Jüdischer Weltkongress

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Der Jüdische Weltkongress (englisch World Jewish Congress, WJC) ist eine internationale Vereinigung von jüdischen Gemeinschaften und Organisationen. Der Anspruch des WJC ist die Vertretung der politischen Belange aller Juden in der Diaspora, also jener, die außerhalb des Staates Israel leben. Mitglieder im WJC sind die repräsentativen Dachorganisationen der jüdischen Gemeinden in den jeweiligen Ländern sowie internationale jüdische Organisationen. Der Jüdische Weltkongress bemüht sich um Konsensbildung zwischen verschiedenen jüdischen Gruppen unterschiedlicher politischer und religiöser Orientierungen. Daneben ist der Jüdische Weltkongress auch an interreligiösen Gesprächen mit christlichen und muslimischen Gruppen beteiligt.

Organisation

Der Hauptsitz befindet sich in New York City. Der WJC hat zudem Büros in Brüssel, Paris, Moskau, Buenos Aires und Genf. Am 10. Juni 2007 wurde Ronald Lauder zum Nachfolger Edgar M. Bronfmans als Präsident des WJC gewählt.

Israels Präsident Shimon Peres spricht zu den Delegierten eines WJC-Treffens in Jerusalem, August 2010

Dem Jüdischen Weltkongress sind jüdische Dachverbände in fast 100 Ländern angeschlossen, darunter der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund sowie der Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs.

Der WJC hat fünf regionale Untergliederungen, die zum Teil autonom arbeiten: den Eurasischen Jüdischen Kongress, den Europäischen Jüdischen Kongress, den Lateinamerikanischen Jüdischen Kongress, den WJC-Israel sowie den WJC-Nordamerika.[1]

Trotz seines Namens ist der Weltkongress eine permanente Organisation. Sein oberstes beschlussfassendes Organ ist die alle vier Jahre stattfindende Plenarversammlung, die den Vorstand (Exekutivkomitee) wählt und die Richtlinien der Arbeit des Verbandes bestimmt. Alle Mitgliedsverbände entsenden entsprechend der Zahl der im jeweiligen Land lebenden Juden Delegierte zu Plenarversammlung. Zuletzt versammelten sich im Januar 2009 über 400 Vertreter aus 62 Ländern für die 13. WJC-Vollversammlung in Jerusalem.

2013 fand die 14. WJC-Vollversammlung vom 5. bis 7. Mai statt.[2] Als Tagungsort wurde Budapest gewählt, um ein Zeichen gegen den in Ungarn wachsenden Antisemitismus zu setzen.[3][4]

Geschichte

Gründung und Ziele

Dritte Vollversammlung des Jüdischen Weltkongresses in Genf 1953
Nahum Goldmann, Präsident des WJC 1949–1977

Der WJC wurde am 13. August 1936 in Genf u.a. von Nahum Goldmann, der ihm später als Präsident vorstand, und Vertretern aus 32 Nationen gegründet. Vorbild für den WJC war der bereits 1918 gegründete American Jewish Congress, der gezielt ein breit legitimiertes und in der politischen Meinungsbildung aktives Gegengewicht zu den bestehenden großbürgerlichen jüdischen Organisationen darstellen sollte. Eine weitere Vorläuferorganisation war das 1919 vor dem Hintergrund der Pariser Friedenskonferenz entstandene Comité des Délégations Juives. Erster Präsident der Organisation wurde Stephen Wise.

Der WJC ist seit seiner Gründung auch eine zionistische Organisation. Zwar hielt Nahum Goldmann die Schaffung eines eigenen Staates Israel nach dem Ersten Weltkrieg noch für verfrüht, jedoch engagierte er sich ab den späten 1920er Jahren zunehmend dafür.

Zeit des Nationalsozialismus

Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bemühte sich der WJC verstärkt um Hilfe für auswanderungswillige europäische Juden. Zunächst blieben seine politischen Erfolge aber begrenzt. Zwar erreichte der WJC ein Auswanderungsrecht für Juden aus dem 1935 an das Deutsche Reich angeschlossenen Saarland, er konnte aber den Völkerbund nicht zu einem gemeinsamen Wirtschaftsboykott gegen das „Dritte Reich“ bewegen. Nicht einmal alle WJC-Mitglieder befürworteten diesen Plan.

Aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt geworden ist Ignacy Schwarzbart, der sowohl jüdisches Mitglied der polnischen Nationalversammlung – dem Parlament der Exilregierung – war, als auch Beauftragter des WJC in England, zuständig für polnisch-jüdische Angelegenheiten.

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck des Holocaust verstärkte der WJC seine politischen Interventionen, um gefährdeten Juden auf der ganzen Welt, zu jener Zeit vordringlich im Ostblock und arabischen Ländern, zu helfen und ihnen ab 1949 auch die Auswanderung nach Israel zu ermöglichen. Neben Organisationen wie der Jewish Claims Conference trat er gegenüber Deutschland stets für eine Wiedergutmachung für die Überlebenden und die Nachkommen der während der NS-Zeit verfolgten Juden ein.

