Europäischer Laternenträger

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Europäischer Laternenträger

Dictyophara europaea

Systematik
Ordnung: Schnabelkerfe (Hemiptera)
ohne Rang: Zikaden (Auchenorrhyncha)
Unterordnung: Spitzkopfzikaden (Fulgoromorpha)
Familie: Dictyopharidae
Gattung: Dictyophara
Art: Europäischer Laternenträger
Wissenschaftlicher Name
Dictyophara europaea
(Linnaeus, 1767)
Dictyophara europaea
Dictyophara europaea, Larve
Dictyophara europaea var. rosea, Larve
Präparat aus der Zoologischen Staatssammlung München

Der Europäische Laternenträger (Dictyophara europaea) ist eine wärmeliebende paläarktische Zikadenart mit Vorkommen bis ins südliche Mitteleuropa.

Merkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Tiere erreichen eine Körperlänge von 9 bis 13 Millimeter. Sie sind meist einfarbig zart hellgrün gefärbt, es kommen aber als seltenere Abweichung auch rote Tiere vor (var. rosea). Die Vorderflügel sind etwa genauso groß wie die Hinterflügel, die Membran zart und durchsichtig (hyalin) mit reicher grüner Aderung, die zur Spitze hin zahlreiche Zellen ausbildet. Auffällig und für die Bestimmung wichtig ist die Kopfform. Dieser ist nach vorn zwischen den Augen in eine kegelförmige, spitz zulaufende Verlängerung ausgezogen, diese ist bei Ansicht von oben etwa dreimal so lang wie an der Basis breit. Er trägt zwei starke, zur Spitze hin konvergierende Längskiele und einen Mittelkiel. Das Pronotum trägt einen Mittelkiel und zwei Seitenkiele, die in der Hinterhälfte undeutlich werden, es ist zwischen den Kielen deutlich eingesenkt. Auch das Mesonotum trägt oben drei gerade Kiele. Die Beine sind von mäßiger Länge, die Hinterbeine merklich länger und kräftiger als die vorderen Beinpaare. Die Schienen (Tibien) der Hinterbeine besitzen außen sechs und an der Spitze eine Gruppe von sieben starken Dornen mit schwarzer Spitze. Solche Dorne sind auch an den ersten beiden Tarsengliedern vorhanden.[1][2][3]

In Deutschland und den nördlichen Teilen Mitteleuropas ist die Art der einzige Vertreter ihrer Familie und durch die charakteristische Kopfform unverwechselbar. In Österreich muss bereits mit zwei weiteren, recht ähnlichen Arten der Gattung gerechnet werden. Bei Dictyophara pannonica ist der Kopffortsatz länger, gerade zylindrisch vorgestreckt und am Ende abgerundet, nicht zugespitzt. Dictyophara multireticulata ist etwas größer (13 bis 14 Millimeter), der Kopffortsatz ist kürzer (Vertex wenig mehr als doppelt so lang wie breit) und die Vorderflügel sind zur Spitze hin kleinzelliger geadert.[1]

Die Larven (auch Nymphen genannt, da sie keine besonderen Larvalorgane besitzen) ähneln in Färbung, Gestalt und Kopfform den Imagines. Sie tragen auf den Tergiten 6 bis 8 des Hinterleibs eine Porenplatte, aus der Wachsfäden abgeschieden werden können. Unterscheidungsmerkmale zu den anderen Arten der Gattung sind: Die Vorderschenkel tragen auf der Außenkante im Spitzenteil mehrere Zähnchen. Der dritte Tergit des Hinterleibs besitzt Sinnesgrübchen. Die Seitenkiele auf dem Scheitelfeld des Kopfes (Coryphe oder Vertex genannt) sind an beiden Enden etwas nach innen hin gebogen.

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Name Laternenträger leitet sich eigentlich von einer anderen Art der Familie, dem "Laternenträger" Fulgora laternaria ab. Diese südamerikanische Art ist in Europa schon früh bekannt geworden, unter anderem durch die Stiche von Maria Sibylla Merian. Dieser trägt einen blasenförmigen Kopffortsatz, der nach den Berichten einiger der frühen Forschungsreisenden angeblich so hell leuchten würde, dass man dabei lesen könne[4]. Auf die europäische Art ist der Name übertragen worden, ohne dass es eine vergleichbare Sage gegeben hätte. Der wissenschaftliche Gattungsname Dictyophara bedeutet frei übersetzt "die ein Netz(gewand) trägt"[5] (von griech: dictyon: Netz und phorein: tragen).

