Fridtjof-Nansen-Haus

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Levinsche Villa (2008)

Als Fridtjof-Nansen-Haus (auch Levinsche Villa, Villa Levin) wurde zuletzt das Gebäude Merkelstraße 4 in Göttingen (Ostviertel) bezeichnet. Das Haus wurde 1899–1900 für den Tuchfabrikanten Ferdinand Levin nach Entwurf der Berliner Architekten Hans Grisebach und Georg Dinklage erbaut.

Baubeschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Bauherr: Ferdinand Levin

Die repräsentative und unter Denkmalschutz stehende Villa hat eine Grundfläche von etwa 750 m² Größe und verfügt über vier Geschosse, wovon zwei Vollgeschosse sind.[1] So ergibt sich insgesamt eine Nutzfläche von 1850 m². Treppen aus Marmor führen in die noch gut erhaltene Eingangshalle des Gebäudes, die zugleich auch als großzügiges Treppenhaus dient. Hier sind besonders reich mit Weinreben verzierte Säulen auffällig, genau so wie die von Georg Karl Rohde aus Bremen gestalteten, zu großen Teilen noch erhaltenen Farbverglasungen in Renaissanceformen.[2] Der Hallenraum diente oft auch als Veranstaltungsort von klassischen Konzerten.[3] Ein Kamin ist gesäumt von Löwenstatuen, die das alte Göttinger Wappen, ein goldenes G, tragen. Im Keller befindet sich eine mit Delfter Kacheln ausgeschmückte Küche.[4]

Die vor allem auch im äußeren Erscheinungsbild sehr repräsentative Villa ist im Burgenstil des Historismus erbaut und stilistisch dem 16. Jahrhundert angelehnt. Markant ist besonders der das Ortsbild des Ostviertels prägende belfriedartige Turm, der einen herrschaftlichen Ausblick über Stadt und Leinetal erlaubt.[1][4] In den Fassaden sind verschiedene Schmuckreliefs zu finden, die teilweise auf den Bauherrn Levin hinweisen (Webstuhl- und Widdermotiv) oder einen Bezug zu Göttingen haben (Altes Rathaus).

Ehemaliges Kutscherhaus mit Remise

Zur Villa gehörte ein überaus großes parkartiges Grundstück, das sich hangabwärts erstreckte und durch spätere Ausparzellierungen verkleinert ist, so dass sich der Teepavillon heute im westlichen Nachbargarten (Hainholzweg 31) befindet. Ebenfalls zum Villenensemble gehörten das Gärtnerhaus (jetzt Merkelstraße 6) und auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Kutscherhaus (jetzt Merkelstraße 7[5]). Beide Nebengebäude sind in Naturstein mit Fachwerk-Obergeschoss ausgeführt, mit dunklem Biberschwanz in Kronendeckung eingedeckt und weisen eine starke Gliederung mit Türmchen und Zierelementen auf. Diese Gebäude stehen ebenfalls unter Denkmalschutz.[4]

Nutzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ab 1900[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Bauherr der Villa, Ferdinand Levin (1849–1901[6]), war zusammen mit seinem Bruder Mitinhaber der Göttinger Wollwarenfabrik Hermann Levin, die beide durch Mechanisierung[5] es so weit zu Erfolg brachten, dass sie zum größten Göttinger Industriebetrieb wurden. Mittels zahlreicher soziale Einrichtungen gelang es den Levins, Arbeiterinnen und Arbeiter trotz niedriger Löhne dauerhaft an die Firma zu binden. Ferdinand Levin starb mit nur 51 Jahren und vor Vollendung der nach ihm benannten Villa am 8. Januar 1901. Seine Frau Marie, geb. von Helmolt (1856–1923[6]), übernahm bis 1905 die Leitung der Wollwarenfabrik. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie sich auch für den Bau des Feierabendhauses für pensionierte Lehrerinnen, Merkelstraße 2 engagiert, welches 1895 eingeweiht wurde. 1902 zog sie vom Wohnhaus auf dem Fabrikgelände in der Königsallee 81 (heute Levinscher Park) in die Levinsche Villa. Sie starb am 22. Mai 1923.[7] Noch bis in die 1930er-Jahre bewohnten Mitglieder der Familie Levin und ihre Bediensteten das Anwesen, welches damals noch die Adresse Waldstraße 3 hatte. So wohnte dort auch Hermann Bartold Levin, der Eigentümer der Göttinger Saline Luisenhall.[8]

