Günther Just

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Günther Just (* 3. Januar 1892 in Cottbus; † 30. August 1950 in Tübingen) war ein deutscher Zoologe und Erbbiologe. Seine Forschungsschwerpunkte lagen im Mendelismus und in eugenischen Untersuchungen über Schulleistung, Begabung und Persönlichkeitsentwicklung. Er prägte und etablierte den Begriff „Humangenetik“, mit dem er die menschliche Erbbiologie programmatisch in die allgemeine Genetik integrierte. Der Begriff reflektierte die Medikalisierung und Genetifizierung der deutschen Vererbungswissenschaft während der 1930er Jahre.

Leben

Jugend und Ausbildung

Just wuchs in Berlin auf. Sein Vater hatte es dort im Dienst der Eisenbahn vom einfachen Handwerker zum Oberingenieur gebracht. Just besuchte bis 1910 das Humboldt-Gymnasium. Er beschrieb sich selbst als Natur- und Tierfreund und stand als Student bei der Gründung einer Wandervogelgruppe Pate. Zur Biologie brachte ihn nach eigenen Angaben vor allem die Lektüre der Werke Ernst Haeckels. Er studierte seit dem Wintersemester 1910/11 in Berlin Zoologie. Am Ersten Weltkrieg nahm er seit Kriegsausbruch als Freiwilliger teil, wobei er eine Armeebücherei verwaltete und im Laboratorium des beratenden Hygienikers der 18. Armee an Forschungsprojekten mitarbeitete. Zurück in Berlin promovierte er 1919 mit einer Arbeit über den „Nachweis von Mendel-Zahlen bei Formen mit niedriger Nachkommenzahl“.

1919/20 arbeitete Just zunächst als Hilfsassistent am Anatomisch-Biologischen Institut in Berlin. Anschließend wurde er Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie bei Richard Goldschmidt in Berlin-Dahlem. Im November 1923 habilitierte er sich an der Universität Greifswald mit „Empirischen Untersuchungen zum Problem des Faktorenaustausches“ für das Fach Zoologie. Wie bei seiner Dissertation hatte er dabei an Drosophila-Fliegen geforscht. Die Rockefeller-Stiftung finanzierte in Greifswald einen Lehrauftrag Justs für allgemeine Biologie und Vererbungslehre. 1928 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.

Institutsleiter in Greifswald

1929 gründete Just in Greifswald eine Abteilung für Vererbungswissenschaft, die im Mai 1933 vom preußischen Kultusminister Bernhard Rust zum selbstständigen Institut für menschliche Erblehre und Eugenik unter der Direktion Justs erweitert wurde. Das Institut sollte allgemein-biologische und experimentell-vererbungswissenschaftliche Forschung und Lehre vereinen, aber auch der Rassenhygiene als angewandter Erbbiologie dienen.[1] „Die gesetzliche Regelung der eugenischen Sterilisierung und die Differenzierung unseres Fürsorgewesens nach Produktivität und Unproduktivität,“ so Just, „sind die beiden Gesichtspunkte unter denen jede Erörterung des Problems der Erbminderwertigen zu stehen hat.“[2] Justs Institut setzte daher einen Schwerpunkt auf erb- und konstitutionsbiologische Untersuchungen am Menschen, um Grundlagen für eine psychophysische Beurteilung und positive Leistungsauslese des Individuums in Schule und Beruf zu legen. Seine Version der „erbbiologischen Bildungsforschung“ gilt dabei etwa im Vergleich zu den Forschungen Wilhelm Hartnackes als „gemäßigt“.[3] Justs Interesse galt auch weniger der Rassenkunde als der speziellen Vererbungspathologie des Menschen. 1935 übernahm er gemeinsam mit Karl Heinrich Bauer die Herausgabe der Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre, die aus der Zeitschrift für die gesamte Anatomie ausgegliedert worden war. 1936 wurde die Greifswalder Einrichtung in Institut für Vererbungswissenschaft umbenannt.

