Emanuel Kirschner

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Emanuel Menachem Ben Aron Kirschner (geboren 15. Februar 1857 in Rokittnitz, Kreis Oppeln, heute Stadtteil von Zabrze; gestorben 28. September 1938 in München) war ein deutscher Chasan und Komponist. Er galt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als der bedeutendste jüdische Kantor in Deutschland.[1] Der Musikforscher Abraham Zvi Idelsohn würdigte Kirschner in einem Aufsatz zu dessen 70. Geburtstag 1927 als den „größte[n] unter den lebenden Komponisten der Synagogenmusik in Deutschland“.[2]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Emanuel Kirschner wurde als drittes von zehn Kindern des Bäckermeisters Aaron ben Moshe Kirschner und dessen Frau Bertha geb. Böhm in einem kleinen Dorf in Oberschlesien geboren. Er besuchte die jüdische Schule in Beuthen und erhielt ersten Musik- und Klavierunterricht vom Beuthener Kantor Mordechai Perez Weintraub. Unter dessen Nachfolger Josef Singer war Kirschner Mitglied des Synagogalchores, von Singer erhielt er auch Unterricht in Musiktheorie. Ab 1874 studierte Kirschner am jüdischen Lehrerseminar in Berlin, wo er auch Schüler des Komponisten Louis Lewandowski wurde. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er als Lehrer und wurde zweiter Kantor an der Synagoge in der Oranienburger Straße.

Alte Hauptsynagoge München (1889)

1881 bewarb sich Kirschner als Nachfolger von Max Löwenstamm als Erster Kantor nach München und erhielt diese Stelle. Sein Wirkungsort war zunächst die Synagoge an der Westenriederstraße und nach dem Umzug der Gemeinde die 1887 neu eröffnete Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße. Seine musikalische Ausbildung vervollkommnete er durch Privatstudien bei Melchior Sachs, Josef Rheinberger und Ludwig Thuille.

Kirschner trat auch solistisch als Liedsänger im Münchener Kulturleben auf. Zu seinen Gesangsschülern gehörte ab 1891 der spätere Wagner-Tenor Heinrich Knote,[3] den er als Privatschüler ausbildete, da er zuvor als Student an der Königlichen Akademie der Tonkunst abgelehnt worden war.[4] Knotes erfolgreiches Debüt erregte auch Aufmerksamkeit für seinen Gesangslehrer Kirschner, der daraufhin 1893 als Professor an die Akademie berufen wurde, diese Position aber nach einigen Jahren wegen Arbeitsüberlastung wieder aufgab. Ab 1893 widmete sich Kirschner vermehrt dem kompositorischen Schaffen.

Nach 45 Jahren Dienst als Hauptkantor trat Kirschner 1926 in den Ruhestand, blieb aber bis zur Berufung seines Nachfolgers Moritz Neu 1928 noch weiterhin ehrenamtlich als Chasan tätig.

Nachdem der Münchener jüdischen Gemeinde am 8. Juni 1938 von der nationalsozialistischen Regierung verkündet worden war, dass die Synagoge am folgenden Tag abgerissen werde, sang Emanuel Kirschner in einem am Abend rasch improvisierten Abschiedsgottesdienst als Schlussgesang den 102. Psalm. Durch den Abriss verlor Kirschner auch seine Kantorenwohnung im jüdischen Gemeindehaus und musste in das Altenheim in der Kaulbachstraße 65 umziehen. Dort starb er am 28. September 1938.

Kirschner war mit Ida geb. Bühler (1862–1942) verheiratet, die im Alter von 80 Jahren kurz vor ihrer bevorstehenden Deportation in einem Münchener Altenheim starb. Der älteste Sohn Max Kirschner (1886–1975) war Arzt und praktizierte zunächst in Frankfurt am Main. Er wurde in das KZ Buchenwald deportiert, aus dem er befreit wurde. Er emigrierte später in die USA.[5] Der jüngere Sohn Fritz (1889–1944) emigrierte nach Palästina. Die Tochter Bertha (1894–1898) starb im Alter von vier Jahren.

