Margrethe Vestager

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Margrethe Vestager (2022)

Margrethe Vestager [mɑˈg̊ʁeːɪ̯d̥ə ˈʋɛstʰeːɪ̯ɐ] (* 13. April 1968 in Glostrup) ist eine dänische Politikerin der linksliberalen Partei Radikale Venstre (RV). Seit 2014 ist sie EU-Kommissarin für Wettbewerb. Seit 1. Dezember 2019 ist sie außerdem geschäftsführende Vizepräsidentin und Kommissarin für Digitales in der Kommission von der Leyen.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Margrethe Vestager wuchs in einem Pfarrhaus als ältestes von vier Kindern eines Pastoren-Ehepaares in Westjütland auf.[2] Ihr Ururgroßvater war einer der Gründer der Partei Det Radikale Venstre, auch ihre Eltern engagierten sich dort.[2] Sie studierte bis 1993 an der Universität Kopenhagen und erwarb dort einen Master of Science in Wirtschaftswissenschaften. Anschließend arbeitete sie von 1993 bis 1995 beim dänischen Finanzministerium und von 1995 bis 1997 als Sonderberaterin der Dänischen Staatlichen Finanzagentur.

Von 1993 bis 1997 war sie als Nachfolgerin von Marianne Jelved Parteivorsitzende der RV und damit vor allem für die interne Organisation der Partei zuständig. Vom 23. März 1998 bis 27. November 2001 war Vestager als Nachfolgerin von Ole Vig Jensen Bildungsministerin; bis 21. Dezember 2000 war sie auch für das Kirchenministerium zuständig. Zu einem öffentlichen Aufschrei kam es, als bekannt wurde, dass die Kirchenministerin ihre älteste Tochter Maria nicht hatte taufen lassen.[2] Sie und ihr Mann hielten jedoch an ihrer Position fest, dass ihre Kinder später selbst entscheiden sollten, ob sie getauft werden möchten.[2]

2007 übernahm Vestager die politische Führung der RV. Dabei hatte sie zunächst den Fraktionsvorsitz inne, bis sie nach der erfolgreichen Folketingswahl 2011 das Wirtschafts- und Innenministerium in den Kabinetten Thorning-Schmidt I und Thorning-Schmidt II führte. 2011 war sie Parteivorsitzende, Wirtschaftsministerin, Innenministerin und stellvertretende Regierungschefin. Sie setzte unter anderem eine harte Sozialreform durch, die auch Kürzungen der Bezüge von Langzeitarbeitslosen umfasste.[2] 2017 wurde sie mit der Reinhold-Maier-Medaille, 2018 mit dem Schwarzkopf-Europa-Preis, 2020 mit dem Marion Dönhoff Preis und 2022 mit der LutherRose 2022 durch die Internationale Martin Luther Stiftung[3] ausgezeichnet.

Anfang September 2023 wurde bekannt, dass sie sich vorübergehend aus der EU-Kommission zurückziehe, um für den Vorsitz der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu kandidieren.[4] Der 71-jährige Deutsche Werner Hoyer – Präsident und Verwaltungsratsvorsitzender[5] – wolle zum Jahresende aufhören.[4] Im Dezember 2023 zog sie ihre Kandidatur zurück.[6]

Vestager ist mit Thomas Jensen verheiratet und hat drei Töchter.[7]

EU-Kommissarin für Wettbewerb[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hauptquartier der Europäischen Kommission in Brüssel (Berlaymont-Gebäude)

Helle Thorning-Schmidt schlug Vestager 2014 als dänische EU-Kommissarin in der Kommission Juncker vor. Deshalb zog sie sich am 2. September 2014 von ihren politischen Ämtern in Dänemark zurück. Am 10. September 2014 nominierte Jean-Claude Juncker Vestager offiziell als EU-Kommissarin für Wettbewerb; ihr ist die Generaldirektion Wettbewerb zugeordnet; seit November 2014 amtiert sie als Nachfolgerin von Joaquín Almunia.[8]

Im Zusammenhang mit der Schaffung des Digitalen Binnenmarktes der EU lehnt Vestager den Vorstoß des EU-Kommissars für Digitale Wirtschaft, Günther Oettinger, ab, Fusionen von großen Telekommunikationskonzernen in Europa zu genehmigen, bevor ein gemeinsamer Digitalmarkt in der EU vorhanden ist. Die EU-Kommissarin ist der Meinung, dass aufgrund des geringeren Wettbewerbdrucks andernfalls deutlich höhere Kosten für die Verbraucher entstünden.

