Gracia Nasi

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Gracia Nasi (geboren 1510 in Portugal als Beatrice de Luna Miques; gestorben 1569 bei Konstantinopel) war eine sephardische Kauffrau. Sie leitete die Bank der Casa Mendes-Benveniste (so die beiden Familiennamen ihrer Mutter und ihres Onkels, ihres späteren Ehemanns) und betätigte sich als Diplomatin und Philanthropin. Als solche gilt sie auch als eine Retterin ihres Volkes.

Die Trostschrift des Samuel Usque Consolação às Tribulações de Israel (Trost für die Leiden Israels), hier das Titelblatt der Erstausgabe von 1553 in alter portugiesischer Orthografie, enthält eine Lobrede auf Dona Gracia: „Die wesenhafte Frömmigkeit Mirjams, die ihr Leben aufs Spiel setzte, um ihre Brüder zu retten, die große Umsicht Deboras, die ihre Volk anführte, die grenzenlose Tugend und große Heiligkeit Esters, die denen half, die verfolgt waren, und die vielgepriesene Stärke der äußerst keuschen und großmütigen Judit.“

Biografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gracia Nasi wurde als Tochter wohlhabender marranischer Eltern im Schatten der Inquisition geboren. Die Familie ihres Vaters, Agostino Álvaro Miques de Luna (sein hebräischer Name lautete Schmuel Nasi), und die ihrer Mutter, Philipa Mendes Benveniste, stammten aus dem Königreich Aragón und waren bei der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 nach Portugal emigriert. Gracias Taufname lautete Beatrice de Luna Miques; ihr jüdischer Vorname war Hanna Gracia. Ihre Familie war so einflussreich, dass Gracias Bruder, Agostino Álvaro Miques de Luna, zum Leibarzt des portugiesischen Königs aufstieg.[1]

Im Jahr 1528 heiratete Gracia in der Kathedrale von Lissabon einen Onkel mütterlicherseits, Francisco Mendes (jüdischer Name Semah Bemvisto oder Benveniste). Die Familie Mendes-Benveniste besaß ein Bankhaus mit Verbindungen bis nach Frankreich und Flandern. Nach der christlichen Hochzeit schloss das Paar die Ehe nach jüdischem Ritus (inklusive Ketubba). Aus der Verbindung ging 1532 eine Tochter hervor, Ana, die sich im Erwachsenenalter Reyna Nasi nannte.[1][2]

Mitte des Jahres 1536 starb Francisco Mendes. Es ist ungeklärt, ob die im Mai 1536 über Lissabon verhängte Inquisition die Ursache seines Todes war.[1] Die 27-jährige Witwe veräußerte den Besitz ihres Mannes und zog mit mehreren Familienangehörigen nach Antwerpen zum Bruder ihres Mannes, Diogo Mendes (Meir Benviste), der im portugiesischen Gewürzhandel zu Reichtum gelangt war, Gracia nun als Mitarbeiterin in seine Bank aufnahm und ihre jüngere Schwester, Brianda, heiratete. Neben der Geschäftstätigkeit kümmerten sich Diogo und Gracia um die verdeckte Ausreise jüdischer Glaubensgenossen aus Lissabon[3] in andere Teile Europas, indem sie fingierte Handelsaufträge vergaben, die angeblich geschäftliche Reisen erforderten.

Nach dem Tod ihres Schwagers Diogo (1542) erbte Gracia das Vermögen der Familie und erwies sich fortan als selbstständig handelnde mutige Geschäftsfrau. 1544 verließ sie Antwerpen, das von Spanien regiert wurde und wie die übrigen Reichsteile der Gerichtsbarkeit der Inquisition unterstand,[4] und reiste mit ihrer Tochter Ana, ihrer Schwester Brianda und weiteren Angehörigen durch Europa. Die Familie lebte ab 1544 aufgrund eines Freibriefes (salvacondotto) des Rates der Zehn in der Republik Venedig. Dort konnte sie ihre Bank weiterführen, bis Vermögensstreitigkeiten und Gerichtshändel sowohl mit ihrer Schwester Brianda und als auch mit der Republik Venedig dies unmöglich machten. Im Jahr 1550 erhielt Gracia einen Freibrief vom Herzog von Ferrara, wohin sie heimlich übersiedelte. In Ferrara konnte sie die jüdische Religion offen praktizieren. In dieser Zeit legte sie den Namen Beatrice de Luna ab und nannte sich Gracia Nasi. Sie war als Mäzenin und Wohltäterin tätig und gab die Edition der so genannten Bibel von Ferrara in Auftrag, der ersten Übersetzung der hebräischen Bibel ins Spanische, die im Jahr 1553 von Abraham Usque gedruckt wurde. Von der Übersetzung wurden zwei Ausgaben hergestellt: eine für christliche Leser, die andere für jüdische.

