Gedenkstätte Lindenstraße 54/55

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Straßenfront der Gedenkstätte

Die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 in Potsdam erinnert an die politische Verfolgung in beiden deutschen Diktaturen. Das im Volksmund „Lindenhotel“ genannte Haus diente in der Zeit des Nationalsozialismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge und wurde nach dem Krieg durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD/MGB und später die Staatssicherheit der DDR in gleicher Funktion übernommen. Nach der politischen Wende wurde es zum Haus der Demokratie und ab 2007 als Gedenkstätte genutzt.

Das Gerichtsgebäude[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zellentrakt
Innenhof
Gefängnishof

Von 1733 bis 1737 wurde das Gebäude als „Großes Holländisches Haus“ im Auftrag des Soldatenkönigs erbaut. Es handelte sich um ein barockes Stadtpalais und wurde vom Kommandeur der Leibgarde bewohnt. Das 2000 m² große Areal umfasste neben dem Wohnhaus noch Stallungen und Nutzgebäude.

Unter französischer Besatzung wurde es als Kleiderkammer und Pferdelazarett genutzt. Die Preußischen Reformen 1808 führten zu einer völligen Umwidmung des Gebäudes. Ein Aspekt der Reformen war die Einführung der Kommunalen Selbstverwaltung. 1809 wurde das Haus zum ersten Tagungsort der ersten freigewählten Stadtverordnetenversammlung, wobei freigewählt dahingehend eingeschränkt werden muss, dass lediglich Männer wahlberechtigt waren und ein Zensus sowie die Stadtbürgerrechte gefordert waren.

Ab 1820 wurde das Haus als Stadtgericht und auch als Gefängnis genutzt. Zu diesem Zweck wurde das Haupthaus in ein Gerichtsgebäude und die Nebengebäude zu Gefängniszellen umgebaut. Mitte des 19. Jahrhunderts löste das Amtsgericht Potsdam als Nachfolger des Stadtgerichtes dieses als Nutzer ab.

Die Zeit des Nationalsozialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde im Gebäude 1935 ein „Erbgesundheitsgericht“ eingerichtet. Seine Aufgabe war es, in scheinbar justizförmiger Weise über die Zwangssterilisation von Personen gemäß dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zu entscheiden. Die Entscheidungen waren typischerweise reine Formsache. Das Gericht folgte in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle der Empfehlung der Gutachter.

Seit 1939 wurde das Haus auch als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge genutzt. Da auch der Volksgerichtshof nach der Zerstörung seines Sitzes in Berlin nach Potsdam verlegt wurde, wurden in Potsdam eine Vielzahl von Angehörigen verschiedener Widerstandsgruppen festgehalten, verurteilt und später andernorts hingerichtet.

Foltergefängnis während der sowjetischen Besatzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die sowjetische Besatzungsmacht übernahm 1945 das Untersuchungsgefängnis und führte es als Gefängnis des Geheimdienstes NKWD fort. Tausende missliebige Deutsche, die der Besatzungsmacht kritisch gegenüberstanden, wurden hier durch ein sowjetisches Militärgericht zum Tode oder zur Zwangsarbeit in Lagern des Gulag verurteilt. 1945 wurden zunächst Personen inhaftiert, denen Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen und Mittäterschaft an deren Verbrechen vorgeworfen wurde. Vielfach wurden auch Unschuldige aufgrund von Denunziationen (z. B. unter dem Vorwurf der Werwolf-Tätigkeit) verhaftet. Bereits nach kurzer Zeit änderte sich die Stoßrichtung der Verhaftungen. Nun wurden vor allem Personen verhaftet, die sich dem Aufbau einer kommunistischen Diktatur entgegenstellten und Widerstand leisteten. Diese Vorwürfe wurden nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien untersucht. Ziel der Untersuchungshaft war es vielmehr, durch unmenschliche Haftbedingungen Geständnisse zu bewirken. Hierzu wurden die ungeheizten Zellen massiv überbelegt. Die durch Mangelernährung geschwächten Häftlinge erhielten keinerlei medizinische Versorgung. Kontakte zur Außenwelt waren konsequent abgeschnitten. Verhöre erfolgten grundsätzlich nachts. Da Schlaf tagsüber untersagt war, diente der Schlafentzug als eine Form der Folter. Daneben wurden weitere Formen der Folter angewandt. Als Folge der Haftbedingungen kam es zu einer Vielzahl von Todesfällen während der Untersuchungshaft. Am Ende der Untersuchungshaft stand ein Gerichtsverfahren, das in der überwiegenden Zahl der Fälle zur Verhängung langjähriger Arbeitslagerstrafen führte. Es wurden auch Todesstrafen verhängt. Freisprüche kamen nur in seltenen Ausnahmen vor.

