Marcel Proust

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Marcel Proust (um 1900)

Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust [pru:st] (* 10. Juli 1871 in Paris; † 18. November 1922 ebenda) war ein französischer Schriftsteller und Sozialkritiker. Sein Hauptwerk ist der siebenbändige Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Leben

Am 3. September 1870 heirateten der Arzt Adrien Proust und Jeanne Weil (1849–1905)[1] in einem Zivilakt. Die Familie Proust stammte aus Illiers (Département Eure-et-Loir) und war katholisch, die Mutter stammte aus der jüdischen Bankiersfamilie Weil, die aus der Nähe von Stuttgart kam.

Am 10. Juli 1871 kam Marcel in der Rue La Fontaine im noblen Stadtviertel Auteuil in der Nähe des Bois de Boulogne zur Welt. Die politische Situation war durch das Ende des Deutsch-Französischen Krieges und den Pariser Kommune-Aufstand bestimmt. Im August wurde Marcel katholisch getauft.

Jeanne Proust brachte am 24. Mai 1873 ihren zweiten Sohn Robert zur Welt. Die Familie Proust zog im August von 8, Rue Roy nach 9, Boulevard Malesherbes um, beide Wohnungen lagen im 8. Arrondissement von Paris.

Ostern 1878 fuhr die Familie Proust nach Illiers bei Chartres, um dort die Ferien zu verbringen. Nach dem von dort stammenden Vater wurde in Illiers die Rue du Docteur Proust benannt. Als Hommage an Marcel Proust wurde der Ort 1971 in Illiers-Combray umbenannt.

1881 erlebte Marcel seinen ersten Asthmaanfall. Im Oktober 1882 trat Marcel ins Lycée Condorcet ein; auf dieser Schule lernte er u. a. Jacques Bizet, Daniel Halévy und Robert Dreyfus kennen.

In das Jahr 1887 fallen nicht nur erste schriftstellerische Versuche für Schulzeitschriften mit blumigen Namen wie La Revue Verte oder La Revue Lilas (nach der Farbe ihres Papiers benannt), sondern auch erste Besuche in den Salons von Geneviève Halévy und Madame Arman de Caillavet. Nach dem Lycée meldete sich Marcel Proust im November 1889 freiwillig zum Militärdienst im 76. Infanterieregiment, das in Orléans stationiert war. Dort lernte er Robert de Billy kennen.

Ein Jahr später beendete Marcel Proust seinen Militärdienst und schrieb sich an der juristischen Fakultät ein. Im selben Jahr lernte Proust Henri Bergson kennen, mit dem er weitläufig verwandt war. Im September 1891 fuhr Proust erstmals nach Cabourg. Zuvor war er mit seinen Eltern schon mehrfach an die Kanalküste gereist, so nach Dieppe, Trouville-sur-Mer und Le Tréport.

1893 machte Proust die Bekanntschaft Robert de Montesquious, einer der schillerndsten (und selbstverliebtesten) Gestalten des Pariser Lebens. Im selben Jahr nahm der Dreyfus-Skandal seinen Anfang, der die französische Öffentlichkeit 13 Jahre lang beschäftigte. Dieser Skandal wurde in seinem Werk Basis der Rahmenbedingungen für gesellschaftlichen Erfolg oder Misserfolg, je nach politischer Strömung. 1894 lernte Proust den Komponisten Reynaldo Hahn kennen, der sich durch seine Lieder einen Namen machte und mit dem ihn für zwei Jahre eine leidenschaftliche Liebesbeziehung verband, die sich nach dem Bruch 1896 in eine Freundschaft wandelte.

1895 nahm Proust eine unbezahlte Stelle als Bibliothekar in der Bibliothèque Mazarine an, allerdings war Proust in der Bibliothek mehr abwesend als anwesend. Zuvor hatte Proust sein juristisches Studium ohne Examen beendet, aber in einem geisteswissenschaftlichen Studiengang seine Licence des Lettres erhalten. Im selben Jahr nahm er seine Arbeit am Jean Santeuil auf, ein Romanprojekt, das unvollendet blieb.

