Handley Page Victor

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Handley Page H.P.80 Victor
Handley Page Victor B.Mk.1A, 1961
Handley Page Victor B.Mk.1A, 1961
Typ Strategischer Bomber Tankflugzeug
Entwurfsland

Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich

Hersteller Handley Page Aircraft Company
Erstflug 24. Dezember 1952
Indienststellung April 1958
Produktionszeit

1952 bis 1963

Stückzahl 86
Handley Page Victor K.Mk.2, 1993
Nase eines Victor-V-Bombers

Die Handley Page H.P.80 Victor war ein vierstrahliger Bomber der Zeit des Kalten Krieges aus britischer Produktion. Sie war einer der drei für den Abwurf von Atombomben vorgesehenen Typen der „V-Bomber“-Reihe (neben der Vickers 667 Valiant und der Avro 698 Vulcan). Entwickelt und hergestellt von der Handley Page Aircraft Company, reichte ihre Entwicklung bis in das Jahr 1947 zurück.

Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Victor geht auf die Spezifikation B.35/46 zurück. Damals forderte die Royal Air Force einen strategischen Mittelstreckenbomber für den schallnahen Geschwindigkeitsbereich in großen Höhen, der gleichzeitig in der Lage sein sollte, Kernwaffen zu tragen. Die Victor ist ein freitragender Mitteldecker in Ganzmetallbauweise mit T-Leitwerk und gepfeilten Tragflächen, das Fahrwerk ist komplett einziehbar. Sie erhielt wie die Valiant einen Sichelflügel, war jedoch moderner und erreichte zudem eine höhere Geschwindigkeit als die Vulcan. Während eines Testfluges durchbrach einer der Prototypen sogar die Schallmauer, obwohl die Konstruktion dafür ursprünglich nicht ausgelegt war.

Am 24. Dezember 1952 startete der Prototyp zum Erstflug, ging jedoch am 18. Juli 1954 bei einem Testflug verloren, was die Aufnahme der Serienflugerprobung um drei Jahre verzögerte. Erst 1958 übernahm die RAF die ersten von 50 Victor BMk.1. Abgeleitet aus dieser wurden die verbesserte B.1A, der Aufklärer/Bomber B(PR).1 sowie der Tanker B(K).1. In ihrer Rolle als Trägersystem wurde die Victor auch mit der nuklearen Luft-Boden-Rakete Blue Steel ausgerüstet.

Nach dem Erstflug am 20. Februar 1959 wurde 1962 die Victor B.2 in Dienst gestellt. Aus ihr entstand 1965 der strategische Aufklärer B(SR).2.

Aus der Victor sollte auch ein Truppentransporter mit der Bezeichnung Handley Page HP.111 mit zwei Decks abgeleitet werden, der insgesamt 200 Soldaten befördern konnte (145 auf dem Oberdeck, 55 auf dem unteren Deck).[1] Parallel dazu sollte eine zivile Version dieses Truppentransporters unter der Bezeichnung Handley Page HP.111C als Passagierjet und Frachtflugzeug entwickelt werden, der auf dem Oberdeck ebenfalls 145 Passagiere oder auf beiden Decks Frachtpaletten aufnehmen sollte.[2]

Truppendienst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Umschuleinheit, die 230. Operational Conversion Unit, in RAF Waddington, die zuvor Valiant-Crews ausbildete, erhielt im November 1957 ihre ersten Exemplare und die erste Einsatzstaffel, die 10. Squadron, wurde im April 1958 in RAF Cottesmore aufgestellt. Nach dem kompletten Zulauf besaß das RAF Bomber Command sechs Einsatzstaffeln. Neben der strategischen Rolle wurden Victors auch konventionell bewaffnet und kamen erstmals Mitte der 1960er Jahre bei der Konfrontasi in Indonesien zum Einsatz (siehe nächster Abschnitt). Die Flugzeuge waren in RAF Cottesmore, RAF Marham, RAF Waddington, RAF Wittering und RAF Wyton stationiert.