Ebenfalls im November 2014 nahm die EU-Wettbewerbskommissarin Untersuchungen gegen mehrere Lkw-Hersteller in Europa auf, da es nach ihrer Auffassung zu schweren Verstößen gegen das Kartellrecht gekommen sei. Von den Untersuchungen sind unter anderem Daimler, Volvo und MAN betroffen.

Anfang 2015 sorgte Vestager dafür, dass die defizitäre in staatlichen Eigentum Zyperns befindliche Fluggesellschaft Cyprus Airways 65 Mio. € an staatlichen Beihilfen an Zypern zurückzahlen musste, da deren Auszahlung nicht den EU-Beihilfevorschriften entsprochen hatte. Die EU-Kommissarin fügte hinzu, dass Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit aus eigener Kraft herstellen müssten und sich nicht auf den Staat verlassen dürften. Cyprus Airways stellte daraufhin den Flugbetrieb ein.[9] Cyprus Airways war bereits seit 2007 defizitär und hatte es bis dahin nicht geschafft, allein wettbewerbsfähig zu werden, obwohl Zypern im Vorfeld die Fluggesellschaft mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt hatte.[10]

Im April 2015 warf sie federführend mit der Europäischen Kommission Google Marktmissbrauch vor. Nach Ansicht von Vestager missbrauchte der US-Konzern seine vorherrschende Stellung unter den Suchmaschinen in Europa dazu, seinen Preisvergleichsdienst Google Shopping zu bevorzugen. Aus diesem Grund belegte sie Google im Juni 2017 mit einer Strafe von 2,42 Milliarden Euro. Darüber hinaus eröffnete Vestager ein Untersuchungsverfahren, in dem untersucht werden sollte, ob Google seine Position beim Einsatz des mobilen Betriebssystems Android missbraucht, zum Beispiel gegenüber Herstellern von Tablets und Smartphones.[11] Im Juli 2018 entschied sie in diesem Zusammenhang, dass Google eine neue Rekordstrafe in Höhe von 4,3 Milliarden Euro an die EU-Kommission zu zahlen habe.[12] Das Magazin TIME nannte sie „Googles schlimmsten Alptraum“.[13]

Im Mai 2015 kritisierte sie in einem Interview den russischen Energiekonzern Gazprom, da er seine Marktmacht in östlichen EU-Staaten missbraucht habe und in Polen und Bulgarien Gaslieferung von der Nutzung seiner eigenen Pipelines abhängig gemacht habe, was für die betroffenen Staaten zu erheblichen Mehrkosten geführt habe.[14]

Im Oktober 2015 äußerte sie sich zufrieden über eine Einigung zwischen EU-Kommission und den Eigentümern der HSH Nordbank (den Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein), für die Bank entweder einen Käufer zu finden oder sie abzuwickeln.[15][16][17]

Ende Januar 2019 belegt Vestager das US-amerikanische Unternehmen Mastercard mit einer Geldstrafe in Höhe von 570 Millionen Euro.[18] Mastercard soll über Jahre hinweg zu teure Gebühren für Kreditkartenabbuchungen verlangt haben und so gegen das Europäische Kartellrecht verstoßen haben.[19]

Seit ihrem Amtsantritt hat Vestager – Stand Mai 2019 – mehr als 15 Mrd. Euro an Kartellstrafen verhängt, fast doppelt so viel wie während der Amtszeit ihres Vorgängers verhängt wurden.[20]

Nach dem Rücktritt von EU-Kommissarin Mariya Gabriel übernahm Vestager von Mai bis September 2023 vorübergehend gemeinsam mit Margaritis Schinas deren Ressorts.[21]

Im Juli 2023 sorgt die Ernennung der US-Amerikanerin Fiona Scott Morton zur Chefökonomin der Generaldirektion Wettbewerb mit Unterstützung von Margrethe Vestager für einen Aufschrei im Europäischen Parlament sowie in Frankreich: Die Vorsitzenden von vier Fraktionen sowie drei französische Minister kritisieren diese Wahl.[22] Scott Morton verzichtete daraufhin auf den Posten.[23]

