Judenstrafe

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. Oktober 2016 um 11:15 Uhr durch Fomafix (Diskussion | Beiträge) (Johannes Stumpf verlinkt.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Johann Stumpf war im Jahre 1553 in Weißenstein in Schwaben Zeuge, wie ein Jude mit zwei Hunden gehängt wurde. Holzschnitt von 1568

Die Judenstrafe war eine Sonderform des Hängens kopfüber ohne Strangulation.

Geschichte

Das verkehrte Hängen findet sich, genauso wie das Hängen mit Hunden, zuerst im 9. Jahrhundert in al-Andalus und um das Jahr 1000 in Italien, von wo diese Praxis nach Deutschland gelangte. Sie wurde auch in den Niederlanden praktiziert.

Die Ursprünge der Strafverschärfung durch Beigabe von Hunden liegen im Dunkeln: Sie wurde offenbar erst im späten Mittelalter auf Juden beschränkt und war zuvor schon im Norden Europas weit verbreitet. In germanischer Zeit hatte das Hängen sakralen Charakter. Die Beigabe von Hunden hatte dabei die Funktion eines Opfers an den germanischen Gott Odin, dem diese Tiere heilig waren. Erst später – wohl unter christlichem Einfluss[1] – wurde diese Strafe zur Schandstrafe. Gemäß der Tora galten Hunde als rituell unreine Tiere, die auch nicht als Haustiere gehalten werden durften. Mit diesen unreinen Tieren gemeinsam sterben zu müssen, galt in den Augen religiöser Juden als zusätzliche Schande des Delinquenten. Ferner mag der gemeinsame Tod mit Tieren als besonders drastische Art des Ausschlusses aus der sozialen Gemeinschaft empfunden worden sein.[2]

Praktik

Man hängte jüdische Verbrecher an den Füßen auf, manchmal zusammen mit zwei Hunden.

Der deutsche Jurist Ulrich Tengler (1447–1511) schreibt in seinem Laienspiegel dazu, die Judenstrafe bedeute „den Juden zwischen zweyen wuetenden oder beissenden hunden zu der gewonlichen gerichtsstatt ziehen […] mit dem strang oder ketten bei seinen füssen an einem besondern galgen zwischen die hund nach verkerter maß hencken“.[3] Dabei bezog sich diese Form der Hinrichtung allein als Strafverschärfung für von einem Juden begangenen schweren Diebstahl, für den allgemein das schimpfliche Hängen als Strafe vorgesehen war.

Der lutherische Theologe Jakob Andreae († 1590) berichtet von einem Fall, bei dem die kirchliche Obrigkeit – zuletzt er selbst – den bereits von den Hunden angefallenen Gehängten zu bekehren versuchte, damit dieser sich die Sündenvergebung sichere, d. h. die Abwendung der ewigen Strafe. Der zum Tode Verurteilte ließ sich daraufhin taufen. Die zeitlich-irdische Strafe bestand nun darin, dass man ihn – gewissermaßen strafmildernd – am Halse aufhängte.[4]

Literatur

  • Johann Stumpf: Schwytzer Chronica. Christoffel Froschouer, Zürich 1554 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche Parameterzuweisungen in der „BuchID“ ungültig).
  • Johann Stumpf, Joachim Vadianus: Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und Voelckeren Chronick wirdiger thaaten Beschreybung. Christoffel Froschouer, Zürich 1548 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche ); 1586, OCLC 4111057.
  • Karl von Amira: Die germanischen Todesstrafen. Untersuchungen zur Rechts- und Religionsgeschichte (= Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-philologische und historische Klasse. Band 31, ZDB-ID 209997-4, Abh. 3). Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften u. a., München 1922.
  • Rudolf Glanz: The „Jewish Execution“ in Medieval Germany. Conference on Jewish Relations, New York, NY 1943, OCLC 39618802 (Nachdruck von Jewish Social Studies. Band V, Nr. 1).
  • Guido Kisch: The „Jewish Execution“ in Medieval Germany and the Reception of Roman Law. In: Guido Kisch: Ausgewählte Schriften. (= Forschungen zur Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Juden. Band 2). Mit einem Verzeichnis der Schriften von Guido Kisch zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden. Thorbecke, Sigmaringen 1979, ISBN 3-7995-6016-5, S. 165–193.
  • Wolfgang Schild: Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung. 1000 Jahre Grausamkeit. Hintergründe, Urteile, Aberglaube, Hexen, Folter, Tod. Lizenzausgabe. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-930656-74-4; weitere Ausgaben: 1980; 2002.
  • Norbert Schnitzler: Juden vor Gericht. Soziale Ausgrenzung durch Sanktion. In: Hans Schlosser, Rolf Sprandel, Dietmar Willoweit (Hrsg.): Herrschaftliches Strafen seit dem Hochmittelalter. Formen und Entwicklungsstufen (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas / Symposien und Synthesen. Band 5). Böhlau, Köln u. a. 2002, ISBN 3-412-08601-0, S. 285–308.
  • Kenneth Stow: Jewish Dogs. An Image and Its Interpreters. Continuity in the Catholic-Jewish encounter. Stanford University Press, Stanford, CA 2006, ISBN 0-8047-5281-8.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Spr 26,11 LUTund 2 Petr 2,22 LUT.
  2. Wolfgang Schild: Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung. 1000 Jahre Grausamkeit. Hintergründe, Urteile, Aberglaube, Hexen, Folter, Tod. Lizenzausgabe. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-930656-74-4.
  3. Juliette Guilbaud, Nicolas Le Moigne, Thomas Lüttenberg (Hrsg.): Normes culturelles et construction de la déviance. Accusations et procès antijudai͏̈ques et antisémites à l'époque moderne et contemporaine. Actes des journées d'études organisées à Paris, à la Maison Heinrich Heine (cité international universitaire), les 6 et 7 juin 2003 = Kulturelle Normen und Konstruktion von Devianz. Antijüdische und antisemitische Beschuldigungen in der frühen Neuzeit und in der Moderne (= Europäisches Internationales Graduiertenkolleg Institutionelle Ordnungen, Schrift und Symbole (Dresden; Paris): Études et rencontres du Collège Doctoral Européen. Band 2). Collège Doctoral Européen „Ordres Institutionnels, Ecrit et Symboles“, Ecole Pratique des Hautes Etudes Paris (EPHE) / Technische Universität Dresden 2004, ISBN 2-9521563-0-1, Seite 46 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche Parameterzuweisungen in der „BuchID“ ungültig) (Beiträge teilw. dt., teilw. franz.).
  4. Martin Friedrich: Zwischen Abwehr und Bekehrung (= Beiträge zur historischen Theologie. Band 72). Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1988, ISBN 3-16-145318-2, Seite 175 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche Parameterzuweisungen in der „BuchID“ ungültig). (Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1986).