Menschen untereinander

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Film
Titel Menschen untereinander
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1926
Länge 108 Minuten
Stab
Regie Gerhard Lamprecht
Drehbuch Gerhard Lamprecht, Luise Heilborn-Körbitz, Eduard Rothauser
Produktion Gerhard-Lamprecht-Film Produktion GmbH (Berlin)
Musik Giuseppe Becce
Kamera Karl Hasselmann
Besetzung

Menschen untereinander ist ein deutsches Sozialdrama von Gerhard Lamprecht aus dem Jahr 1926. Er entstand nach einem Drehbuch, das Lamprecht mit Luise Heilborn-Körbitz und Eduard Rothauser verfasst hatte, realisierte und in eigener Gesellschaft gemeinsam mit der National-Film A.G. Berlin produzierte. Aufnahmeleiter war Ernst Körner. Die Filmbauten entwarf Otto Moldenhauer, die Photographie besorgte Karl Hasselmann.[1]

„Menschen untereinander“ zählt zu den Milieustudien, die Lamprecht in den 1920er Jahren an Originalschauplätzen und teils mit Laiendarstellern in Berlin gedreht hat[2]; weil sie durch die Zeichnungen des Berliner Malers und Photographen Heinrich Zille angeregt und durch seine Beratung[3] gefördert worden waren, nannte man sie bald auch „Zille-Filme“.[4] Das Genre verfiel bald einem modischen Kommerz.[5]

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zentrum des Geschehens steht ein typisches Berliner Mietshaus der 1920er Jahre. Ein Juwelier und ein Anwalt wohnen in den unteren Stockwerken. Den nächsten Stock teilen sich eine Witwe und ein Beamter. Darüber liegen mit der Tanzschule und einem Heiratsvermittlungs-Institut zwei Geschäftsräume. Ganz oben, direkt unter dem Dach wohnen die ärmsten Mietparteien: Ein Luftballonverkäufer und ein nach der Inflation mittellos gewordener Klavierlehrer. So spiegelt das Haus die Gesellschaft, ihre Nöte und Klassengegensätze.

In Episoden erzählt der Film aus dem Leben der Mieter. Auf diese Weise werden die unterschiedlichen sozialen Milieus kontrastiert. Existenzielle Erfahrungen wie Liebe, Glück und Enttäuschung dagegen haben alle Mieter. Diese Grunderfahrungen lassen die Repräsentanten einer Schicht bald als Individuen erscheinen, die konkret leiden: An den Folgen eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das aus den Fugen geraten ist.

Produktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In „Menschen untereinander“ sind Schauspieler wie Alfred Abel, Erika Glässner, Olga Limburg und Margarete Kupfer zu sehen. Die aus Fritz LangsDr. Mabuse“-Filmen bekannten Darsteller Aud Egede Nissen, Käthe Haack, Paul Bildt und Eduard Rothauser waren schon 1925 bei „Die Verrufenen“ dabei.

Der Film entstand in Berlin im May-Atelier, Weißensee[6] und im National-Atelier, Tempelhof.[7]

Er wurde in Deutschland von der National-Film, in Frankreich durch die Compagnie Française du Film verliehen. Dort lief er unter dem Titel „117 bis Grand Rue“.[8]

Seine Uraufführung in Berlin fand am 1. April 1926 im Tauentzien-Palast[9] statt. Die Kino-Musik zur Uraufführung stellte Giuseppe Becce zusammen und dirigierte sie.[10]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zeitgenössische Bewertungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Film wurde von der Kritik überwiegend positiv aufgenommen: er sei „einer der interessantesten und besten Filme des Jahres“,[11] der „das Leben dort packt, wo es am wahrhaftigsten ist“.[12]

Vor allem die Leistung des mit vielen prominenten Schauspielern besetzten Ensembles wurde hervorgehoben, Aud Egede Nissen sei noch „nie so aufgewühlt und echt“ gewesen,[13] und zu Erika Gläßner als Hausbesitzerin las man: „Gläßner ‚spielt‘ nicht. […] Das ist, ist, ist sie.“

Insbesondere wurde die Regieleistung von Gerhard Lamprecht gewürdigt; ihm sei es gelungen, die „wunderbare Möglichkeit“ des Films, „die Gleichzeitigkeit aller Geschehnisse unmittelbar sichtbar zu machen“ (Berliner Börsencourier, 4. April 1926, S. 157).