1933 trat Just der NSDAP bei. Im Entnazifizierungsverfahren 1947 rechtfertigte er diesen Schritt damit, er habe seine für die Wissenschaft und das deutsche Volk wertvolle Arbeit fortsetzen und nach außen decken wollen.[4] Er arbeitete im Rassenpolitischen Amt der NSDAP mit, war Zellenleiter der NSV, Mitglied des NS-Dozentenbundes und 1933/34 Schulungsleiter der Ortsgruppe der NSDAP in Greifswald-Ost. Zugleich berichten er und Zeugen von einer nationalsozialistischen Kampagne 1933/34, die seine Entlassung als Hochschullehrer zum Ziel gehabt habe.[5] Er soll laut seinen Entnazifizierungsakten auf einem Diskussionsabend Ende Januar 1933 den Antisemitismus scharf kritisiert haben und in seinem engeren Schülerkreis Kritik an nationalsozialistischen Maßnahmen geübt haben.[6]

Im Reichsgesundheitsamt und Professor in Würzburg

Im April 1937 wurde Just vom Reichsgesundheitsamt beauftragt, die Untergruppe „Erbwissenschaftliches Forschungsinstitut“ in der Abteilung Erbmedizin in Berlin-Dahlem zu leiten. Im August wurde er als Oberregierungsrat verbeamtet. Gleichzeitig behielt er seine Lehrtätigkeit in Greifswald bei. Zwischen der Dahlemer Abteilung und den anderen Berliner Forschungseinrichtungen bestand ein enger Austausch. 1939/40 gab er für den Springer Verlag das Handbuch der Erbbiologie des Menschen in sieben Bänden heraus. 1942 untersuchte er die Zusammenhänge zwischen der Papillarmusterverteilung und erblichen Geisteskrankheiten an Insassen von „Irrenanstalten“.[7] Im selben Jahr erhielt er einen Ruf an die Universität Würzburg, wo er 1943 ein Ordinariat antrat. In Greifswald übernahm sein langjähriger Assistent Fritz Steiniger die Institutsleitung. Zudem wurde Just Beiratsmitglied der im November 1942 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Konstitutionsforschung. Er war als Direktor eines neuen Kaiser-Wilhelm-Instituts für rassenbiologische und Siedlungsfragen vorgesehen, das seit Frühjahr 1942 geplant wurde und Rassenforschung an künftigen deutschen Siedlern durchführen sollte.[8] Seine konfessionell bedingten „inneren Spannungen“ zum Nationalsozialismus, so gutachtete das Hauptamt für Wissenschaft (im Amt Rosenberg) 1942 über Just, seien soweit gelockert, dass sie seine fachliche Arbeit nicht mehr beeinflussen würden. Just arbeite aus innerer Überzeugung heraus an einer Fortentwicklung der Erbbiologie im Sinne des Nationalsozialismus mit.[9]

Nach Kriegsende

Just wurde nach Kriegsende zunächst seines Amtes enthoben. In seinem Entnazifizierungsverfahren äußerten sich Karl-Heinrich Bauer, Ferdinand Springer, Karl Valentin Müller und Egon von Eickstedt positiv über ihn und seine Haltung. Just wurde zwar am 29. Juli 1947 als „Mitläufer“ entnazifiziert, aber die Militärregierung ließ diesen Spruch noch einmal überprüfen. Dadurch verzögerte sich auch seine Berufung an die Universität Tübingen, wo er auf der Berufungsliste hinter dem noch belasteteren Otmar Freiherr von Verschuer den zweiten Rang eingenommen hatte.[10] Obwohl der erste Spruch 1948 bestätigt wurde – Just habe, so der Kassationshof, die Irrlehre der Nationalsozialisten in der Rassenlehre durchschaut und ohne Rücksicht auf Gefahren und Nachteile bekämpft – wurde er in Würzburg nicht wieder eingesetzt. Mit Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage stellte er einen Wiederaufnahmeantrag und wurde am 15. Juni 1948 als Gegner der nationalsozialistischen Bewegung und Weltanschauung klassifiziert. Zugleich nahm er den Ruf als Ordinarius für Anthropologie und Direktor des Anthropologischen Instituts nach Tübingen an.[11] Er gehörte neben Ernst Kretschmer zu den führenden Mitgliedern der 1950 wiederbegründeten Deutschen Gesellschaft für Konstitutionsforschung. Er war außerdem Zweiter Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie.

