Libor-Skandal

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Der Libor-Skandal bezeichnet die im Jahr 2011 aufgedeckten betrügerischen Manipulationen des Referenzzinssatzes LIBOR sowie weiterer Zinssätze (EURIBOR, japanischer TIBOR) im Interbankengeschäft.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Referenzzinssätze haben großen Einfluss auf eine Vielzahl von Finanzmarktgeschäften. Durch Manipulation der Referenzzinssätze haben sich die beteiligten Bankinstitute Vorteile verschafft:

  • Teilnehmer an der Manipulation trifft ein geringeres Zinsänderungsrisiko, Außenseiter trifft ein zusätzliches, durch die Manipulationen verursachtes Risiko.
  • selbst gesteuerte Änderungen der Referenzzinssätze können ähnlich wie beim Insiderhandel mittels Spekulationsgeschäften ausgenutzt werden.
  • Privatkredite orientieren sich häufig am Referenzzinssatz zum Monatsanfang, durch periodische Erhöhung des Referenzzinssatzes zum Monatsanfang können Kreditnehmern somit überteuerte Zinssätze vermittelt werden.[1]

Bekannt gewordene Manipulationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wegen des Verdachts der Manipulation des Euribor ließ die Europäische Kommission im Oktober 2011 die Londoner Geschäftsräume der Royal Bank of Scotland durchsuchen und zahlreiche Unterlagen beschlagnahmen.[2]

Im Juni 2012 wurde bekannt, dass die Barclays-Bank den täglich festgelegten Referenzzinssatz Libor jahrelang manipuliert hatte.[3][4] Die von den betroffenen Kreditinstituten angegebenen Zinssätze basierten demnach nicht auf ihren tatsächlichen bankinternen Werten, sondern waren erfunden. Behörden in den USA, Europa und Japan vermuteten dann, dass weltweit an den Manipulationen bis zu 20 Banken mitgewirkt haben könnten. Zu den möglicherweise beteiligten Instituten zählten am 12. Juli 2012 die Bank of America, Barclays, Mitsubishi-UFJ, Citi, Credit Suisse, die Deutsche Bank, HSBC, JP Morgan, Lloyds, Royal Bank of Scotland und UBS.[5]

Den finanziellen Schaden, der Teilen der Weltwirtschaft durch die Libor-Manipulationen erwachsen sein könnte, schätzten Analysten zu diesem Zeitpunkt auf 17,1 Milliarden US-Dollar. Der Schaden, der der Finanzbranche durch den Libor-Skandal am Ende entstehen könnte – unter anderem auch durch Sammelklagen von Immobilienbesitzern in den USA, die sich durch überhöhte Immobilienkreditzinsen auf Libor-Grundlage geschädigt sehen –, wurde von Fachleuten auf insgesamt knapp neun Milliarden US-Dollar geschätzt.[6]

Reaktionen von Aufsichtsbehörden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verhängte Strafen und Vergleiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Drei Banken einigten sich mit britischen und amerikanischen Behörden auf Vergleiche: Die britische Barclays Bank zahlte 470 Millionen US-Dollar (360 Millionen Euro), die Royal Bank of Scotland (RBS) zahlte 612 Millionen US-Dollar (455 Millionen Euro), die Schweizer UBS 1,2 Milliarden Euro Buße.[7]

Die niederländische Rabobank einigte sich im Oktober 2013 außergerichtlich mit britischen, amerikanischen und niederländischen Behörden auf ein Bußgeld von 774 Millionen Euro.[8]

