Fritz Leonhardt

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Schwedenbrücke, im Hintergrund hell beleuchtet die Urania (Wien)

Fritz Leonhardt (* 11. Juli 1909 in Stuttgart; † 30. Dezember 1999 ebenda) war einer der einflussreichsten deutschen Bauingenieure des 20. Jahrhunderts.

Studium und Lehrjahre in den USA

Leonhardt war der Sohn eines Architekten. Nach seinem Abitur 1927 am Dillmann-Realgymnasium (heute Dillmann-Gymnasium) studierte er Bauingenieurwesen an der Technischen Hochschule Stuttgart mit dem Diplom 1931. Zu seinen Lehrern gehörten Emil Mörsch im Massivbau und Hermann Maier-Leibnitz im Stahlbau. Leonhardt konsultierte auch später für Versuche oft das Materialprüfungsanstalt Stuttgart (MPA Stuttgart) unter Otto Graf. Nach dem Studium, das er als Jahrgangsbester abschloss, fand er aufgrund der Weltwirtschaftskrise zunächst wie viele andere seiner Studienkollegen keine feste Stelle (er war vorübergehend Statiker bei den Süddeutschen Hammerwerken in Bad Mergentheim), bis er 1932 von der Universität Stuttgart das Angebot erhielt, ein Auslandsstudienprogramm an der Purdue University aufzubauen. Er studierte an der Purdue University bei Solomon C. Hollister, zu dem er gute Kontakte behielt, und bereiste ein halbes Jahr Nordamerika und Mexiko, wo er bedeutende Ingenieurbauten besichtigte, besonders Brücken. Bei seinem Onkel Otto Nissler, der Ingenieur bei der Bethlehem Steel Corporation war, kam er an Pläne der Golden Gate Bridge, die gerade in Bau war.[1] Er besuchte auch die im Bau befindliche George Washington Bridge in New York, die erste amerikanische Brücke, die die 1000 m Spannweiten-Marke überstieg, deren Bauleiter Othmar H. Ammann ihn persönlich empfing und ihm die Pläne zugänglich machte. Im Oktober 1933 kehrte er nach Deutschland zurück. Die Berufsaussichten als Ingenieur hatten sich inzwischen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland verbessert - zuvor hatte er zeitweise überlegt, in den USA zu bleiben.

Beginn seiner Karriere bis zum Zweiten Weltkrieg

Von 1934 bis 1938 war er Brückenbauingenieur bei der Reichsautobahn-Gesellschaft. Sein Mentor im Brückenbau war dort war Karl Schaechterle, der ebenfalls in Stuttgart studierte hatte. Mit ihm war er unter anderem am Bau der großen Sulzbachtalbrücke bei Denkendorf, der Donaubrücke Leipheim und der Rohrbachtalbrücke Stuttgart beteiligt. Leonhardt kam auch mit dem Architekten der Reichsautobahn-Gesellschaft Paul Bonatz in Kontakt, der die Brückenentwürfe architektonisch begutachtete. 1938 wurde ihm von Fritz Todt die Projekt- und Bauleitung der Hängebrücke über den Rhein der Reichsautobahn, der Rheinbrücke Köln-Rodenkirchen, übertragen, ein Prestigeprojekt der Reichsautobahn. Viele der Mitarbeiter, die er dazu in sein Team holte, wie Willi Baur und Wolfhardt Andrä, waren nach dem Krieg in seinem Ingenieurbüro Leonhardt und Andrä tätig.[2] Er verwertete dabei Erfahrungen aus seiner Zeit in den USA und war damit bis zur Einweihung 1941 befasst, da der Bau durch den Kriegsausbruch verzögert wurde.

1939 gründete er in München ein Ingenieurbüro, das noch heute unter dem Namen Leonhardt, Andrä & Partner existiert. Sein Büro war beteiligt an den Nazi-Planungen für eine neue "Große Achse" in München, einschließlich eines neuen Hauptbahnhofs, für den er erste Berechnungen zu einer Kuppel von 245 Meter Durchmesser machte, bevor die Planungen kriegsbedingt eingestellt und nie mehr aufgenommen wurden. Wolfhart Andrä arbeitete 1941 in seinem Büro auch an Planungen einer Öresundquerung mit einer Hängebrücke mit drei 756 Meter langen Hauptfeldern.[3] Leonhardt hatte das Ingenieurbüro mit Erlaubnis von Todt speziell für die Planungen in München gegründet[4] und gab die unmittelbare Bauleitung an der Rheinbrücke in Rodenkirchen in dieser Zeit ab. 1939 trat er in die NSDAP ein. Leonhardt lieferte auch Entwürfe für andere Prestigeprojekten der Nationalsozialisten, so (ungefragt) für die geplante Elbhochbrücke, die als Hängebrücke mit 1300 m Gesamtlänge in amerikanische Dimensionen vordringen sollte, das Gauhochhaus in Hamburg (wo er eine Vorhangfassade vorsah, die damit für Hochhäuser eine der Ersten in Europa gewesen wäre) und eine Hängebrücke in Linz. In München arbeitete er eng mit dem Generalbaurat Hermann Giesler zusammen. Nach dem Tod von Fritz Todt 1942 wurde Albert Speer dessen Nachfolger und die Lage änderte sich. Die Bautätigkeit wurde auf Kriegswichtiges beschränkt und zivile Großprojekte eingestellt. Ab 1943 wurde Leonhardt Hauptbauleiter der Organisation Todt in Estland (Einsatzgruppe der Organisation Todt Russland-Nord), wo er den Bau der Baltöl-Werke leitete. Als sich die Kriegslage dort wendete war er 1944 kurz beim Bau des geplanten Führerhauptquartier Projekt Riese im Eulengebirge, bevor es ihm gelang sich dank seiner guten Kontakte nach München versetzen zu lassen, wo er bis Kriegsende die Forschung und Entwicklung der Organisation Todt leitete.

