimmt in seinem Roman Die tiefen Flüsse mehrfach auf den Condenado (deutsch: Verdammter) Bezug. Der katholische Priester verdammt die aufsässigen Chicheras (Maisbierverkäuferinnen), die Salzsäcke gestohlen und an die Peones von Patibamba verteilt hatten: „Diebstahl bringt Fluch über die Seele; wer stiehlt oder gestohlenes Gut empfängt, macht sich schuldig, er ist ein Verdammter, der keine Ruhe findet, der Ketten mit sich herumschleppt, der von den verschneiten Gipfeln herab in den Abgrund fällt, der wie ein verfluchter Esel aus den Schluchten auf die Berge steigt“. An anderer Stelle erzählt der aus den Höhen der Anden stammende Palacito von den Condenados: „Die Verdammten finden keine Ruhe. [...] Sie finden nicht einmal jemanden, der sie verbrennt. [...] Die Verdammten brennen wie Schweine, sie brüllen, sie schreien zitternd und bebend um Hilfe. [...] Aber wie viele Verdammte müssen ihre Strafe für immer erleiden!“[14]

Die peruanische Dichterin Ch’aska Anka Ninawaman lässt in ihrem Gedicht Kundinaru im Gedichtband Chaskaschay einen Verdammten auf Cusco-Quechua sprechen. Die ersten Zeilen des Quechua-Textes können wie folgt wiedergegeben werden: In der Welt des Todes bin ich ein Leidender, ich wandere nicht mehr menschenhaft, ich bin auch nur noch ein vom Wind zu Tragender.[3]

