Katrin Stoll

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Katrin Stoll (* 1962 in München als Katrin Neumeister) ist eine deutsche Kunst-Auktionatorin und Kunsthändlerin und seit 2008 Inhaberin des Neumeister Münchener Kunstauktionshauses. Sie ließ die NS-Geschichte des Vorgängerhauses wissenschaftlich aufarbeiten und stellte annotierte Auktionsprotokolle aus dem Nationalsozialismus der Provenienzforschung zur Verfügung. Sie gilt damit als Vorreiterin im deutschen Kunsthandel.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Katrin Stoll ist die Tochter von Christa und Rudolf Neumeister. Der Vater war Jurist. Sie wuchs mit zwei Schwestern in München auf. Die Eltern hatten 1958 das Münchner Kunstversteigerungshaus Adolf Weinmüller erworben, das sie 1978 in „Neumeister Münchener Kunstauktionshaus“ umfirmierten.[1]

Nach einigen Semestern Medizin bildete sich Katrin Stoll bei einem auf Restaurierung spezialisierten Schreiner aus[2] und absolvierte eine Lehre als Bürokauffrau. Sie hospitierte bei Auktionshäusern wie Sotheby’s in London und anderen in Paris, bevor sie 1983 in das Unternehmen ihres Vaters einstieg und alle Abteilungen durchlief. Sie ist außerdem von der IHK vereidigte Sachverständige für Malerei und Grafik des Deutschen Expressionismus.[3][4] Rudolf Neumeister zog sich 1999 aus dem Geschäftsleben zurück und übergab das Auktionshaus seinen drei Töchtern. Katrin Stoll wurde im Jahr 2000 Mitglied der Geschäftsführung mit zunächst einem Drittel der Firmenanteile. Im April 2008 übernahm sie von ihren beiden Schwestern deren Anteile. Sie fungierte seitdem als alleinige geschäftsführende Gesellschafterin des Auktionshauses.[1] Im August 2009 nahm sie den Münchener Anwalt Wolf-Rüdiger Bub (1947–2022[5]) als Beirat und Gesellschafter in ihr Unternehmen.[6]

Katrin Stoll ist Mutter von drei Kindern.[3]

Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufarbeitung der NS-Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neumeisters Vorgänger Adolf Weinmüller war ein Profiteur der NS-Raubkunst und der „Arisierung“ jüdischer Kunsthandlungen und Sammlungen in München und Wien. Nach der Übernahme des Auktionshauses beschloss Stoll die Geschichte des Unternehmens zwischen 1933 und 1945 gründlich untersuchen zu lassen. Im Frühjahr 2009 beauftragte sie damit eine unabhängige Wissenschaftlerin, die Kunsthistorikerin Meike Hopp. Eine Kooperation zwischen dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, dem Auktionshaus Neumeister und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin begann. Das Dorotheum in Wien ausgenommen ließ damit erstmals ein Kunsthandelsunternehmen im deutschsprachigen Raum seine Geschichte während der Nazizeit aufarbeiten.[7][8] Nach dreijähriger Forschungsarbeit erschien 2012 der Band Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien, der als Standardwerk gilt.[9][10] Daraus ergab sich als Folgeprojekt die Untersuchung von Weinmüllers Aktivitäten nach dem Krieg, das Stoll mitfinanzierte und von Hopp und deren Kollegen Stephan Klingen und Christian Fuhrmeister wissenschaftlich begleitet wurde.[2]

