Doppeltproportionales Zuteilungsverfahren

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Das doppeltproportionale Zuteilungsverfahren, kurz Doppelproporz, ist eine Methode zur Verteilung von Parlamentsmandaten auf Parteien bei Vorhandensein mehrerer Wahlkreise bei Proporzwahl.

Bezeichnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Verfahren heisst ausführlich Doppeltproportionale Divisormethode mit Standardrundung. Die ursprünglich offizielle Bezeichnung war Neues Zürcher Zuteilungsverfahren. Umgangssprachlich hat sich «Doppelter Pukelsheim» durchgesetzt, eine Wortschöpfung des früheren Zürcher Innen- und Justizdirektors Markus Notter.[1] Letztere Bezeichnungen gehen darauf zurück, dass der Mathematiker Friedrich Pukelsheim das Verfahren im Auftrag der Direktion der Justiz und des Inneren des Kantons Zürich konkretisierte. Ursprünglich fusst die Methode auf Arbeiten von Michel Balinski und Peyton Young.

Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das doppeltproportionale Zuteilungsverfahren wird in mehreren Kantonen und Städten der Schweiz angewandt. Seit 2006 wird die Wahl des Kantonsrates des Kantons Zürich sowie des Gemeinderats der Stadt Zürich nach diesem Verfahren praktiziert. Am 24. Februar 2008 führten auch die Schweizer Kantone Aargau und Schaffhausen per Volksabstimmung ein entsprechendes Wahlsystem ein. Am 22. September 2013 sagte das Stimmvolk in den Kantonen Nidwalden und Zug, am 8. März 2015 im Kanton Schwyz, am 14. Dezember 2017 im Kanton Wallis, am 19. Mai 2019 im Kanton Uri und am 13. Juni 2021 auch im Kanton Graubünden Ja zum Doppelproporz.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wahlkreise auf kantonaler Ebene orientieren sich weitgehend an den Bezirksgrenzen, die Wahlkreise der Gemeinderatswahlen der Stadt Zürich an den Kreisen. Aufgrund der Binnenmigration haben die Wahlkreise sehr unterschiedliche Einwohnerzahlen und damit bei Wahlen auch eine sehr unterschiedliche Anzahl Mandate zu vergeben. Bei Kantonsratswahlen geht die Zahl der Mandate von vier im Bezirk Andelfingen bis zu sechzehn in den Bezirken Horgen, Uster und Bülach. Ähnliches gilt auch für die Stadt Zürich, hier waren bis zur Reform der Wahlkreise für die Gemeinderatswahlen zwischen zwei Sitzen im kleinsten Wahlkreis bis zu neunzehn Sitzen im grössten Wahlkreis der Stadt zu vergeben.

Beim bisherigen Sitzzuteilungsverfahren nach Hagenbach-Bischoff wurde jeder Wahlkreis isoliert betrachtet, die Parteistimmen in einem Wahlkreis hatten keinerlei Einfluss auf die Sitzzuteilung in einem anderen Bezirk. Dies führt dazu, dass kleine Parteien in den kleinen Bezirken stark benachteiligt werden. In einem Wahlkreis mit zwei zu vergebenden Sitzen kann dies dazu führen, dass eine Partei mit knapp unter einem Drittel Stimmenanteil leer ausgeht und die für sie abgegebenen Stimmen verfallen. Dies führt dazu, dass die grossen Parteien in gewissen Wahlkreisen de facto garantierte Sitzansprüche haben und ausserdem gewisse Wähler im Bewusstsein, dass Stimmen an kleine Parteien wertlos sein werden, möglicherweise nicht die von ihnen präferierte Partei wählen, sondern die ihnen noch am ehesten zusagende Grosspartei.

Nach der Gemeinderatswahl in der Stadt Zürich vom März 2002 erhob die Grüne Partei aus diesen Überlegungen heraus eine Stimmrechtsbeschwerde, welche das Bundesgericht teilweise guthiess und das bisherige Wahlverfahren als verfassungswidrig deklarierte.

Deshalb musste der Kanton Zürich nach einem neuen Wahlverfahren suchen, welches die Benachteiligung der kleinen Parteien aufhob und die Anzahl der gewichtslosen Stimmen auf ein Minimum reduzierte. Zur Diskussion standen unter anderem die Zusammenlegung von Wahlkreisen oder die Gründung von Wahlkreisverbänden, wie dies in den Kantonen Bern und Basel-Landschaft bereits eingeführt worden war. Wahlkreisverbände bestehen dabei aus einem oder mehreren Wahlkreisen und sind ein rein rechnerisches Konstrukt, weil die zu vergebenden Sitze zunächst auf der Basis eines Wahlkreisverbandes berechnet werden und erst dann auf die einzelnen Wahlkreise umgelegt werden. Durch den Zusammenschluss kleiner Wahlkreise zu einem Verband können die Nachteile kleiner Parteien ausgeglichen werden. Nachteilig ist, dass die dabei zur Anwendung kommenden Verfahren wenig durchsichtig sind. Die Zusammenlegung von Wahlkreisen hat dagegen den Nachteil, dass potentielle Kandidaten in deutlich grösseren Gebieten Wahlkampf machen müssen und danach möglicherweise nicht mehr gut regional verankert sind.

