Johann Georg Hamann

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Johann Georg Hamann
Aus Paul Ortwin Rave: Das Geistige Deutschland im Bildnis: Das Jahrhundert Goethes. Berlin 1949.

Johann Georg Hamann (* 27. August 1730 in Königsberg; † 21. Juni 1788 in Münster) war ein deutscher Philosoph und Schriftsteller. Sein Hang zum Irrationalen und die mystisch-prophetische Sprache führten zu dem Beinamen „Magus des Nordens.“

Lebenslauf

Hamann war der Sohn eines Bader, der auch als Wundarzt tätig war. 1746 begann er an der Universität Königsberg Theologie zu studieren; später wechselte er zur Rechtswissenschaft, beschäftigte sich aber vor allem mit Sprachen, Literatur und Philosophie, auch mit Naturwissenschaften. Er gehörte 1749/50 zu den Herausgebern der Wochenzeitschrift »Daphne«. Ohne Abschluss verließ er 1752 die Universität und wurde Hofmeister in Livland. In dieser Zeit setzte er seine breitgefächerten privaten Studien fort.

1756 wurde er von einem Rigaer Handelshaus (Christoph Berens) angestellt und reiste ein Jahr später nach London, wo er bis zum Frühsommer 1758 blieb. Er geriet in eine tiefe Krise und studierte intensiv die Bibel. Dabei kam es 1758 zu einem „Erweckungserlebnis”. In Gegnerschaft zu den Philosophen der Aufklärung (unter ihnen sein Freund Kant) verfocht Hamann unter dem Eindruck Giordano Brunos, Leibniz’, Spinozas und des Neuplatonismus eine Rückbesinnung auf Motive wie Gottesbestimmung, Schöpfung und göttliche Menschwerdung sowie auf die Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit, Allgemeinem und Einzelnem bzw. Begriff und wahrnehmbarem Zeichen.

Hamann war ein enger Vertrauter der Kaufmannsfamilie Behrens. Er erwägte auch Katharina Berens, die Tochter Christoph Berens’, zu heiraten, wozu es allerdings nicht kam. Wegen einer schweren Erkrankung seines Vaters, kehrte er Anfang 1759 wieder nach Königsberg zurück und nahm dort einen bürgerlichen Beruf auf, der für ihn allerdings eher nebensächlich war. Wohl wegen eines Sprachfehlers konnte er weder predigen noch Vorlesungen abhalten. Jedoch waren ihm seine Belesenheit und seine Kenntnis fremder Sprachen bei seiner umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit hilfreich. 1762 begann die Freundschaft mit Johann Gottfried Herder, den er stark beeinflusste. 1764 reiste er nach Frankfurt, die Möglichkeit einer dortigen Anstellung zerschlug sich allerdings.

Durch Vermittlung Kants erhielt Hamann 1767 eine Übersetzerstelle bei der preußischen Zollverwaltung. Er begann eine nie legalisierte „Gewissensehe“ mit Anna Regina Schumacher, aus der vier Kinder hervorgingen. 1777 wurde er zum Packhofverwalter ernannt. Die berufliche Tätigkeit ließ ihm genügend Zeit zu ausgedehnter Lektüre und zum Schreiben. Von 1764 bis 1779 war er Mitarbeiter der „Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen“, für die er viele Rezensionen schrieb. 1787 erhielt er auf eigenes Gesuch seinen Abschied; er reiste nach Düsseldorf zu Friedrich Heinrich Jacobi und nach Münster, wo er Kontakt zum Kreis um Amalia Fürstin Gallitzin aufnahm. Dort starb er am 21. Juni 1788. Sein Grab findet sich heute auf dem historischen Überwasser-Friedhof in Münster.

Grab von Johann Georg Hamann in Münster

Würdigung

Hamann wurde als Prophet der Sturm-und-Drang-Bewegung bezeichnet. Er hatte wesentlichen Anteil an der Entwicklung von Persönlichkeiten wie Herder und Jacobi, er beeinflusste Goethe (der ihn einmal den hellsten Kopf seiner Zeit nannte) und Hegel, besonders aber Kierkegaard.

Überzeugt davon, dass unsere seelischen Regungen sich in einem Halbdunkel (des Unbewussten?) abspielen, schuf er sich selbst eine neue, schwer verständliche Sprache. Das von Sokrates betonte „Nichtwissen“ deutete er als Bekenntnis zum Irrationalismus und verlangte vom Dichter und Denker die „Herzwärme der Willkür“. Seine Schriften - die meist recht kurz sind - sind durchzogen mit vielen Zitaten und Anspielungen. Allerdings widerspricht der rätselhafte Stil dem seines Briefwechsels, der recht deutlich und klar war. Daher wurde vermutet, er habe den Leser zur aktiven Mitarbeit „zwingen“ wollen, denn (so schrieb er einmal sinngemäß) „ein Autor, der heute sofort verstanden wird, wird morgen falsch verstanden.“ Autor und Leser sind bei Hamann komplementär verbunden: sie bilden zwei Hälften eines Ganzen, die sich aufeinander einstellen müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Dies gehört auch zu seinem zentralen Begriff, der coincidentia oppositorum, deren Existenz er überall aufsuchte und auch nachwies: in der rätselhaften Vereinigung von Körper und Geist, von Sinnlichkeit und Vernunft, von Schicksal und Verantwortung im menschlichen Leben, und in den christlichen Mysterien.