2013 wurden in einem Stahlschrank im Keller des Auktionshauses Neumeister in der Barer Straße insgesamt 93 annotierte Auktionskataloge und -protokolle aus der NS-Zeit gefunden, in denen auch die Namen von Einlieferen und Käufern notiert waren, mit handschriftlichen Anmerkungen Adolph Weinmüllers zu über 33.000 versteigerten Objekten sowie elf Kataloge des Wiener Auktionshauses S. Kende, das Weinmüller 1938 „arisiert“ hatte.[11] Der Fund offenbarte erstmals, wie tief Adolf Weinmüller in den Kunstraub der Nazis verstrickt war. Wie viele seiner Kollegen hatte Weinmüller behauptet, alle Geschäftsunterlagen seien im Krieg verbrannt. Nach dem Krieg bekam er erneut eine Kunsthandels- und Auktionslizenz, da ihm Geschäfte mit Raubkunst fast nicht nachgewiesen werden konnten.[12] Mit der Auswertung der Kataloge beauftragte Stoll wieder Meike Hopp. Die Dokumente wurden zusammen mit der Arbeitsstelle für Provenienzforschung Berlin digitalisiert, anschließend transkribiert. Da aus rechtlichen Gründen keine Faksimile-Ausgabe möglich war, machte Stoll die elektronische, wissenschaftliche Edition vollständig auf der Website der Koordinierungsstelle Magdeburg lostart.de zugänglich.[12][13] Wenn die geraubten Objekte erneut in den Kunsthandel kommen, lassen sich anhand dieser Daten, Objektbeschreibungen und -abbildungen geraubte Kunstwerke identifizieren und Besitzansprüche von Erben der ehemaligen Eigentümer erhärten.[2][12] Beispiele hierfür sind die privaten Sammlungen von Agathe und Ernst Saulmann aus Reutlingen[14] und des Münchner Kunsthändlers Siegfried Lämmle, aus denen Teile an die Erben zurückgegeben werden konnten.[12]

An der Sammlung Saulmann hatte sich u. a. Julius Harry Böhler bereichert, stiller Teilhaber bei Weinmüller 1936 bis 1938 und Inhaber einer Kunsthandlung in München. Sein Nachfahre, Florian Eitle-Böhler, der das Familiengeschäft weiterführte, folgte 2014 dem Beispiel Stolls und übergab die gesamte Objektkartei seiner Vorfahren zur Digitalisierung und Erforschung ans Zentralinstitut für Kunstgeschichte.[14]

Anlässlich der Restituierung von Carl SpitzwegsJustitia“ nach mehr als 80 Jahren an die jüdischen Erben von Else und Leo Bendel und der Übergabe des Gemäldes an das Auktionshaus Neumeister[15] nannte die Frankfurter Rundschau Katrin Stoll eine „engagierte Aktivistin in Sachen Restitution, damit Vorreiterin im deutschen Kunsthandel“.[16] Das Gemälde wurde 2020 für 550.000 Euro an eine Privatsammlung versteigert.[17]

Neuerungen im Auktionshaus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Auktionshaus Neumeister ist traditionell auf ältere Kunstepochen spezialisiert mit vier Versteigerungen jährlich. Nachgefragt wurden besonders Gemälde Münchner Landschaften des 19. Jahrhunderts. Daneben begann Stoll 1986 im väterlichen Betrieb die Abteilung für die Kunst der Klassischen Moderne aufzubauen und etablierte sie mit zwei Versteigerungen im Jahr.[18] Zur 50. „Moderne-Auktion“ im Jahr 2011 präsentierte sie neben moderner und zeitgenössischer Kunst eine Spezialauktion unter dem Titel „Shape“ mit Plastiken und Skulpturen. Den Schwerpunkt bildeten Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren, darunter Werke von Hans Steinbrenner.[19] In einer eigens kuratierten Abteilung zum Thema „She“ vereinte Stoll 2016 Kunst von Frauen, darunter Katharina Sieverding, und Kunst über Frauen, u. a. mit einem Werk von George Grosz.[20]

2017 wurde Katrin Stoll von der Familie Max Mannheimers beauftragt, in Kooperation mit dem Jüdischen Museum München 35 Gemälde Mannheimers zugunsten des humanitär ausgerichteten Vereins „Leopolis Hilfe für die Ukraine“ zu versteigern.[21][22] In einer weiteren Benefizauktion versteigerte sie 2018 zugunsten das Friedensprojekts „The Art Road to Peace“, das jüdische, muslimische und christliche Kinder in Israel zusammenbringt, 22 Objekte zeitgenössischer Künstler, das älteste ein Selbstporträt von Oskar Kokoschka vier Jahre vor seinem Tod.[23]