Im Juni 1896 erschien Prousts erstes Buch Les plaisirs et les jours. Aufmachung und Preis waren mehr als luxuriös. Im Februar 1897 duellierte sich Proust mit dem Kritiker Jean Lorrain, der eine doppeldeutige Bemerkung über Prousts Erstling gemacht hatte. Prousts Sekundant war der ihm freundschaftlich verbundene Maler Jean Béraud.

Das Jahr 1898 stand im Zeichen der Forderungen einer Revision des Dreyfus-Prozesses; im selben Jahr arbeitete Proust an einer Übersetzung von John Ruskins The Bible of Amiens, bei der ihm Marie Nordlinger half. Proust wurde vom Kunst-Enthusiasmus Ruskins fasziniert. Im Januar 1900 starb Ruskin; Proust veröffentlichte im Mercure einen Nachruf. Seine Ruskin-Übersetzung erschien erst 1904, eine andere (Sesam und Lilien) 1906, diesmal halfen ihm die ausgezeichneten Englischkenntnisse seiner Mutter. Im Sommer 1900 unternahm Proust Reisen nach Venedig, Flandern und Holland.

Im November 1903 starb Prousts Vater, knapp zwei Jahre später Prousts Mutter. Proust fiel daraufhin in eine tiefe Depression. Er nahm sich ein Zimmer in Versailles und verließ es fünf Monate lang nicht. Da er ein kleines Vermögen von der Mutter geerbt hatte, war er finanziell weitgehend unabhängig.

Am 6. Dezember 1905 begab sich Proust auf Empfehlung seines Arztes Édouard Brissaud für sechs Wochen zur Behandlung seiner Neurasthenie in das Sanatorium von Boulogne-Billancourt. Dort wurde er von dem Charcot-Schüler Paul Sollier mit Isolation und „unwillkürlichen Erinnerungen“ therapiert. Sollier hatte das Phänomen der „unwillkürlichen Erinnerungen“ vor allem in seinem Buch Le Problème de la Mémoire analysiert und zu einem Therapieansatz ausgearbeitet.[2]

Ab 27. Dezember 1906 wohnte Proust 102, Boulevard Haussmann. Es folgten Sommeraufenthalte in Cabourg und Trouville-sur-Mer, die ihm halfen, sich von seinem Kummer zu lösen. 1907 nahm Proust sich Alfred Agostinelli als Chauffeur; 1912 wurde Agostinelli Prousts Sekretär und ihre Beziehung zueinander wurde vertrauter, Proust verliebte sich unglücklich in ihn – den bereits verlobten. Er begann mit der Arbeit an seinem Hauptwerk À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit).

Seiten aus A la recherche du temps perdu mit Prousts handschriftlichen Korrekturen

Am 13. November 1913 erschien Du côté de chez Swann als erster Band des Romanwerks A la recherche du temps perdu bei Grasset auf Prousts eigene Kosten, nachdem der Roman von den Verlegern, u. a. von André Gide, dem damaligen Lektor im Verlag Gallimard, abgelehnt worden war. Später sollte Gide dies als den größten Fehler seines Lebens bereuen. In dieser Ausgabe lag Combray noch in der Beauce; in einer späteren Ausgabe wurde der Schauplatz in die Champagne verlegt.

Im Mai 1914 kam Agostinelli bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, woraufhin Proust erneut in eine tiefe Depression stürzte. Die Haushälterin Céleste Albaret trat 1914 ihre Stellung bei Proust an. Sie half ihm nicht nur beim Haushalt, sondern wurde auch seine engste Vertraute und Lektorin, die ihm seine Manuskripte ordnete und ergänzte.

1916 gelang es Proust, den Verlag Gallimard, bzw. die bei Gallimard erscheinende Literaturzeitschrift Nouvelle Revue Française (N.R.F.) für sein Romanprojekt zu gewinnen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erschienen dort der zweite Band der Recherche im November 1918 À l’ombre des jeunes filles en fleurs und 1919 eine Neuauflage von Du côté de chez Swann.