Seit dem 1930er Jahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der zwischenzeitliche Namenspatron des Hauses: Fridtjof Nansen

Danach erwarb die Stadt Göttingen das Haus und vermietete es in der Folge vor allem an Professoren der Georgia Augusta. Unter den Mietern war der Nobelpreisträger James Franck der bekannteste; ihm ist auch eine der Göttinger Gedenktafeln am Haus gewidmet.[9][10] Der Keller des Hauses wurde während des Zweiten Weltkriegs als Luftschutzkeller genutzt.[11] Nach dem Krieg vermietete die Stadt Göttingen das Gebäude an die Gesellschaft für Internationale Studentenfreunde,[12] einen von Olav Brennhovd (1912–1977) gegründeten Verein zur Förderung internationaler Studierender, die hier wohnen konnten.[13] Zu dieser Zeit bekam das Haus auch seinen Namen nach dem norwegischen Zoologen Fridtjof Nansen.

Um 1952 wurde das Gebäude um einen Kinosaal und eine öffentlich zugängliche Bibliothek erweitert, 1953 kam als weiterer Anbau ein Studentenwohnheim hinzu.[4] Den Entwurf für die am 8. November 1953 ihrer Bestimmung übergebenen Anbauten fertigte die Göttinger Architektin Lucy Hillebrand an.[14]

Von 1972 bis 2018 hatte das Goethe-Institut Göttingen seinen Sitz im Fridtjof-Nansen-Haus.[15][16]

Verkauf im Jahr 2018 und Kritik daran[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem das Goethe-Institut seinen Auszug bekannt gegeben hatte, beschloss im Sommer 2017 der Rat der Stadt Göttingen, basierend auf bereits Jahre zuvor schon geführten Debatten,[17] offiziell den Verkauf der Immobilie.[18][19] Dagegen erhob sich inner- und außerparlamentarischer Protest. Zwei Göttinger Bauexperten berechneten in einem offenen Brief an die Stadt die Sanierungskosten, um Sozialen Wohnraum zu schaffen.[20] Die Göttinger Stadtratsfraktion der Linken brachte einen entsprechenden Antrag im Stadtrat ein.[21] Am 30. April 2018 wurde der seit Sommer 2017 leer stehende Wohnheimtrakt des Fridtjof-Nansen-Hauses durch die Initiative Our House Nansen 1 besetzt. Die Besetzer forderten eine städtische Nutzung für die Schaffung von sozialem Wohnraum und zur Unterbringung von damals prekär untergebrachten Geflüchteten.[22][23] Die SPD-Fraktion distanzierte sich indes von diesen Forderungen.[24] Am 15. Juni 2018 beschloss die Stadt Göttingen den Verkauf an den Hogrefe Verlag.[25][26] Die Villa wird derzeit saniert (Stand Sommer 2021).[27]