Ehrenamt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Katrin Stoll ist ehrenamtliches Mitglied in Kuratorien und Kommissionen, so in der Ankaufkommission der Städtischen Galerie im Lenbachhaus.[24] Sie gehört dem Kuratorium der Flick Förderstiftung an[25] sowie dem Vorstand des Akademievereins München.[26]

Dokumentarfilm[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Unter dem Hammer der Nazis. Die geheimen Akten des Adolf W. Regie: Oliver Halmburger und Thomas Staehler (55 Min), Arte 2014, (Ausstrahlung in der ARD 2018[27])

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Bettina Krogemann: Vom Umgang mit Kunst, DER STANDARD/Printausgabe, 26. Juni 2008
  2. a b c Tobias Timm: Auktionshaus Neumeister. So geht Aufklärung. DIE ZEIT Nr. 41/2015, 8. Oktober 2015
  3. a b Barbara Reitter-Welter: Die Moderne bei Neumeister, Welt am Sonntag, 11. November 2001
  4. IHK-Sachverständigenverzeichnis, München und Oberbayern 2019, S. 55 (Memento des Originals vom 28. Juni 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ihk-muenchen.de
  5. Wolf-Rüdiger Bub, in: Deutsche Digitale Bibliothek
  6. Bettina Beckert: Vom Sammler zum Gesellschafter, Handelsblatt, 28. November 2009
  7. Julia Voss: Das grausige Monopol des Adolf Weinmüller, FAZ, 11. Januar 2013
  8. Julia Voss: Auktionsprotokolle aus dem NS: Wo hört Diskretion auf, wo fängt die Lüge an? FAZ, 13. April 2013
  9. Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2012, zugleich Dissertation an der Universität München 2011, ISBN 978-3-412-20807-3
  10. Miryam Gümbel: Das Auktionshaus Neumeister hat seine Geschichte untersuchen lassen, Jüdische Allgemeine, 12. Juni 2012
  11. Julia Voss: Die Schuld des Vorvorgängers, FAZ, 17. Dezember 2014
  12. a b c d Ira Mazzoni: Kunstraub im Dritten Reich. Die Wahrheit aus dem Stahlschrank, Süddeutsche Zeitung, 28. Mai 2014
  13. Raubkunst. Auktionshaus veröffentlicht Datensätze aus NS-Zeit. Katrin Stoll im Gespräch mit Dina Netz, Deutschlandfunk, 28. Mai 2014
  14. a b Felix von Boehm: NS-Raubkunst. Letzter Flug aus Pfullingen, Zeit Online, 9. November 2019
  15. Susanne Hermanski: Mit den Mitteln des Gesetzes, Süddeutsche Zeitung, 7. Mai 2020
  16. Ingeborg Ruthe: NS-Raubkunst. Hitler wollte sie für Linz, FR, 5. März 2020
  17. Sabine Spindler: Spitzwegs späte Gerechtigkeit, in: Weltkunst, 28. Februar 2020
  18. Bettina Sachs: Jubiläum bei Neumeister. Venus, Stalin und Trommel, FAZ, 4. November 2011
  19. Annegret Erhard: Moderne Skulpturen. Kampf mit dem Volumen, DIE ZEIT Nr. 45/2011, 3. November 2011
  20. Britta Sachs: Frauen an die Staffeleien, FAZ, 6. Dezember 2016
  21. Helmut Reister: Für den guten Zweck, Jüdische Allgemeine, 20. Februar 2017
  22. Martina Scherf: Benefiz-Aktion. Bilder voller Intensität, Süddeutsche Zeitung, 7. Februar 2017
  23. Evelyn Vogel: Brückenschlag, Süddeutsche Zeitung, 5. Dezember 2018
  24. Lenbachhaus: Jahresbericht 2018, Ankaufkommission (pdf S. 57), abgerufen am 25. Juni 2020
  25. Gremien – Friedrich Flick Förderungsstiftung. In: flickfoerderungsstiftung.de. Friedrich Flick Förderungsstiftung, abgerufen am 10. Oktober 2018.
  26. Akademieverein München: Der Vorstand
  27. Programm ARD.de, 2018