Karriere nach dem Krieg

Er wurde bekannt durch den Bau zahlreicher Brücken, Hochhäuser und Fernsehtürme in Stahl- und Spannbeton-Bauweise. Den Spannbeton lernte er während seiner Zeit bei der Organisation Todt in Estland durch einen Aufsatz von Eugène Freyssinet von 1941 kennen, zu dem er auch noch während des Krieges zweimal nach Frankreich reiste. Begünstigt wurde die Verbreitung des Spannbetons in Deutschland nach dem Krieg etwa im Brückenbau durch den Mangel an Stahl (den Wiederaufbau der Rheinbrücke Köln-Deutz ab 1946 durch Leonhardt war eine Ausnahme, da er den Stahl dank persönlicher Kontaktaufnahme zum britischen Oberbefehlshaber Bernard Montgomery zur Verfügung bekam[5]). Gleich nach Kriegsende gründete er ein Ingenieurbüro und die erste Spannbetonbrücke entstand 1948 im Schwarzwald. Der von ihm erbaute Stuttgarter Fernsehturm war der weltweit erste Fernsehturm in Stahlbetonbauweise, der zum Prototyp vieler weiterer solcher Bauwerke wurde. Zusammen mit Wolfhardt Andrä gründete Leonhardt 1953 das Ingenieurbüro Leonhardt und Andrä, seit 1970 um Partner erweitert unter Leonhardt, Andrä und Partner (LAP) firmiert. Von 1957 bis 1974 war Leonhardt Professor für Massivbau der TH Stuttgart, von 1967 bis 1969 auch Rektor.

In dieser Zeit war er maßgeblich an der Planung der für das Richtfunknetz erforderlichen Typentürme beteiligt. Sein Büro erstellte die Tragwerkplanung für das Zeltdach des Münchner Olympiageländes und ermöglichte so die Bauausführung des von Günter Behnisch noch ohne Wissen über die Verwirklichung entworfenen Modells. Leonhardt kann als Hauptvertreter der "Stuttgarter Schule des Konstruktiven Ingenieurbaus"[6] gelten, in deren Zentrum der Leichtbau steht. So publizierte er 1940 den Aufsatz "Leichtbau - eine Forderung unserer Zeit. Anregungen für den Hoch- und Brückenbau".[7] Mit Willi Baur (1913-1978) entwickelte er das Taktschiebeverfahren im Brückenbau. Die 1956 gebaute Nordbrücke (Theodor-Heuss-Brücke) in Düsseldorf war eine der ersten Schrägseilbrücken weltweit und setzte Maßstäbe. Sein Büro plante danach weltweit viele weitere Schrägseilbrücken.

Nach seiner Emeritierung wurde Jörg Schlaich sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl. 1975 erhielt Leonhardt die Goldmedaille der Institution of Structural Engineers.

Ehrungen

Fritz Leonhardt wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht, darunter mit dem Großen Verdienstkreuz und sechs Ehrendoktorwürden. 1981 wurde er mit dem Award of Merit in Structural Engineering der Internationalen Vereinigung für Hochbau und Brückenbau IVBH ausgezeichnet. 1982 wurde Leonhardt Ehrenmitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. 1998 wurde eine bis dahin namenlose Realschule im Stuttgarter Stadtteil Degerloch nach ihm benannt. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Stuttgart.

