Gunta Stölzl

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Bauhaus-Ausweis von Gunta Stölzl
Die Webereiklasse (1927/28) auf der Bauhaustreppe
Textilien von Gunta Stölzl auf dem Stuhl mit farbiger Gurtbespannung von Marcel Breuer (1921)

Gunta Stölzl (* 5. März 1897 in München als Adelgunde Stölzl; † 22. April 1983 in Männedorf, Schweiz) war Weberin und Textildesignerin. Sie gilt als Erneuerin der Handwebkunst und war die erste Meisterin am Bauhaus. Ihre Werke werden in Einzelausstellungen gezeigt und sind Bestandteil internationaler Kunstsammlungen.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gunta Stölzl war die Tochter des Lehrers und Schulrektors Franz Seraph Stölzl und der Kreszenz Stürzer. Ihr Vater war mit dem Reformpädagogen Georg Kerschensteiner befreundet. Ihr Bruder Erwin war Jurist. Nach Abschluss der Höheren Töchterschule in München trat Stölzl 1914 in die Königliche Kunstgewerbeschule München ein. 1917 bis 1918 diente sie als Rotkreuzschwester an der Isonzofront im heutigen Slowenien und an der Westfront in Frankreich.

Nach der Rückkehr wurde sie 1919 am Bauhaus in Weimar aufgenommen. Stölzl freundete sich mit Marcel Breuer an, der 1920 an das Bauhaus kam. 1921 gestalteten sie gemeinsam den Afrikanischen Stuhl und sie fertigte in der Werkstatt für Weberei am Bauhaus Rücken und Sitz.[1] 1921–1922 entwarf sie unter anderem Stoffe für das Haus Sommerfeld von Walter Gropius. 1922/1923 legte sie die Gesellenprüfung ab und trug zusammen mit anderen Studentinnen zur Gründung der „Frauenklasse“ bei.

1924 belegte sie Kurse in Färbungs- und Produktionsmethoden an der Fachschule für Textil-Industrie in Krefeld. Im selben Jahr richtete Stölzl für Johannes Itten in Herrliberg am Zürichsee die Ontos Werkstätten für Handweberei ein. 1925 kehrte sie ans Bauhaus Dessau zurück und wurde Werkmeisterin der Webereiwerkstatt, die sie ab 1927, nach dem Weggang von Georg Muche, als allein verantwortliche Jungmeisterin leitete.[2] Während dieser Zeit baute sie kontinuierlich Firmenkontakte zur Herstellung und zum Vertrieb der Bauhaus-Stoffe auf.

Nach einer gemeinsamen Reise nach Moskau, an der 1928 auch der Bauhausschüler Peer Bücking teilnahm, heiratete sie Anfang August 1929 den Architekten Arieh Sharon.[3] Am 8. Oktober 1929 wurde ihre Tochter Yael geboren.[4] 1931 sah sich Gunta Stölzl aufgrund politischer und Bauhaus-interner Konflikte zur Kündigung ihrer Stelle gezwungen und verließ im Oktober 1931 das Bauhaus. Ihre deutsche Staatsbürgerschaft hatte sie mit der Heirat verloren. Nach der Emigration in die Schweiz gründete sie mit den Bauhaus-Absolventen Gertrud Preiswerk und Heinrich Otto Hürlimann noch im gleichen Jahr in Zürich die Handweberei SPH-Stoffe. Das Unternehmen stellte unter anderem Teppiche und Polsterstoffe für Wohnbedarf her. 1936 wurde ihre Ehe mit Sharon geschieden. Stölzl führte ab 1937 ihre Webereiwerkstatt allein weiter, nun an der Florastrasse in Zürich-Seefeld. 1939 beteiligte sie sich an der Schweizerischen Landesausstellung.

Sie verheiratete sich 1942 mit dem Schriftsteller und Journalisten Willy Stadler, mit dem sie ein Reihenhaus der befreundeten Architektin Elsa Burckhardt-Blum in der neu erbauten „Wohnkolonie Heslibach“ in Küsnacht an der Gartenstr. 16 bezog. Ein Jahr später wurde ihre zweite Tochter Monika geboren. In den 1950er Jahren produzierte sie Gobelins. Durch ihre Heirat zur Schweizer Bürgerin geworden, wirkte sie nach der Schließung der Handweberei Flora im Jahr 1967 weiterhin als Textilkünstlerin.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gunta Stölzl war am Bauhaus „die bedeutendste Weberin, die den Weg der Weberei vom bildhaften Einzelstück zum modernen Industrieentwurf mit vollzog und mit beeinflusste“.[5] Das Sonderheft der Zeitschrift Bauhaus, das ihr bei ihrem Weggang vom Bauhaus gewidmet wurde, vermerkte: „Dass man von ‚bauhausstoffen‘ spricht, ist ihr verdienst“.[6]

