Islam in der Schweiz

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Der Islam hat in der Schweiz laut der Schweizer Strukturerhebung aus dem Jahr 2019 ungefähr 392 000 Anhänger (5,5 % Anteil in der Gesamtbevölkerung) über 15 Jahren in der ständigen Wohnbevölkerung,[1] andere Angaben gehen 2007 von über 440 000 Muslimen in der Schweiz aus (5,8 % Anteil in der Gesamtbevölkerung).[2] Die meisten von ihnen sind seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei eingewandert. Der Islam ist damit nach dem Christentum die zweitgrösste Religion in der Schweiz.

Die 1963 eröffnete Mahmud-Moschee in Zürich, die erste Moschee der Schweiz

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Geschichte des Islams in der heutigen Schweiz ist älter als die Eidgenossenschaft an sich. Sie beginnt im 10. Jahrhundert, als Muslime vorübergehend in das Hochburgund beziehungsweise in die heutige Schweiz eindrangen.[3][4]

Mittelalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aus dem südfranzösischen Fraxinetum (Provence) vorstossende Araber – auch als Sarazenen bezeichnet – drangen 939 bis Genf vor und stiessen in den folgenden Jahren ins Wallis, Teile Graubündens und in die Ostschweiz. Möglich wurde dies durch einen Frieden, den Hugo, Dux Francorum, König der Lombardei und faktischer Herrscher der Provence im Jahr 941 mit den Sarazenen schloss und ihnen dabei formell die Alpenpässe überliess. Damit sicherte er sich die Unterstützung von Abd ar-Rahman, des Kalifen von Córdoba und gewann einen möglichen Verbündeten gegen die Bedrohung aus dem Norden, wo König Otto I. nach Süden drängte.[5] Zwischen 952 und 960 beherrschten die Araber nach der Schlacht bei Orbe VD weite Teile im Süden und Westen der Schweiz einschliesslich des Grossen St. Bernhard-Passes[6] und stiessen im Nordosten überfallartig bis St. Gallen vor, im Südosten bis Pontresina.[7] Die arabischen Überfälle («Razzien») wurden mit der Eroberung des Brückenkopfs Fraxinetum durch provencialische Truppen um 975 beendet. Etymologische Ableitungen einiger Walliser Ortsnamen von arabischen Bezeichnungen werden derzeit von der linguistischen Forschung abgelehnt. Siedlungsspuren der Sarazenen im schweizerischen Alpenraum wurden bis jetzt ebenfalls nicht entdeckt.[4]

Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erst im Jahr 1799 zogen kurzzeitig wieder grössere Gruppen von Muslimen – diesmal Tataren – über die Alpenpässe. Als Teil der russischen Armeen Suworows und Rimski-Korsakows kämpften sie in der Zweiten Schlacht um Zürich gegen französische Revolutionstruppen.

20. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1935 fand in der Schweiz ein von Ägyptern inspirierter Kongress Europäischer Muslime statt. Im Jahr 1945 kamen die ersten Türken in die Schweiz, um sich an schweizerischen Hochschulen – zum Teil mit Unterstützung des türkischen Staates – ausbilden zu lassen (darunter auch der spätere Minister Tahsin Önalp, der an der ETH Zürich promoviert wurde). Die meisten kehrten nach dem Abschluss des Studiums wieder in die Türkei zurück. 1946 kam auch eine Gruppe Ahmadiyya-Missionare ins Land und bauten mit der Mahmud-Moschee in Zürich 1963 die erste Moschee der Schweiz. 1978 wurde die Genfer Moschee eröffnet.