Der nach ihm benannte Fritz-Leonhardt-Preis wird alle drei Jahre an herausragende Bauingenieure verliehen, 2015 zum sechsten Mal.[8]

Bauwerke

Fernsehturm Stuttgart

Literatur

  • Joachim Kleinmanns und Christiane Weber (Hrsg.): Fritz Leonhardt 1909–1999. Die Kunst des Konstruierens/The art of engineering, Edition Axel Menges, Fellbach 2009, ISBN 978-3-936681-28-4 (deutsch, englisch).
  • Christiane Weber: Fritz Leonhardt. „Leichtbau, eine Forderung unserer Zeit, Anregungen für den Hoch- und Brückenbau“. Zur Einführung baukonstruktiver Prinzipien im Leichtbau in den 1930er und 1940er Jahren, Materialien zur Bauforschung und Baugeschichte 18, KIT Scientific Publishing, 2011
  • Klaus Stiglat: Bauingenieure und ihr Werk, Berlin 1994 (mit Interview von Stiglat mit Leonhardt, auch in Beton- und Stahlbetonbau, Band 89, 1994, Nr.7, S. 181-188)
  • Wilhelm Zellner[9]: Fritz Leonhardt zum 90. Geburtstag, Der Stahlbau, Band 68, Nr.7, Sonderheft zu Leonhardts 90. Geburtstag, 1999
  • Wilhelm Zellner: Fritz Leonhardt (1909-1999), Ein Leben als Bauingenieur in der Gesellschaft, VDI Gesellschaft Bautechnik, Jahrbuch 2001, S. 289-342

Schriften

  • Ingenieurbau – Bauingenieure gestalten die Umwelt. Carl Habel Verlag, Darmstadt 1974.
  • Baumeister in einer umwälzenden Zeit. Erinnerungen, DVA 1984
  • Der Bauingenieur und seine Aufgaben, DVA, 2. Auflage 1981 (zuerst 1974 als Ingenieurbau: Bauingenieure gestalten die Umwelt, Darmstadt: Habel)
  • Brücken. Ästhetik und Gestaltung, 4. Auflage, DVA 1994
  • mit Erwin Heinle: Türme aller Zeiten - aller Kulturen, DVA 1988
  • Spannbeton für die Praxis, Ernst und Sohn, 1955, 3. Auflage 1973
  • mit Karl Schaechterle: Hängebrücken, 3 Teile, Die Bautechnik, Band 19, 1941
  • mit Karl Schaechterle: Die Gestaltung der Brücken, Berlin: Volk und Reich 1937
  • Anleitung für die vereinfachte Trägerrostberechnung : mit Hilfstafeln, Formeln und Beispielen, Berlin: Ernst 1940
  • mit Paul Bonatz: Brücken, Königstein/Taunus: Köster 1960 (zuerst Langewiesche 1951)
  • mit Eduard Mönning: Vorlesungen über Massivbau, Teil 1, Grundlagen zur Bemessung im Stahlbetonbau, 3. Auflage Springer 1984
  • mit Eduard Mönning: Vorlesungen über Massivbau, Teil 2, Sonderfälle der Bemessung im Stahlbetonbau, 3. Auflage, Springer 1986
  • mit Eduard Mönning: Vorlesungen über Massivbau, Teil 3, Grundlagen zum Bewehren im Stahlbetonbau, Springer 1977
  • Vorlesungen über Massivbau, Teil 4, Nachweis der Gebrauchsfähigkeit: Rissebeschränkung, Formänderungen, Momentenumlagerung u. Bruchlinientheorie im Stahlbetonbau, 2. Auflage, Springer 1978
  • Vorlesungen über Massivbau, Teil 5, Spannbeton, Springer 1980
  • Vorlesungen über Massivbau, Teil 6, Grundlagen des Massivbrückenbaues, Springer 1979
  • Zu den Grundlagen der Ästhetik von Bauwerken, Sitzungsberichte Heidelberger Akad. Wiss. 1984, S. 29- 48

Weblinks

Commons: Fritz Leonhardt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Christiane Weber, Fritz Leonhardt, Leichtbau, eine Forderung unserer Zeit, Anregungen für den Hoch - und Brückenbau, KIT Scientific Publishing 2010, S. 37
  2. Christiane Weber, loc. cit., S. 71f
  3. Klaus Stiglat: Bauingenieure und ihr Werk. Ernst & Sohn, Berlin 2004, ISBN 3-433-01665-8, S. 39.
  4. Christiane Weber, loc. cit., S. 117
  5. Christiane Weber, loc. cit. S. 163
  6. Annette Bögle und Karl-Eugen Kurrer: Das strukturale Komponieren von Tragwerken bei Jörg Schlaich. In: Beton- und Stahlbetonbau. 109. Jahrgang, Nr. 11. Ernst & Sohn, Berlin 2014, S. 830 ff.
  7. Fritz Leonhardt: Leichtbau - eine Forderung unserer Zeit. Anregungen für den Hoch- und Brückenbau. In: Die Bautechnik. 18. Jahrgang, Nr. 36/37. Ernst & Sohn, Berlin 1940, S. 413–423.
  8. Erik Raidt: Werner Sobek für sein Lebenswerk ausgezeichnet. In: Stuttgarter Zeitung. Nr. 152, 6. Juli 2015, S. 16.
  9. Wilhelm Zellner, Geboren 1932, er war Partner bei Leonhardt und Andrä