Der Bärenhäuter

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Holzschnitt, Ludwig Richter
Holzschnitt, Ludwig Richter

Der Bärenhäuter ist ein Märchen (ATU 361). Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 101 (KHM 101). Bis zur 4. Auflage hieß es Der Teufel Grünrock. Ludwig Bechstein übernahm es 1853 in sein Deutsches Märchenbuch als Rupert, der Bärenhäuter (Nr. 74).

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Holzschnitt, Ludwig Richter

Ein tapferer junger Soldat wird nach Kriegsende nirgends aufgenommen, auch nicht von seinen zwei Brüdern, und weiß nicht, wovon er leben soll. Auf einer Heide unter einem Ring von Bäumen begegnet ihm der Teufel, der erst mit einem Bären seinen Mut auf die Probe stellt und ihm dann einen Handel anbietet: Er muss sieben Jahre im Fell des erschossenen Bären leben und schlafen, darf sich nicht waschen, kämmen, die Nägel schneiden und kein Vaterunser beten. Stirbt er in dieser Zeit, gehört er dem Teufel, dafür geht ihm nie das Geld aus. Der Bärenhäuter wandert umher und genießt das Leben. Weil er gut zu den Armen ist, die er bittet, für ihn zu beten, und weil er gut bezahlt, wird er immer geduldet, obwohl er von Jahr zu Jahr schlimmer aussieht. Als er einem armen Mann dessen Schulden bezahlt, verspricht der ihm eine seiner Töchter zur Frau. Nur die jüngste ist dazu bereit, und er gibt ihr die Hälfte seines Ringes, bevor er die letzten drei Jahre fortgeht. Als die sieben Jahre um sind, lässt er sich vom Teufel waschen, zieht gute Kleider an und fährt in einem Wagen mit vier Schimmeln zu seiner Braut. Sie erkennt ihn, als sie seine Hälfte des Ringes in ihrem Becher mit Wein findet. Ihre zwei Schwestern, die sie oft wegen ihres Mannes verspotteten, aber jetzt gern den reichen Mann gehabt hätten, begehen Selbstmord. Abends kommt der Teufel und sagt: „Siehst du, nun habe ich zwei Seelen für deine eine.“

Herkunft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Illustration von Otto Ubbelohde, 1909

Bis zur 4. Auflage ist der Held des Märchens unter dem Titel Der Teufel Grünrock kein Soldat, sondern als jüngster Bruder von den andern verstoßen (wie in vielen Dummlingsmärchen: KHM 57, 62, 63, 64, 97, 106, 165). Der Teufel gibt ihm seinen grünen Rock, in dem immer Geld ist. Auch fehlt das Detail, dass er sich am Schluss vom Teufel frisieren lässt. Grimms Anmerkung notiert zur Herkunft „Aus dem Paderbörnischen“ (wohl von Familie von Haxthausen). Der Teufel erscheine hier wie in Hebels „Alleman. Gedichte 50“ als Weltkind im Grünrock. Grimms endgültige Fassung Der Bärenhäuter ab der 5. Auflage ist durch Grimmelshausens Erzählung Der erste Bärenhäuter beeinflusst.

Die Frömmigkeit des Helden und die Treue der jüngsten Tochter sind nur Grimms Fassung eigen, andere sind schwankhaft erzählt. Das Bärenhäuter-Motiv wird erst seit Grimmelshausens einflussreicher Kunstfassung mit dem verbreiteten Märchentyp verbunden. Im Rückgriff auf Tacitus’ ehrenvoller Erwähnung der Bärenkrieger (Germania 15 und 17), vielleicht auch in Kenntnis der Berserker, wendet er sich damit gegen die zeitgenössische Wertung, die darunter Menschen verstehe, die „aus Faulheit auf ihrer Bärenhaut liegen bleiben, und nie nichts Tapfers“ ausrichten. Nachdem die Einkleidung des Bärenhäuters sehr unterschiedlich ausfällt, sieht Heinz Rölleke als Kernmotiv eher die Paktbedingungen: nicht kämmen, nicht waschen usw.[1] Die englische Wikipedia nennt eine Version Don Giovanni de la Fortuna in Laura Gonzenbachs Sicilianische Märchen, eine bolognesische bei Italo Calvino.

Sprache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Illustration von Otto Ubbelohde, 1909

Auch einige Redensarten stammen offenbar von den Brüdern Grimm: „wenn es blaue Bohnen regnet“; „Geld und Gut“; „ich will dich an der Nase kitzeln“; „war guter Dinge“; „was ihm wohl und dem Gelde wehe tat“; „der Wirt ließ sich erweichen“.[2]

Interpretation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut dem Anthroposophen Rudolf Meyer steht die Vorstellung des Bären für schwerfälliges, materialistisches Denken, dem der Soldat als Kämpfer gegen das Böse sich im mephistophelischen Pakt verschreibt. Er muss sein Gemütsleben ungepflegt lassen, weiß, es ist nicht für immer.[3] Nach Edzard Storck versucht hier der Teufel durch Überbetonung äußeren, flüchtigen Lebens, wie Faust zu Mephisto sagt: „Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit, Ins Rollen der Begebenheit!“ (Studierzimmer-Szene).[4] Ortrud Stumpfe sieht im ungeschnittenen Haar Wachstumskraft gemäß alten kultischen Weiheriten.[5] Das erinnert an den biblischen Simson (Ri 13,11 EU).

