Herta Müller

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Herta Müller auf der Leipziger Buchmesse 2007

Herta Müller (* 17. August 1953 in Nitzkydorf, Rumänien) ist eine deutsche Schriftstellerin. Am 8. Oktober 2009 wurde bekanntgegeben, dass sie mit dem Nobelpreis für Literatur 2009 ausgezeichnet wird.[1]

Leben

Herta Müller wurde als Banater Schwäbin, einem Teil der deutschen Minderheit in Rumänien, im Banat geboren. Ihr Großvater war ein wohlhabender Bauer und Kaufmann. Er wurde unter dem kommunistischen Regime enteignet. Ihre Mutter wurde zu jahrelanger Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert. Ihr Vater, ein ehemaliger Soldat der Waffen-SS, verdiente seinen Lebensunterhalt als Lkw-Fahrer.[2] Nach dem Abitur studierte sie an der Universität des Westens Timişoara Germanistik und rumänische Literatur. Ab 1976 arbeitete Herta Müller als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik, wurde allerdings 1979 nach ihrer Weigerung, mit der rumänischen Securitate zusammenzuarbeiten, entlassen. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt mit zeitweiliger Lehrtätigkeit in Schulen – unter anderem am deutschsprachigen Nikolaus Lenau Lyzeum in Timişoara – und in Kindergärten sowie mit privatem Deutschunterricht. Ihr erstes Buch Niederungen konnte 1982 in Rumänien, wie alle Publikationen, nur in zensierter Fassung erscheinen. 1987 reiste Herta Müller mit ihrem damaligen Ehemann, dem Schriftsteller Richard Wagner, in die Bundesrepublik Deutschland aus. In den folgenden Jahren erhielt sie eine Reihe von Lehraufträgen als „Writer in residence“ an Universitäten im In- und Ausland. 2005 war sie „Heiner-Müller-Gastprofessorin“ an der Freien Universität in Berlin, wo sie heute lebt.

Herta Müller gehörte bis zu ihrem Austritt 1997 dem P.E.N.-Zentrum Deutschland an; seit 1995 ist sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

2008 entbrannte eine innenpolitische Diskussion um die Teilnahme des Historikers Sorin Antohi und des Germanisten Andrei Corbea-Hoişie an einer Tagung des „Berliner Rumänischen Kulturinstituts“ am 25. Juli 2008, weil beide Informanten der Securitate im kommunistischen Rumänien waren. Herta Müller kritisierte deren Einladung in einem offenen Brief.[3] Im Rahmen dieser Auseinandersetzung griff der aus dem Banat stammende Historiker, Philosoph und Literat Carl Gibson Herta Müller an und warf ihr in seinem Buch Symphonie der Freiheit[4] Systemloyalität unter dem Ceauşescu-Regime vor.[5]

In einem Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit vom 23. Juli 2009 mit dem Titel „Die Securitate ist noch im Dienst“ beschreibt Herta Müller allerdings, welchen Maßnahmen „zur Kompromittierung und Isolierung“ des rumänischen Geheimdienstes sie ausgesetzt war und noch heute ist. Die Akten der Securitate offenbaren, dass sie und damit ihre unermüdliche Kritik an der Diktatur Ceaușescu durch Diskreditierungsmaßnahmen unglaubwürdig gemacht werden sollte. So wurden etwa von der Securitate entworfene Briefe an deutsche Rundfunkanstalten geschickt, in denen sie als Agentin beschuldigt wurde. Weiterhin beschuldigten sie führende Personen der Landsmannschaft der Banater Schwaben, von denen Müller vermutet, dass sie informelle Mitarbeiter der Securitate waren und im Auftrag der Kommunistischen Partei Rumäniens schrieben.[6]

2009 wurde ihr Roman Atemschaukel, der durch ein Grenzgänger-Stipendium[7] der Robert Bosch Stiftung ermöglicht wurde, für den Deutschen Buchpreis nominiert und gelangte ins Finale der besten sechs Romane.[8] In diesem Buch zeichnet die Autorin den Weg eines jungen Mannes in ein Deportationslager nach Russland nach, das exemplarisch für das Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen nach dem Zweiten Weltkrieg steht. Als Modell diente ihr dabei das Erleben des 2006 verstorbenen Lyrikers und Georg-Büchner-Preisträgers Oskar Pastior, dessen mündliche Erinnerungen Herta Müller in mehreren Heften notiert hat.

Am 8. Oktober 2009 wurde bekanntgegeben, dass Herta Müller den Nobelpreis für Literatur für 2009 erhalten wird. Sie habe „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“ gezeichnet, hieß es in der Würdigung. Begründet wurde die Vergabe des Nobelpreises mit der Intensität der von ihr verfassten Literatur.[9]

Auszeichnungen

Herta Müller erhielt unter anderem folgende Auszeichnungen:

Werke

Herta Müller bei der SWR-Literaturnacht in Mainz (2009)
  • Niederungen, Bukarest 1982, Berlin 1984
  • Drückender Tango, Bukarest 1984
  • Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt, Berlin 1986
  • Barfüßiger Februar, Berlin 1987
  • Reisende auf einem Bein, Berlin 1989
  • Wie Wahrnehmung sich erfindet, Paderborn 1990
  • Der Teufel sitzt im Spiegel, Berlin 1991
  • Der Fuchs war damals schon der Jäger, Reinbek bei Hamburg 1992
  • Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett, Hamburg 1992
  • Der Wächter nimmt seinen Kamm, Reinbek bei Hamburg 1993
  • Angekommen wie nicht da, Lichtenfels 1994
  • Herztier, Reinbek bei Hamburg 1994
  • Hunger und Seide, Reinbek bei Hamburg 1995
  • In der Falle, Göttingen 1996
  • Heute wär ich mir lieber nicht begegnet, Reinbek bei Hamburg 1997
  • Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne, Göttingen 1999
  • Im Haarknoten wohnt eine Dame, Reinbek bei Hamburg 2000
  • Heimat ist das, was gesprochen wird, Blieskastel 2001
  • Der König verneigt sich und tötet, München [u. a.] 2003
  • Die blassen Herren mit den Mokkatassen, München [u. a.] 2005
  • Este sau nu este Ion, Iaşi 2005
  • Atemschaukel, München [u. a.] 2009

Ausgewählte Werke Herta Müllers sind in 24 Sprachen veröffentlicht worden.

Hörbücher

  • Die Nacht ist aus Tinte gemacht. Herta Müller erzählt ihre Kindheit im Banat, supposé 2009

Herausgeberschaft

  • Theodor Kramer: Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan, Wien 1999
  • Die Handtasche, Künzelsau 2001
  • Wenn die Katze ein Pferd wäre, könnte man durch die Bäume reiten, Künzelsau 2001

Literatur

  • Herta Müller. In: Text + Kritik München 2002 ISSN 0040-5329
  • Norbert Otto Eke (Hrsg.): Die erfundene Wahrnehmung. Paderborn 1991
  • Herta Haupt-Cucuiu: Eine Poesie der Sinne. Paderborn 1996
  • Ralph Köhnen (Hrsg.): Der Druck der Erfahrung treibt die Sprache in die Dichtung. Frankfurt 1997
  • Grazziella Predoiu: Faszination und Provokation bei Herta Müller. Frankfurt 2000
  • Bogdan Dascalu: Held und Welt in Herta Müllers Erzählungen. Hamburg 2004
  • Nina Brodbeck: Schreckensbilder. Marburg 2000
  • Carmen Wagner: Sprache und Identität. Oldenburg 2002
  • Martin A. Hainz: Den eigenen Augen blind vertrauen? Über Rumänien. In: Der Hammer – Die Zeitung der Alten Schmiede. 2004,2 (Nov.), S. 5–6
  • Thomas Daum (Hrsg.): Herta Müller. Frankfurt a.M. 2003
  • Astrid Schau: Leben ohne Grund. Konstruktion kultureller Identität bei Werner Söllner, Rolf Bossert und Herta Müller. Bielefeld 2003
  • Iulia-Karin Patrut: Schwarze Schwester – Teufelsjunge. Ethnizität und Geschlecht bei Herta Müller und Paul Celan. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2006
  • Paola Bozzi: Der fremde Blick. Zum Werk Herta Müllers. Würzburg 2005
  • Symons Morwenna: Room for Manoeuvre. The Role of Intertext in Elfriede Jelinek’s "Die Klavierspielerin", Günter Grass’s "Ein weites Feld", and Herta Müller’s "Niederungen" and "Reisende auf einem Bein". London 2005
  • Brigid Haines: Herta Müller. Cardiff 1998
  • Lyn Marven: Body and Narrative in German Literature. Oxford 2005

Weblinks

Commons: Herta Müller – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. nobelprize.org: Literaturnobelpreis für deutsche Schriftstellerin Herta Müller, abgerufen am 8. Oktober 2009.
  2. Munzinger
  3. Spitzel in der Sommerakademie, Frankfurter Rundschau (fr-online.de), 23. Juli 2008. Vgl. „Spitzelaffäre“ in Berlin, Siebenbürger Zeitung (Siebenbuerger.de), 9. August 2008, Zugriff September 2008
  4. Carl Gibson: Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur. Chronik und Testimonium einer tragischen Menschenrechtsbewegung in literarischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen. J. H. Röll Verlag, Dettelbach 2008, ISBN 978-3-89754-297-6, S. 371–375
  5. Interview mit Carl Gibson auf Radio Transylvania International, 27. August 2008, Zugriff September 2008; u. Carl Gibson aus Bad Mergentheim: Symphonie der Freiheit beleuchtet die Menschenrechtsbewegung in Rumänien – Der Zeitzeuge legt Buch mit 400 Seiten vor, Fränkische Nachrichten (fnweb.de), Bad Mergentheim
  6. Die Zeit: Die Securitate ist noch im Dienst. 28. Juli 2009.
  7. [1] Grenzgänger-Programm der Robert Bosch Stiftung
  8. vgl. dpa: Sechs Romane für Deutschen Buchpreis nominiert bei zeit.de, 16. September 2009 (aufgerufen am 16. September 2009)
  9. Nobel-Juroren lesen gerne Deutsch, dpa, via Zeit online, 8. Oktober 2009

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