Im Jahr 2019 nutzte das Deutsche Theater Göttingen leerstehende Gebäudeteile als Spielstätte für eine Inszenierung.[3]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ilse Rüttgerodt-Riechmann: Stadt Göttingen (= Hans-Herbert Möller [Hrsg.]: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen. Band 5.1). Vieweg, Braunschweig 1982, ISBN 3-528-06203-7, S. 97–98, doi:10.11588/diglit.44170 (Digitalisate: S. 97, S. 98).
  • Goethe-Institut Göttingen (Hrsg.): Von der Levinschen Villa zum Goethe-Institut: Die Geschichte des Fridtjof-Nansen-Hauses. Flyer.
  • Exposé Verkaufsunterlagen: Historisches Ensemble in Göttingen – Ehem. Levinsche Villa und Fridtjof-Nasen-Haus, Merkelstraße 4, Hrsg. Der Oberbürgermeister der Stadt Göttingen. - 52 Seiten, PDF, 4,8 MB. Nicht mehr im Original auf goettingen.de erreichbar. Digitalisat archiviert auf web.archive.org, abgerufen am 2. August 2021. (Enthält auch Innenaufnahmen)
  • Claudia Kromrei: Hans Grisebach. Ein Architekt und sein Werk. Verlag Niggli, Salenstein (Schweiz) 2020, ISBN 978-3-7212-1010-1 (Buchrezension, auf tagespiegel.de, abgerufen am 3. August 2021), S. 236–239 und S. 287 (teilweise mit fehlerhaften Angaben).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Fridtjof-Nansen-Haus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Rüttgerodt-Riechmann, Stadt Göttingen (siehe Abschnitt Literatur), abgerufen am 7. Mai 2013.
  2. Wolfgang Brönner: Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830–1900. Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 2009, ISBN 978-3-88462-286-5, S. 351.
  3. a b Peter Krüger-Lenz: Deutsches Theater Göttingen: Drama im Fridtjof-Nansen-Haus. Göttinger Tageblatt, 12. Juli 2019, abgerufen am 11. Juni 2021.
  4. a b c d Stadt Göttingen, Exposé Verkaufsunterlagen (siehe Abschnitt Literatur), abgerufen am 5. April 2021.
  5. a b Frische Ideen in historischen Mauern: AMARETIS bezieht neue Räume. AMARETIS Agentur für Kommunikation, Göttingen, 18. Juni 2020, abgerufen am 5. April 2021.
  6. a b Christian Scholl, Harald Storz: Sichtlich evangelisch. Die Glasfenster der Jakobikirche in Göttingen von 1900/1901 und die Hannoveraner Glasmalwerkstätten Henning & Andres und Lauterbach & Schröder. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2017, ISBN 978-3-86395-302-7 (Digitalisat auf univerlag.uni-goettingen.de, abgerufen am 7. Oktober 2022), S. 101.
  7. Christian Scholl und Harald Storz: Die Auftraggeber, Stifter, Künstler, Bau- und Kunsthandwerker: 2. Die Stifter. In: Sichtlich evangelisch: Die Glasfenster der Jakobikirche in Göttingen von 1900/1901 und die Hannoveraner Glasmalwerkstätten Henning & Andres und Lauterbach & Schröder. Universitätsverlag, Göttingen 2017, ISBN 978-3-86395-302-7, S. 101 (oapen.org [PDF; 11,6 MB; abgerufen am 5. April 2021]).
  8. Michael Schäfer: Erster Bewohner ist Hausmeister Apenberg. In: Villa Merkelstraße 3. Göttinger Tageblatt, 13. November 2012, abgerufen am 6. April 2021.
  9. Gedenktafeln für Personen. Stadtarchiv Göttingen, abgerufen am 5. April 2021.
  10. Siegfried Schütz, Walter Nissen: Göttinger Gedenktafeln: Ein biografischer Wegweiser. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-525-30081-7, S. 72–73 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  11. Chronik für das Jahr 1945. In: Chronik. Stadtarchiv Göttingen, abgerufen am 8. April 2021 (darin: 8. April 1945): „Die erste Lage war auf den Luftschutz-Befehlsstand in der ehemaligen Levinschen Villa, Merkelstraße 4 gerichtet.“