Anfang 1960er bis Mitte der 1970er Jahre kamen türkische Gastarbeiter und etwas später ihre Familien (siehe auch Türkeistämmige in der Schweiz). Zur gleichen Zeit wanderten Gastarbeiter aus den islamisch geprägten Teilen Jugoslawiens in die Schweiz ein. Daher flohen während des Bosnienkrieges und des Kosovokrieges viele Menschen aus diesen Regionen zu ihren Verwandten. Der Islam in der deutschsprachigen Zentralschweiz ist daher vor allem bosnisch, albanisch (siehe Albaner in der Schweiz) und türkisch geprägt, in der Romandie sind arabischstämmige Muslime stärker vertreten. Die grössten muslimischen Bevölkerungsanteile finden sich in der französischsprachigen Westschweiz, die geringsten in der italienischen Südschweiz.

21. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung über 15 Jahren ist kantonal sehr unterschiedlich und reicht von mehr als 8 % in St. Gallen bis weniger als 2 % in Graubünden im Jahr 2019.[1] Generell leben in der deutschen Schweiz und in dichter besiedelten Kantonen prozentual mehr Muslime als in der lateinischen Schweiz und in ländlicheren Kantonen (mit Ausnahme der Kantone Genf und Glarus, wo rund 7 % der Bevölkerung Muslime sind).[1]

Rechtsstreitigkeiten um Minarettbauten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Moschee in Wangen bei Olten, mit 2009 errichtetem Minarett

Rechtsstreitigkeiten um den Bau von Moscheen oder Moscheeerweiterungen (Minarette) beeinflussten seit 2006 das Zusammenleben mit den Muslimen in der Schweiz. Dabei handelte es sich um die Errichtung von Minaretten bei den bestehenden muslimischen Gebetsräumlichkeiten in drei Gemeinden (Wangen bei Olten, Langenthal und Wil SG) sowie um den Plan zum Bau eines Islamischen Zentrums in Bern.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) mobilisierte gegen die Bauvorhaben; im Kanton Zürich kam es zu einer Parlamentarischen Initiative, und am 1. Mai 2007 wurde eine Eidgenössische Volksinitiative mit dem Titel «Gegen den Bau von Minaretten», welche den Bau von Minaretten in der Schweiz untersagen wollte, offiziell gestartet. Diese Initiative wurde am 29. November 2009 mit einer deutlichen Mehrheit angenommen, die meisten Gegenstimmen kamen aus der Westschweiz.

Islamische Organisationen in der Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da unter den Muslimen auf Grund von Herkunft und Kultur starke Unterschiede bestehen, gibt es noch immer viele verschiedene Vereine und Gruppen, die untereinander relativ wenig Kontakt pflegen. Diese Gruppen treffen sich meist in sogenannten Hinterhofmoscheen. Ihre Organisation verbessert sich jedoch konstant.

Die Ahmadiyya-Bewegung des Islams in der Schweiz (Nationalorganisation der Ahmadiyya Muslim Jamaat) hat etwa 700 Mitglieder und ihr Emir (Präsident) ist Walid Tariq Tarnutzer.[8]

Das Diyanet İşleri Başkanlığı (kurz: Diyanet) ist eine staatliche Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten in der Türkei. Diese unterhält neben der Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Deutschland und der Türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (ATIB) auch in der Schweiz eine eigne Niederlassung unter dem Namen «İsviçre Türk Diyanet Vakfı» (ITDV bzw. İTDV) bzw. auf deutsch «Türkisch Islamische Stiftung für die Schweiz» (TISS).[9]