Biologie und Lebensweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dictyophara europaea ist polyphag[6] und von einer Vielzahl von Nährpflanzen nachgewiesen, ohne dass bestimmte Präferenzen erkennbar wären. Die Art ist, zumindest in Mitteleuropa, sehr wärmeliebend und kommt ausschließlich in wärmebegünstigten, offenen Lebensräumen wie zum Beispiel Trockenrasen vor, sie wurde sogar als eine der Charakterarten für diesen Lebensraumtyp vorgeschlagen[7]. Wichtig ist, dass Bereiche mit offenem, unbewachsenem Boden vorhanden sind. Gegenüber menschlichen Beeinträchtigungen ist sie nicht sehr sensibel, sie kommt sogar oft in ruderal beeinflussten, teilweise degradierten Trockenrasen vor[8]. Sie kommt auch in städtischen (urbanen) Lebensräumen mit entsprechender Struktur vor, zum Beispiel in den Städten Berlin[9] und Warschau.

Die Art besitzt eine Generation im Jahr (univoltin) und überwintert im Eistadium. Die Eier werden vom Weibchen im Boden abgelegt und dabei durch besondere Strukturen des Ovipositors einzeln mit Erde umhüllt[3]. Imagines werden in Mitteleuropa von Mitte Juli bis Mitte Oktober beobachtet.

Das Sprungvermögen ist bei dieser Art im Detail untersucht worden[10]. Der Europäische Laternenträger vermag etwa einen Meter weit und einen Meter hoch zu springen, etwa das Hundertfache der Körperlänge. Dieses rekordverdächtige Sprungvermögen wird durch eine bogenförmige Skelettstruktur, den sogenannten Pleuralbogen, ermöglicht, in dem, ähnlich einem gespannten Pfeilbogen, Muskelenergie gespeichert wird, die dann explosionsartig freigesetzt werden kann; dabei werden die Hinterbeine synchron plötzlich (in nur zwei Millisekunden) ausgestreckt. Es werden Startgeschwindigkeiten von etwa 4 Meter pro Sekunde erreicht. Antriebsenergie liefern die mächtigen Trochantermuskeln. Ähnlich wie beim Sprungvermögen der Flöhe spielt bei der Speicherung das elastische Protein Resilin eine wichtige Rolle.

Dictyophara europaea kann mit Artgenossen durch Vibrationssignale kommunizieren[11]. Der erzeugte, für Menschen nicht hörbare Ton wird als etwa drei Sekunden langer Triller aus gleichmäßigen Pulsen beschrieben.

Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dictyophara europaea lebt im Mittelmeergebiet, in Nordafrika und Südeuropa und dem südlichen Mitteleuropa, nach Osten über die Türkei[12], den Iran, das südliche Russland und Zentralasien östlich bis nach Xinjiang im Norden Chinas[2], aus dem hier nördlich anschließenden Teil Nordrusslands gibt es aber keine Nachweise[13]. Sie fehlt auch in Nordeuropa, Skandinavien, Großbritannien, dem Baltikum und den Niederlanden[14], kommt aber in Belgien und in Belarus[15] vor. In Deutschland gibt es Nachweise aus allen Bundesländern außer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Saarland[16], wobei sie nach Nordwesten hin immer seltener wird. In Österreich konzentrieren sich die Nachweise auf die wärmebegünstigten Tieflagen im Osten und das Donautal[1]. In Deutschland[17] und in Kärnten[1] ist sie auf der Roten Liste als "gefährdet" (Kategorie 3) aufgeführt.

Taxonomie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Art wurde von Linné als Fulgora europaea erstbeschrieben. Sie ist Typusart der Gattung Dictyophara. Die Gattung umfasst etwa 40 Arten, die alle paläarktisch verbreitet sind, mit Verbreitungsschwerpunkt im Südwesten. Dictyophara europaea bildet mit D. asiatica, D. lindbergi und D. subsimilis die Untergattung Dictyophara s. str.[18]

