Gleichgradige Integrierbarkeit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die gleichgradige Integrierbarkeit, auch gleichmäßige Integrierbarkeit genannt, ist in der Mathematik eine Verstärkung des Begriffs der Integrierbarkeit. Im Gegensatz zur Integrierbarkeit ist sie immer eine Eigenschaft einer Familie von Funktionen und nicht die einer einzelnen Funktion. Allerdings kann die Familie auch einelementig sein. Die gleichgradige Integrierbarkeit ist vor allem in der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Maßtheorie von Bedeutung, da sie es ermöglicht, mittels des Konvergenzsatzes von Vitali eine Verbindung von der Konvergenz im p-ten Mittel zu der Konvergenz in Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Konvergenz nach Maß bzw. der Konvergenz lokal nach Maß der Maßtheorie zu schlagen. Anschaulich ist eine Familie von Funktionen dann gleichgradig integrierbar, wenn das Integral über „kleinen“ Mengen auch keine zu großen Werte annimmt.

Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei ein Maßraum, ein (positives) Maß auf . Mit sei die Menge der bezüglich integrierbaren Funktionen von nach bezeichnet. Der Positivteil einer Funktion sei mit , die Menge der positiven, bezüglich integrierbaren Funktionen auf mit notiert.

Für allgemeine Maße[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Familie von messbaren Funktionen auf heißt gleichgradig integrierbar bezüglich , wenn sie eine der folgenden vier äquivalenten Bedingungen erfüllt:[1]

  • Es sind die folgenden beiden Bedingungen erfüllt:
  1. Es ist .
  2. Für jedes existiert ein mit und
.
  • Es ist
.
  • Es ist
.
  • Es sind die folgenden beiden Bedingungen erfüllt:
  1. Es ist
  2. Für jedes existieren ein und ein derart, dass die Implikation
für alle gültig ist.

Insbesondere ist also jedes Element gleichgradig integrierbarer Familien selbst eine integrierbare Funktion.

Für endliche Maße[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ist das Maß endlich, ist also , so existieren vereinfachte Charakterisierungen: Die gleichgradige Integrierbarkeit bezüglich einer Familie messbarer Funktionen auf ist dann äquivalent zu jeder der vier folgenden Aussagen:[2][3]

  • Es ist
.
  • Es ist
.
  • Es sind die folgenden beiden Bedingungen erfüllt:
  1. Es ist .
  2. Für jedes existiert ein derart, dass die Implikation
für alle gültig ist.
  • Es existiert eine Funktion mit und
.

Die letzte Bedingung wird manchmal auch De-La-Vallée-Poussin-Kriterium (für gleichgradige Integrierbarkeit) genannt.

Gleichgradig integrierbar im p-ten Mittel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Familie von Funktionen heißt „gleichgradig integrierbar im p-ten Mittel“, wenn die Familie gleichgradig integrierbar ist. Im Falle eines endlichen Maßraums ist dies für insbesondere der Fall, wenn .

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jede endliche Menge ist gleichgradig integrierbar.
  • Seien Familien von Funktionen und sei gleichgradig integrierbar. Existiert zu jedem ein , sodass , so ist auch gleichgradig integrierbar.
  • Existiert ein , sodass für alle , so ist gleichgradig integrierbar. Dies ist ein direkter Spezialfall der beiden obigen Eigenschaften.
  • Eine Folge messbarer Funktionen konvergiert genau dann im Mittel, d. h. bezüglich der -Norm, gegen eine Funktion , wenn sie dem Maße nach konvergiert und gleichgradig integrierbar ist. Dies folgt aus dem Konvergenzsatz von Vitali. Diese Aussage kann als eine Erweiterung des Satzes der majorisierten Konvergenz verstanden werden, da durch die gleichgrade Integrierbarkeit die Anforderung an die Konvergenz der Folge abgeschwächt wird.
  • Allgemeiner konvergiert eine Folge messbarer Funktionen genau dann im p-ten Mittel, also bezüglich der -Norm, gegen eine Funktion , wenn sie dem Maße nach konvergiert und im p-ten Mittel gleichgradig integrierbar ist. Diese Aussage folgt ebenfalls aus dem Konvergenzsatz von Vitali.
  • Sind gleichgradig integrierbare Familien, so sind auch für , , und gleichgradig integrierbare Familien. Die Operationen sind dabei elementweise zu verstehen.

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die gleichgradige Integrierbarkeit spielt eine wichtige Rolle in der Wahrscheinlichkeitstheorie im Zusammenhang mit Martingalen. Wichtige Aussagen sind[4]:

  • Ist ein rechtsstetiges Martingal, dann ist genau dann gleichgradig integrierbar, wenn existiert, sodass fast sicher und für alle .
  • Ist ein gleichgradig integrierbares rechtsstetiges Martingal und eine Stoppzeit, dann ist der gestoppte Prozess auch ein gleichgradig integrierbares rechtsstetiges Martingal.
  • Ist ein adaptierter Prozess mit càdlàg Pfaden und und für jede beliebige Stoppzeit , dann ist gleichgradig integrierbar.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Norbert Kusolitsch: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-45386-1, doi:10.1007/978-3-642-45387-8. Definition 13.29, Satz 13.31.
  2. Norbert Kusolitsch: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-45386-1, doi:10.1007/978-3-642-45387-8. Satz 13.32.
  3. Achim Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-36017-6, doi:10.1007/978-3-642-36018-3. Satz 6.17, Satz 6.24.
  4. Philip Protter: Stochastic Integration and Differential Equations. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2013, ISBN 978-3-662-02619-9, S. 9, 11, 12, doi:10.1007/978-3-662-02619-9.