Kompositorisches Schaffen und Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Emanuel Kirschner komponierte über 100 hebräische Gesänge, die zwischen 1896 und 1926 in vier Bänden gedruckt erschienen. Die Gesänge sind für Kantor und gemischten Chor mit Orgelbegleitung gesetzt. Kirschner versuchte in seinen Kompositionen den traditionellen Synagogengesang durch romantische Harmonisierungen und den Einsatz der Orgel mit den Kompositionsweisen der europäischen Kunstmusik seiner Zeit zu verbinden.

Kirschners Haltung zum Einsatz der Orgel in der Synagogenmusik war ambivalent. Trotz seiner progressiven Grundhaltung kritisierte er die Art der Musik als zu christlich geprägte Klänge. In Bezug auf Orgelmusik blieb er lange in der Tradition Louis Lewandowskis und brachte weiterhin dessen Werke zur Aufführung. Ab den 1920er Jahren kam in der Münchener Synagoge auch neu geschaffene Orgelmusik zum Einsatz, zu deren Repertoire Kirschner beigetragen zu haben scheint. Der Gesinnungswandel setzte um 1927 mit der Berufung von Heinrich Schalit zum Organisten der Synagoge ein, den Kirschner anfangs als Konkurrenten empfand.[6][7]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kompositionen

Schriften

  • Ueber mittelalterliche hebraeische Poesien und ihre Singweisen; Vortrag gehalten auf der 4 Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Kantorenverbandes zu Nuernberg am 20 April 1914; urn:nbn:de:hebis:30:1-100081.
  • Die historische Entwicklung des traditionellen Synagogengesangs.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Boris Fernbacher: Vom Jerusalemer Tempel nach New York: 3000 Jahre jüdische Musikgeschichte. BoD, Norderstedt 2018, ISBN 978-3-7460-9031-3, S. 367–378, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  • Jacob Hohenemser: An Evalution of the Life and Works of Emanuel Kirschner. In: Proceedings of the Third Annual Conference / Convention of The Cantors Assembly and the Department of Music of the United Synagogue of America. The Jewish Theological Seminary of America, New York City 1950, OCLC 243481586, OCLC 3349416, S. 11–15; geoffreyshisler.com.
  • Emanuel Kirschner: Erinnerungen aus meinem Leben, Streben und Wirken. Typoskript, München 1933, mit Nachtrag von Max Kirschner 1947; digipres.cjh.org.
  • Eva Ohlen: Emanuel Kirschner, 1857 (Rokittnitz) – 1938 (München). In: Beth ha-Knesseth – Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der Münchner Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren. Eine Veröffentlichung des Stadtarchivs München. Ausstellungskatalog. Buchdorfer, München 1999, ISBN 3-934036-09-0, S. 124–138.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Eva Ohlen: Emanuel Kirschner, 1857 (Rokittnitz) – 1938 (München). In: Beth ha-Knesseth – Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der Münchner Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren. Eine Veröffentlichung des Stadtarchivs München. Ausstellungskatalog. Buchdorfer, München 1999, ISBN 3-934036-09-0, S. 124–138, hier S. 124.
  2. Zitiert nach: Emanuel Kirschner: Erinnerungen aus meinem Leben, Streben und Wirken. Typoskript, München 1933, S. 153; digipres.cjh.org. Auch in: Max Kirschner: Weinen hat seine Zeit und Lachen hat seine Zeit. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-633-54213-2, S. 264.
  3. Heinrich Knote bei Operissimo auf der Basis des Großen SängerlexikonsVorlage:Operissimo/Wartung/Verwendung von Parameter 2
  4. geoffreyshisler.com Jacob Hohenemser: An Evalution of the Life and Works of Emanuel Kirschner.
  5. Max Kirschner: Weinen hat seine Zeit und Lachen hat seine Zeit: Erinnerungen aus zwei Welten. Aus dem Amerikanischen von Ebba D. Drolshagen. Mit einem Nachwort von Bernd Hontschik. Für die deutsche Ausgabe bearbeitet von Bernd Hontschik und Rainer Weiss. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-633-54213-2.
  6. Michael Schalit: Heinrich Schalit. The man and his music. Livermore, California 1979, OCLC 6685339, S. 33.
  7. Tina Frühauf: Orgel und Orgelmusik in deutsch-jüdischer Kultur. 2. Auflage. Olms, Hildesheim 2017, ISBN 978-3-487-31179-1, S. 141–144.