Lucas Rem

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Wappen der Rem –Augsburger Chronik, 1457–1487

Lucas Rem (* 1481 in Augsburg; † 1541 ebenda) war ein Augsburger Kaufmann, der in erster Linie durch sein Tagebuch postum Bekanntheit erlangte.

Zur Person

Lucas Rem wurde am 14. Dezember 1481 als Sohn von Lucas Rem († 1496) und Magdalena Welser geboren und war damit Mitglied einer Augsburger Patrizierfamilie, die 1368 in die Zünfte übertrat. 1479 wurde ihnen die Aufnahme zu den Geschlechtern durch den Rat angeboten und zuerst von ihnen abgelehnt und erst 1538 angenommen. Die Rems gehörten allerdings schon lange zu den angesehensten und wohlhabendsten Familien der Stadt. Als Stammvater gilt Berchthold Rem († 1325). Rems selbst benannter Ahnherr Hans war bereits Bürgermeister von Augsburg und zudem Schloss- und Dorfbesitzer. Rems Vater Lucas erwarb ein reichsunmittelbares Rittergut und die Familie gehörte fortan zum Schwäbischen Bund sowie zur Rittergesellschaft. Im 17. Jahrhundert erlosch diese Familie.

Leben und Werk

Rems über 47 Jahre hinweg bis zu seinem Tod geführtes Tagebuch gibt Aufschluss über das Selbstverständnis der Kaufleute, indem es in knapper Form über die Stationen seines Lebens, seine Familie und Geschäfte berichtet. Rem begann wie seine Vorfahren mit 13 Jahren die Kaufmannsausbildung bei den verwandten Welsern, dem zweitwichtigsten Handelshaus in Augsburg neben den Fuggern und mit denen wiederum verwandt. Nach Lehrjahren in Venedig war er 1499–1517 als Faktor der Welser-Vöhlin-Gesellschaft in der Buchführung tätig, zunächst in Lyon, 1503–1508 in Lissabon, wo er u.a. die Interessen der Firma an den Indienfahrten vertrat, dann wieder in Lyon und ab 1511 in Antwerpen. Zahlreiche Reisen (Schuldeneintreibung, Rechnungsbuch- und Kassenprüfung) führten ihn unter anderem nach Savoyen, Südfrankreich, Paris, in die Niederlande und die Schweiz. Nach Streitigkeiten aufgrund von Unregelmäßigkeiten und schlechter Geschäftsführung in Lyon und Augsburg (vor allem durch Anton Welser d. J.) trat Lucas mit seinen Brüdern Andreas (Endres) und Hans aus der Welser´schen Faktorei aus. Er gründete 1518 seine eigene Gesellschaft mittlerer Größe mit Faktoreien in Köln und Antwerpen mit seinem Bruder Andreas und Ulrich Hanolt. Im Mai desselben Jahres heiratete er Anna Ehein, deren Brautgeld ein wichtiger Bestandteil des Kapitals der neuen Firma bildete. Am 22. September 1541 starb Lucas Rem in Augsburg.

Rems Buch wurde von ihm bis 1540 geführt und gelangte erst 1861 in den Druck. Es besteht aus 50 Pergamentblättern, wobei viele Seiten fehlen, etwa bei den Verzeichnissen der Hochzeitsgeschenke oder bei den Kindern. Die Eintragungen erfolgten chronologisch nach und nach, dennoch greift der Begriff des Tagebuchs nicht. Rem beschreibt nahezu sein ganzes Leben: angefangen in der Kindheit, über die Lehr- und Wanderjahre, dann sein häusliches und geschäftliches Leben und vor allem die Auslandsreisen, die ihn nach Venedig, Mailand, Lyon, Lissabon und Antwerpen führten. Beide Autoren erzählen ausführlich von ihren Kindern und in Stromers Fall zudem von seinen Enkeln. Rem gibt sogar Auskunft über ihre Charaktere, trocken aber durchaus ein Beweis für menschliche Beobachtungsgabe im sonst recht geschäftlich anmutenden „Lebensbericht“. „Referenzen“ werden beiläufig erwähnt. So trifft Rem mit dem König von Portugal zusammen: die ganze Königsfamilie nimmt persönlich Abschied, als er von Lissabon delegiert wird. Auf der Durchreise empfängt ihn der spanische Königssohn mit einem Handkuss, und mit dem Tross des spanischen Königs Ferdinand gelangt Rem weiter. Rem war über ein Drittel seines Lebens nicht in seiner Geburtsstadt, er war zwangsläufig europäisch orientiert und schrieb dementsprechend viel über seine Reisen ins Ausland. Seine Memoria-Liste der Diener hat wohl kaum einen Wert für die Augsburger Genealogiegeschichte, eher schon sein Steuerbericht für die Wirtschaftsgeschichte.