Ein Denker, der so sehr vom Widersprüchlichen im Leben überzeugt ist, hat es nicht weit zur Ironie. So war er berühmt für die ironischen Wendungen in seinen Schriften - was ihr Verständnis umso mehr erschwert. Nicht umsonst wird man bei der Lektüre Hamanns an die Romane seines Zeitgenossen Laurence Sterne erinnert.

Bedeutende Werke Hamanns sind Sokratische Denkwürdigkeiten (1759), Golgatha und Scheblimini (1784) sowie Metakritik über den Purismus der reinen Vernunft (1784). Als Wegbereiter des Sturm und Drang sowie der Romantik hatte Hamann nachhaltigen Einfluss auf Denker wie Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling oder Søren Kierkegaard und Ernst Jünger.

Im Bereich der evangelischen Theologie besteht etwa im Bereich der Hallenser Tradition (Martin Kähler; Julius Schniewind; Otto Michel) ein Fortwirken von Hamanns Bibelverständnis. Hamann vertritt die Verbalinspiration der Bibel, die er aber nicht im orthodoxen bzw. fundamentalistischen Sinn als Irrtumslosigkeit oder stilistische Vollkommenheit auffasst. Vielmehr nimmt er die historische Bedingtheit der Bibel ernst, versteht sie aber als Werk des Heiligen Geistes, der "das, was töricht ist vor er Welt" (1. Kor 1,27) erwählt hat. So ist die Bibel vom rationalistischen Standpunkt aus durchaus anfechtbar; mit den Augen "eines Freundes, eines Vertrauten, eines Liebhabers" könne man aber in ihr die "Strahlen der himmlischen Herrlichkeit wahrnehmen".

Rezeption

Sören Kierkegaard studierte Hamanns Schriften intensiv und entwickelte u.a. aus diesen seine eigene - ähnliche - Philosophie. Neben einer vielfältigen Rezeption in der Philosophie zur Sprache hatten die Schriften Hamanns einen nicht unbedeutenden Einfluss auf Ernst Jünger; vgl. u.a. Das Abenteuerliche Herz. Zweite Fassung (1938). u.ö.

Werke

  • Gedanken über meinen Lebenslauf, 1758/59
  • Sokratische Denkwürdigkeiten, 1759
  • Aesthetica in nuce, 1760
  • Kreuzzüge des Philologen, 1762
  • Golgatha und Scheblimini, 1784

Werkausgaben:

  • Hamann’s Schriften. 8 Bände. Hrsg. von Friedrich Roth. Reimer, Berlin 1821-1843 (vollständiges Digitalisat)
  • Sämtliche Werke. 6 Bände. Hrsg. von Josef Nadler. 1949–1957, Reprint 1999 (nicht unumstrittene historisch-kritische Ausgabe)

Literatur

  • Georg Baudler: Im Worte sehen. Das Sprachdenken Johann Georg Hamanns. Bonn 1970
  • Oswald Bayer: Zeitgenosse im Widerspruch. Johann Georg Hamann als radikaler Aufklärer. München 1988
  • Karl Carvacchi: Biographische Erinnerungen an Johann Georg Hamann, den Magus in Norden. Regensberg, Münster 1855 (Digitalisat)
  • Bernhard Gajek: Ernst Jünger und Johann Georg Hamann. In: Etudes Germaniques. Nr. 51 (1996). S. 677-692.
  • Bernhard Gajek: Ernst Jüngers Hamann Erlebnis. In: Günter Figal, Georg Knapp (Hrsg.): Verwandtschaften. Jünger-Studien. Bd. 2. Attempo, Tübingen 2003, S. 53-73
  • Anna Lydia Huber: Feministische Spuren-Suche. Hamann. In: Die Grüne F Abyss. Nr.3/Okt. 1989, S. 7ff.
  • Johann Georg Hamann. Acta des Internationalen Hamann-Colloqiums in Lüneburg 1976, Frankfurt am Main 1979, ISBN 978-3-465-01319-8
  • Helgo Lindner, Hamann über Bibel und Offenbarung, in: ders., Biblisch.... Gesammelte Aufsätze, Gießen 2006, 75-84.
  • Gerhard Nebel: Hamann. Stuttgart 1973

Josef Nadler: Johann Georg Hamann, Der Zeuge des Corpus mysticum, Salzburg 1949

Weblinks

Wikisource: Johann Georg Hamann – Quellen und Volltexte