Im Nahen Osten engagierte sich WJC-Präsident Nahum Goldman bis zu seinem Tod für eine Politik des Ausgleichs zwischen Israel und dessen arabischen Nachbarn und suchte das Gespräch mit Gamal Abdel Nasser und Yassir Arafat. Während er stets die Zuwanderung von Juden aus der Region nach Israel unterstützte, war er mitunter auch ein profunder Kritiker der offiziellen israelischen Politik.

Die „Waldheim-Affäre“

Durch die „Waldheim-Affäre“ wurde der WJC einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim kandidierte 1986 für das Amt des Bundespräsidenten Österreichs. Im Wahlkampf wurden seine Mitgliedschaften im SA-Reiterkorps, im NSDStB und seine Tätigkeit als Ordonnanzoffizier in der Heeresgruppe E bekannt, die 1942 bis 1945 an verschiedenen Kriegsverbrechen auf dem Balkan und Deportationen von griechischen Juden beteiligt gewesen war. Über diese Lebensphase hatten autobiografische Veröffentlichungen nichts enthalten.

Der WJC wurde ab Mitte März 1986 zum Hauptankläger Waldheims und legte bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten wiederholt Dokumente vor, die seine Verwicklung in NS-Verbrechen behaupteten. Der WJC beantragte mit Erfolg, dass das US-Justizministerium Waldheim auf eine „watch list“ für mutmaßliche Kriegsverbrecher setzte, so dass ihm als Privatperson eine Einreise in die USA zeitlebens verboten blieb. Von Seiten Waldheim nahestehender Personen wurde dies als „Hetzkampagne“ gegen Österreich bezeichnet. In diesem Kontext wurden auch antisemitische Vorurteilsstrukturen offen sichtbar oder neu belebt. So wurde der WJC mit US-amerikanischen Medien zusammen unter die Metapher der „Ostküste“ subsumiert, einer Chiffre für „das Weltjudentum“, die in rechtsextremen Kreisen verbreitet ist. Historiker untersuchten nun genauer die Geschichte von Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus, und die großen Volksparteien Österreichs übernahmen allmählich Verantwortung für Opferentschädigungen und Restitution.

Die österreichische Bundesregierung setzte später eine internationale Historikerkommission ein, die Waldheim keine persönlich begangenen Verbrechen, aber detaillierte Kenntnisse davon in seiner damaligen Umgebung nachwies, so wie es der WJC vertreten hatte. Damit war auch erwiesen, dass Waldheim Teile seiner Biografie verschwiegen und während der Affäre falsche Angaben dazu gemacht hatte. Waldheim bestritt weiter, vor 1945 von Kriegsverbrechen seiner Heereseinheit gewusst zu haben, und blieb während seiner sechsjährigen Amtszeit als Bundespräsident (bis 1992) außenpolitisch isoliert.

Kritik an der Europäischen Kommission

Europaweit sorgte der WJC im Dezember 2003 dadurch für Aufsehen, dass er einen von der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) beim Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung in Auftrag gegebenen, aber seit Erhalt im Januar nicht veröffentlichten Bericht zum Antisemitismus in Europa, der Öffentlichkeit zugänglich machte. Die EUMC vertrat den Standpunkt, der Bericht weise qualitative Mängel auf (was das Berliner Zentrum zurückwies) und müsste vor einer Veröffentlichung erst überarbeitet werden. Der WJC kritisierte hingegen, dass zwar dieser Bericht zurückgehalten werde, weil er die Beteiligung moslemischer Minderheiten an antisemitischen Vorfällen in Europa zum Inhalt hat und so die Islamophobie anheizen könnte, die Europäische Kommission aber kurz zuvor eine Meinungsumfrage veröffentlicht hatte, in der 59 % der Befragten Israel als größte Gefahr für den Frieden in der Welt genannt hatten. In diesem Zusammenhang hatten die beiden Präsidenten des WJC, Edgar Bronfman sen. und Cobi Benatoff, der Kommission, in einem Beitrag für die Financial Times, Antisemitismus vorgeworfen.

Der Konflikt wurde schließlich nach Gesprächen zwischen Vertretern der Europäischen Kommission unter Kommissionspräsident Romano Prodi und des WJC sowie des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC) beigelegt. Von Seiten der Kommission wurde zugesagt, ein zuvor abgesagtes Seminar mit jüdischen Organisationen zur Bekämpfung des Antisemitismus doch durchzuführen.

Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses

Weitere jüdische Interessenvertretungen

Siehe auch

Literatur

  • Emmanuel Deonna: Jüdischer Weltkongress, in: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 3, Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, S. 263–268
  • Köln: Miteinander leben. Der Jüdische Nationalfonds präsentierte Umwelt- und Gesellschaftsprojekte, Jüdische Allgemeine, 15.9.2016: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/26499

Weblinks

Commons: World Jewish Congress – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. World Jewish Congress - About Us
  2. World Jewish Congress Plenary Assembly kicks off this Sunday in Budapest bei worldjewishcongress.org, 3. Mai 2013 (abgerufen am 5. Mai 2013).
  3. Baumann, Meret: Ungarn: Ein Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus bei nzz.ch, 2. Mai 2013 (abgerufen am 5. Mai 2013).
  4. http://www.worldjewishcongress.org/en/events/480