Stil und Intention der Aufzeichnungen

Rems Aufzeichnungen sind anerkanntermaßen keine literarische Leistung: sie zeigen seinen trockenen Geschäftsstil und holprige Sprache, positiv ist ihre Verlässlichkeit. Zudem scheint Rem kein großes Interesse an der bewegten Zeit zu haben, der Reichstag von 1530 nur als Datierung nützlich und sein Übertritt zum Protestantismus wie der einiger Verwandten wird nur durch die Taufen der Kinder sichtbar. Zahnd erkennt den Hang zur Stilisierung als Kaufmann nicht zuletzt anhand der stereotypen Gliederung von Rems Eintragungen nach Datum, Ereignis, Ort bzw. Reiseziel.

Rems Aufzeichnungen sind eindeutig die eines Kaufmanns, strukturiert, nahezu vollständig, das heißt zu Ende gerechnet. Prägend ist also das „kaufmännisch-rationale, rechenhafte Welt- und Selbstverständnis“ im Einklang mit „individuellem Gewinnstreben“ Diese Ereignisberichte und Denkwürdigkeiten waren ein schichten-spezifisches Phänomen der politischen und wirtschaftlichen Eliten, natürlich in lockerer Bindung an die Behörden, jedoch keineswegs für ein öffentliches Publikum gedacht.

Quellenwert und Edition

Greiff findet gleich drei Vorzüge an Rems Aufzeichnungen. Erstens „bilde dieses Tagebuch und sein Anhang ein glänzendes Blatt in der Geschichte der Stadt Augsburg“, wofür seine Edition der Schlüssel ist. Zweitens würde es „uns ein vollkommen klares Bild von dem Lebens- und Bildungsgang eines Kaufmannes des beginnenden 16. Jahrhunderts entwerfen“. Und drittens liefert es „gelegentlich höchst beachtenswerthe und erwünschte, mitunter sogar ziemlich ausführliche Aufschlüsse über die Cultur- und Sittengeschichte seiner Zeit“.

Eine recht aufschlussreiche Quelle über die Einordnung der Aufzeichnungen bietet die Untersuchung der jeweiligen Vorworte der Ersteditionen. Der Sekretär des Historischen Kreis-Vereins Schwaben und Neuburg Greiff ist durch seine gleichzeitige Tätigkeit als Bibliothekar sozusagen an der Quelle. Seiner „zweiten Vaterstadt“ hat er soviel zu verdanken, dass es ihn „drängt […] ihr Lob zu mehren und auszubreiten.“ Sein ganzer Stolz auf seine neue Heimat kommt in jedem Satz zum Ausdruck, in der er die Beziehung von Lucas Rem zu Augsburg behandelt. Gegenüber der Person Rems selber ist er kritisch und zugleich respektvoll eingestellt.

Rems Buch hingegen ist geprägt von Ökonomie und Buchführung und damit weiter entfernt von aristokratischen Wertvorstellungen als andere Werke dieser Zeit. In seiner Genealogie kommt die adlige Ahnenschaft nicht vor, er führt als „Spitzenahn“ Hans Rem (1340–1396) an, der mit Handel und Vermögensanhäufung als Traditionsbildner das familiäre Selbstverständnis repräsentiert. Rem leitet aus dieser Person die ihm selber wichtigen Tugenden ab: Lernbereitschaft, Menschenkenntnis, Umgänglichkeit, Geschäftskenntnis, Fleiß und Ausdauer sowie Risikobereitschaft. Für Rem ist nun die Zeit der dirigierende Faktor, der über das geschäftliche Schicksal entscheidet. Die Zeit muss sinnvoll genutzt werden und sein Hang zur effektiven Nutzung und zu seiner Rastlosigkeit wird schon in seinen peinlich exakt notierten Geburtszeiten erkennbar.

