Integrierte Organisations- und Technikentwicklung

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Das Konzept Integrierte Organisations- und Technikentwicklung (OTE) wurde in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in mehreren Praxisprojekten als methodologischer Orientierungsrahmen zur Entwicklung von Groupware-Systemen und deren Einführung in Organisationen eingeführt[1]. OTE beruht auf der Erkenntnis, dass die Gestaltung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die Entwicklung von Organisationen und die Veränderung menschlicher Arbeitspraxis untrennbar miteinander verknüpft sind. OTE wird in der Sozio-Informatik eingesetzt.

Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

OTE integriert zyklische Prozessmodelle aus der Arbeitspsychologie, des Software-Engineering und der Organisationsentwicklung um einen einheitlichen Bezugsrahmen für die Analyse, Gestaltung, Einführung, Anpassung und Aneignung vernetzter IKT-Kooperationssysteme in Organisationen und die damit verbundene Entwicklung des gesamten, aus personellen, organisatorischen und technologischen Aspekten bestehenden Arbeitssystems bereitzustellen.

Als integratives Konzept will OTE die ganzheitliche Entwicklung/Veränderung eines Arbeitssystems, inklusive organisatorischer Entwicklungen, Personalentwicklungs- und Qualifikationsmaßnehmen und technischer Gestaltung, Einführung und Anpassung. Die besondere Herausforderung bei komplexen IKT-Einführungsprojekten ist es, die Wechselwirkungen zwischen Technik-, Organisations- und Personalentwicklung in den Blick zu nehmen. Der OTE-Ansatz greift dazu insbesondere auf drei zentrale Prinzipien zurück:

  • einen aktionsforscherischen Ansatz, der wissenschaftliche Analyse mit direkter Einflussnahme und Intervention verknüpft[2],
  • die konsequente Beteiligung von Betroffenen (Techniknutzern, Arbeitnehmern, Organisationsmitgliedern, Mitarbeitern etc.) in allen Prozessphasen und
  • ein periodisch wiederholendes -zyklisches Vorgehen, welches auch Anforderungs- und Anpassungsnotwendigkeiten im Prozessverlauf Rechnung trägt.

Ein Beispiel: IranNGO-CS - Community-System iranischer Nichtregierungs-Organisationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Internationalen Instituts für Sozio-Informatik (IISI) zielte auf die Vernetzung und das "Community Building" von Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Iran[3]. Von 2000 bis 2002 hat das IISI im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung die vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) entwickelte Groupware BSCW (Basic Support for Cooperative Work) für den Vernetzungsprozess iranischer NGOs zur Verfügung gestellt[4]. Das Projekt orientierte sich dabei am Konzept Integrierte Organisations- und Technik-entwicklung (OTE) und zielte dabei nicht nur auf Technikeinführung, sondern auch auf Maßnahmen zu: Telekommunikation und -kooperation, Virtuellen Gemeinschaften, Organisationslernen und Wissensmanagement, Vorbereitung von nationalen Konferenzen, nachhaltige Netzwerkentwicklung und Prozess-Evaluation[5].

Entstehung und Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ursprünglich verbindet OTE Konzepte und Methoden der Organisationsentwicklung[6], des Software-Engineering-Ansatzes STEPS[7] und der psychologischen Handlungsregulations-Theorie[8]. Gemeinsam ist diesen Ansätzen ein zyklisches Verständnis von Analyse-, Interventions- und Evaluationsphasen.

Entstanden ist die durch OTE propagierte, konzeptionelle Integration durch die Erkenntnis, dass die Gestaltung von – oft komplexen – Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die Entwicklung von Organisationen und die Veränderung menschlicher Arbeitspraxis untrennbar miteinander verknüpft sind. Technikeinführung verändert Arbeitsabläufe, Qualifikationsanforderungen und Organisationsstrukturen. Veränderte Arbeitsabläufe, Qualifikationen und Organisationsstrukturen verändern ihrerseits wiederum die Rahmenbedingungen und Anforderungen an technische Unterstützung. Traditionelle, ingenieurtechnische geprägte Technikentwicklung und klassische Management-Ansätze wie etwa betriebswirtschaftlich orientierte Business Process Re-engineering (BPR-)Maßnahmen nehmen diese Wechselwirkungen nur unzureichend in den Blick.

Neben der Orientierung an der Aktionsforschung, die ein zyklisches und interventionistisches Vorgehen in Forschung und Entwicklung (FuE) erlaubt, haben es für die Konzeption von OTE insbesondere die Entwürfe der Sozio-Technischen Systeme[9] und des Participatory Design[10] ermöglicht, technische, organisatorische und personelle Entwicklungsprozesse zusammen zu denken und die Bedürfnisse von Menschen als Nutzer von IKT, Organisationsmitgliedern und Arbeitern in den Mittelpunkt von sozio-informatischer Forschung und Entwicklung zu stellen.

Im Zuge langjähriger Anwendung in unterschiedlichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten wurde das ursprüngliche OTE-Konzept weiterentwickelt und im Hinblick auf neue Organisationsformen wie etwa virtuelle Organisationen oder Netzwerke, zivilgesellschaftliche Organisationen und auch auf neue Anwendungskontexte, d. h. vom ursprünglichen Feld Arbeitskontext auf die Bereiche Bildung, politisches Engagement etc. erweitert[11].