Hedwig von Beit deutet das Schmutzigwerden in Des Teufels rußiger Bruder und Der Bärenhäuter als Angleichung an den Schatten, der Menschen isoliert und sich seelisch entwickeln lässt. Kollektiv lebt hier der Odins- oder Berserkerglaube fort: Pferdefuß, grüner Rock und geteilter Ring sind häufige Attribute Odins, Berserker waren Männer, die sich in Bären verwandelten. Nur bei persönlichen Unzulänglichkeiten, wie dem Neid der Schwestern, ist der Teufel gefährlich.[6] Nach Wilhelm Salber geht es hier im Kern um Umwertungen, die zur Hoffnung führen, durch bloßes Aushalten Unmögliches verfügbar zu machen.[7] Der Homöopath Martin Bomhardt vergleicht das Märchen mit dem Arzneimittelbild von Sulfur.[8] Für Regina Kämmerer haben seine guten Taten und die Liebe der Menschen dem Soldaten geholfen, zu reifen und das Schicksal zu wenden.[9]

Vergleiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Des Bärenhäuters Braut hält das Versprechen ihres Vaters wie in KHM 88 Das singende springende Löweneckerchen, dort als Hauptperson. Der Handlungsablauf von den sieben Jahren, die bis zur Erlösung zugebracht werden müssen, entspricht den Märchen KHM 9 Die zwölf Brüder, KHM 25 Die sieben Raben, KHM 49 Die sechs Schwäne. Dabei sucht meist die Frau ihren Mann oder ihre Brüder.[10] Einzigartig unter Grimms Märchen ist dabei die Ambivalenz des guten Endes in Zusammenhang mit der christlichen Motivik.

Rezeptionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bildnis des ersten Beerenhäuters, Grimmelshausen 1670

Heinrich Heines Gedicht Michel nach dem März[11] hebt an mit „Solang ich den deutschen Michel gekannt, war er ein Bärenhäuter“. Michel, politisch passiv auf der Bärenhaut liegend, fällt nach kurzem Erwachen während der Märzrevolution wieder in politische Lethargie.

Ludwig Bechstein erzählt das Märchen als Rupert, der Bärenhäuter in Deutsches Märchenbuch ab 1853 mit viel Witz, die Handlung ist wie bei Grimm. Der Teufel gibt ihm im Wald den grünen Geldrock und muss ihn zuletzt rein lecken, ehe Herr Rupert mit Extrapost zu seiner Verlobten reist. Ähnlich ist Bechsteins Schab den Rüssel in Neues deutsches Märchenbuch.

Die englische Wikipedia nennt eine amerikanisierte Version von Tom Davenport im ländlichen Virginia nach dem Bürgerkrieg, eine russische von Boris Shergin.

Oper[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beide Opern vermischen Der Bärenhäuter mit dem vorangehenden Märchen Des Teufels rußiger Bruder aus Grimms Sammlung.

Hermann Wette veröffentlichte 1897 Der Bärenhäuter. Teufelsmärchen., Wilhelm Pleyer 1928 Der Bärenhäuter. Das deutsche Märchen für die Puppenbühne., Otto Bernhard Wendler 1935 Der Bärenhäuter, Stephen DeCesare ein Musical Bearskin.

Film und Fernsehen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 501–505. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag; ISBN 3-538-06943-3)
  • Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. S. 194, S. 485–486. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
  • Heinz Rölleke: Bärenhäuter. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 1. S. 1225–1232. Berlin, New York, 1977.
  • Walter Scherf: Das Märchenlexikon. Erster Band A–K. S. 46–49. München, 1995. (Verlag C. H. Beck; ISBN 3-406-39911-8)
  • Hedwig von Beit: Symbolik des Märchens. Bern, 1952. S. 189–192, 240, 264. (A. Francke AG, Verlag)
  • Hedwig von Beit: Gegensatz und Erneuerung im Märchen. Zweiter Band von «Symbolik des Märchens». Zweite, verbesserte Auflage, Bern 1956. S. 34, 472. (A. Francke AG, Verlag)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rölleke, Heinz: Bärenhäuter. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 1, Berlin, New York 1977, S. 1225–1232.
  2. Lothar Bluhm und Heinz Rölleke: „Redensarten des Volks, auf die ich immer horche“. Märchen – Sprichwort – Redensart. Zur volkspoetischen Ausgestaltung der Kinder- und Hausmärchen durch die Brüder Grimm. Neue Ausgabe. S.-Hirzel-Verlag, Stuttgart/Leipzig 1997. ISBN 3-7776-0733-9, S. 113–114.
  3. Rudolf Meyer: Die Weisheit der deutschen Volksmärchen. Urachhaus, Stuttgart 1963, S. 210.
  4. Edzard Storck: Alte und neue Schöpfung in den Märchen der Brüder Grimm. Turm Verlag, Bietigheim 1977, ISBN 3-7999-0177-9, S. 158–162.
  5. Ortrud Stumpfe: Die Symbolsprache der Märchen. 7. Auflage. Aschendorff, Münster 1992, ISBN 3-402-03474-3, S. 33–34.
  6. Hedwig von Beit: Symbolik des Märchens. A. Francke AG, Bern 1952, S. 189–192.
  7. Wilhelm Salber: Märchenanalyse. 2. Auflage. Bouvier Verlag, Bonn 1999, ISBN 3-416-02899-6, S. 59–61.
  8. Martin Bomhardt: Symbolische Materia medica. 3. Auflage. Verlag Homöopathie + Symbol, Berlin 1999, ISBN 3-9804662-3-X, S. 1315.
  9. Regina Kämmerer: Märchen für ein gelingendes Leben. KVC-Verlag, Essen 2013, S. 138–139.
  10. Donald Ward: Glasberg. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 5, Berlin/New York 1987, S. 1265–1270.
  11. Wikisource: Heines Michel nach dem März

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wikisource: Der Bärenhäuter – Quellen und Volltexte