Am 4. Dezember 2013 wurde bekannt, dass die EU-Kommission wegen der Manipulation von Zinssätzen, nach Ermittlungen der EU-Kartellbehörde, der Generaldirektion Wettbewerb, eine Rekordstrafe von 1,7 Milliarden Euro gegen mehrere Großbanken verhängt hat.[9] Betroffen sind die Deutsche Bank (725 Millionen Euro Strafe), die französische Société Générale (fast 446 Millionen Euro), die Royal Bank of Scotland (391 Millionen Euro), die US-amerikanischen Geldhäuser Citigroup (80 Millionen Euro), JPMorgan Chase (70 Millionen Euro) und RP Martin (250.000 Euro). Teilweise räumten diese ihre Schuld ein, woraufhin die Geldbuße um zehn Prozent gemindert wurde. Die Banken Barclays und UBS erhielten keine Geldbußen, da sie maßgeblich zur Aufklärung der Manipulationen beigetragen hatten.[10]

Da dies nur ein Bruchteil des entstandenen Schadens, also der Einnahmen, war, handelte es sich dabei für die Banken immer noch um ein lohnendes „Geschäft“.

Im April 2015 einigte sich die Deutsche Bank mit den zuständigen Aufsichtsbehörden der USA und Großbritanniens auf eine Strafzahlung von 2,5 Milliarden Dollar. Weiterhin verpflichtete sie sich, verantwortliche Mitarbeiter zu entlassen und sich in den USA einer strengeren Überwachung zu unterziehen. Die Strafe fiel mit der Begründung so hoch aus, die Bank habe versucht, die Behörden bei der Aufarbeitung des Falles zu täuschen.[11]

Organisatorische Konsequenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die britische Regierung und die britische Finanzmarktaufsichtsbehörde Financial Conduct Authority (FCA) beauftragten einen Ausschuss aus Fachleuten, Konsequenzen aus dem Betrug auszuarbeiten. Am 8. Juli 2013 entschied dieser Ausschuss, der Londoner Börse ab 2014 die Zuständigkeit für die Libor-Fixierung zu entziehen und stattdessen der New Yorker Börse Nyse Euronext zu übertragen. Nyse Euronext gründet dafür in Großbritannien eine Tochterfirma, die – wie die zuvor für den Libor zuständigen Londoner Großbanken auch – von der britischen Bankenaufsicht kontrolliert wird.[6]

Verantwortliche Einzelpersonen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Hauptverdächtige im Libor-Skandal Tom Hayes (früherer Händler bei UBS und Citigroup) sagte im Oktober 2013 vor einem Gericht in London aus. Laut Gericht arbeitete er bei seinen Manipulationen mit 22 Personen zusammen.[12][13] Hayes gilt als zentrale Figur im Libor-Skandal; er war wegen acht Fällen in den Jahren 2006 bis 2010 angeklagt.[14] Weitere Ergebnisse wurden im April 2015 bekannt. Demnach war auch Anshu Jain von der Deutschen Bank beteiligt.[15] Die Hauptverhandlung gegen Hayes begann am 16. Juni 2015 mit seiner Anhörung;[16] er wurde Anfang August 2015 zu 14 Jahren Haft verurteilt.[17]

Im Rahmen der Untersuchungen sollen auch Stefan Krause, Stephan Leithner, Michele Faissola und Alan Cloete – sämtlich Mitarbeiter in Führungspositionen der Deutschen Bank – ins Visier der BaFin geraten sein.[18]

Hinsichtlich Manipulationen des Euribor erhob das britische Serious Fraud Office im November 2015 Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Deutschen Bank und vier Mitarbeiter der Barclays-Bank.[19] Die Beschuldigten sollten im Januar 2016 vor Gericht erscheinen.[20]

Ab April 2018 wurden fünf Händler abgeurteilt. Ein Londoner Gericht verurteilte Christian Bittar am 19. Juli 2018 zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und vier Monaten.

