Fürstliche Bibliothek Corvey

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Fürstliche Bibliothek Corvey

Ein Raum der Bibliothek, 2015

Ort Höxter
ISIL DE-110

Die Fürstliche Bibliothek Corvey ist eine Adelsbibliothek im Eigentum des Herzoglichen Hauses Ratibor und Corvey in Schloss Corvey, der ehemaligen Benediktinerabtei. Sie besteht aus circa 74.000 Bänden und ist eine der kostbarsten und größten Privatbibliotheken Deutschlands.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bibliothek geht im Kern auf die Sammeltätigkeit des bibliophilen Landgrafen Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg (1779–1834) und seiner Vorfahren in vier Generationen zurück. Der Landgraf hatte 1820 vom König von Preußen als Gebietsausgleich das frühere Fürstentum Corvey erhalten. Um dem von ihm und seiner Frau adoptierten Neffen, dem Erbprinzen Viktor zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1818–1893), das von einer Klausel der hessischen Hausverträge bedrohte Erbe zu sichern, wurden die Mobilien zwischen 1825 und 1833 nach Corvey gebracht, während der Landgraf weiter in Rotenburg residierte. Der adoptierte Erbprinz wurde 1840 von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen unter Verzicht seiner Schillingsfürster Erbansprüche und dynastischen Titel zum ersten Herzog von Ratibor und Fürsten von Corvey erhoben. Seine Nachkommen sind bis heute Eigentümer von Schloss und Bibliothek Corvey.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben betreute in seinen letzten Lebensjahren von 1860 bis 1874 die Bibliothek als Bibliothekar.

Bestand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diese Bibliothek verfügt über einen außergewöhnlichen Bestand aus dem 19. Jahrhundert mit einer Vielzahl von Rara; damit ist sie zusammen mit ihrer biedermeierzeitlichen Einrichtung ein bibliotheksgeschichtliches Denkmal höchsten Ranges. Ein großer Schatz der Bibliothek ist die Belletristik aus dem frühen 19. Jahrhundert, der ergänzt wird durch eine bedeutende Sammlung an Reiseliteratur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts (ca. 3.500 Bände). Der Landgraf und seine Frau trugen eine Büchersammlung zusammen, in der auch das vorhanden war, was in anderen Adels- oder Bürgerbibliotheken meist fehlte: triviale Romane und Reiseliteratur. Die Bibliothek umfasst eine große Zahl Unica (einmalige Werke) und Rara (seltene Werke). Die drei Hauptsprachen Deutsch, Französisch und Englisch sind etwa gleich vertreten. Hoffmann von Fallersleben, der diese Romane in einem Brief von 1863 als Krebbschaden unserer Bibliothek bezeichnete,[1] kaufte dagegen kostbare Pracht- und Ansichtenwerke sowie germanistische Literatur aus seinem eigenen Fach- und Interessengebiet. 1865 konnte er von Paul Wigand einige Werke aus der alten Corveyer Klosterbibliothek erwerben.

Die Bibliothek besteht aus 15 Sälen und wurde mit 200 unterschiedlichen Bücherschränken aus verschiedenen Holzarten wie Nussbaum, Riegelahorn und Kirschbaum ausgestattet. Sie entwarf der aus Berlin stammende Architekt Anton Gehtmann aus Höxter, ein Schüler von Carl Friedrich Schinkel, im Stil des Biedermeier und des späten Klassizismus.

Der Sommersaal mit seiner qualitätvollen Stuckdecke hat in den Lünetten der Stichkappen Grisaille-Malereien. Diese Fantasielandschaften werden dem Corveyer Hofmaler Ferdinand Ludwig Bartscher zugeschrieben. Der Sommersaal dient der Bibliothek heute als Ausstellungsraum.

Zwischen 2007 und 2011 wurden die historischen Räume der Fürstlichen Bibliothek mit Hilfe öffentlicher und privater Geldgeber aufwändig restauriert. Heute kann das einzigartige Ensemble mit seinen 15 Sälen besichtigt werden. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei das Arbeitszimmer des Bibliothekars Hoffmann von Fallersleben ein, darin sind noch originale, ebenfalls restaurierte Möbelstücke zu sehen.

Projekt Corvey[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit dem Jahre 1999 wird die Fürstliche Bibliothek Corvey vom „Corvey-Institut für Buch- und Bibliotheksgeschichte“, einem Institut an der Universität Paderborn, betreut, das seinen Sitz im Schloss Corvey hat. Es ist aus dem „Projekt Corvey“ hervorgegangen, durch das die ca. 74.000 Bände der Bibliothek für die Wissenschaft erschlossen wurden. Hierzu wurde 1985 der sogenannte „Grundlagenvertrag“ zwischen dem Eigentümer der Bibliothek und dem Land Nordrhein-Westfalen abgeschlossen. Dieser ermöglichte die weiteren Erschließungsschritte, wie die bibliothekarische, editorische und wissenschaftliche Erschließung sowie die langfristige Nutzung der Bibliothek.

Das Corvey-Institut betreut neben der Bibliothek auch das dortige Archiv und beliefert Wissenschaft und Forschung im In- und Ausland mit dem gewünschten Quellenmaterial. Durch das Corvey-Institut werden weitere Bestände der Corveyer Bibliothek vor Ort digitalisiert und einem breiten Benutzerkreis zur Verfügung gestellt. Arbeitsgrundlage ist der in den vergangenen Jahren durch das „Projekt Corvey“ unter maßgeblicher Beteiligung der Universitätsbibliothek Paderborn erarbeitete und 1999 fertiggestellte Katalog, der online nutzbar ist.