1919 zog Proust ein letztes Mal um: Der Wohnsitz bis zu seinem Tod wurde 44, Rue de l'Amiral Hamelin. Im selben Jahr erschien Pastiches et mélanges. Im Dezember erhielt Proust für den zweiten Band seiner Recherche den Prix Goncourt, die höchste französische Auszeichnung für Literatur. Ein Jahr später wurde Proust eine weitere außerordentliche Auszeichnung zuteil: Er wurde zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

Von 1920 bis 1922 erschienen vier weitere Teilbände der Recherche, nämlich Du côté des Guermantes I und II sowie Sodome et Gomorrhe I und II.

Jan Vermeer: Ansicht von Delft

Im Mai 1921 besuchte Proust eine Ausstellung niederländischer Malerei im Jeu de Paume. Als er die Ansicht von Delft von Jan Vermeer betrachten wollte, erlitt er einen Schwächeanfall.

Im März 1922 begann Proust einen Briefwechsel mit Ernst Robert Curtius, einem deutschen Romanisten, der als einer der ersten Prousts herausragende Stellung in der modernen Literatur begriff. Am 18. November 1922 starb Marcel Proust, am 22. November wurde er als Ritter der Ehrenlegion mit militärischen Ehren auf dem Friedhof Père-Lachaise neben seinen Eltern beigesetzt. Posthum erschienen die letzten Bände der Recherche: La Prisonnière, La Fugitive und Le temps retrouvé. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Romanfragmente Jean Santeuil und Contre Sainte-Beuve ediert.

Literaturgeschichtliche Einordnung

Prousts Hauptwerk ist Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu) in sieben Bänden. Dieser monumentale Roman ist eines der bedeutendsten erzählenden Werke des 20. Jahrhunderts.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist eine fiktive Autobiographie mit raffinierter Struktur: Ein weitgehend anonymes „Ich“, das aber an zwei Stellen des Romanteils Die Gefangene von seiner Geliebten mit „Marcel“ angesprochen wird, erzählt von seinen zum Teil vergeblichen Versuchen, sich an seine Kindheit und Jugend zu erinnern.

Was ihm willentlich nicht gelingt, ermöglichen ihm schließlich eine Reihe „unwillkürlicher Erinnerungen“ – Sinnesassoziationen, welche Erlebnisse der Vergangenheit auf intensive Weise vergegenwärtigen und damit erinnerbar machen; das berühmteste Beispiel ist der Geschmack einer in Tee getauchten Madeleine, der den Ort seiner Kindheit, Combray, in ganzer Fülle wiederauferstehen lässt. Am Ende des Romans entschließt sich das „Ich“, die auf diese Weise wiedererlebte und damit „wiedergefundene“ Zeit nun in einem Roman festzuhalten.

Während sich die historisch zuerst entstandenen Anfangs- und Schlussteile des Romans hauptsächlich mit dem Thema der Erinnerung befassen, tritt dieses Thema im Mittelteil, etwa ab Sodome et Gomorrhe, in den Hintergrund zugunsten einer präzisen, immer wieder ironischen Beschreibung der mondän-dekadenten Gesellschaft der Jahrhundertwende.

Literaturhistorisch bedeutend ist Prousts Roman vor allem deshalb, weil er mit einer bis dahin ungekannten Konsequenz die Subjektivität der menschlichen Wahrnehmung inszeniert, mit all ihren Nachteilen und Möglichkeiten: So zeigt er einerseits, dass kein Mensch die Wirklichkeit oder Wahrheit als solche erkennen kann, sondern allenfalls eine subjektive Wahrheitsvorstellung besitzt. Andererseits entfaltet jeder Mensch in seiner subjektiven Wahrheit eine einzigartige Welt, jeder Mensch ist ein eigener Kosmos.