Ausbildung und Produktion der Webereiwerkstatt waren auf die Herstellung von Textilien für den neuen Innenraum gerichtet. Es entstanden Möbelspannsstoffe, Meterware für Kissen oder Kleidungsstücke, Wandbehänge und Teppiche. Deren Farben und Muster entsprachen dem charakteristischen Bauhausstil, der insbesondere von der Auseinandersetzung mit Johannes Itten, Paul Klee und Wassily Kandinsky geprägt war. Aus der Zeit am Bauhaus in Weimar sind von Stölzl hergestellte Bodenteppiche, Wandbehänge, Knüpfteppiche und Vorhänge als Entwürfe, in originaler Ausführung oder als Nachwebungen erhalten. In Dessau führte Gunta Stölzl in der von ihr geleiteten Webereiwerkstatt den Bereich des Industriedesigns ein. Ihr Unterrichtsprogramm zur Weberei von 1931 bot die Grundlage für die Einführung neuer, funktionaler Textilien. Deren Produktion stellte einen Gegenentwurf zum verstärkt auch ästhetischen Grundsätzen entsprechendem Programm der Weimarer Werkstatt dar. Das Konzept der Verbindung von Funktionalität und ästhetischem Anspruch von Textilien wirkte auch in ihrer Zürcher Produktion weiter, indem sie in der Handweberei SPH-Stoffe in großer Anzahl qualitativ hochwertige Gebrauchsstoffe herstellte. Diese wurden unter anderem an der Schweizerischen Landesausstellung von 1939 gezeigt.

Aus der Dessauer Zeit (1931) stammen auch die sogenannten Prellerdecken. Das waren Bettüberwürfe, die für die Bettnischen im „Prellerhaus“ entstanden. Mehr als 100 Stück wurden seinerzeit angefertigt, von denen keines mehr existiert – außer auf Fotos.[7] Ende 1990 wurden einige Kopien neu produziert.[8]

Seit 1967 fertigte Gunta Stölzl in ihrem Atelier ausschließlich nach eigenen Entwürfen frei gestaltete Gobelins. In diesen verwebte sie unterschiedliche Materialien, wie Garn, Bast, eingeknüpfte Steine und Glasperlen. In manchen Gobelins werden dicht gewebte Partien mit Schlitzen durchbrochen. Charakteristisch sind die aneinander anschließenden Farbflächen, die geometrische und natürliche Formen aufnehmen, und sich in der Gesamtschau zu Landschaften oder auch pflanzlichen Strukturen zusammenfügen.

Einzelausstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland, in der Schweiz und der Niederlande wurden bisher folgende Einzelausstellungen gezeigt:[9]

  • „Bildteppiche von Gunta Stölzl.“ Zürich, Lyceumclub, 1970.
  • „Bildteppiche von Gunta Stölzl.“ Zürich, Paulus-Akademie
  • „Gunta Stadler-Stölzl – Wandteppiche und Entwürfe 1921–1976“. Bauhaus-Archiv Berlin, 1976.
  • „Gunta Stölzl – Wandteppiche.“ Stuttgart, Galerie Lutz, 1977.
  • „Gunta Stadler-Stölzl – Bildteppiche.“ Zürich, Paulus-Akademie, 1980.
  • „Gunta Stölzl – Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt.“ Wanderausstellung, Bauhaus-Archiv Berlin, 1987.
  • Bad Säckingen, Villa Berberich, 1988.
  • „Gunta Stölzl: 100 Jahre Bauhaus-Stoffe“, Groningen, Wall House #2 (Groninger Museum), 2019[10]