Eine Anfrage beim Mathematiker Friedrich Pukelsheim brachte diesen zur Entwicklung eines Verfahrens, das eine Beibehaltung der bisherigen Wahlkreise erlaubte und gleichzeitig die Ungerechtigkeiten zum Verschwinden bringen sollte. Die «doppelte» Proportionalität bezieht sich darauf, dass sowohl die Verhältnismässigkeit zwischen den kandidierenden Parteien wie auch die Verhältnismässigkeit zwischen den existierenden Wahlkreisen gewahrt wird, so dass sowohl die Parteien als auch die Regionen (beziehungsweise bei Gemeinderatswahlen die einzelnen Stadtquartiere) proportional im Parlament vertreten sind.

Das Verfahren im Detail[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Verfahren ist in eine Oberzuteilung und eine Unterzuteilung gegliedert.

Oberzuteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Oberzuteilung werden die abgegebenen Stimmen zunächst auf Kantonsebene betrachtet. Da beim in der Schweiz üblichen Verfahren die Wähler so viele Stimmen abgeben können, wie es Sitze in ihrem Wahlkreis zu vergeben gibt, müssen die abgegebenen Stimmen zunächst durch die Anzahl zu vergebender Mandate im Wahlkreis geteilt werden, damit sie kantonsweit vergleichbar sind. Während ein Wähler im Bezirk Meilen beispielsweise dreizehn Kandidaten seine Stimme geben kann, hat ein Wähler im Bezirk Andelfingen nur vier Stimmen zur Verfügung. Damit die Stimmen vergleichbar sind, werden die Stimmen in Andelfingen durch vier geteilt, in Meilen dagegen durch dreizehn und sind danach gleich gewichtet.

Auf dieser Basis werden die Stimmen der einzelnen Listen kantonsweit zusammengezählt. Anschliessend werden die Sitze nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren verteilt. Dieses minimiert den sogenannten Erfolgswertunterschied zwischen den einzelnen Listen, das heisst, der Quotient der abgegebenen Stimmen geteilt durch die Anzahl erhaltener Mandate ist bei allen Parteien möglichst gleich hoch. Die Benachteiligung der kleinen Parteien ist damit aufgehoben.

Unterzuteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Oberzuteilung wurden die Sitze an die verschiedenen Parteien vergeben. Bei der Unterzuteilung muss nun noch festgelegt werden, in welchen Wahlkreisen diese Sitze realisiert werden. Das dabei zur Anwendung kommende Verfahren muss einerseits garantieren, dass jeder Wahlkreis so viele Sitze erhält, wie ihm zustehen; andererseits auch, dass jede Partei so viele Sitze erhält, wie ihr in der Oberzuteilung zugesprochen wurden.

Dabei wird ein iterativer Algorithmus angewandt, welcher am besten von einem Computer ausgeführt wird. Das Endergebnis dieses Algorithmus lässt sich danach jedoch leicht mit einem Taschenrechner auf seine Richtigkeit überprüfen. Zunächst wird eine Tabelle aus Wahlkreisen und Parteien gebildet, wobei jeder Tabelleneintrag die Wählerzahl der jeweiligen Partei im entsprechenden Wahlkreis darstellt:

Wahlkreis A (4 Sitze)   Wahlkreis B (5 Sitze)   Wahlkreis C (6 Sitze)
Listengruppe 1 (4 Sitze) 5100 9800 4500
Listengruppe 2 (5 Sitze) 6000 10000 12000
Listengruppe 3 (6 Sitze) 6300 10200 14400
Schritt 1 Wahlkreis A (4 Sitze)   Wahlkreis B (5 Sitze)   Wahlkreis C (6 Sitze)
Listengruppe 1 (4 Sitze) 1.25 => 1 1.48 => 1 0.87 => 1
Listengruppe 2 (5 Sitze) 1.47 => 1 1.51 => 2 2.33 => 2
Listengruppe 3 (6 Sitze) 1.54 => 2 1.54 => 2 2.80 => 3
Wahlkreisdivisor 4090 6635 5150
Schritt 2 Wahlkreis A (4 Sitze)   Wahlkreis B (5 Sitze)   Wahlkreis C (6 Sitze)   Listengruppendivisor
Listengruppe 1 (4 Sitze) 1.39 => 1 1.64 => 2 0.97 => 1 0.9
Listengruppe 2 (5 Sitze) 1.47 => 1 1.51 => 2 2.33 => 2 1
Listengruppe 3 (6 Sitze) 1.50 => 2 1.50 => 1 2.73 => 3 1.025

Im ersten Schritt wird zunächst in jedem Wahlkreis ein geeigneter Wahlkreisdivisor gesucht. Dieser muss die Eigenschaft haben, dass er die Zahlen in seiner Spalte so teilt, dass, wenn sie zur nächsten ganzen Zahl gerundet werden (ab .5 aufwärts, sonst abwärts), die Summe der Spalteneinträge genau der Anzahl im Wahlkreis zu vergebenden Sitze ergibt.