Stasi-Untersuchungsgefängnis in der DDR[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Ministerium für Staatssicherheit übernahm 1953 das Gefängnis. In jedem der 16 Bezirke der DDR wurde ein Stasi-Untersuchungsgefängnis eingerichtet. Das „Lindenhotel“ diente diesem Zweck im Bezirk Potsdam. Während die anderen Stasi-Untersuchungsgefängnisse in Randlagen der jeweiligen Orte lagen, liegt die Lindenstraße im Zentrum der Stadt. Der NKWD hatte zur Geheimhaltung einen zwei Meter hohen uneinsehbaren Zaun errichtet, der den Bürgersteig vor dem Gebäude weiträumig abriegelte. Später wurde er durch eine Eisenkette ersetzt, die den unbefugten Zugang zum Gebäude verhinderte. Hierdurch sollte der Bevölkerung unmöglich gemacht werden, sich ein Bild von den Ereignissen im Gefängnis zu verschaffen.

Auch unter den neuen Betreibern wurden ausschließlich politische Häftlinge in der Lindenstraße festgehalten. Im Laufe der Zeit verbesserten sich jedoch die Haftbedingungen spürbar gegenüber den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Bis zum Ende der DDR blieb jedoch die Willkür, der die Häftlinge ausgesetzt waren, unverändert.

Die Zahl der einsitzenden politischen Häftlinge spiegelte die politische Lage der DDR wider. Nach dem Volksaufstand des 17. Juni 1953, dem Mauerbau 1961 und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 stieg die Zahl der Häftlinge jeweils spürbar an.

Die Wende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der politischen Wende im Jahr 1989 wurde das Untersuchungsgefängnis aufgelöst und die Häftlinge freigelassen. Das Haus wurde als „Haus der Demokratie“ genutzt. In diesem Haus erhielten die neu entstandenen politischen Gruppen wie das Neue Forum oder Demokratie Jetzt Räume für ihre politische Arbeit zugewiesen.

Heute werden die Räume des ehemaligen Gerichtsgebäudes durch die Denkmalschutzbehörde und die des Gefängnisses als Gedenkstätte genutzt.

Die Gedenkstätte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Denkmal Das Opfer

Der Gebäudekomplex wurde 1995 aufgrund einer Entscheidung der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung zur Mahn- und Gedenkstätte erklärt. Die Verwaltung dieser Gedenkstätte obliegt dem Potsdam Museum. Die Gedenkstätte ist für das Publikum dienstags bis samstags geöffnet. Gezeigt werden Gefängniszellen in der Ausstattung der jeweiligen Zeiten, die Lebensbedingungen der Häftlinge und die Schicksale einzelner Opfer.

Im April 2011 wurde der Gedenkstättenbereich um die Dauerausstellung „Flucht in den Westen“ erweitert. Es wird über die unterschiedlichen Wege informiert, auf denen DDR-Bürger ihr Land verlassen wollten.

Auf dem Gefängnishof befindet sich die Skulptur Das Opfer. Das Bronzekunstwerk wurde 1995 von Wieland Förster geschaffen und ist den Opfern der Gewalt gewidmet.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gabriele Schnell (Hrsg.): Das „Lindenhotel“. Berichte aus dem Potsdamer Geheimdienstgefängnis. 3. erweiterte Auflage. Ch. Links, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-530-0.
  • Gabriele Schnell und Hans-Hermann Hertle: Gedenkstätte Lindenstraße. Vom Haus des Terrors zum Potsdamer Haus der Demokratie. Ch. Links, Berlin 2014, ISBN 978-3-86153-803-5.
  • Sonja Rosenstiel: Vom „Schandfleck“ zum zentralen Gedenk- und Lernort. Die Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam. In: Ulrich Nieß, Christian Groh, Andreas Mix (Hrsg.): Stadt und Erinnerungskultur: Tagungsband der 58. Jahrestagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023 (Südwestdeutscher Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung. Jahrestagung; 58: 2019: Mannheim), ISBN 978-3-525-31546-0, S. 219–232.

Koordinaten: 52° 24′ 1,9″ N, 13° 3′ 8,3″ O