Fastnachtshexe

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Offenburger Hexe
Gengenbacher Hexe, 2014

Die Fastnachtshexe ist eine populäre Narrenfigur insbesondere der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, auch in den Alpenländern Schweiz und Österreich.[1] Der Ursprung der Fastnachtshexe fand bislang keine zureichende Erklärung. Ob sich die Figur historisch von der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung oder von der Bildsprache der Märchen-Hexe herleiten lässt, ist Gegenstand einer kritischen Diskussion.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorläufer der heutigen Hexenfiguren sind schon aus dem Mittelalter überliefert: Männer in Frauenkleidern, die nach dem Motto Verkehrte Welt kostümiert waren. Alte Weiber, Unholdinnen, wilde Weiber, Kräuterweiber („Schrättele“) waren zudem lange vor der Etablierung der Fasnachtshexe heutiger Prägung Bestandteil der schwäbisch-alemannischen und alpenländischen Fastnacht. Die älteste erhaltene Hexen-Maske ist eine „Hexenmutter“-Larve und stammt aus Tirol, wo Fastnachtshexen schon seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt und bis heute verbreitet sind, etwa beim Nassereither Schellerlaufen und Imster Schemenlaufen. In Österreich zählen Hexenfiguren bei „Perchtenläufen“ zu den „schiachen“ (obdt. für hässlich, schlimm, böse) Perchten.

In Furtwangen und anderen südwestdeutschen Orten lässt sich ein Fastnachtsbrauch bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, bei dem es ab dem 20. Januar den Buben erlaubt war, sich mit Frauenkleidern – noch ohne Masken – als „Hexen“ zu verkleiden. Diese „Hexen“ waren Figuren der unorganisierten bäuerlichen Fastnacht, zu deren Handwerk neben dem Besenumtrieb auch das Rußeln gehören konnte, wie es heute noch von Rußhexen in Empfingen ausgeführt wird.

Als älteste Fastnachtshexen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht gelten zwei Figuren aus der Ortenau – die Offenburger Hexe und die Gengenbacher Hexe, sowie die Löffinger Hexe aus dem Hochschwarzwald, die dort jeweils um 1935 eingeführt wurden und erstmals geschnitzte Holzmasken trugen.[2] In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Fastnacht zu einem Vorzeigestück des Volksbrauchtums, wobei besonders die seinerzeit aufkommenden Hexenfiguren als vermeintlicher Ausdruck der „Volksseele“ ideologisch vereinnahmt und propagiert wurden.[3] So führten etwa bei der Einweihung des Hauses der deutschen Kunst in München die Offenburger Hexen bei einer in großem Stil inszenierten Walpurgisnacht ihren „Hexentanz“ auf.[4] Noch in den 1930er Jahren und vor allem in den Jahrzehnten nach 1950 verzeichnete man in vielen örtlichen Fastnachten eine starke Zunahme von neuen Hexenfiguren. Seit den 1980er Jahren beklagen die Brauchpfleger gar ein „inflationäres Überhandnehmen der Hexen“ in der südwestdeutschen Fastnachtslandschaft.[5]

Hexenfiguren sind vermutlich aufgrund ihres wenig reglementiert erscheinenden, wilden Verhaltens bei Narrensprüngen und bei der Straßenfasnet populär und haben sich von der Ortenau in das gesamte Verbreitungsgebiet der schwäbisch-alemannischen Fastnacht ausgebreitet und in Hexenzünften organisiert. Sie sind mittlerweile in allen anderen Regionen zu finden, weniger jedoch in den besonders traditionsbewussten Hochburgen.

Kritik an der Figur der Fastnachtshexe wird aus kulturgeschichtlicher und feministischer Sicht geäußert.[6]

Otto Kubel: Hänsel und Gretel am Hexenhaus, Märchenillustration um 1930.
Hexenverbrennung in Derenburg. Flugblatt, 1555 in Nürnberg bei Jörg Merckel gedruckt.

Die traditionelle Fastnachtshexenfigur mit ihrer stereotypen Erscheinungsform als alte, hässliche und hinterlistig-lauernde Frau geht nach Ansicht des Volkskundlers Werner Mezger auf die aus Märchen bekannten Hexengestalten, exemplarisch auf die romantisierte „böse Hexe“ im Märchen Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm zurück und hätte demzufolge „nichts mit den tragischen Opfern früherer Hexenverfolgungen zu tun.“[7] Von vielen Hexenzünften wird diese Herleitung unkritisch übernommen, sofern sie den fraglichen Zusammenhang mit der Geschichte der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung auszuschließen scheint.

Hexenzunft Obernheim: „Landsknechte des Hofstaats“ zerren „Unholda Moser“ am Strick zum „Hexenprozess“, 2016.

Andere Hexenzünfte stellen diesen Zusammenhang dagegen ausdrücklich her und verweisen bei der Gestaltung und Namensgebung ihrer Figuren und ritualisierten Inszenierungen („Hexensabbat“ mit dem „Teufel“, „Hexentaufe“, „Hexentanz“, „Hexengericht“ u. a.) auf Deutungsmuster des Volksglaubens und zum „Hexenwesen“ zur Zeit der Hexenverfolgung. So rekurriert die 1939 gegründete Hexenzunft Obernheim e. V. bei ihrem fastnachtlichen Treiben auf historische Hexenprozesse mit Folterung und Hinrichtung („Hexenverbrennung“) der wegen sogenannter „Teufelsbuhlschaft“ verurteilten Frauen,[8] was ihr 1988 in Hechingen eine von einem Amtsrichter erstattete Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, nämlich das der unzähligen Opfer der Hexenverfolgung, einbrachte. Das Ermittlungsverfahren wurde unter anderem mit der Begründung eingestellt, „dass es auch an einer Persönlichkeitsverletzung eines konkret bestimmbaren Personenbereichs fehle.“[9] Der 2014 gegründete Engstlatter „Murschel-Hexen“ e. V. bezog sich sogar namentlich auf eine im 16. Jahrhundert in Balingen der „Hexerei“ bezichtigte, eingesperrte und gefolterte Frau: Anna Murschel. Nach Kritik der Balinger Historikerin Ingrid Helber an der Hexengruppe und deren „pietätlosen“ und „makabren“ Namenswahl[10] beschloss der Verein 2016, sich in „Murschel-Weible“ umzubenennen.[11]

Saulgauer „Riedhutzel“, 2011

Die von der 1935 gegründeten „Dorauszunft Saulgau“ tradierte Inszenierung der „Hexenverbrennung“ bzw. „Fastnachtsverbrennung“ am Fastnachtsdienstag geriet wie der Obernheimer „Hexenprozess“ in die Kritik, da auch sie an die Hinrichtungspraxis zur Zeit der Hexenverfolgung erinnert, bei der Frauen als „Hexen“ auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Vom örtlichen Arbeitskreis „Hexenverfolgung“ war in Bad Saulgau 2017 zudem eine namentliche Gedenkstele für die Opfer von nachweislich 46 Hexenprozessen 1518–1732 eingeweiht worden.[12] Die bei Fastnachtsverbrennungen üblicherweise verwendete, die Fastnacht symbolisierende Strohpuppe wird in Bad Saulgau personifiziert, im Häs einer „Riedhutzel“-Hexe verbrannt. In einem Käfigwagen aus Holz vor ein Podest gefahren, wird ein „Riedhutzel“-Hästräger von den Bütteln, der Bad Saulgauer Narrenpolizei, übernommen und mit Schlägen ihrer „Saublodern“ aufs Podium getrieben. Schließlich wird eine vorbereitete („gesetzte“) „Riedhutzel“-Puppe in einem lodernden Feuer angezündet und an einer Stange auf dem Podium hochgezogen und verbrannt.[13] Die Zunft reagierte auf entsprechende Kritik in den letzten Jahren abwehrend, bezeichnete sie als „leidiges Herummäkeln an der Tradition“ und lehnt Änderungen an der Inszenierung ihrer „Hexenverbrennung“ ausdrücklich ab, wenn sie auch offiziell so nicht mehr genannt wird.[14]

„Gfäll-Hexen“, Simonswald, mit einer Zuschauerin im „Hexenbett“. Narrenumzug in Waldkirch, 2020

Fastnachtshexen wurden und werden überwiegend von jungen Männern verkörpert. Während zahlreiche Hexenzünfte inzwischen Frauen und Kinder aufnehmen, sind u. a. bei der Offenburger Hexenzunft ausschließlich volljährige Männer als Maskenträger „zugelassen“, die zudem eine zweijährige „Probezeit“ absolviert haben müssen. Bei Umzügen ist es verbreiteter Brauch, dass die „traditionell“ männlichen „Hexen“ beim sogenannten „Ärgern“ der Besucher vor allem junge Frauen auswählen, diesen dabei Konfetti in die Haare reiben oder sie in mitgeführte „Hexenwagen“ zerren bzw. in „Hexenkäfige“ sperren und dort mit Stroh, Heu oder Papierschnipseln „einseifen“.[15] Beim Nachtumzug 2018 der Hexenzunft Eppingen erlitt eine junge Zuschauerin schwere Verbrühungen an den Beinen, als sie von einem oder mehreren Mitgliedern der Hexengruppe „Bohbrigga Hexenbroda“ „im Scherz“ über einen mitgeführten „Hexenkessel“ gehalten wurde, dabei mit den Beinen in kochend heißes Wasser geriet und anschließend ohne Ersthilfe zurückgelassen wurde. Der Fall löste eine allgemeine Debatte über Narrenumzüge aus und machte als „Hexenkessel-Prozess“ juristisch Schlagzeilen. Aufgrund der Maskierung der 18-köpfigen Hexengruppe erwies sich die Identifizierung der Beteiligten als schwierig.[16] Ein Angeklagter wurde 2018 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, hatte seine Tatbeteiligung bestritten und ging in Berufung. Da ihm die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, wurde er 2020 freigesprochen. Die Hexengruppe hatte sich 2018 wegen des Vorfalls aufgelöst und auch Nachtumzüge gab es in Eppingen seitdem nicht mehr.

