Davistan

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Davistan AG)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Davistan Krimmer-, Plüsch- und Teppichfabriken AG, bis 1933 David & Co. KG, ist ein ehemaliges deutsches Unternehmen, aus dem die Schaeffler-Gruppe entstand. Das von dem jüdischen Unternehmer Leopold David 1842 gegründete Unternehmen ging ab 1940 unter Wert in den Besitz von Wilhelm Schaeffler über.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ruine der Fabrik Nr. 1 von Welur, ehemals David & Co., in Katscher, 2016

Gründung und wirtschaftlicher Aufstieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Unternehmen wurde 1842[1] als David & Co. KG von Leopold David[2][3] gegründet, ansässig in der Niederwallstraße 13–14[4] in Berlin. Es produzierte Plüsch in Berlin, Brieg und Zinna sowie Wollgewebe in Nowawes. 1871 waren fast 1000 Menschen für das Unternehmen tätig.[1] Im Jahre 1907 gehörte das Unternehmen dem jüdischen Unternehmer Georg Frank,[5] hatte seinen Sitz An der Fischerbrücke 14 in Berlin und produzierte Plüsch, Herren- und Damenkonfektionskleidung, Stoffe und Teppiche.[6] Zu dieser Zeit wurde ein Teil der Produktion des Unternehmens ins oberschlesische Katscher verlegt, ein Teil der Fertigung verblieb in Nowawes.[7] Das Unternehmen war in den 1920er Jahren der größte Teppichhersteller in Katscher. Im Jahr 1925 wurde ein mehrstöckiges Fabrikgebäude errichtet, in dem zwischen 600 und 700 Arbeiter beschäftigt waren. Im Jahr 1927 kaufte David & Co. eine ehemalige Schokoladenfabrik in der Nähe des Katscher Bahnhofs und baute sie aus.[8][9] Im Geschäftsjahr 1933 machte das Unternehmen einen Umsatz von 4,2 Millionen Reichsmark.[10] Der aufkommende Nationalsozialismus und die damit verbundenen Repressalien gegenüber Juden zwangen den Inhaber Ernst Frank, Konsul aus Berlin und seit 1929 Ehrenbürger von Katscher,[8] im Jahr 1933 mit seiner Familie zur Flucht.[11] Obwohl das Unternehmen allem Anschein wirtschaftlich erfolgreich war, wurde am 9. Dezember 1933 über das Vermögen von David & Co. ein Konkursverfahren eröffnet, sowie einige Tage später auch über das Vermögen von Ernst Frank.[12] Die beiden Vermögen beinhalteten zahlreiche Grundstücke in Katscher, Gebäude, Inventar und Rechte wie z. B. Wechsel. Gläubiger waren die Dresdner Bank und das Bankhaus Mendelssohn & Co. Der Konkursverwalter Walter Haupt und die beiden Gläubiger gründeten um die Jahreswende 1933/34 für das Unternehmen die Auffanggesellschaft Davistan Weberei und Knüpferei GmbH mit einem niedrigen Gesellschaftskapital von 20.000 Reichsmark, die den Betrieb von Davistan zunächst erfolgreich aufrechterhielt, jedoch im Frühjahr 1934 mit Schwierigkeiten im Einkauf und Geschäftsverkehr zu kämpfen hatte.[10] Haupt schlug den beiden Gläubigern vor, die beiden Konkursmassen zu einem Preis von 4 bis 4,3 Millionen Reichsmark zu erwerben. Diese lehnten jedoch ab.

Schließlich wurde am 29. Mai 1934 die Davistan Krimmer-, Plüsch- und Teppichfabrik Aktiengesellschaft gegründet, mit einem Aktienkapital von einer Million Reichsmark. Sie löste die Davistan GmbH ab. Zum Vorstand wurden die Kaufmänner Franz Breitschädel und Rudolf Spies bestimmt. Den ersten Aufsichtsrat bildeten Herbert Schönfeldt, Clemens Carl Freyer und Joseph Kötter. Die neue Aktiengesellschaft bezahlte für das gesamte Vermögen der ehemaligen Firma David & Co. 3,6 Mio. RM, für das gesamte private Vermögen von Ernst Frank 224.000 RM. Der Betrieb ging weiter. Im Dezember 1934 beschäftigte das Unternehmen 590 Menschen. Im ersten Jahr wurde für die Aktiengesellschaft ein Reingewinn in Höhe von 25.316,50 RM ausgewiesen.[10]

Übernahme durch Wilhelm Schaeffler und Rüstungsbetrieb[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Dresdner Bank, bei der Wilhelm Schaeffler seit 1937 als Wirtschaftsprüfer tätig war,[11] bot ihrem Angestellten an, in die Davistan Krimmer-, Plüsch- und Teppichfabriken AG einzusteigen,[13][14] gut 30 Prozent unter Wert.[15] Am 4. November 1940 löste Schaeffler mithilfe von Krediten seines Arbeitgebers über eine halbe Million RM Rudolf Spies als Vorstandsmitglied ab.[12] Vorsitzender des Aufsichtsrats wurde Carl Schleipen, Direktor der Dresdner Bank, sein Stellvertreter Heinz Fritsch, ein Tuchfabrikant aus Cottbus. Bereits seit Sommer 1940 wurde die Produktion von Plüsch und Krimmer auf Fliegerjacken und von Teppichen auf Papiersäcke für Sand und Stroh umgestellt. Im Juni 1941 verlegte Schaeffler den Sitz von Davistan von Berlin nach Katscher, wo das Unternehmen in der Krotfelderstraße 1 angesiedelt war.[10]