Vier ehemalige Händler der Deutschen Bank entgingen dem Prozess, weil die Staatsanwaltschaft und im Februar 2018 das Oberlandesgericht Frankfurt Auslieferungsersuchen der britischen Behörden nicht entsprochen hatten.
Auch ein französischer Händler der Société Générale war nicht ausgeliefert worden.[21]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Caroline Binham: US Woman Takes on Banks Over Libor. Financial Times, 15. Oktober 2012, abgerufen am 4. Dezember 2013 (englisch).
  2. Harry Wilson: European Commission raids RBS offices in Euribor probe. In: The Telegraph. 20. Oktober 2011, abgerufen am 13. November 2015 (englisch).
  3. nzz.ch: Libor-Manipulationen bei Barclays – Ruf nach Strafen für Händler.
  4. Spiegel Online vom 9. Juli 2012: Angebliche Zinsmanipulationen: Wie Metzler die Deutsche Bank drankriegen will.
  5. Christian Siedenbiedel, FAZ.net vom 10. Februar 2013 Zinsmanipulation Die Libor-Bande. Nach und nach kommt heraus, mit welch krimineller Energie Banken über Jahre den Zins manipulierten.[1]
  6. a b Harald Freiberger und Andreas Oldag, „Politik nimmt London den Libor weg: Die Geldhäuser manipulierten den Zinssatz über Jahre zu ihren Gunsten – ein Riesenskandal. Jetzt ziehen die Aufseher die Konsequenzen daraus: Künftig ist der New Yorker Börsenbetreiber NYSE Euronext zuständig“. Süddeutsche Zeitung Nr. 157 vom 10. Juli 2013, S. 25. genios.de
  7. Leitzinsmanipulation durch Royal Bank of Scotland: Libor-Skandal kostet britische Bank 455 Millionen Euro. In: Sueddeutsche.de. 6. Februar 2013, abgerufen am 27. April 2015.
  8. Verwicklung in Libor-Skandal: Rabobank muss Millionenstrafe zahlen. In: Tagesschau.de. 29. Oktober 2013, abgerufen am 27. April 2015.
  9. Manipulation von Zinssätzen: EU-Kommission verhängt Rekordstrafe im Libor-Skandal. In: Süddeutsche.de. 4. Dezember 2013, abgerufen am 27. April 2015.
  10. Zinsmanipulationen: Banken müssen 1,7 Milliarden Euro Strafe zahlen. In: Spiegel online. 4. Dezember 2013, abgerufen am 27. April 2015.
  11. Affäre um Zinsmanipulationen: Deutsche Bank zahlt Rekordstrafe im Libor-Skandal. In: Spiegel online. 23. April 2015, abgerufen am 27. April 2015.
  12. Drahtzieher im Libor-Skandal hatte 22 Helfer. In: faz.net. 22. Oktober 2013, abgerufen am 13. November 2015.
  13. Rabobank droht Strafe von knapp einer Milliarde Dollar. In: faz.net. 23. Oktober 2013, abgerufen am 13. November 2015.
  14. Manipulationen am Zinssatz Libor: Hauptverhandlung nicht vor 2015. In: taz.de. 22. Oktober 2013, abgerufen am 13. November 2015.
  15. Deutsche Bank bezieht Prügel von der Aufsicht. In: Süddeutsche Zeitung. 23. April 2015, abgerufen am 13. November 2015.
  16. Libor trial: Tom Hayes compares derivatives market to wild west. In: The Guardian. 16. April 2015, abgerufen am 13. November 2015 (englisch).
  17. Manipulierte Zinsen: Hauptverdächtiger im Libor-Skandal zu 14 Jahren Haft verurteilt. In: Spiegel Online. 3. August 2015, abgerufen am 28. Oktober 2015.
  18. Deutsche Bank: Libor-Bericht kritisiert weitere Manager. In: Wirtschaftswoche. 17. Juli 2015, abgerufen am 4. November 2015.
  19. Katharina Slodczyk: Deutsche Bank und Euribor: Großbritannien knöpft sich Banker vor. In: Handelsblatt. 13. November 2015, abgerufen am 13. November 2015.
  20. Carolyn Cohn, Huw Jones: UPDATE 1 – Britain's Serious Fraud Office charges 10 invidividuals over Euribor. In: Reuters. 13. November 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. November 2015; abgerufen am 13. November 2015 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.reuters.com
  21. Zinsmanipulation Peinlicher Prozess sueddeutsche.de, am 9. April 2018.