  12. Erlaß von Mietrückständen der Gesellschaft „Internationale Studentenfreunde e.V.“, Fridthof-Nansen-Haus, Merkelstraße 4. In: Stadtarchiv Göttingen C 28 Nr. 610. Archivinformationssystem Niedersachsen und Bremen, 26. September 1952, abgerufen am 5. April 2021.
  13. Erling Rimehaug: Hassen kann ich nicht: Olav Brennhovd – Sein Leben für die Völkerverständigung. Hogrefe, Göttingen 2020, ISBN 978-3-8017-3035-2 (187 S., eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). Siehe dazu auch: Brennhovd-Biografie: Ein Leben für Toleranz und Völkerverständigung. Hogrefe-Verlag, 26. November 2019, abgerufen am 6. April 2021.
  14. Chronik für das Jahr 1953. In: Chronik. Stadtarchiv Göttingen, abgerufen am 22. November 2013.
  15. Goethe-Institut Göttingen (Memento vom 9. Juli 2017 im Internet Archive).
  16. Vera Wölk: Goethe-Institut feiert Sommerfest. Göttinger Tageblatt, 30. August 2017;. Siehe auch: Sommerspektakel im Fridtjof-Nansen-Haus, Merkelstrasse 4, 26. 08. 2017, 17–22 h. (PDF; 392 kB) Einladungsflyer. Goethe-Institut Göttingen, 22. Juni 2017, abgerufen am 6. April 2021.
  17. Mehr Transparenz in Bieterverfahren. (PDF; 1,0 MB) Antrag der Fraktionen CDU/FDP. In: Ratsbeschlusskontrollliste. Stadt Göttingen, Rat der Stadt, 13. September 2013, S. 113, abgerufen am 5. April 2021: „Aktuell wurde das Bieterverfahren im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf des Fridtjof-Nansen-Haus vorgestellt.“
  18. Verkauf der Immobilie „Merkelstraße 4“ - Vorstellung Verkaufsunterlagen. (PDF; 103 kB) Vorlage. In: 7. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Bauen, Planung und Grundstücke. Stadt Göttingen. Ausschuss für Bauen, Planung und Grundstücke, 6. April 2017, abgerufen am 5. April 2021.
  19. Vorstellung des Exposé-Entwurfes für die beabsichtigte Veräußerung des Fridtjof-Nansen-Hauses. (PDF; 129 kB) Vorlage. In: 14. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Bauen, Planung und Grundstücke. Stadt Göttingen. Ausschuss für Bauen, Planung und Grundstücke, 19. Oktober 2017, abgerufen am 5. April 2021 (ungeändert beschlossen).
  20. Michael Brakemeier: Fridtjof-Nansen-Haus: Verkauf oder Nachnutzung? Göttinger Tageblatt, 6. Juni 2018, abgerufen am 1. Juli 2018.
  21. Neue Nutzungsmöglichkeiten des Fridtjof-Nansen-Hauses. Antrag für die Ratssitzung am 15. Juni 2018. In: Reden und Anträge. DIE LINKE. Göttinger Linke Ratsfraktion, abgerufen am 5. April 2021.
  22. Besetzung des leerstehenden Wohnheims des Goethe-Instituts: Menschenwürdiger Wohnraum statt Unterbringung in Lagerhalle. Pressemitteilung. Our House Nansen 1, 30. April 2018, abgerufen am 1. Juli 2018. Siehe auch: POL-GÖ: (242/2018) Polizei Göttingen räumt besetztes Gebäude im Ostviertel. Pressemeldung. Polizeiinspektion Göttingen, 7. Mai 2018, abgerufen am 8. April 2021.
  23. Matthias Heinzel: Nansen-Initiative demonstriert für sozialen Wohnraum. Göttinger Tageblatt, 15. Juni 2018, abgerufen am 1. Juli 2018.
  24. Statement der SPD zur Besetzung des Fridtjof-Nansen-Hauses. Pressemitteilung. SPD-Fraktion im Rat der Stadt Göttingen, 3. Mai 2018, abgerufen am 7. April 2021.
  25. Britta Bielefeld: Stadt verkauft Fridtjof-Nansen-Haus an Hogrefe-Verlag. Göttinger Tageblatt, 16. Juni 2018, abgerufen am 1. Juli 2018.
  26. Ratssitzung am 15. Juni 2018. In: Nachrichten aus dem Rathaus der Stadt Göttingen. Stadt Göttingen, Referat für Öffentlichkeitsarbeit, 19. Juni 2018, abgerufen am 7. April 2021.
  27. Göttinger Fridtjof-Nansen-Haus: Eigentümer meldet sich zu Wort. Göttinger Tageblatt, 22. Mai 2020, abgerufen am 5. April 2021.

Koordinaten: 51° 32′ 4,4″ N, 9° 57′ 3,7″ O