Auf Antrag von Heinz Fritsch wurde im Juni 1942 der Firmenname abgeschafft.[13] Den langjährigen Vorstand Franz Breitschädel drängte Schaeffler im darauffolgenden Jahr aus der Unternehmensleitung.[16] Die Firma lautete nun Wilhelm Schaeffler AG.[10]

Im Sommer 1943 gründete Wilhelm Schaeffler, der 1941 in die NSDAP eingetreten war, eine Kommanditgesellschaft für das Rüstungsgeschäft.[17][13] Er steuerte fortan die Rüstungs- und die textile Produktion.[17] Die Werke in Katscher produzierten Abwurfgeräte für die Luftwaffe, Brandbomben, Nadellager für Panzer, Wehrmachtswesten, Matratzen und Mäntel.[13][18] Das Unternehmen setzte dabei Zwangsarbeiter aus Frankreich, der Sowjetunion und Polen ein.[17][13] Letztere waren im Polenlager 92 in Katscher[19][20] interniert.[13] 1944 kam es zu einer „Kriegsarbeitsgemeinschaft“ mit der Schumag, die in den Räumlichkeiten in Katscher Achsen, Rollen und Präzisionskleinteile für Heer und Luftwaffe herstellte.[21]

Das Unternehmen, das in Kriegszeiten aus vier Werken bestand,[22] verarbeitete bei seiner textilen Produktion auch Menschenhaar aus dem Vernichtungslager Auschwitz.[23] Auf dem Firmengelände gefundene Meterware erwies sich nach einer Untersuchung des Gerichtsmedizinischen Instituts der Jagiellonen-Universität von 1949 als aus Menschenhaar gemachtes Gewebe.[24][25][26]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahm der polnische Staat die Reste der Schaeffler-Werke. Bis in die 1990er Jahre wurden dort in der Zakłady T Materiał Dekoracyjnych Welur SA Teppiche hergestellt.[10][27]

