Evangelische Akademie Bad Boll

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In der Villa Vopelius in der Evangelischen Akademie Bad Boll wird Blumhardts Literatursalon präsentiert

Die Evangelische Akademie Bad Boll ist die älteste der nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen Evangelischen Akademien in Deutschland. Ihr Sitz ist der Kurort Bad Boll am Fuß der Schwäbischen Alb.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Evangelische Akademie Bad Boll wurde am 29. September 1945, dem Michaelistag, gegründet. Gründer waren der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Theophil Wurm und Pfarrer Eberhard Müller. Symbol der Akademie ist die Brücke.

In der Vergangenheit waren an der Akademie nach dem Gründungsdirektor Müller (1945–1971) als Geschäftsführende Direktoren die Theologen Christoph Bausch (1972–1988), Manfred Fischer (1988–1996), Jo Krummacher (1996–2005) und Joachim L. Beck (2006–2013) tätig. Bekannte Studienleiter waren u. a. Siegfried von Kortzfleisch, Wolfgang Böhme, Herta Leistner, Hans-Joachim Thilo und Thomas Schlag.

Wichtige thematische Schwerpunkte waren der Streit um die Wiederbewaffnung (1955), die feministische Theologie (ab 1979), Medizin und Justiz im Nationalsozialismus (ab 1982), Lesbische Frauen in den Kirchen (ab 1985).

Zahlreiche Institutionen, Gesetze und Initiativen verdanken ihr Entstehen den Diskursen in Bad Boll, z. B. die Aktion Gemeinsinn, die Christliche Presse Akademie, der Kronberger Kreis, die Ausbildung zum Anwalt des Kindes oder der Verein zur Alphabetisierung. Im Februar 1968 richtete die Akademie eine vielbeachtete[1] Diskussion zum Problem der Revolution in Deutschland aus, in der es zu einer historischen[2] Begegnung zwischen Ernst Bloch und Rudi Dutschke kam, die eine langjährige Freundschaft begründete (auch Dutschke-Bloch-Tagung).[3] 1988 wurde hier auf einer Vikarstagung die Ökumenische Initiative Mittelamerika gegründet, die in der Entwicklungspolitik und Menschenrechtsarbeit tätig ist.[4]

In Erinnerung an die in Bad Boll tätigen Theologen Christoph Blumhardt und Johann Christoph Blumhardt hat die Akademie im Jahr 2005 „Blumhardts Literatursalon“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach eingerichtet. Ihren Stiftungstag begeht die Akademie jährlich mit einer „Michaelisakademie“.

Mit einem Budget von 3,5 Millionen Euro veranstaltet die Akademie 120 bis 150 Tagungen im Jahr und empfängt jährlich 10 000 Tagungsteilnehmer. Im Jahr 2011 wurde ein Drittel der Stellen gekürzt. Deshalb sind nur noch 25 Studienleiter an der Akademie tätig.[5]

Struktur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Dialogteams und Fachteams der Akademie arbeiten in drei Themenbereichen:

  1. Wirtschaft, Globalisierung, Nachhaltigkeit
  2. Gesellschaft, Politik, Staat
  3. Theologie, Kultur, Bildung

Mit folgenden Fachdiensten leistet die Akademie spezifische Hilfestellungen für Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen:

  1. Akademie für Führung und Verantwortung (AFV)
  2. Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) mit Wirtschafts- und Sozialpfarrämtern in Stuttgart, Heilbronn, Ulm, Reutlingen,
  3. treffpunkt 50plus Stuttgart,
  4. Freizeit, Sport, Tourismus,
  5. Gesellschaftspolitische Jugendbildung.

Ein zwölfköpfiges Kuratorium (Vorsitzender: Werner Stepanek) ist für die Besetzung der Direktionsstellen und für die Feststellung des Haushalts der Akademie verantwortlich; Beiräte mit Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen und Repräsentanten gesellschaftlicher Felder beraten die Studienleitenden in den Themenbereichen.

Die Evangelische Akademie Bad Boll gehört zum Verein Evangelische Akademien in Deutschland und zum Oikosnet Europe.