Das Erzählen und damit die Literatur werden von Proust als eine Möglichkeit entdeckt, anderen Menschen zumindest Teile dieser einzigartigen, subjektiven Welt eines „Ich“ zugänglich zu machen.

Das Motiv der versagenden Erinnerung, mit der ein „Ich“ sich quält und an der es die prinzipielle Unzugänglichkeit der Wirklichkeit erfährt, wird in der französischen Literatur vor allem von Claude Simon aufgegriffen und neu bearbeitet, nun mit Bezug auf die Kriege des 20. Jahrhunderts.

Werke in deutscher Übersetzung

Prousts Grab (Père Lachaise)

Briefe (Auswahl)

Marcel Proust hat seit Jugendjahren täglich Briefe an unterschiedliche Korrespondenten geschrieben, die ab 1926 publiziert werden und inzwischen viele Bände umfassen.

  • Robert de Billy, Marcel Proust. Lettres et conversations. Paris, Éditions des Portiques, 1930.
  • Correspondance générale (1930–1936). 6 Bände.
Eine erste Ausgabe eines Briefwechsels mit unterschiedlichen Korrespondenten, alphabetisch geordnet, die von Robert Proust und Paul Brach herausgegeben wurde.
  • Correspondance. 21 Bände. Paris, Plon, 1971–1993.
Diese chronologisch geordnete Ausgabe, hrsg. von Philip Kolb, enthält auch die Briefe der fünfbändigen Ausgabe von 1930, sowie einen umfangreichen Anhang mit Anmerkungen.
  • Marcel Proust. Lettres. Paris, Plon 2004.
Eine Auswahl von Briefen aus der 21bändigen Ausgabe von 1971–1993, ergänzt um unveröffentlichte Briefe durchgesehen u. herausgegeben von Françoise Leriche.
  • Marcel Proust: Briefwechsel mit der Mutter. Herausgegeben u. übersetzt von Helga Rieger. 4. Auflage. Suhrkamp Verlag, 2002, ISBN 3-518-01239-8.
  • Briefe zum Werk. Hrsg. Walter Boehlich. Übers. Wolfgang A. Peters. 2 Bände. Frankfurt am Main, Suhrkamp 1964.
  • Briefe 1879–1922. Hrsg. von Jürgen Ritte. Aus d. Franz. von Jürgen Ritte, Achim Risser u. Bernd Schwibs. Suhrkamp, Berlin 2016.

Am 31. Mai 2016 wurden Fotos und Briefe von Proust bei Sotheby’s in Paris versteigert.[4]

Übersetzungen

  • La Bible d'Amiens. Übersetzung von John Ruskins „The Bible of Amiens“. 1896. (Volltext)
  • Sésame et les lys: des trésors, des jardins des reines. Übersetzung von John Ruskins „Sesame and Lilies“. 1906. (Volltext)

Literatur

(Alphabetisch)

Siehe auch:

Filme

Weblinks

Commons: Marcel Proust – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Marcel Proust – Quellen und Volltexte (französisch)

Proust-Gesellschaften

Quellen

  1. FemBio von Jeanne Proust
  2. Julien Bogousslavsky, Olivier Walusinski: Marcel Proust and Paul Sollier. The Involuntary Memory Connection. In: Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie. Band 160, Nr. 4, 2009, S. 130–136. (baillement.com PDF, 540,9 kB)
  3. Die Übersetzung war umstritten, sie wurde heftig kritisiert, u. a. von Ernst Robert Curtius. Darauf wechselte der Verlag die Übersetzer, siehe folgendes. Die Unterschiede der Ausgaben, auch in der Aufmachung, immer im Buchdesign von Georg Salter, bilden bis heute ein weites Arbeitsfeld für Antiquare.
  4. Sotheby’s versteigert Fotos und Briefe von Proust. auf: orf.at, 3. Mai 2016, abgerufen 3. Mai 2016.
  5. Besprechung von Tadiés Proust-Biografie: Gerrit Bartels: Das Innere der Außenwelt. In: Tagesspiegel. 29. Dezember 2008.