Erforschung der NS-Vergangenheit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Historiker Gregor Schöllgen, der die Unternehmensgeschichte im Auftrag der Familie Schaeffler untersuchte, behauptete 2009, es gebe für die Verbindung nach Auschwitz „keine Belege“[28] beziehungsweise keine direkten Belege.[13] Für diese Ansicht wurde er 2011 von seinen Kollegen Tim Schanetzky,[29] Cornelia Rauh[30] und Toni Pierenkemper[31] vehement kritisiert.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches. Königliche Geheime Ober-Hofbuchdr., 1873, S. 216 (google.com).
  2. Londoner Ausstellung 1862. Special-Catalog der gewerblichen Ausstellung des Zollvereins. K. Geh. Ober-Hofbuchdruck, Berlin 1862, S. 96 (google.com).
  3. Verheiratet mit Clara, geb. Sonnenthal. Siehe National-Zeitung, Berlin, 6. November 1860 (google.de).
  4. Meier’s Adreßbuch der Exporteure und Importeure. Dudy, 1925, S. 40 (google.com).
  5. Christof Biggeleben: Das „Bollwerk des Bürgertums“: die Berliner Kaufmannschaft 1870-1920. C.H.Beck, 2006, ISBN 978-3-406-54993-9 (google.com).
  6. David & Co. In: Berliner Adreßbuch, 1907, Teil 1, S. 361.
  7. Berichte aus Fachkreisen. In: Der Textil-Arbeiter. Band 28, Nr. 2. Berlin 14. Januar 1916, S. 8 (fes.de [PDF]).
  8. a b Katarzyna Maler: Kościół katolicki na ziemi głubczyckiej w latach 1742–1945. Dzieje pruskiej części archidiecezji ołomunieckiej - komisariatu kietrzańskiego i wikariatu generalnego w Branicach. Tom I. (PDF; 55 MB) Stowarzyszenie Lokalna Grupa Działania „Płaskowyż Dobrej Ziemi“. Opole, Kietrz 2017, S. 170, ISBN 978-83-938215-1-8.
  9. J. Pokorny: Die Weberei in Katscher. In: Festschrift zum 40jährigen Bestehen der Patenschaft zwischen dem Landkreis Holzminden und dem Kreis Leobschütz O/S 1955-1995.
  10. a b c d e f Grazyna Gintner: Schlesischer Anfang. (PDF) 2. August 2016, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 18. November 2021.
  11. a b Gregor Schöllgen: Schaefflers dunkler Schatten. In: Cicero. März 2009, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  12. a b Cornelia Rauh: „Angewandte Geschichte“ als Apologetik-Agentur? Wie man an der Universität Erlangen-Nürnberg Unternehmensgeschichte „kapitalisiert“. (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive). In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 56, 2011, Heft 1, S. 102–115.
  13. a b c d e f g Nils Klawitter: Spur nach Auschwitz? In: Der Spiegel. Nr. 12, 2009, S. 76 f. (online).
  14. Uwe Ritzer: Hässliche braune Flecken. Historiker streiten über die Rolle der Brüder Schaeffler im Dritten Reich – offenbar war die Firma stärker verstrickt als bisher bekannt. Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010.
  15. Schaeffler legt Nazi Vergangenheit offen. Welt Online, 25. Februar 2009.
  16. Teresa Kudyba: Czy Niemcy wesprą firmę z hitlerowską przeszłością. In: Gazeta.pl. 4. März 2009, abgerufen am 10. Oktober 2019 (polnisch).
  17. a b c Gregor Schöllgen: Schaefflers dunkler Schatten. In: Cicero. März 2009, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  18. Der Hinweis auf Brandbomben findet sich bei Miroslaw Sikora: Die Waffenschmiede des „Dritten Reiches“. Die deutsche Rüstungsindustrie in Oberschlesien während des Zweiten Weltkrieges (Bochumer Studien zur Technik- und Umweltgeschichte, Band 3). Aus dem Polnischen übersetzt von David Skrabania. Klartext-Verlag, Essen 2014, S. 328, ISBN 978-3-8375-1190-1. Es handelte sich demnach unter anderem um Bomben des Typs Brand 4. Zu diesen siehe Brand 4 CH, Brand 4 CHl, Brand 4 D/NP 30, Brand 4 Na. In: michaelhiske.de. Abgerufen am 15. April 2020..
  19. Stichworte zum Lager im Verzeichnis der KZ-ähnlichen Lager und Haftstätten sowie von Institutionen und Betrieben, in denen Zwangsarbeit geleistet wurde (ehemals Haftstättenverzeichnis der Stiftung EVZ) auf den Webseiten des Bundesarchivs, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  20. Kietrz, Polenlager 92. Zapomniane obozy nazistowskie. In: fotohistoria.pl. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 16. April 2013; abgerufen am 14. Oktober 2019 (polnisch, Informationen der Zeitzeugen Barbara Kruczkowska und Józefa Posch-Kotyrba).
  21. Miroslaw Sikora: Die Waffenschmiede des „Dritten Reiches“. Die deutsche Rüstungsindustrie in Oberschlesien während des Zweiten Weltkrieges (Bochumer Studien zur Technik- und Umweltgeschichte, Band 3). Aus dem Polnischen übersetzt von David Skrabania. Klartext-Verlag, Essen 2014, S. 215, ISBN 978-3-8375-1190-1.
  22. Siehe die Fotos und Bildunterschriften in Schaeffler – die dunkle Vergangenheit. In: Süddeutsche Zeitung. 2. März 2009, abgerufen am 13. Oktober 2019.
  23. Einleitung. In: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Band 16. Das KZ Auschwitz 1942–1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45. Bearbeitet von Andrea Rudorff. Walter de Gruyter. Berlin / Boston 2018, S. 28. ISBN 978-3-11-036503-0.
  24. Andrzej Strzelecki: The plunder of victims and their corpses. In: Israel Gutman, Michael Berenbaum (Hrsg.): Anatomy of the Auschwitz Death Camp, Indiana University Press in Zusammenarbeit mit dem United States Holocaust Memorial Museum, Bloomington 1994, ISBN 0-253-32684-2, S. 246–266, hier S. 261.
  25. Andrzej Strzelecki: Die Verwertung der Leichen. In: Hefte von Auschwitz, 21 (2000) S. 101–164, hier S. 123.
  26. Ins Deutsche übersetzte Abdrucke der Gutachten von 1946, 1947 und 1949 finden sich bei Andrzej Strzelecki: Die Verwertung der Leichen. In: Hefte von Auschwitz, 21 (2000) S. 101–164, hier S. 157–164.
  27. Zakłady Tkanin Dekoracyjnych Welur S.A. w Kietrzu. In: Archiwa Opolskie. Abgerufen am 18. November 2021 (polnisch).
  28. Gregor Schöllgen: Schaefflers dunkler Schatten. In: Cicero. März 2009, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  29. Tim Schanetzky: Die Mitläuferfabrik. Erlanger Zugänge zur „modernen Unternehmensgeschichte“. In: Akkumulation. Informationen des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte, Nr. 31/2011, S. 3–10.
  30. Cornelia Rauh: „Angewandte Geschichte“ als Apologetik-Agentur? Wie man an der Universität Erlangen-Nürnberg Unternehmensgeschichte „kapitalisiert“. (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive). In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 56, 2011, Heft 1, S. 102–115.
  31. Toni Pierenkemper: „Moderne“ Unternehmensgeschichte auf vertrauten (Irr-)Wegen? In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 57, 2012, S. 70–85.