Position im Nahostkonflikt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Akademie führte wiederholt Veranstaltungen mit Befürwortern der vom Bundestag als antisemitisch eingestuften Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ durch. Im Mai 2007 riefen christliche Teilnehmer dazu auf, „Produkte aus Israel so lange nicht zu kaufen, bis die Besatzung beendet ist.“[6] 2010 zog die Akademie die Einladung eines Vertreters der radikalislamischen Terrorgruppe Hamas als Referenten erst nach heftigen Protesten zurück.[7] 2011 forderte die Einladung zu einer Tagung zum Kairos-Palästina-Dokument „wirtschaftliche Maßnahmen gegen die Besatzungsmacht Israel“.[8] Zur Tagung Shrinking Space im Israel-Palästina-Konflikt im September 2018 lud die Akademie fast nur BDS-Befürworter als Referenten ein.[7][9]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Albrecht Daur, Christoph Schubert (Hrsg.): Eberhard Müller – Bestand hat, was im lebendigen Menschen weiterwirkt. Vektor-Verlag, Grafschaft 1997, ISBN 3-929304-23-6.
  • Manfred Fischer: Aufbruch zum Dialog. Auf dem Weg zu einer Kultur des Gesprächs. Fünfzig Jahre Evangelische Akademie Bad Boll. Stuttgart 1995, ISBN 3-7918-3185-2.
  • Martin Gernot Meier: Freiheit und Verantwortung. Die Christliche Presse Akademie. Ein Engagement für den demokratischen Journalismus in Reaktion auf das Dritte Reich. Christliche-Publizistik-Verlag, Erlangen 2003, ISBN 3-933992-06-0.
  • Eberhard Müller: Bekehrung der Strukturen. Konflikte und ihre Bewältigung in den Bereichen der Gesellschaft. Zürich 1973, ISBN 3-290-11321-3.
  • Thomas Sauer: Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises. (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 2), München 1999, ISBN 3-486-56342-4.
  • Rulf Jürgen Treidel: Evangelische Akademien im Nachkriegsdeutschland. Gesellschaftspolitisches Engagement in kirchlicher Öffentlichkeitsverantwortung. (Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur Zeitgeschichte Bd. 22), Stuttgart 2001, ISBN 3-17-016878-9.
  • Albrecht Esche: Reich Gottes in Bad Boll – Die Stätten der Blumhardts und ihre Geschichten. Edition Akademie Bd. 10, Bad Boll 2005.
  • Monika Barz, Eva-Maria Garber, Carmen Rivuzumwami: geträumt – gewagt – gelebt. Bad Boller Anfänge der kirchlichen Lesbenbewegung 1985–2005. Edition Akademie Bad Boll 2005. ISBN 3-936369-19-4.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Tobias Ignée: Dutschke und Bloch – späte Freunde. SWR, 16. Januar 2019, abgerufen am 20. August 2023.
  2. Arno Münster: Ernst Bloch. Eine politische Biographie. 2. Auflage, CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2012, ISBN 978-3-86393-036-3, S. 348.
  3. Uwe Walter: In Bad Boll ein Butzemann? Die Dutschke-Bloch-Tagung im Februar 1968. Evangelische Akademie Bad Boll, Bad Boll 2005 (PDF, ca. 130 KB).
  4. Die Ökumenische Initiative Mittelamerika stellt sich vor@1@2Vorlage:Toter Link/www.ini-ecumenica.org (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven) Auf der Website der Ökumenische Initiative Mittelamerika. (Abgerufen am 12. Februar 2012.)
  5. Bad Boll: Ein Ort der Debatte und des Ausgleichs. In: Stuttgarter Nachrichten. 27. November 2019, abgerufen am 19. November 2022.
  6. Martin Kloke: Israelkritik und Antizionismus in der deutschen Linken: ehrbarer Antisemitismus? In: Monika Schwarz-Friesel, Evyatar Friesel, Jehuda Reinharz (Hrsg.): Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte. De Gruyter, Berlin 2010, ISBN 3-11-023010-0, S. 73–92, Zitat S. 86 und Fn. 32
  7. a b Martin Niewendick: Antisemitische BDS-Kampagne: Israel-Feinde zu Gast bei der evangelischen Kirche. Die Welt, 21. September 2018
  8. Martin Krauss: Boykott: „Zeit zu handeln“. JA, 16. Mai 2011
  9. Thomas Klatt: Kritische Solidarität? Nahost-Tagung in Bad Boll wird zum Politikum. evangelisch.de, 21. September 2018; Volker Beck: Die Kirche muss Stellung beziehen. Jüdische Allgemeine, 21. September 2018