OTE liefert heute das einzige systematische Framework für die Integration von Mensch, Organisation und Technik in sozio-technischen Entwicklungsprozessen, nachdem vergleichbar motivierte Konzepte wie beispielsweise MUST[12] nicht mehr systematisch weiter entwickelt wurden.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kensing, F. J. Simonsen and K. Bødker 1998: MUST - a Method for Participatory Design. In Human-Computer Interaction, vol 13, no 2.
  • Lewin, Kurt 1946: Action research and minority problems. Journal of Social Issues, 2, 34–46.
  • Rohde, Markus (2007): Integrated Organization and Technology Development (OTD) and the Impact of Socio-Cultural Concepts - A CSCW Perspective. Datalogiske skrifter, University of Roskilde
  • Bødker, K.; Kensing, F.; Simonsen, J. 2005: Participatory IT Design. Designing for Business and Workplace Realities. Boston: MIT Press
  • Greenbaum, Joan and Kyng, Morten 1991: Design at Work. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates
  • Mumford, E. (1987). Sociotechnical Systems Design: Evolving Theory and Practice. In G. Bjerknes, et al. (Eds.), Computers and Democracy (pp. 59–76)
  • Hacker, W. 1986: Arbeitspsychologie. Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin
  • French, W.L.; Bell, C. H. 1973: Organization Development, Englewood Cliffs
  • Floyd, Ch., Reisin, F.-M., Schmidt, G. 1989: STEPS to software development with users. In: Ghezzi, C.; McDermid, J.A. (eds.): ESEC'89 - 2nd European Software Engineering Conference, University of Warwick, Coventry. Lecture Notes in Computer Science No. 387, Heidelberg: Springer, pp. 48 – 64
  • Rohde, Markus 2003: Building an e-Community of Iranian NGOs. Proceedings of IADIS International Conference e-Society (International Association for Development of the Information Society), Lisbon, Portugal, 03.-06. Juni 2003, 187–194.
  • Rohde, Markus; Wulf, Volker 1995: Introducing a Telecooperative CAD-System - The Concept of Integrated Organization and Technology Development. Workshop Computer Supported Cooperation in Product Design, In: Proceedings of the HCI International '95, 6th International Conference on Human-Computer Interaction in Yokohama, Elsevier Science Publishers, Amsterdam, 787–792.
  • Wulf, Volker; Rohde Markus (1995a): Towards an Integrated Organization and Technology Development. In: Olson, Gary M.; Shuon, Sue (eds.): Conference Proceedings DIS '95, Symposium on Designing Interactive Systems: Processes, Practices, Methods, and Techniques. Association of Computing Machinery, acm-publications, New York, 55–65.
  • Wulf, Volker; Rohde, Markus (1995b): Integrated Organization and Technology Development - an Approach to Manage Change. In: Brandt, D.: Proceedings of the 5th IFAC-Symposium on Automated Systems based on Human Skills, 135–140.
  • Stiemerling, Oliver; Wulf, Volker; Rohde, Markus (1998): Integrated Organization and Technology Development – The Case of the OrgTech-Project. In: Proceedings of Concurrent Engineering (CE 98), July, 13–15, Tokyo, 181–187.
  • Rohde, Markus (2004): Find what binds. Building social capital in an Iranian NGO community system. In: Huysman, M., Wulf, V. (eds.) 2004: Social Capital and Information Technology, Cambridge: MIT Press, 75–112.
  • Rohde, Markus; Reinecke, Leonard; Pape, Bernd; Janneck, Monique (2004): Community-building with Web-Based Systems – Investigating a Hybrid Community of Students, In: International Journal on Computer Supported Cooperative Work (JCSCW), 13, 471–499.
  • Rohde, Markus; Klamma, Ralf; Jarke, Matthias; Wulf, Volker (2007): The Reality is our Lab: Communities of Practice in Applied Computer Science. In: International Journal on Behaviour & Information Technology, forthcoming.
  • Volker Wulf; Matthias Krings; Oliver Stiemerling; Giulio Iacucci; Paul Fuchs Frohnhofen; Joachim Hinrichs; Martin Maidhof; Bernhard Nett; Ralph Peters: Improving Inter-Organizational Processes with Integrated Organization and Technology Development, in: Journal of Universal Computer Science, Vol. 5, No. 6, 1999, 339 – 365
  • Rohde, Markus (2003): Supporting an electronic “Community of Practice” of Iranian civil society organizations, in: IADIS International Journal on WWW/Internet, Volume 1, No. 2, 91–106.
  • Rohde, Markus (2003): Eine iranische NGO-Community entsteht. Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 16, Heft 1, Stuttgart, Lucius & Lucius, 119–122.
  • Rohde, Markus (2004): Find what binds. Building social capital in an Iranian NGO community system. In: Huysman, M., Wulf, V. (eds.) 2004: Social Capital and Information Technology, Cambridge: MIT Press, 75–112.
  • Rohde, Markus (2003c): Building an e-Community of Iranian NGOs. Proceedings of IADIS International Conference e-Society (International Association for Development of the Information Society), Lisbon, Portugal, 03.-06. Juni 2003, 187–194.
  • Stiemerling, Oliver; Wulf, Volker; Rohde, Markus (1998): Integrated Organization and Technology Development – The Case of the OrgTech-Project. In: Proceedings of Concurrent Engineering (CE 98), July, 13–15, Tokyo, 181–187.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rohde/Wulf 1995, Wulf/Rohde 1995a und 1995b, Stiemerling et al. 1998
  2. Lewin 1946
  3. Rohde 2003a und 2003b
  4. Rohde 2003c
  5. Rohde 2003c und 2004
  6. French/Bell 1973
  7. Floyd et al. 1989
  8. Hacker 1986
  9. Mumford 1987
  10. Greenbaum/Kyng 1991, Bodker et al. 2005
  11. Rohde 2003, Rohde 2004, Rohde et al. 2004, Rohde 2007, Rohde et al. 2007
  12. Kensing et al. 1998