Editae saepe

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Editae saepe ist eine Enzyklika von Papst Pius X., die auch Borromäus-Enzyklika genannt wird. Sie datiert vom 26. Mai 1910 und ist dem Andenken des Heiligen Karl Borromäus gewidmet.

Eine strittige Enzyklika

Diese Enzyklika wird, da sie auch „falsche Reformatoren“ behandelt, teilweise als gegen den Modernismus gerichtet interpretiert. Sie hat in Deutschland viel Aufsehen erregt, nicht so sehr wegen ihres Gesamtinhaltes, sondern wegen einiger Passagen, die als Beleidigung von Protestanten verstanden werden konnten. In entstellter und verschärfter Übersetzung rasch bekannt geworden, entfachte sie einen Entrüstungssturm und führte zu parlamentarischen Interpellationen, Kundgebungen der protestantischen Kirchenbehörden und diplomatischen Aktionen. Um den konfessionellen Frieden besorgt, kam der Papst der deutschen Regierung soweit entgegen, dass er den deutschen Bischöfen die Anweisung erteilte, dieses Apostolische Rundschreiben, das am 29. Mai 1910 im Osservatore Romano und in der offiziellen lateinischen Version wenig später in den Acta Apostolicae Sedis erschien, nicht in Deutschland zu publizieren. Das konnte die Kampagnen etwa des Evangelischen Bundes gegen den Ultramontanismus jedoch nicht aufhalten.

Zum Gedenken an den Heiligen Borromäus

Karl Borromäus - Gemälde von Giovanni Ambrogio Figino (1548 - 1608).

Die Enzyklika ist dem Andenken des hl. Karl Borromäus anlässlich des 300. Jahrestages seiner Heiligsprechung gewidmet. Karl Borromäus gilt im Sinne des Papstes als der unermüdliche Vorkämpfer und Berater der wahren Reform. Indem der Papst den Unterschied zwischen wahren und falschen Reformatoren beschreibt, weist er besonders hin auf die Sorge für die Reinerhaltung des Glaubens und auf die Bedeutung der christlichen Ausbildung. Er lehnt die sogenannten neutralen Laienschulen ab, er fordert die gewissenhafte Verwaltung des Predigtamtes und weist auf die katholische Aktion hin, die alle Werke christlicher Barmherzigkeit umfasse. All dieses sei im Sinn des hl. Karl Borromäus und mit seinem Leben verknüpft.

Gegen die Reformation

Von der ursprünglich lateinisch verfassten Enzyklika kursierten damals verschiedene Varianten. Da die Enzyklika fast nur in Deutschland für Furore sorgte (französische Historiker kennen die Enzyklika gar nicht), sind die damaligen Übersetzungen entscheidend. Die folgende Version findet sich bei dem katholischen Zentrumspolitiker und Historiographen der Zentrumspartei Karl Bachem. Obwohl er eindeutig für den Katholizismus Partei bezog, lässt die von ihm herangezogene Übersetzung doch nichts an Schärfe vermissen:

„Damals tobten die Leidenschaften; die Kenntnis der Wahrheit war verwirrt und verdunkelt; es herrschte ein beständiger Kampf mit den Irrlehren; die menschliche Gesellschaft stürzte sich allem Unheil entgegen und schien dem Verderben preisgegeben. Inmitten solcher Verhältnisse traten hochmütige und aufrührerische [widerspenstige] Männer auf, ‘Feinde des Kreuzes Christi’, Menschen von ‘irdischer Gesinnung, deren Gott der Bauch ist‘ (Phil. III., 18, 19). Diese richteten ihr Augenmerk nicht auf die Verbesserung der Sitten, sondern auf die Leugnung der Dogmen; sie vermehrten die Unordnung und ließen zu ihrem eigenen und zu anderer Nutzen der Zügellosigkeit freien Lauf; oder doch untergruben sie, indem sie die autoritative Leitung der Kirche ablehnten, nach dem Belieben gerade der verkommensten Fürsten oder Völker wie unter einem Joch die Lehre, Verfassung und Disziplin der Kirche. Sodann ahmten sie jene Gottlose nach, denen die Drohung gilt ‘Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute böse nennt’ (Js. V, 20), und nannten diese aufrührerische Erhebung und die Verderbnis des Glaubens wie der Sitten Reform und sich selbst Reformatoren. Allein in Wahrheit waren sie Verführer, und dadurch, dass sie durch Streit und Kriege die Kräfte Europas erschöpften, haben sie die Revolutionen und den Abfall der Neuzeit vorbereitet, in denen sich die drei Arten des Kampfes, welche früher getrennt waren und aus denen die Kirche immer siegreich hervorgegangen war, zu einem einzigen Angriffe vereinigten: nämlich die blutigen Verfolgungen der ersten Jahrhunderte, sodann die innere Pest der Häresien und schließlich unter dem Vorwand der evangelischen Freiheit eine Verderbtheit der Sitten und eine Verkehrtheit der Disziplin, welche das Mittelalter in diesem Grade vielleicht nicht einmal erreicht hat.“