Verfahren gegen wettbewerbswidrige Steuerpraktiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als EU-Wettbewerbskommissarin engagiert sich Vestager gegen Steuerpraktiken bestimmter Mitgliedstaaten. In Steuervorbescheiden sollen sie Unternehmen zugesichert haben, deren Steuer technisch so zu bestimmen, dass im Ergebnis jedenfalls innerhalb der EU und des EWR eine geringere Steuerschuld anfiel, als nach Auffassung der Europäischen Kommission hätte anfallen müssen. In den Verfahren der Europäischen Kommission gegen die Mitgliedstaaten sieht sie diese Praktiken als rechtswidrige Beihilfen im Sinne von Art. 107 AEUV an. Das europäische Beihilfeverbot soll Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt verhindern.

Im November 2014 leitete Vestager Ermittlungen gegen Großbritannien, Belgien, Malta und Zypern ein, da die EU-Kommission unerlaubte Steuerdeals zwischen den Staaten und einzelnen Unternehmen befürchtete. Die Verfahren gegen Irland, die Niederlande und Luxemburg wurden weitergeführt, von Luxemburg wurden weitere Informationen zu den Deals mit Amazon und FCA angefordert. Nachdem sich Luxemburg geweigert hatte, weitere Informationen preiszugeben, kündigte Vestager an, diese notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof einzuklagen. Von Ermittlungen sind unter anderem auch Apple in Irland und Starbucks in den Niederlanden betroffen.

Apple-Chef Tim Cook sagte zu den Vorwürfen: „Wir haben keine spezielle Vereinbarung mit der irischen Regierung“. Der irische Finanzminister Michael Noonan versprach, Vestagers Urteil zu akzeptieren. Am 30. August 2016 erklärte Margrethe Vestager für die EU-Kommission, dass die irische Regierung gegen die Regeln des Binnenmarktes verstoßen habe, indem sie einer einzelnen Firma selektiv Steuervorteile über viele Jahre eingeräumt habe. Die effektive Steuer habe für Apple in Europa im Jahr 2003 bei 1 % der Gewinne gelegen und sei bis 2014 sogar auf 0,005 % (50 € Steuern pro Million € Unternehmensgewinn) abgesunken. Irland müsse nun die entgangenen Steuern in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar plus Zinsen von Apple zurückfordern.[24] Die Entscheidung wurde 2020 vom EU-Gericht annulliert, eine endgültige Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof steht allerdings noch aus.[25][26]

Zu jeweils 30 Mio. Euro Steuernachzahlung hat sie die beiden Konzerne Fiat-Chrysler und Starbucks verklagt, die in Luxemburg bzw. den Niederlanden illegale Steuervorteile erhalten haben.

Im Dezember 2015 wurde ein weiteres Verfahren gegen den US-Konzern McDonald’s eröffnet, da dieser über die Tochtergesellschaft McDonald’s Europe Franchising in Luxemburg keine Steuern gezahlt haben soll, obwohl allein 2013 ein Gewinn von 250 Mio. Euro erwirtschaftet wurde.[27] Zwischen 2009 und 2013 soll McDonalds – so die Gewerkschaft – über 1 Milliarde Euro Steuern in der EU hinterzogen haben.

Im Januar 2016 schloss Vestager das Verfahren gegen Belgien ab. Die belgische Regierung wurde dazu verpflichtet, von 35 Unternehmen insgesamt 700 Mio. Euro an Steuernachlässen zurückzufordern. In Belgien konnten diese Unternehmen tatsächlich erzielte Gewinne mit einem geschätzten Durchschnittsgewinn vergleichen. Die Differenz aus den beiden Werten konnte als sogenannter Gewinnüberschuss abgesetzt werden und so die Körperschaftsteuer um 50–90 % reduziert werden. Unter den betroffenen Konzernen befinden sich auch British American Tobacco und Inbev.