Seit 1989 gründeten muslimische Migranten in der Schweiz mehrere «sprach- und kulturübergreifende Dachverbände»:[10]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Brigit Allenbach, Martin Sökefeld: Muslime in der Schweiz, Seismo, Zürich 2010, ISBN 978-3-03777-090-0.
  • Christoph Peter Baumann, Christian J. Jäggi: Muslime unter uns. Islam in der Schweiz. Mit einem Vorwort von Hans Küng. Rex, Luzern / Stuttgart 1991, ISBN 3-7252-0551-5.
  • Christoph Peter Baumann, Sarah Hess-Hurt: ISLAM in Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Manava, Basel 2014. ISBN 978-3-906981-44-4
  • Martin Baumann, Jörg Stolz (Hrsg.): Eine Schweiz – viele Religionen. Risiken und Chancen des Zusammenlebens. Transcript, Bielefeld 2007 (= Kultur und soziale Praxis), ISBN 978-3-89942-524-6.
  • Samuel-Martin Behloul: Muslime in der Zentralschweiz. Von Migranten zu Muslimen in der Diaspora. Ein Forschungsbericht. Universität Luzern 2004.
  • Burchard Brentjes: Die Mauren. Der Islam in Nordafrika und Spanien (642–1800). Koehler und Amelang, Leipzig 1989, ISBN 3-7338-0088-5.
  • Philipp Dreyer: Allahs Kinder sprechen Schweizerdeutsch. Orell Füssli, Zürich 2001, ISBN 3-280-02674-1.
  • Mark A. Gabriel: Swislam – Wie viel erträgt das Land? Salpe, Zürich 2011, ISBN 978-3-9523801-0-9 (ehemaliger Professor für islamische Geschichte an der al-Azhar-Universität, Kairo, 1994 zum Christentum konvertiert, seinen islamischen Namen hat er aus Sicherheitsgründen durch einen christlichen Namen ersetzt).
  • Taner Hatipoglu, Samia Osman: Muslime in der Schweiz. In: Tangram. 7/1999 (PDF-Dokument, 1043 kB, 129 Seiten).
  • Jasmin El-Sonbati: Moscheen ohne Minarett. Eine Muslimin in der Schweiz. Zytglogge, Oberhofen am Thunersee 2010, ISBN 978-3-7296-0816-0.
  • Christian J. Jäggi: Türkisch- und albanischsprechende Muslime in der Innerschweiz. IKF – Institut für Kommunikationsforschung[15], Meggen 1997, OCLC 78144944.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Bundesamt für Statistik: Ständige Wohnbevölkerung ab 15 Jahren nach Religionszugehörigkeit und Kanton – 2019 | Tabelle. 26. Januar 2021, abgerufen am 27. Januar 2021.
  2. Isabella Ackerl: Die Staaten der Erde – Europa und Asien. Wiesbaden 2007, S. 97.
  3. Samuel M. Behloul: Islam. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 30. März 2012, abgerufen am 9. Mai 2013.
  4. a b Hannes Steiner: Sarazenen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 30. März 2012, abgerufen am 9. Mai 2013.
  5. Kees Versteegh: The Arab Presence in France and Switzerland in the 10th Century. In: Arabica, T. 37, Fasc. 3 (Nov., 1990), S. 368–370 (englisch).
  6. Brentjes: Mauren, S. 120 f., 129.
  7. Hans Leicht: Sturmwind über dem Abendland. Europa und der Islam im Mittelalter. VMA, Wiesbaden 2002, ISBN 3-928127-83-7, S. 171 ff.
  8. Schweizer entdecken Allah – Walter und Sonja konvertieren zum Islam. SRF 1, 30. Juni 2008, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 9. Mai 2013.@1@2Vorlage:Toter Link/www.srf.ch (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  9. Türkisch Islamische Stiftung für die Schweiz (TISS)
  10. Islam – Muslimische Migranten in der Schweiz. Religionen in der Schweiz/Religions en Suisse, abgerufen am 10. März 2017.
  11. Christoph Peter Baumann, Christian J. Jäggi: Muslime unter uns. Islam in der Schweiz. Luzern/Stuttgart 1991, S. 73.
  12. Basler Muslim Kommission
  13. Forum für einen fortschrittlichen Islam. Zugriff: 22. Januar 2012.
  14. Medienmitteilungen. In: Al-Rahman. Abgerufen am 9. Oktober 2020 (Schweizer Hochdeutsch).
  15. heute: „Institut für Kommunikation & Führung“, Luzern