Trivia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Condenado ist in seiner Aymara-Transkription kuntinaru Namensgeber der 2011 erstbeschriebenen fossilen Säugetiergattung Kuntinaru aus der Gruppe der Gürteltiere (Dasypoda) mit einer näheren Beziehung zur Unterfamilie der Tolypeutinae (Kugelgürteltiere, Riesengürteltier und Nacktschwanzgürteltiere).[27]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Crescencio Ramos Mendoza: Relatos Quechuas: Kichwapi Unay Willakuykuna. Editorial Horizonte, Lima 1992. S. 50.
  2. Cecilia Granadino: Cuentos de nuestros abuelos quechuas: Recuperando la tradición oral. Wasapay, Lima 1993. S. 87.
  3. a b Ch’aska Anka Ninawaman: Ch'askaschay. Editorial Abya Yala, Quito 2004. Kundinaru, S. 124. Wañuy pachapi ñak'ariqmi kani, mananan runatachu purini wayraq apanallanñan kanipas.
  4. a b Juan Puma Condori (11 Jahre, 3. Klasse): Ukukumantawan p'asñamantawan (El oso y la joven). Biblioteca Virtual Miguel Cervantes, Alicante 2006.
  5. a b Santos Pacco Ccama: Ukuku uñamanta [Vom Sohn des Bären], Usi, 9. August 1994, in: César Itier: La littérature orale quechua de la région de Cuzco-Pérou. Éditions Karthala et INALCO, Paris 2004, S. 174. Auch abgedruckt in Volveré, Revista electrónica, Oktober 2014, Jahr XIII, Nr. 46 (unten) (Memento des Originals vom 31. Januar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/iecta.uta.cl
  6. a b Juan de Dios Yapita: Jukumari – El oso andino. Jukumari ch'amani kuntinarunti nuwt'asi kuntinaruru jiwjayi mä sat'inti jiwayi. Jukumari de fuerza combate con el condenado mata al condenado con un sat'i. Ojarasca (Bolivien), 19. März 2007.
  7. Aymara-Castellano (aymara.org). KUNTINARU: <Cast. Condenado.>
  8. Musphaykuna (Memento vom 3. Februar 2015 im Internet Archive). Irupana kuntinaru. Francisco Laime Ajacopa, Jesús de Machaca, 1982; rimayta jap’iqaq, qillqaq, wakichiq FLP.
  9. a b Valérie Robin: El cura y sus hijos o El recorrido civilizador de los hijos de un cura y una osa (Memento vom 23. September 2015 im Internet Archive). In: Bulletin de l'Institut Français d'Études Andines, N°spécial: Tradición oral y mitología andinas, Lima, 1997, Tomo 26, Nº3.
  10. Bruno Schlegelberger: “La tierra vive”. Religión agraria y cristianismo en los Andes centrales peruanos. Centro de Capacitación Agro Industrial “Jesús Obrero” (CCAIJO), Cuzco 1993. 546 Seiten.
  11. a b Nonato Rufino Chuquimamani Valer, Carmen Gladis Alosilla Morales, Victoria Choque Valer: Qullaw Qichwapa Simi Qullqan (Memento vom 29. November 2014 im Internet Archive). Perú Suyupi Yachay Kamayuq (Ministerio de Educación), Lima 2014. S. 80. Kukuchi. (s). Mana allin uraskunas ququruchiyuq runahina tuta puriykachan allquhina awllakuspa. Kukuchiqa runatas mikhun. /Condenado, almas penando/. Wawakunaqa tuta mana puriykachayta munankuchu kukuchita manchakuspa. Los niños no quieren caminar de noche por miedo al condenado.
  12. Kim Jakobiak de Flores (Komp., Übers.): Vom Verdammten und zwei Jungen. 2007. Moderne Erzählung, erzählt von einem Quechua-Sprecher der Region Tarabuco, Bolivien.
  13. a b Elena Ortega de Orellana: El Asiaj, in: José María Arguedas: Cuentos mágico realistas y canciones de fiesta tradicional del valle del Mantaro, Provincias de Jauja y Concepción – Archivo del Instituto de Estudios Etnológicos. In: Folklore Americano, Jahr 1, Nr. 1, Lima 1953, S. 131. Venía un "condenado", es decir el alma de una persona muerta de una manera trágica, por asesinato, suicidio o accidente, lo que llaman por "mala muerte". Estos espíritus no tienen salvación y vagan por las noches por los parajes solitarios, sorprendiendo y causando la muerte a los caminantes que van solos.
  14. a b José María Arguedas: Die tiefen Flüsse (Roman). Übersetzung ins Deutsche von Susanne Heintz. Suhrkamp, 1980. 349 Seiten.
  15. a b Dieter Grotehusmann: Religion und Riten der Aymarà: Feldforschungen in der Region um den Titicacasee in Bolivien und Peru. Lit Verlag Dr. W. Hopf, Berlin 2010, Seite 29–31.
  16. Richard Mercer Dorson: Folktales Told Around the World. 1978, S. 537.
  17. Nicole Fourtané (1991): Une expression du syncrétisme hispano-quechua: Le condenado. América 8, S. 161–189: S. 162.
  18. Bernardo Recio: Compendiosa relación de la cristiandad de Quito. Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1947, Seite 346. 695 Seiten. Otro lienzo llevaban también de una alma en gracia, con un rostro celestial y difundiendo resplandores, vestida de hermoso ropaje y en ademán de anhelar al cielo, y en el reverso una alma condenada, que en todo mostraba los horrores de su desesperación. Deutsche Übersetzung von Dieter Grotehusmann: Religion und Riten der Aymarà, Berlin 2010, Seite 31.
  19. Juan Pérez Bocanegra: Ritual formulario. Lima 1631, S. 391. Si tus antepasados adoraron huacas no tenían luz de la ley de Dios, ni conocían a Dios, sino al Demonio, que los traía engañados ; y por este pecado los condenó para siempre. Deutsche Übersetzung von Dieter Grotehusmann: Religion und Riten der Aymarà, Berlin 2010, Seite 31.
  20. José María Arguedas: Cuentos mágico realistas y canciones de fiesta tradicional del valle del Mantaro, Provincias de Jauja y Concepción – Archivo del Instituto de Estudios Etnológicos. In: Folklore Americano, Jahr 1, Nr. 1, Lima 1953, S. 169. En la creencia del vulgo los condenados son almas pecadoras que juzgadas por Dios, han sido sentenciadas a vivir en las Cordilleras. Son espíritus que salen a la hora del crepúcsculo o en ciertas horas de la noche y andan por los alrededores de la cordillera infundiendo susto a los caminantes.
  21. José María Arguedas (1956): Puquio, una cultura en proceso de cambio. Revista del Museo Nacional, Lima (Perú), Band XXV, S. 266. Los hombres que cometieron perversidades se quedan "penando" en el mundo, en calidad de "condenados". Vagan aullando, devorando bestias y seres humanos, hasta que alguna intervención casual de Dios (el católico) los salva. Para eso, tienen que morir otra vez, sufrir la muerte verdadera, su separación de este mundo. La intervención puede ser el encuentro con alguna persona que los redime, ofreciendo hacer penitencia por ellos, devolviendo los robos y reparando agravios, a nombre del condenado o quemándolos vivos, mediante algún ardid. Deutsche Übersetzung nach Dieter Grotehusmann (geringfügig verändert): Religion und Riten der Aymarà, Berlin 2010, Seite 31.
  22. a b Alison Krögel: Food, Power, and Resistance in the Andes. Exploring Quechua Verbal and Visual Narratives. Lexington Books, Plymouth 2011, S. 151f. Hier Informanten aus Chakalqocha bei Chinchero, Region Cusco (Quispe Quispe, Grimaldo Quillahuaman Cusihuaman).
  23. Thomas Müller und Helga Müller-Herbon: Die Kinder der Mitte. Die Q'ero-Indianer. Lamuv Verlag, Göttingen 1993, S. 42, 54, 231.
  24. Valentín Martínez y Martínez: Estudio monográfico del Distrito de Ollantaytambo, Provincia de Urubamba, Departmento de Cuzco. 1971, S. 109–112 (ohne Angabe von Verlag und Erscheinungsort).
  25. Robert Randall (1982): Qoyllur Rit'i, an Inca fiesta of the Pleiades: reflections on time & space in the Andean world (Memento vom 24. September 2015 im Internet Archive). Bulletin de l'Institut Français d'Etudes Andines XI, Nº1–2, S. 37–81. Zu den Bärensöhnen und Condenados: S. 43–44, 55–59.
  26. Maqta peludo, in: José María Arguedas: Cuentos religioso-mágicos quechuas de Lucanamarca. Folklore Americano IX, No. 8-9, 1960-61. S. 176–180. Abschrift online in: Gary J. Parker (comp.): Ayacucho Reader. Cornell University, Ithaca (NY) 1963. S. 129–164.
  27. Guillaume Billet, Lionel Hautier, Christian de Muizon und Xavier Valentin: Oldest cingulate skulls provide congruence between morphological and molecular scenarios of armadillo evolution. In: Proceedings of the Royal Society B 278, 2011, S. 2791–2797

Zum Hören[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]