EU-Kommissionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Margrethe Vestager – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. tagesschau.de: Die neuen Mitglieder der Europäischen Kommission. Abgerufen am 28. November 2019.
  2. a b c d e Alexander Mühlauer: Die Anständige. In: Süddeutsche Zeitung, 25. Januar 2016.
  3. Margrethe Vestager erhält die LutherRose 2022. (PDF; 0,289 MB) Internationale Martin Luther Stiftung, 16. August 2022, abgerufen am 5. September 2022.
  4. a b ORF at/Agenturen red: Kommission: Rückzug von Vestager für EIB-Kandidatur. 5. September 2023, abgerufen am 6. September 2023.
  5. Werner Hoyer für eine zweite Amtszeit zum Präsidenten der Europäischen Investitionsbank bestellt. Abgerufen am 6. September 2023.
  6. Margrethe Vestager rückt doch nicht an die Spitze der Europäischen Investitionsbank. In: spiegel.de. 8. Dezember 2023, abgerufen am 8. Dezember 2023.
  7. Christoph Pauly und Michaela Schießl: Eine Wikingerin in Brüssel. In: Der Spiegel. Nr. 13, 2015, S. 64–66 (online).
  8. Commissioner Margrethe Vestager. In: europa.eu. Abgerufen am 16. August 2015 (englisch).
  9. Cyprus Airways stellt nach EU-Kommission-Urteil den Betrieb ein, abgerufen am 29. Oktober 2019
  10. Staatliche Beihilfen: Kommission ordnet Rückforderung unzulässiger Beihilfen von zyprischer Fluggesellschaft Cyprus Airways an. In: europa.eu. 9. Januar 2015, abgerufen am 16. August 2015.
  11. Florian Güßgen: Brüssel sagt dem Giganten den Kampf an. In: Stern. 16. April 2015, abgerufen am 16. August 2015.
  12. Alexander Mühlauer / Vivien Timmler: EU verhängt 4,3-Milliarden-Euro-Strafe gegen Google. In: Süddeutsche Zeitung. 18. Juli 2018, abgerufen am 18. Juli 2018.
  13. Lisa Abend: Why this woman is Google's worst nightmare. In: Time, 20. Mai 2015 (englisch).
  14. Georgi Gotev, Sarantis Michalopoulos: Wettbewerbskommissarin Vestager: “Gazprom schottet die Märkte in Zentral- und Osteuropa ab”. In: EurActiv. 22. Mai 2015, abgerufen am 16. August 2015.
  15. HSH Nordbank soll privatisiert werden. In: Handelsblatt, 19. Oktober 2015.
  16. Carsten Germis: HSH Nordbank wird bis 2018 privatisiert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Oktober 2015.
  17. Mirko Wollrab: HSH Nordbank gibt Portfolien ab – Garantiegebühr sinkt deutlich – Länder vereinbaren Privatisierung. (Memento vom 10. August 2016 im Internet Archive) In: hsh-nordbank.de, 19. Oktober 2015.
  18. Mastercard: 570-Millionen-Strafe wegen Kreditkarten-Abzocke. Abgerufen am 22. Januar 2019.
  19. EU verhängt 570 Millionen Euro Strafe gegen Mastercard. 22. Januar 2019, abgerufen am 22. Januar 2019.
  20. Harald Schumann: Gesetzgebung in der Blackbox: Wie demokratisch ist die EU? Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2019, abgerufen am 25. Mai 2019.
  21. Krassen Nikolov: Rücktritt offiziell: EU-Kommissarin beginnt mit Regierungsbildung in Bulgarien. In: euractiv.de. 16. Mai 2023, abgerufen am 18. Mai 2023.
  22. Trotz Kritik: EU-Kommission hält an Ernennung von US-Ökonomin fest. 14. Juli 2023, abgerufen am 20. Juli 2023.
  23. Top US economist quits EU job after Macron speaks out. In: POLITICO. 19. Juli 2023, abgerufen am 20. Juli 2023 (englisch).
  24. Staatliche Beihilfen: Irland gewährte Apple unzulässige Steuervergünstigungen von bis zu 13 Mrd. EUR. In: europa.eu. 30. August 2016, abgerufen am 30. August 2016.
  25. Christoph G. Schmutz: EU-Gericht annulliert Rekord-Steuernachzahlung für Apple in Irland. Neue Zürcher Zeitung, 15. Juli 2020.
  26. Fabian WEBER: Kommission geht gegen EU-Urteil zur Besteuerung von Apple in Irland in Berufung. 25. September 2020, abgerufen am 12. Oktober 2021.
  27. EU-Kommission nimmt McDonald’s wegen Steuertricks ins Visier. In: finanzen.net, 3. Dezember 2015.