Just starb im August 1950 überraschend nach kurzer, schwerer Krankheit.

Wirken

„Höherer Mendelismus“

Just war einer der führenden deutschen Erbbiologen seiner Zeit. Als sich während der 1930er Jahre die menschliche Erblehre zur Entwicklungsgenetik erweiterte, griff er 1934 den von Goldschmidt geprägten Begriff „höherer Mendelismus“ auf, den er auf den Menschen übertrug und mit der menschlichen Konstitutionstypenlehre Ernst Kretschmers kombinierte. Damit brachte er die Einsicht zu Ausdruck, dass sich die Merkmale des Menschen nicht monofaktoriell nach den Mendelschen Regeln einfach dominant oder rezessiv vererbten, sondern nur im Kontext eines genotypischen Milieus betrachtet werden könnten, dass also die Wirkung eines Gens stets von anderen Genen, aber auch von pränatalen oder Umwelteinflüssen abhänge. Dadurch gerieten die Wechselwirkungen zwischen Erbfaktoren und Umweltbedingungen ins Blickfeld. Otmar von Verschuer etwa begründete mit den Erkenntnissen des „höheren Mendelismus“, warum sich Erbgesundheitsgerichtsverfahren nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht mehr nur auf eine klinische Diagnose, sondern stattdessen auf eine genealogisch entwickelte Erbdiagnose stützen sollten. Damit sollte nicht mehr allein die Erbkrankheit, sondern vielmehr die „krankhafte Anlage“ hinter der Erbkrankheit bekämpft werden. Hans-Walter Schmuhl schreibt die Begriffsprägung „höherer Mendelismus“ Just zu;[12] Ute Felbor kann den Begriff allerdings schon im Werk Richard Goldschmidts nachweisen.[13]

Der Begriff der „Humangenetik“

In diesem Zusammenhang, also 1934, prägte Just den Begriff „Humangenetik“.[13] In seiner Einleitung zum Handbuch der Erbbiologie des Menschen verwendete er den Begriff bereits mehrfach als Synonym für die Erbbiologie des Menschen. Damit wurde ein Rückzug auf wissenschaftlich gebotene Grundlagenforschung angezeigt, während der Begriff „Rassenhygiene“ für angewandte Wissenschaft stand.[14] Die bis dahin ausschließlich deskriptiven Methoden der menschlichen Vererbungs- und Rassenforschung wurden um 1930 nicht nur mit experimentellen Methoden ergänzt und erweitert, sondern deren Probleme wurden auch genetisch umschrieben.[15] Mitunter wird die Etablierung des Begriffs „Humangenetik“ deshalb auf 1939/40 datiert und das Handbuch als „völlig frei von NS-Ideologie“ bezeichnet.[16] Just hatte die Rassenhygiene aber nicht vollends aus der Genetik ausgegliedert, sondern wollte die menschliche Erbforschung in die Genetik als Gesamtwissenschaft einordnen, damit diese sowohl der Klinik als auch der Rassenhygiene ihren vollen Dienst leisten könne, indem sie Grundlagen und Grenzen der praktischen Anwendung aufzeigte. Allerdings spiegelte sein Handbuch die zunehmende Spezialisierung und interne Differenzierung der Teilgebiete wider.[17]