Museen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gunta Stölzls Werke sind Bestandteil internationaler Kunstsammlungen:[11]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gunta Stölzl verfasste mehrere Schriften über die Bauhausweberei und das Bauhaus, die zum Teil seltene Zeugnisse von dessen Frühzeit darstellen, sowie einen Nachruf auf Paul Klee.[12] Zu ihren unveröffentlichten Schriften gehören die Tagebücher der Jahre 1915–1917, 1917–1919 und 1919–1920,[13] Kinderaufzeichnungen 1929–1946 sowie Reisenotizen 1928–1946. Zudem blieben Mitschriften der von ihr besuchten Vorlesungen an der Münchner Kunstgewerbeschule und am Bauhaus erhalten sowie Aufzeichnungen über die Technik des Webstuhlsystems, das Unterrichtsprogramm der Weberei und den eigenen Webunterricht. Auch ihr umfangreicher Briefwechsel mit Verwandten, Freunden und Künstlerkollegen ist bisher unveröffentlicht.[14]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Städten Bremen, Erfurt, Mönchengladbach, München und Weimar sind Straßen nach ihr benannt. Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin benennt ein Foyer nach ihr.[15]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bauhaus-Archiv, Museum für Gestaltung (Hrsg.), Magdalena Droste, Jeannine Fiedler (Red.): Experiment Bauhaus: das Bauhaus-Archiv, Berlin, zu Gast im Bauhaus Dessau. Berlin 1988.
  • Anja Baumhoff: Vereitelte Karrieren im Umbruch der Zeit. Gunta Stölzl (1897–1983). In: Inge Hansen-Schaberg (Hrsg.): Frauen des Bauhauses während der NS-Zeit. Verfolgung und Exil. edition text + kritik, München 2012, ISBN 978-3-86916-212-6, S. 51–68.
  • Annie Bourneuf: Ein spekulativer Gobelin. Gunta Stölzls „Schlitzgobelin Rot-Grün“. In: Modell Bauhaus. Hrsg.: Bauhaus-Archiv, Berlin in Kooperation mit: Museum of Modern Art, New York; Katalog. Red.: Wolfgang Thöner et al. Ostfildern 2009, S. 221–238.
  • Magdalena Droste (Hrsg.): Gunta Stölzl – Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt. Ausstellungskatalog. Berlin 1987.
  • Charlotte und Peter Fiell (Hrsg.): Design des 20. Jahrhunderts. Taschen, Köln 2012, ISBN 978-3-8365-4107-7, S. 671.
  • Stephan Maus: Frau Bauhaus. In: Stern. Nr. 7, 2019, S. 86–90. (Mit großformatigen Abb., u. a. der ganzen Weberei-Klasse)
  • Ingrid Radewaldt: Gunta Stölzl – Pionierin der Bauhausweberei. Weimarer Verlagsgesellschaft in der Verlagshaus Römerweg. 2018, ISBN 978-3-7374-0258-3.
  • Barbara Schmid: Gunta Stölzl. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 2012.
  • C. Schwartz: Frauen mit Kette und Schuss. Eine Berliner Ausstellung über die Textilwerkstatt am Bauhaus. In: Neue Zürcher Zeitung, 14. Dezember 1998, S. 28.
  • Monika Stadler, Yael Aloni (Hrsg.): Gunta Stölzl: Bauhausmeister. Ostfildern 2009.
  • Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.): Gunta Stölzl: Meisterin am Bauhaus Dessau: Textilien, Textilentwürfe und freie Arbeiten 1915–1983. Text: Ingrid Radewaldt, Monika Stadler u. a. Ostfildern 1997.
  • Gunta Stölzl: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib.“ In: Die Welt. Sonderheft 90 Jahre Bauhaus. 19. Juli 2009, S. 9.
  • Gewebte Bilder und Gebrauchsstoffe. Die Textilkünstlerin Gunta Stölzl in Dessau. In: Neue Zürcher Zeitung. 13. Dezember 1997, S. 45.
  • Sigrid Wortmann Weltge: Bauhaus-Textilien: Kunst und Künstlerinnen der Webwerkstatt. Schaffhausen 1993.
  • Gunta Stölzl. In: Patrick Rössler, Elizabeth Otto: Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Knesebeck, München 2019, ISBN 978-3-95728-230-9, S. 22–27.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Gunta Stölzl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ulla Rogalski: Designgeschichte: Der «Afrikanische Stuhl». In: Handelszeitung. 20. Oktober 2005, abgerufen am 26. Dezember 2018.
  2. Bröhan, Berg: Design Classics 1880–1930. 2001, S. 84.
  3. Ulrike Müller: Bauhaus-Frauen – Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. Elisabeth Sandmann Verlag, 2009, ISBN 978-3-938045-36-7.
  4. Annette Bußmann: Gunta Stölzl. In: FemBio. Frauen-Biographieforschung (mit Literaturangaben und Zitaten).
  5. Magdalena Droste: bauhaus. 1991, S. 253.
  6. Magdalena Droste: Gunta Stölzl und die Entwicklung der Bauhaus-Weberei. In: dies., Gunta Stölzl. Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt. 1987, S. 9.
  7. Siehe Foto auf The Gunta Stolzl Foundation.
  8. Siehe Foto auf The Gunta Stolzl Foundation.
  9. Zu Stölzls unzähligen Beteiligungen an Ausstellungen vgl. Stiftung Bauhaus Dessau: Gunta Stölzl: Meisterin am Bauhaus Dessau. 1997, S. 257.
  10. Wall House #2: Gunta Stölzl - 100 Jahre Bauhaus-Stoffe. Abgerufen am 19. November 2020.
  11. Ein Überblick über die in den Sammlungen enthaltenen Stücke in: Stiftung Bauhaus Dessau: Gunta Stölzl: Meisterin am Bauhaus Dessau. 1997, S. 259.
  12. Eine Auswahl der 1926–1975 entstandenen Beiträge ist abgedruckt in: Droste: Gunta Stölzl – Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt. 1987, S. 97–106.
  13. Kopien davon befinden sich im Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin. Auszüge aus den Tagebüchern sind abgedruckt in: Stadler, Aloni: Gunta Stölzl. Bauhausmeister. 2009.
  14. Zu den unveröffentlichten Schriften Gunta Stölzls vgl. Stiftung Bauhaus Dessau: Gunta Stölzl: Meisterin am Bauhaus Dessau. 1997, S. 262.
  15. Andere Geschichten schreiben: Zur Benennung der Räume am HKW. Abgerufen am 19. Januar 2024.