Bachem selber urteilte 1930:

„Auch in dem übrigen Wortlaute der Enzyklika begegneten Urteile über die protestantische Reformation, welche nach dem Stande der geschichtlichen Forschung in ihrer Allgemeinheit als einseitig anerkannt werden mußten. Der Text war offenbar gearbeitet nach Vorbildern aus der Polemik früherer Jahrhunderte, welche eine kräftigere Sprache liebte, als sie den Ohren unserer Zeit annehmbar klingt.“

Deshalb sind zentral zum Verständnis der damaligen Debatte die pazifizierenden bzw. verschärfenden Übersetzungen zu erwähnen: Aus „Männer irdischer Gesinnung“ (qui terrena sapiunt) wurden „Männer viehischer Gesinnung“; dass es sich bei dieser Charakterisierung um ein Bibelzitat handelte, wurde unterschlagen, womit alles als päpstliche Semantik ausgegeben werden konnte. Selbst unter Katholiken herrschte peinliche Beklommenheit. Die katholischen Zeitungen Germania und die Augsburger Postzeitung publizierten den Text, aber viele katholische Zeitungen druckten die Enzyklika nicht ab. Trotzdem schürte sie den für das “zweite konfessionelle Zeitalter” (1830-1970) so charakteristischen Konfessionalismus.

Zahlreiche katholische Rechtfertigungspamphlete widmeten sich der antiklerikalen Kampagne besonders des Evangelischen Bundes, aber auch liberaler Zeitungen.[2]

Der Chronist der Zentrumspartei, Karl Bachem, mutmaßte noch 1930, der Papst habe wohl den Text nicht sorgfältig studiert, bevor er ihn unterzeichnet habe. Trotz solcher Abschwächungen nutzte Bachem 20 Jahre nach diesem Ereignis erneut die Chance, um den Protestantismus als im Niedergang begriffen darzustellen, denn dies sei der Grund gewesen, warum die Protestanten damals derart gereizt reagiert und die "Machtgelüste" des Papsttums in den "brennendsten Farben" geschildert hätten. Die Borromäus-Enzyklika blieb für Jahrzehnte geeignet, die Stimmung im neo-konfessionellen Zeitalter gegen den jeweiligen “Glaubensgegner” anzufachen.

Literatur

  • Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Bd. 7, Köln 1930 (ND Aalen 1968), S. 329–77.
  • Olaf Blaschke: Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter. Göttingen 2002.
  • Olaf Blaschke: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter? In: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 38–75.
  • Johannes Kalwoda: Die antimodernistische Borromäus-Enzyklika „Editae saepe“ von 1910 und die österreichische Regierung unter Ministerpräsident Richard Freiherr von Bienerth. In: Österreichisches Archiv für Recht & Religion 52, 1/2005, S. 53–62.
  • Armin Müller-Dreier: Konfession und Politik, Gesellschaft und Kultur des Kaiserreichs. Der Evangelische Bund 1886–1914. Gütersloh 1998.
  • Mariano Delgado: Die Borromäus-Enzyklika 'Editae saepe' Pius' X. vom 26. Mai 1910 und die Folgen. In: Mariano Delgado, Markus Ries (Hrsg.): Karl Borromäus und die katholische Reform: Akten des Freiburger Symposiums zur 400. Wiederkehr der Heiligsprechung des Schutzpatrons der katholischen Schweiz (2010), S. 340–364.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Bd. 7, S. 332.
  2. vgl. B. Mock: Die Hetze gegen die Brorromäus-Enzyklika. Paderborn 1910; J. Diefenbach: Rechtfertigung der Borromäus-Enzyklika Pius’ X. durch evangelische Prediger und Gelehrte. Mainz 1910; A. Albring: Wir Katholiken und die – anderen. Apologetische Randglossen zur Borromäus-Enzyklika-Entrüstung. Freiburg 1910.