Schriften

  • Dem Andenken Gregor Mendels., Berlin-Dahlem 1922.
  • Praktische Übungen zur Vererbungslehre. Für Studierende, Ärzte und Lehrer …. Fischer, Freiburg i. Br 1923.
  • Untersuchungen über Faktorenaustausch. Borntraeger, Leipzig 1924.
  • Begriff und Bedeutung des Zufalls im organischen Geschehen. Springer, Berlin 1925.
  • Die Vererbung. Hirt, Breslau 1927.
  • Untersuchungen zur Frage der physiologischen Gleichwertigkeit der Seestern-Radien. Springer, Berlin 1929.
  • (Hrsg.): Vererbung und Erziehung. Julius Springer, Berlin 1930.
  • Erziehungsprobleme im Lichte von Erblehre und Eugenik. Referat. Günther Just. Ferd. Dümmlers Verlbh, Berlin, Bonn 1932.
  • (Hrsg.): Eugenik und Weltanschauung. Metzner, Berlin, München 1932.
  • Probleme der Persönlichkeit. Günther Just. Metzner, Berlin 1934.
  • Allgemeine Vererbungslehre. 2. Auflage. Springer, Berlin 1935.
  • Die Arbeit des Greifswalder Instituts für Vererbungswissenschaft. Günther Just. Verl. d. Dt. Ärzteschaft, Berlin 1936.
  • Die Vererbung. Günther Just. 2. Auflage. F. Hirt, Breslau 1936.
  • Schulauslese und Lebensleistung. Vortrag gehalten auf dem Internationalen Kongreß für Bevölkerungswissenschaft zu Berlin am 30. August 1935. Hirzel, Leipzig 1936.
  • und K. H. Bauer: Handbuch der Erbbiologie des Menschen. Springer, Berlin 1939–1940.
  • und Wolfgang Abel, K. H. Bauer: Methodik, Genetik der Gesamtperson. Springer, Berlin 1940.
  • Agnes Bluhm und ihr Lebenswerk. Günther Just. Naumann, Berlin 1941.
  • Vier Vorträge: die Stellung des Menschen im Reiche der Lebendigen; über die Beurteilung geistiger Leistung; Gegenwartsprobleme der Anthropologie; alte und neue Sozialanthropologie. Springer, Berlin 1951.

Literatur

  • Ute Felbor: Rassenbiologie und Vererbungswissenschaft in der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg 1937–1945. Ute Felbor / Zugl.: Würzburg, Univ., Diss., 1995. Königshausen und Neumann, Würzburg 1995, ISBN 3-88479-932-0.

Einzelnachweise

  1. Felbor, Rassenbiologie, S. 150.
  2. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 293.; Felbor, Rassenbiologie, S. 152.
  3. Hans-Christian Harten, Uwe Neirich, Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch. Oldenbourg, München 2006, S. 179.
  4. Felbor, Rassenbiologie, S. 159.
  5. Felbor, Rassenbiologie, S. 154.
  6. Felbor, Rassenbiologie, S. 156.
  7. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, S. 262.
  8. Rüdiger Hachtmann: Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wallstein, Göttingen 2007, S. 982.
  9. Felbor, Rassenbiologie, S. 168f.
  10. Felbor, Rassenbiologie, S. 173; Hans-Peter Kröner: Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege. Gustav Fischer, Stuttgart 1998, S. 151.
  11. Felbor, Rassenbiologie, S. 175.
  12. Hans-Walter Schmuhl: Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, 1927–1945. Wallstein, Göttingen 2005, S. 325f.
  13. a b Felbor, Rassenbiologie, S. 180.
  14. Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1992, S. 557f.
  15. Alexander von Schwerin: Experimentalisierung des Menschen. Der Genetiker Hans Nachtsheim und die vergleichende Erbpathologie 1920–1945. Göttingen 2004, S. 18f.
  16. Peter Propping: Was müssen Wissenschaft und Gesellschaft aus der Vergangenheit lernen? Die Zukunft der Humangenetik. In: Peter Propping, Heinz Schott, Georg Lilienthal (Hrsg.): Wissenschaft auf Irrwegen. Biologismus, Rassenhygiene, Eugenik. Bouvier, Bonn 1992, S. 129.
  17. Felbor, Rassenbiologie, S. 184.