Zusammenfassende Einschätzung

Sieht man sich die wegweisenden Artikel von Rohmann und Johanek zur Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts in Augsburg an, dann gehört Lucas Rems Tagebuch nicht dazu. Ebenso wie er in keinem der acht Bände zu Augsburg in der Reihe der „Chroniken deutscher Städte“ auftaucht. Im Gegensatz zu Stromers Püchel, dem Beginn der Reihe und ohne dessen Erwähnung kaum ein Aufsatz bezüglich der Nürnberger Stadtchronistik auskommt. Wenn Johanek als Prinzipien der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung „Erfahrung und Präzedenzfälle (…), die das Leben des Gemeinwesens bestimmen“ herausarbeitet, dann passt Rems Tagebuch in der Tat nicht dazu. Die Tatsache, dass er gebürtiger Augsburger ist und seiner Stadt mit seiner Kaufmannstätigkeit zu Ansehen verhilft, reicht nicht aus. Oder sie geht vielmehr neben den anderen großen Chroniken etwa von Küchlin, Meisterlin, den Gebrüder Mülich oder von seinem Verwandten Wilhelm Rem unter. Stein bezweifelt, dass allein die historiografischen Werke für die Identitätsforschung ausreichen werden. Er hält fest, dass es „ein beeindruckendes lokales Selbstverständnis gab“. Allerdings muss die Differenzierung der Historiographie beachtet werden, die zusammengesetzt eine ganze Skala von Emotionen und dann wiederum eine städtische Identität ergeben wird.

Ausgabe

  • Lucas Rem: Tagebuch aus den Jahren 1494–1541. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte der Stadt Augsburg, hg. von Greiff, B.; in: 26. Jahresbericht des Historischen Kreis-Vereins von Schwaben und Neuburg 1861, S. 1–110 (Digitalisat)

Sekundärliteratur

  • Reinhard Jakob: Rem, Lucas. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 409 f. (Digitalisat).
  • Peter Johanek: Geschichtsschreibung in Augsburg am Ausgang des Mittelalters. In: Johannes Janota, Werner Williams-Krapp (Hrsg.): Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts (= Studia Augustana. Band 7). Niemeyer, Tübingen 1995, ISBN 3-484-16507-3, S. 160–182.
  • Rolf Kießling: Rem, Lucas. In: Lexikon des Mittelalters, Band 7, 1995, Sp. 705.
  • Gregor Rohmann: „Eines Erbaren Rath gehorsamer amptman“. Clemens Jäger und die Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts (= Studien zur Geschichte des bayerischen Schwaben. Band 28). Wißner, Augsburg 2001, ISBN 3-89639-285-9 (zugl. Dissertation, Universität Göttingen 2000).
  • Robert Stein: Selbstverständnis oder Identität? Städtische Geschichtsschreibung als Quelle für die Identitätsforschung. In: Hanno Brand u. a. (Hrsg.): Memoria, Communitas, Civitas. Mémoire et conscience urbaines en occident à la fin du Moyen Âge. (= Beihefte der Francia. Band 55). Thorbecke, Ostfildern 2003, ISBN 3-7995-7449-2, S. 181–202. (Online)
  • Wilhelm Vogt: Rem, Lucas. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 28, Duncker & Humblot, Leipzig 1889, S. 187–190.
  • Horst Wenzel: Die Autobiographie des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. München 1980.
    • Bd. 1 Die Selbstdeutung des Adels (= Spätmittelalterliche Texte. Band 3). 1980, ISBN 3-7705-1941-8.
    • Bd. 2 Die Selbstdeutung des Stadtbürgertums (= Spätmittelalterliche Texte. Band 4). 1980, ISBN 3-7705-1939-6.
  • Urs M. Zahnd: Die autobiographischen Aufzeichnungen Ludwig von Diesbachs. Studien zur spätmittelalterlichen Selbstdarstellung im oberdeutschen und schweizerischen Raume. Stämpfli, Bern 1986, ISBN 3-7272-0494-X (zugl. Habilitationsschrift, Universität Bern 1986).
  • Thomas Zotz: Der Stadtadel im spätmittelalterlichen Deutschland und seine Erinnerungskultur. In: Werner Rösener (Hrsg.): Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (= Formen der Erinnerung. Band 8). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-35427-4, S. 145–161.