Die wissenschaftliche Auswertung und Bearbeitung der Bestände erfolgt im Rahmen von Forschungsarbeiten der Institutsmitglieder oder in Drittmittelprojekten, die unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden. Die Ergebnisse stehen in gedruckter Form zur Verfügung (eigenständige Monographien oder unselbständige Publikationsorgane wie wissenschaftliche Zeitschriften und Serien).

Die Kooperation des Eigentümers Franz-Albrecht Metternich-Sandor von Ratibor und Corvey mit der Universität Paderborn, um die Zugänglichkeit der Bestände zu ermöglichen, gilt als vorbildlich.

Zahlreiche Bücher aus Corvey liegen im Rahmen der kostenpflichtigen Angebote des Belser-Verlags Deutschsprachige Frauenliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts und English Language Women's Literature of the 18th and 19th Centuries digitalisiert sowie in mehreren Editionen des Olms-Verlages (Hildesheim) vor und stehen jedem wissenschaftlich Arbeitenden in Deutschland aufgrund der Nationallizenz zur Verfügung.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hartmut Steinecke: Die Fürstliche Bibliothek Corvey. In: Antonius Jammers (Hrsg.): Die besondere Bibliothek oder: Die Faszination von Büchersammlungen. München: Saur, 2002, S. 189–204. ISBN 3-598-11625-X
  • Hartmut Steinecke: Die Fürstliche Bibliothek Corvey – eine „wirkliche Schatzkammer“ in der westfälischen Provinz. In: Sabine Graef, Sünje Prühlen, Hans-Walter Stork (Hrsg.): Sammler und Bibliotheken im Wandel der Zeiten. Kongress Hamburg am 20. und 21. Mai 2010. Frankfurt am Main: Klostermann, 2010 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderband 100), S. 182–190.
  • Günter Tiggesbäumker: Ein fürstlicher Bücherschatz – Bucheinbände und Buchillustrationen aus vier Jahrhunderten aus der Fürstlichen Bibliothek zu Corvey. Ausstellung des Kunstvereins Paderborn vom 23. April – 4. Juni 1989. Paderborn 1989.
  • Günter Tiggesbäumker u. a. (Hrsg.): Die Fürstliche Bibliothek Corvey. Ihre Bedeutung für eine neue Sicht der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts. Beiträge des 1. Internationalen Corvey-Symposions, Paderborn 1990. München: Fink, 1992. (Corvey-Studien. 1.)
  • Günter Tiggesbäumker u. a.: Corvey – Fürstliche Bibliothek. In: Handbuch der Historischen Buchbestände in Deutschland. Band 3 (NRW). Hildesheim: Olms, 1992. S. 1–11.
  • Günter Tiggesbäumker: Das Projekt Fürstliche Bibliothek Corvey. Zur Erschließung einer Privatbibliothek durch die Universität-GH Paderborn. In: Elisabeth Fisch, Hartmut Vollmer (Hrsg.): Einblicke-Ausblicke. 25 Jahre Universität-GH Paderborn. Paderborn: Bonifatius, 1998. S. 132–144.
  • Günter Tiggesbäumker: Hoffmann von Fallersleben als Bibliothekar in Corvey. In: Hans-Joachim Behr u. a (Hrsg.): August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798–1998. Festschrift zum 200. Geburtstag. Bielefeld 1999. S. 35–48.
  • Günter Tiggesbäumker: Die Fürstliche Bibliothek in Corvey. Das Lebenswerk des August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Höxter: Sparkasse 2002. (Kultur im Kreis Höxter. 4.)
  • Günter Tiggesbäumker: Die Fürstliche Bibliothek zu Corvey. 2. verbesserte Auflage. Münster: Westfälischer Heimatbund 2004. (Westfälische Kunststätten. 71.)
  • Günter Tiggesbäumker: Vor 170 Jahren starb Landgraf Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg. Monatshefte des Heimat- und Verkehrsverein Höxter e.V. Heft 10/11, 2004. online (PDF; 217 kB)
  • Günter Tiggesbäumker: Ein Bücherschatz nicht nur für Literaturwissenschaftler. Zwanzig Jahre „Fürstliche Bibliothek Corvey“ an der Universität Paderborn. In: PUZ – Paderborner Universitätszeitschrift 4, 2007. S. 48–50.
  • Günter Tiggesbäumker: Die Fürstliche Bibliothek Corvey. In: Claudia Brinker-von der Heyde, Jürgen Wolf (Hrsg.): Repräsentation – Wissen – Öffentlichkeit. Bibliotheken zwischen Barock und Aufklärung. Kassel: University-Press, 2011. S. 23–35.
  • Günter Tiggesbäumker: „Der Besuch der Bibliothek war gegen frühere Jahre ein sehr zahlreicher“. Zur Erschließung der Fürstlichen Bibliothek Corvey durch die Universität Paderborn. In: 40 Jahre Universität Paderborn. Paderborn 2012, S. 118–123.
  • Günter Tiggesbäumker: „Im Laufe des Sommers wurde die Bibliothek fleißig besucht und benutzt“. Von Fürsten, Gelehrten und anderen Bücherfreunden in der Fürstlichen Bibliothek Corvey im 19. Jahrhundert. In: Axel Halle u. a. (Hrsg.): Das historische Erbe in der Region. Festschrift für Detlev Hellfaier. Bielefeld 2013. S. 83–94.
  • Günter Tiggesbäumker: Corvey. Welterbe an der Weser. Deutscher Kunstverlag, 2015, S. 42–45, 122–131 (zahlreiche Abbildungen).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Fürstliche Bibliothek Corvey – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Steinecke S. 197

Koordinaten: 51° 46′ 44,9″ N, 9° 24′ 35,3″ O