Die 55. Squadron verlegte im Mai 1965 von RAF Honington nach RAF Marham, wo sie die erste Victor-Staffel in der Luftbetankungsrolle wurde. Alle verbliebenen Victor wurden ab 1969 bei drei Staffeln nur mehr als Tanker eingesetzt. Die letzte Staffel wurde erst 1993 außer Dienst gestellt.

Einsätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während des Borneo-Konfliktes der Jahre 1962–1965 flogen zwei Victor BMk 1A die einzigen offensiven Bombereinsätze in der Geschichte dieses Flugzeugtyps.

Im Falklandkrieg 1982 war bei der Operation Black Buck die Victor als Luftbetankungsflugzeug für die Avro-Vulcan-Bomber eingesetzt. Die Victor wurde zudem auch in der Operation Desert Storm 1991 eingesetzt und blieb bis 1993 als Tanker im Dienst der RAF; sie war zugleich das letzte von Handley Page produzierte Kampfflugzeug und auch der langlebigste „V-Bomber“, jedoch nicht in der Rolle des Bombers.

Militärische Nutzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich

Stationierungsorte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • RAF Cottesmore, Victor B.1/B.1A/B.2, April 1958 bis Oktober 1964 (10. und 15. Squadron, C-Flight/232. Operational Conversion Unit bzw. Victor Training Flight)
  • RAF Honington, Victor B.1/B.1A, Januar 1956 bis Dezember 1965 (55. und 57. Squadron)
  • RAF Marham, Victor B(K).1A/K.1/K.1A/K.2, Mai 1965 bis Oktober 1993 (55. und 57. Squadron, Victor bzw. 232. Operational Conversion Unit)
  • RAF Wittering, Victor B.2, März 1963 bis Februar 1970 (Victor Training Flight)

Zwischenfälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vom Erstflug 1952 bis zum Betriebsende 1993 kam es mit Handley Page Victor zu 18 Totalschäden von Flugzeugen. Bei 10 davon kamen 44 Menschen ums Leben.[3] Beispiel:

  • Eine Victor der RAF wurde nach Außerdienststellung 1993 zum Bruntingthorpe Aerodrome gebracht, um dort ausgestellt zu werden und zusammen mit anderen Flugzeugen, wie einer De Havilland DH.106 Comet, mehrmals im Jahr High-Speed-Taxiing durchzuführen. Nachdem der letzte Flug bereits 16 Jahre zurücklag, kam es 2009 zu einem weiteren, „versehentlichen“ letzten Flug: Bei einem der Hochgeschwindigkeitstestläufe reagierte der als Copilot fungierende und mit dieser Situation wohl überforderte Wartungstechniker nicht auf die Anweisung des Piloten, die Schubhebel zurückzustellen. Die Victor hob ab und erreichte eine Höhe von etwa 20 Metern, wobei sie durch starken Seitenwind nach links gedrückt wurde.[4] Entgegen den Erwartungen des Piloten reagierte das Flugzeug aber auf alle Steuereingaben und ließ sich im Gras neben der Landebahn aufsetzen. Weder die Piloten noch Zuschauer oder Maschine erlitten Schäden.[5]

Technische Daten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Handley Page Victor
Handley Page Victor mit Anti-Shock-Bodies auf den Tragflächen
Kenngröße Daten (Victor B Mk.2)
Besatzung 5
Länge 35,03 m (B Mk.1: 31,24 m)[6]
Spannweite 36,58 m (B Mk.1: 33,55 m)[6]
Höhe 8,97 m
Flügelfläche 241 m²
Flügelstreckung 5,6
Startmasse 79.450 kg
Zuladung 15.890 kg
Antrieb vier Rolls-Royce Conway 201 mit je 87,88 kN
Höchstgeschwindigkeit 1024 km/h
Marschgeschwindigkeit 957 km/h
Gipfelhöhe 18.300 m
Reichweite 7360 km

Bewaffnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außenlasten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Luft-Boden-Marschflugkörper
  • 1 × Avro Blue Steel (Rakete mit nuklearem 1,1-MT-Sprengsatz)

Bombenschacht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kampfmittel bis zu 20.430 kg in einem zentralen internen Waffenschacht.[7][8][9]
Ungelenkte Bomben
  • 35 × Royal Ordnance GP Mk. IV (1.000-lb-/454-kg-Freifallbombe)
  • 20 × Mark 65 „Quickstrike“ (907-kg-/2.000-lb-Seemine)
  • 2 × Bomb Aircraft 12.000 lb DP, Mk 1 Tallboy
  • 1 × Bomb Aircraft 22.000 lb DP, Mk 1 Grand Slam
  • 1 × „Violet Cub“ Bomb Aircraft 3.310 lb (Freifallbombe mit nuklearem 400-kt-Sprengsatz)
  • 1 × „Yellow Sun Mk.2“ Bomb Aircraft 7.250 lb (Freifallbombe mit nuklearem 400-kt-Sprengsatz)
  • 4 × B28 (nukleare Freifallbombe mit 70–1.450-kT-Sprengsatz)
  • 4 × WE.177B (fallschirmverzögerte Freifallbombe mit nuklearem 450-kt-Sprengsatz)

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • C.H. Barnes: Handley Page Aircraft since 1907. Putnam, London 1976, ISBN 0-370-00030-7.
  • Phil Butler, Tony Buttler: Aerofax. Handley-Page Victor. Midland Publishing, 2009, ISBN 1-85780-311-6.
  • Tony Buttler: Vital Bombers. Origins of the RAF’s 'V-Bomber' Force. In: Air Enthusiast, No. 79, Januar/Februar 1999, ISSN 0143-5450, S. 28–41.
  • Bill Gunston: The V-Bombers. Handley Page Victor – Part 1. In: Aeroplane Monthly, Vol. 9, No 1, Januar 1981, ISSN 0143-7240, S. 4–9.
  • Bill Gunston: The V-Bombers. Handley Page Victor – Part 2. In: Aeroplane Monthly, Vol. 9, No 2, Februar 1981, ISSN 0143-7240, S. 60–65.
  • Bill Gunston: The V-Bombers. Handley Page Victor – Part 3. In: Aeroplane Monthly, Vol. 9, No 3, März 1981, ISSN 0143-7240, S. 136–139, 142–146.
  • Victor. A Technical Description of Britain’s Latest V-Bomber. In: Flight, 30. Oktober 1959 S. 463–472.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Handley Page Victor – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Fotos und Informationen zu in Museen ausgestellten Exemplaren bei plane-crazy (engl.)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. C. H. Barnes: Handley Page Aircraft since 1907. Putnam Aeronautical Books, London 1987, S. 527–528, ISBN 0 85177 803 8.
  2. C. H. Barnes: Handley Page Aircraft since 1907. Putnam Aeronautical Books, London 1987, S. 528–529, ISBN 0 85177 803 8.
  3. Liste von Unfällen mit Handley Page Victor, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 26. Juli 2018.
  4. The Telegraph: RAF-Pilot im Ruhestand verhindert Airshow-Desaster, 8. September 2009 (englisch).
  5. Video des Zwischenfalls auf YouTube.
  6. a b Harry Fraser-Mitchell: Handley Page Victor – Database. In: Aeroplane Monthly Juli 2009, S. 86
  7. Bill Gunston: An Illustrated Guide to Modern Bombers. 1988, S. 32–35, ISBN 978-01345-3268-4
  8. Hrsg. John W. R. Taylor: Jane’s All the World’s Aircraft 1965-1966. 1965, S. 143–145, OCLC 867946645C
  9. Andrew Brookes: The Handley Page Victor. 1988, ISBN 0-7110-1803-0