Im nächsten Schritt wird nun zeilenweise vorgegangen. Dabei wird für jede Zeile ein geeigneter Listengruppendivisor gesucht. Dieser soll die im ersten Schritt berechneten (nicht gerundeten) Zahlen so teilen, dass die Summe der Zeileneinträge (gerundet zur ganzen Zahl) dabei genau der Anzahl der der entsprechenden Listengruppe (Partei) zugesprochenen Sitze entspricht.

Im gezeigten Beispiel sind nach dem zweiten Schritt bereits die Gesamtsitze der einzelnen Listengruppen als auch jene der Wahlkreise erfüllt. Ist dies nicht der Fall, so werden nun die beiden Schritte abwechselnd wiederholt:

Der dritte Schritt geht danach wieder spaltenweise vor. Die Wahlkreisdivisoren werden wo nötig angepasst wie im ersten Schritt, im vierten Schritt geht man dann wieder zeilenweise vor wie im zweiten Schritt usw. Es ist mathematisch garantiert, dass dieses Verfahren terminiert, d. h. irgendwann geeignete Wahlkreis- und Listengruppendivisoren findet, bei welchen sowohl die Summe der gerundeten Tabelleneinträge zeilenweise der auf die entsprechende Partei entfallenden Sitze entspricht als auch die Summe der Spalteneinträge der im entsprechenden Wahlkreis zu vergebenden Sitze. Sobald dies geschehen ist, lässt sich aus der Tabelle ablesen, wie viele Sitze einer Partei in welchem Bezirk zustehen.

Ein geeignetes Verfahren, um in jedem Arbeitsschritt einen geeigneten Divisor zu finden, ist die Bisektion.

Vor- und Nachteile[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der grosse Vorteil des Verfahrens ist, dass es gleichzeitig eine regional proportionale Vertretung im Parlament und die proportionale Verteilung der Sitze auf die Parteien garantieren kann. Die Unterschiede im Quotienten ‹erhaltene Stimmen geteilt durch Anzahl Mandate› zwischen den Listengruppen sind dabei so klein wie möglich, die Benachteiligung der kleinen Parteien ist somit trotz Beibehaltung der Wahlkreise aufgehoben. Dies betrifft die Oberzuteilung auf Wahlgebietsebene: Da hier die gesamte Sitzzahl des Parlaments auf die politischen Parteien verteilt wird, kann eine sehr hohe Abbildungsgenauigkeit erreicht werden.

Der Nachteil des Verfahrens ist dagegen, dass innerhalb eines Wahlkreises die Parteipräferenzen nicht mehr genau auf die Mandatsverteilung im Wahlkreis abgebildet werden. Dies lässt sich leicht aus der im vorangehenden Abschnitt gezeigten Tabelle sehen: Im Wahlkreis B erhält die Listengruppe 2 mit der Wählerzahl von 10000 zwei Sitze, die Listengruppe 3 mit einer höheren Wählerzahl von 10200 aber nur einen Sitz. Genau proportional innerhalb der Wahlkreise wäre die Verteilung gerade dann, wenn die Listengruppendivisoren überall 1 wären, was aber in der Regel natürlich nicht möglich ist. So kann eine Partei innerhalb eines Wahlkreises einen Sitz gewinnen, obschon eine andere Partei dort mehr Stimmen gemacht hat (so bei den Zürcher Kantonsratswahlen 2007 im Bezirk Uster: Hier erhielt die FDP mit einem Wähleranteil von 14,6 Prozent 3 Sitze zugeteilt, während die SP mit einem Wähleranteil von 17,3 Prozent nur 2 Sitze erhielt). Dies wird allerdings über das ganze Wahlgebiet hinweg gesehen wieder ausgeglichen.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Publikationen

Gerichtsurteile

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Adi Kälin: Die Wahrheit über Volkes Wille – Gemeinsame Skiferien von Friedrich Pukelsheim und dem Verantwortlichen in der Justizdirektion waren nicht schuld an der Entstehung des neuen Zürcher Wahlsystems. Aber ein bisschen spielte der Zufall schon mit. Neue Zürcher Zeitung 11.7.17