Ökonomische Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Europäische Laternenträger kann beim Saugakt pflanzenpathogene Bakterien der Gattung Phytoplasma als Vektor von Pflanze zu Pflanze übertragen. Da die Zikade sehr polyphag ist und auch regelmäßig an einigen Kulturpflanzen vorkommt, kann sie dadurch den Ertrag schmälern. Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass sie als Vektor die gefürchtete Vergilbungskrankheit Goldgelbe Vergilbung auf Weinreben übertragen kann. Sie nimmt die Phytoplasmen vermutlich beim Saugakt an Gewöhnlicher Waldrebe in der Umgebung der Rebkulturen auf[19]. Entsprechende Schäden sind in erster Linie im Mittelmeergebiet, besonders in Italien und den Balkanländern, relevant. In Mitteleuropa spielt die Art als Schädling keine Rolle.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Wolfgang Schedl (2004): Die Verbreitung und Ökologie von Dictyopharidae in Österreich und in angrenzenden Ländern (Homoptera: Auchenorrhyncha). In: Denisia 13: 115-120 (zobodat.at [PDF]).
  2. a b Zhi-Shun Song & Ai-Piing Liang (2008): The Palaearctic Planthopper Genus Dictyophara Germar, 1833 (Hemiptera: Fulgoroidea: Dictyopharidae) in China. Annales Zoologici 58(3):537-549. doi:10.3161/000345408X364364
  3. a b Reinhard Remane & Ekkehard Wachmann: Zikaden kennenlernen, beobachten. Naturbuch Verlag, Augsburg 1993, ISBN 3-89440-044-7.
  4. Samuel Schilling: Ausführliche Naturgeschichte des Thier-, Pflanzen- und Mineralreichs. Band 3. Thier-Reich: Fische und der wirbellosen Thiere. Verlag von Heinrich Richter, Breslau 1841, S. 467: Der surinamische Laternenträger (Vorschau bei Google Books).
  5. Herbert Nickel (2013): Zur Etymologie der Zikadennamen Mittel- und Nordeuropas. Acta Musei Moraviae, Scientiae biologicae (Brno) 98(2): 273-315.
  6. Hans Schiemenz (1987): Beiträge zur Insektenfauna der DDR: Homoptera, Auchenorrhyncha (Cicadina, Insecta). Teil I: Allgemeines, Artenliste, Überfamilie Fulguroidea. Faunistische Abhandlungen, Staatliches Museum für Tierkunde Dresden Band 15, Nr. 8: 1-105. Dictyophara europaea p.96-97.
  7. Herbert Nickel, Werner E. Holzinger, Ekkehard Wachmann (2002): Mitteleuropäische Lebensräume und ihre Zikadenfauna (Hemiptera: Auchenorrhyncha). In: Denisia 4 (zugleich Kataloge des Oberösterreichischen. Landesmuseums, Neue Folge Nr. 176): 279-328 (zobodat.at [PDF]).
  8. Gernot Kunz, Herbert Nickel, Rolf Niederinghaus: Fotoatlas der Zikaden Deutschlands. Wissenschaftlicher Buchvertrieb Fründ, 2011. ISBN 978-3-939202-02-8
  9. Nora Lange: Der Einfluss von Landschaftskontext auf die Diversität der Zikaden (Hemiptera: Auchenorrhyncha) in Stadtbrachen. Diplomarbeit, Universität Oldenburg, 2006.
  10. Malcolm Burrows (2014): Jumping mechanisms in dictyopharid planthoppers (Hemiptera, Dicytyopharidae). Journal of Experimental Biology 217: 402-413. doi:10.1242/jeb.093476
  11. D. Yu Tishechkin: Vibrational communication in Cercopoidea and Fulguroidea (Homoptera: Cicadina)with notes on classification of higher taxa. Russian Entomological Journal 12 (2): 129-181.
  12. Emine Demir (2008): The Fulgoromorpha and Cicadomorpha of Turkey. Part 1: Mediterranean Region (Hemiptera). Munis Entomology & Zoology Vol. 3, No. 1: 447-522.
  13. G.A. Anufriev & A.F. Emeljanov: Suborder Cicadinea (Auchenorrhyncha). In: A.S. Lelej, E.V. Kanyukova, Z.A. Konovalova, S.Yu. Storozhenko: Keys to the Insects of the Far East of the USSR in six Volumes. Volume II: Homoptera and Heteroptera. (Transliteration of the Russian title: Opredelitel’ nasekomykh Dal’nego Vostoka SSSR v shesti tomakh. Vol. 2. Ravnokrylye i poluzhestkokrylye.). Nauka, Leningrad 1988. translated U.S. Department of Agriculture, 2001
  14. Janusz Nast (1987): The Auchenorrhyncha (Homoptera) of Europe. Annales Zoologici 40 (15): 1-661.
  15. Oleg Borodin (2004): A checklist of the Auchenorrhyncha of Belarus (Hemiptera, Fulgoromorpha et Cicadomorpha). Beiträge zur Zikadenkunde 7: 29-47.
  16. Herbert Nickel & Reinhard Remane (2003): Verzeichnis der Zikaden (Auchenorrhyncha) der Bundesländer Deutschlands. Entomofauina Germanica 6: 130-154.
  17. Herbert Nickel, Werner Witsack und Reinhard Remane (1999): Rote Liste der Zikaden Deutschlands (Hemiptera, Auchenorrhyncha) - Habitate, Gefährdungsfaktoren und Anmerkungen zum Areal. Beiträge zur Zikadenkunde 3: 13-32.
  18. Alexander F. Emeljanow (2003): The subgeneric division of the genus Dictyophara Germar, 1833 (Homoptera: Dictyopharidae). Russian Entomological Journal 12 (4): 357-358.
  19. Filippin, L., Jović, J., Cvrković, T., Forte, V., Clair, D., Toševski, I., Boudon-Padieu, E., Borgo, M., Angelini, E. (2009): Molecular characteristics of phytoplasmas associated with Flavescence dorée in clematis and grapevine and preliminary results on the role of Dictyophara europaea as a vector. Plant Pathology 58: 826–837. doi:10.1111/j.1365-3059.2009.02092.x

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Dictyophara europaea – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien