Folia

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Bei der Folia (spanisch Folía, in Tabulatur- und Notenwerken auch französisch Folie; oft La Folia) handelt es sich um ein melodisch-harmonisches Satzmodell, das seinen Ursprung als Tanzform in Portugal hat, seit dem Ende des 16. Jahrhunderts als Gebrauchsmusik nachweisbar ist und vor allem in der Barockmusik als Vorlage etlicher Variationswerke diente.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff Folia (auch Follià, Folia d’Espagne) stammt aus dem Portugiesischen (folia – „lärmende Lustbarkeit“, „übermütige Ausgelassenheit“), existiert aber auch im Italienischen (follia – „Narrheit“, „Tollheit“, „Wahnsinn“), im Französischen (la folie – „Verrücktheit“, „Wahnsinn“) und Spanischen (la folía).

Folia (betont auf dem i)[1] bezeichnet neben dem Satzmodell auch einen feurig-schnellen[2] portugiesischen Tanz des 16. Jahrhunderts, einen Gedichtstypus des 17. Jahrhunderts und Lieder spanischer und portugiesischer Herkunft, ebenfalls des 17. Jahrhunderts. Inwiefern und ob überhaupt diese Folias und das Foliasatzmodell zusammenhängen, ist noch ungeklärt.

Die Folia in der Musikgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Früheste Entwicklung der Foliamusik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im 15. und 16. Jahrhundert entstanden Musikstücke, welche zwar nicht den Namen Folia trugen, jedoch schon einige Charaktermerkmale des melodisch-harmonischen Satzmodells der späteren Folia aufwiesen: drei- bis vierstimmige Lieder in der spanischen Sammlung Cancionero de Palacio (ab 1494), Pavanen von Alonso Mudarra (in Tres libros de Música en cifras para vihuela, 1546) und Enríquez de Valderrábano (1547) sowie Ricercare von Diego Ortiz aus dem Jahr 1553. In allen diesen Fällen ist die Zugehörigkeit zum Foliatypus unsicher, da einerseits zwar Übereinstimmungen mit dem Foliasatzmodell festzustellen sind, andererseits jedoch gravierende Unterschiede bestehen (Taktart, Form, Charakter usw.).

Wegen seines ungezügelten Charakters soll der Foliatanz in seiner Frühzeit immer wieder verboten worden sein.

Die frühe Folia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 1577 trug eine typische Foliamelodie in Francisco de SalinasDe musica libri septem erstmals den Titel Folia, in der weiteren Entwicklung erschien das foliatypische Harmonieschema vor allem in Tänzen. Die frühe Folia weist nun bereits viele Gemeinsamkeiten mit der späten Folia auf: den Dreiertakt, die Homophonie, das 16-taktige Thema (2 × 8 Takte). Allerdings ist das Tempo der frühen Folia eher schnell, das Tongeschlecht der Grundtonart ist nicht immer Moll, sondern häufig auch Dur, und die rhythmischen und harmonischen Aspekte sind noch wesentlich variabler als in der späten Folia (mit ostinatem Bass, in Moll und mit der Akkordprogression i-V-i-VII-III-VII-i-V-I[3] wie zum Beispiel Dm - A - Dm - C - F - C - Dm - A - D). Schon bald entstanden die ersten Variationsreihen; die früheste stammt von Johann Hieronymus Kapsberger (19 Variationen über das Foliathema für Chitarrone, 1604). Nur wenig später erschien eine Folia in den Tabulaturen für spanische Gitarre von Girolamo Montesardo (Nuova inventione d'intavolatura, 1606).

Die späte Folia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Geiger und Komponist Arcangelo Corelli, Verfasser der wohl bekanntesten Foliavariationen

Eine Übergangszeit folgte, und die späte Folia löste die frühe ab. 1672 schrieb Jean Baptiste Lully die Air des hautbois Les folies d’Espagne. Dieses Variationswerk über das Foliathema besitzt erstmals alle charakteristischen Merkmale der späten Folia: Über einer Harmoniefolge, die immerfort von der Moll-Grundtonart in die Durparallele aufsteigt und wieder zurücksinkt, variiert Lully die typische Foliamelodie; im langsamen Dreiertakt erklingt der Rhythmus einer Sarabande. In dieser Zeit gewinnt das Harmonieschema, also die Basslinie, eine größere Bedeutung als die Melodie; die Folia gehört nun im weitesten Sinne zu den Passacaglien bzw. Chaconnen.

In den nächsten Jahren breitete sich die Folia über ganz Europa aus; etliche Foliakompositionen (vor allem Variationen über das Foliathema) entstanden und wurden zu einem Signum der Barockmusik. Die wohl bekanntesten und sehr anspruchsvollen 23 Variationen stammen von Arcangelo Corelli: eine Variationsreihe in wechselnden Tempi für Violine und Basso continuo aus op. V. Bereits zu Lebzeiten Corellis erschienen außerdem Bearbeitungen für Blockflöte. Diese Folia zählt bis heute zu den wichtigsten Werken des Blockflötenrepertoires. Das Werk wurde von Francesco Geminiani als Concerto grosso instrumentiert, existiert aber seit dem 17. Jahrhundert auch in (teilweise anonymen) Bearbeitungen für Gitarre.

Weitere Variationssätze stammen (abgesehen von anonymen Verfassern[4]) zum Beispiel von

Die Folia von der Klassik bis zur Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch nach ihrer Hoch-Zeit um 1700 geriet die Folia nicht in Vergessenheit. Zum einen wurden Foliavariationen geschrieben, die neben dem historischen Rückgriff auf das Foliamodell eigenständige Werke ihrer Zeit sind. Einige dieser Kompositionen sind

Die erste Hälfte des Foliathemas mit Variation (nach Arcangelo Corelli), transponiert nach g-Moll

Zum anderen wurde das Foliamodell, namentlich das harmonische Schema, in andere Stücke eingefügt, ganz, ausschnittsweise oder in Anlehnung. Einige Beispiele sind

Außerdem klingt das Variationsmodell der Folia in der bis heute aktuellen finnischen Folklore Lampaan Polska an, der Lamm-Polska. Sie beginnt meist mit einem ruhigen Dreiertakt, um dann mit einem flotten Nachtanz nach demselben Harmonieschema zu enden.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Giuseppe Fiorentino; Folía. El origen de los esquemas armónicos entre tradición oral y transmisión escrita. Kassel: Reichenberger, 2013. ISBN 978-3-937734-99-6. (spanisch)
  • Francisco de Salinas: De musica libri septem. Bärenreiter, Kassel 1968 (Nachdruck der Ausgabe Salamanca 1577)
  • Timo Jouko Herrmann: Eine klingende Instrumentationslehre – Antonio Salieris „26 Variationen über La Follia di Spagna“. Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Mannheim 2003/04 (Diplomarbeit)
  • Richard Hudson: The Folia, the Saraband, the Passacaglia, and the Chaconne, the Historical Evolution of Four Forms that Originated in Music for the Fivecourse Spanish Guitar, Bd. 1: The Folia, Neuhausen-Stuttgart 1982.
  • Kurt Martinez: Five Hundred Years of La Folia. In: Soundboard. Band 30, Nr. 2, 2004.
  • James Tyler: A guide to playing the baroque guitar. Indiana University Press, Bloomington und Indianapolis 2011, ISBN 978-0-253-22289-3, S. 135–153.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Wiktionary, Folia
  2. José Carlos Delgado Díaz: Die Folkore-Musik der Kanaren. Publicaciones Turquesa, Santa Cruz de Tenerife 2004, ISBN 84-95412-29-2, S. 134
  3. Frank Koonce: The Baroque Guitar in Spain and the New World. 2006, S. 28.
  4. Vgl. etwa Adalbert Quadt (Hrsg.): Gitarrenmusik des 16.–18. Jahrhunderts. 4 Bände. Nach Tabulaturen herausgegeben. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1970–1984, Band 1, S. 20 f. (Folie d’Espagne, um 1700) und 22 (Ciacona, um 1700).
  5. Adalbert Quadt (Hrsg.): Gitarrenmusik des 16–18. Jahrhunderts. 2 nach Tabulaturen für Colascione, Mandora und Angelica. Leipzig 1971, S. 1 f. und 66 (Bethune, le cadet).
  6. Adalbert Quadt: Gitarrenmusik des 16.–18. Jahrhunderts. Nach Tabulaturen hrsg. von Adalbert Quadt. Band 1–4. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1970 ff.; 2. Auflage ebenda 1975–1984, Band 1, S. 22–25 (Zwei Folie aus La Guitarre Royalle von 1670).
  7. Youtube: Folias from the „instrucción de música sobre la guitarra española“ (1697).
  8. James Tyler: A guide to playing the baroque guitar. Indiana University Press, Bloomington und Indianapolis 2011, ISBN 978-0-253-22289-3, S. 80–95.
  9. Vgl. etwa Michael Langer: Saitenwege. 500 Jahre Musik für klassische Gitarre. Band 2 (mit CD). Edition Dux, Reichertshofen 2007, ISBN 978-3-934958-56-2, S. 37–43 (Mauro Giuliani: Variationen über „La Folia“).
  10. Friedrich Gersmann: Ars Viva. Neue Gitarrenmusik in neuen Ausgaben. In: Gitarre & Laute. Band 10, Heft 2, 1988, S. 52 f.; hier: S. 53.