Im Jahr 1553 ließen sich Gracia Nasi und ihr Neffe Joseph Nasi im Osmanischen Reich nieder. Unter den Sultanen Bayezid II., Selim I. und Süleyman I. wurden jüdischen Immigranten nicht nur Asyl, sondern auch weitgehende religiöse Freiheiten und ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten gewährt. Gracia Nasi konnte mit Schiffen, die in ihrem Auftrag gebaut wurden, den Handel ihrer Familie mit der Republik Venedig und anderen Staaten Italiens weiterführen. Angesichts der von Papst Paul IV. 1555 verfügten Verschärfung der Inquisition bemühte sich Gracia erneut um die Rettung bedrängter Juden, diesmal aus der Stadt Ancona.[1] 1558 oder 1559, als Joseph als Lohn für seine tatkräftige Unterstützung Süleymans I. bei dessen Kampf um die Thronfolge die Herrschaft über ein Gebiet am See Genezareth übertragen wurde, erwarb Gracia ein Anwesen in der Stadt Tiberias und gründete dort eine jüdische Ansiedlung mit einem Lehrhaus (Jeschiwa), die jedoch nur kurze Zeit bestand.

Gedenkstein für Dona Gracia zu ihrem 500. Geburtstag im Jahr 2010 in Tiberias.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hannah Karminski: Jüdisch-religiöse Frauenkultur, in Emmy Wolff Hg.: Frauengenerationen in Bildern. Herbig, Berlin 1928, S. 163–172 (darin Grazia Nassi (sic) S. 164f., mit einer bekannten zeitgenössischen Medaille (1556), einseitig geprägt, mit Büste Nassis nach S. 164)
  • Cecil Roth: Dona Gracia of the House of Nasi. The Jewish Publication Society of America, Philadelphia PA 1948.
  • Bea Stadtler: The story of Dona Gracia Mendes. United Synagogue Commission on Jewish Education, New York NY 1969, ISBN 0-8381-0734-6.
  • Gad Nassi, Rebecca Touegg: Doña Gracia Nasi. Women’s International Zionist Organisation - Education Department, Tel Aviv 1990.
  • Riccardo Calimani: Joao Micas, Giovanni Miches, Juan Miguez, Joseph Nasi, duca di Nasso: quattro nomi e molte identità per un stesso uomo. In: Calimani: Storia del ghetto di Venezia. Milano 1995. S. 103–109.
  • Andrée Aelion Brooks: The Woman Who Defied Kings. The Life and Time of Doña Gracia Nasi, a Jewish Leader during the Renaissance. Paragon House, St. Paul MI 2002, ISBN 1-55778-805-7, (umfangreiche, neu recherchierte Biographie über Gracia Nasi).
  • Renée Levine Melammed: Heretics or Daughters of Israel? The Crypto-Jewish Women of Castile. New edition. Oxford University Press, New York NY u. a. 2002, ISBN 0-19-515167-4.
  • Yaron Ben-Naeh: Sultansjuden. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 5: Pr–Sy. Metzler, Stuttgart/Weimar 2014, ISBN 978-3-476-02505-0, S. 611–614.

Belletristische Darstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Catherine Clément: La Señora. Roman. Calmann-Lévy, Paris 1992, ISBN 2-7021-2062-8, (deutsch: Die Senyora. Roman aus dem Europa des 16. Jahrhunderts. Rowohlt-Verlag, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13546-9).
  • Naomi Ragen: The Ghost of Hannah Mendes. Simon & Schuster, New York u. a. 1998, ISBN 0-684-83393-X, (Roman, verwebt die Geschichte der historischen Heldin mit der Frauen-Familiengeschichte einer sephardischen Familie).
  • Marianna D. Birnbaum: The Long Journey of Gracia Mendes. Central European University Press, Budapest u. a. 2003, ISBN 963-9241-67-9, (Roman, schildert die marranische Kultur in West-Europa und im muslimischen Orient).
  • Peter Prange: Die Gottessucherin. Roman. Droemer Knaur, München 2009, ISBN 978-3-426-19751-6; Neuausgabe unter dem Titel Die Götter der Dona Gracia, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2021. ISBN 978-3-596-70024-0.
  • Waldtraut Lewin: Die Jüdin von Konstantinopel; Roman, Knaur-Taschenbuch-Verlag, München 2010, ISBN 978-3-426-50430-7.
  • Jizchak Gormezano Goren: Kvartet ha-seniora (hebräisch: Das Quartett der Seniora). Roman, Tl. 1 Ha-scheker ha-kadosch (Die heilige Lüge), Tl. 2 Malkat ha-finansim (Königin der Finanzen), Tl. 3 Kadachat venezianit (Venezianisches Fieber), Tl. 4 Malkat ha-jehudim (Königin der Juden). Verlag Ha-Kibutz ha-me'uchad, Bne Brak 2010, 2013, 2015, 2019.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Gerda Hoffer: Gracia Nasi. In: Zeit der Heldinnen. Lebensbilder außergewöhnlicher jüdischer Frauen. München 1999, ISBN 3-423-30701-3, S. 49–75.
  2. https://www.vidapraticajudaica.com/single-post/2018/06/19/A-História-de-Dona-Gracia-Mendes-Nasi.
  3. Im Autodafé von Lissabon 1540 fanden mehr als tausend Juden den Tod.
  4. Bereits 1532 war Diogo Mendes verhaftet und aufgrund der Intervention des portugiesischen Königs, Johanns III., freigelassen worden.