Kostüme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Narrenhäs der Hexenfigur wird durch eine traditionell in Holz geschnitzte, mitunter auch aus Pappmaché gefertigte, bemalte Larve mit Hakennase, Warzen, Runzeln, wenigen bzw. schiefen Zähnen und starrenden Augen geprägt. In einzelnen Fällen wird das Gesicht angemalt oder mit einer Draht- oder Stoffmaske verhüllt. Bei der Kleidung dominieren Kopftücher, derbe Kittel, ausladende Röcke, weiße Bauernunterwäsche, Woll- oder Ringelstrümpfe und Strohschuhe. Dazu trägt die Hexe einen Reisigbesen, mitunter auch eine Ratsche.

Galerie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Dieter R. Bauer: Die Gegenwart der Hexen. Ein Überblick. In: Sönke Lorenz / Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten, Aufsatzband, Cantz Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-89322-659-1, S. 161–171.
  • Jörg Kraus: Bedrohungsmetapher mit utopischem Gehalt: die Hexe in der Fasnacht. In: Die Fasnetshex. Narrenfigur mit Rollenproblemen, Materialien 8/1988, hrsg. von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, S. 55–69.
  • Jörg Kraus: Der Weg der Hexe in die Fasnacht. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, S. 57–76.
  • Werner Mezger: Schwäbisch-alemannische Fastnacht: Kulturerbe und lebendige Tradition. Mit Fotografien von Ralf Siegele. Konrad Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-2947-9, S. 74 f.
  • Elisabeth Skrzypek: „Toll trieben es die Weiberschaften…“ Frauen feiern die fünfte Jahreszeit, Reutlingen 2016, S. 79–89.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Fastnachtshexen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alemannische Larvenfreunde, Maskenmuseum: www.larvenfreunde.de.
  2. Jörg Kraus: Der Weg der Hexe in die Fasnacht. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, S. 66 ff.
  3. Hermann Eris Busse: Alemannische Volksfasnacht. Verlag C.F. Müller, Karlsruhe 1937, S. 71.
  4. Dieter R. Bauer: Die Gegenwart der Hexen. Ein Überblick. In: Sönke Lorenz / Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten, Aufsatzband, Cantz Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-89322-659-1, S. 162.
  5. Werner Mezger: Schwäbisch-alemannische Fastnacht: Kulturerbe und lebendige Tradition. Mit Fotografien von Ralf Siegele. Konrad Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-2947-9, S. 75.
  6. Jörg Kraus: Der Weg der Hexe in die Fasnacht. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, S. 58 und S. 105.
  7. Werner Mezger: Schwäbisch-alemannische Fastnacht: Kulturerbe und lebendige Tradition. Mit Fotografien von Ralf Siegele. Konrad Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-2947-9, S. 75; vgl. hierzu: Fasnetshexe basiert auf Grimms Märchen. In: Schwäbische Zeitung, 15. März 2015 (schwaebische.de).
  8. Werner Lissy: Alles Wehklagen hilft nichts: Unholda Moserin stirbt den Feuertod. In: Schwarzwälder Bote, 3. März 2019 (schwarzwaelder-bote.de); vgl. Zunfthistorie unter: hexenzunft-obernheim.de.
  9. Dieter R. Bauer: Die Gegenwart der Hexen. Ein Überblick. In: Sönke Lorenz / Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten, Aufsatzband, Cantz Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-89322-659-1, S. 163; vgl.: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, S. 58.
  10. Balingen. Historikerin empört über Murschel-Hexen. In: Schwarzwälder Bote, 20. Januar 2015 (schwarzwaelder-bote.de).
  11. Detlev Hauser: Aus der Hexe ist ein Weible geworden. In: Schwarzwälder Bote, 12. September 2016 (schwarzwaelder-bote.de).
  12. Dirk Thannheimer: 27 Namen erinnern an dunkles Kapitel. Feierliche Übergabe der Erinnerungsstele in Gedenken an Opfer der Hexenverfolgung. In: Schwäbische Zeitung, 22. November 2017 (schwaebische.de).
  13. Hexenverbrennen 2023 in Bad Saulgau, Filmdokument auf youtube.com.
  14. Rudi Multer: Hinrichtung. Kritik an Fasnetsverbrennen. Erinnerung an Hinrichtung von Frauen. In: Schwäbische Zeitung, 2. März 2018 (schwaebische.de).
  15. Zum mehr oder weniger reglementierten, auch sexualisierten und übergriffigen „Hexenunwesen“ bei Fastnachtsumzügen: Lea Dillmann: Brauchtum oder Belästigung? Ritualisierte Grenzüberschreitung in der Fasnet. In: Schwäbische Zeitung, 28. Januar 2024 (schwaebische.de); vgl.: Gabriele Bartsch: „Bei uns kann man Rabbatz machen“ oder: Die kontrollierte Zügellosigkeit. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, dort das Kapitel: Auf der Suche nach dem Unwesen, S. 82 f.
  16. Eppinger „Hexenkessel-Prozess“. Junge Frau bei Fastnachtsumzug verbrüht. In: Der Spiegel, 5. Mai 2020 (spiegel.de).