Die wenigen kritischen Stimmen sahen das anders. Sie attestieren Drehbuchautor und Regisseur, „dass sie Einzelszenen glaubhaft nebeneinander setzten konnten, dass sie aber nicht vermochten, das Bild zu schaffen, das eben Einheit sein müsste, um zu befriedigen!“ (Der Bildwart, Filmschau, April 1926, S. 253). Auch die Filmwoche merkt an: „[…] [I]m Film folgt ein Bild hart dem anderen – und zum Schluss ist man nicht etwa zwiegespalten, nein: zehn-, fünfzehngespalten.“.[14]

"Alles läuft wie im Leben. Keine Übertreibung, Berichterstattung wie unter der Rubrik "Vermischtes" (Le courier cinématographique, Paris 1926).[15]

Heutige Bewertungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Film ist formal wie inhaltlich äußerst konservativ: In meist statischen Einstellungen und umständlich eingefädelten Interaktionen werden soziale Verwerfungen als Schicksalsschläge oder Folgen zwischenmenschlicher Missgunst beschrieben. Das Ende schwelgt dann in der glückseligen Auflösung aller Probleme; Konfliktbewältigung auf Gartenlauben-Niveau. [ ... ] Zuletzt muss die skrupellose Vermieterin das Feld räumen, der neue Eigentümer verheißt Verständnis und Großzügigkeit.[16]

Lamprecht zeichnet in diesem stummen Frühwerk am Beispiel eines Berliner Hauses die Folgen der Inflation, die das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aus den Fugen geraten lässt. In verschiedenen Episoden erzählt "Menschen untereinander" aus dem Leben der Mieter, zeigt ihre existenziellen Erfahrungen wie Liebe, Glück und Enttäuschung.[17]

"Menschen untereinander", ein episodisch aufgebauter Querschnittsfilm, mag im Detail etwas schwerfällig angelegt sein, dennoch fragt man sich, warum das Kino sich heute so etwas nicht mehr zutraut: Nicht ein Individuum oder eine Familie zum Ausgangspunkt der Erzählung zu nehmen, sondern ein Mietshaus, also die soziale Organisation selbst.[18]

Ebenfalls zu den Querschnittsfilmen gehört MENSCHEN UNTEREINANDER - ACHT AKTE AUS EINEM INTERESSANTEN HAUSE (1926) von Gerhard Lamprecht, eine filmische Recherche, die an einem "Locus classicus" festmacht ist, und somit zum Modell für das spezifisch berlinerische Genre der Pensions-Filme wird.[19]

Beschränkten sich Lamprecht und seine Drehbuchautorin in dem Film "Die Verrufenen" noch auf ein bestimmtes Milieu, das des "Fünften Standes", wird hier diese Beschränkung aufgegeben - mit dem Ergebnis von Freiheit, aber auch von Zusammenhanglosigkeit, ausgelöst durch die Anhäufung von Umständen und Gleichzeitigkeiten. Es entsteht ein Konglomerat aus menschlichen Leben.[20]

Neue Musik zum Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der 1964 geborene Berliner Komponist Bernd Schultheis[21] schrieb 2013 eine neue Begleitmusik zu dem Film. Sie wurde durch das ensemble mosaik und Gäste[22] am 30. Juni in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter Leitung des Komponisten live zur Vorführung gespielt.[23] Der Kulturkanal ARTE strahlte eine Aufzeichnung dieser Veranstaltung am Dienstag, 24. September 2013, um 23.55 Uhr aus.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Abbildungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Antti Alanen: MENSCHEN UNTEREINANDER. Acht Akte aus einem nicht uninteressanten Miethaus. In: Film Diary. 10. Oktober 2013. (anttialanenfilmdiary.blogspot.de)
  • Martin Baumeister, Moritz Föllmer, Philipp Müller (Hrsg.): Die Kunst der Geschichte: Historiographie, Ästhetik, Erzählung. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-36384-3.
  • Herbert Birett: Stummfilmmusik. Eine Materialsammlung. Deutsche Kinemathek Berlin, Berlin 1970.
  • Hans-Michael Bock (Hrsg.): CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film. edition text + kritik, München, ISBN 978-3-86916-222-5.
  • Peter Boeger: Architektur der Lichtspieltheater in Berlin – Bauten und Projekte 1919–1930. Willmuth Arenhövel, cop., Berlin 1993, ISBN 3-922912-28-1.
  • Günther Dahlke, Günter Karl: Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933. Henschel Verlag, Berlin 1993, S. 350.
  • Walter Gasperi: "Berliner Milieufilme" von Gerhard Lamprecht. bei: artCore. 28. Februar 2013. (kultur-online.net)
  • Wolfgang Jacobsen: Zeit und Welt – Gerhard Lamprecht und seine Filme. edition text + kritik, München 2013.
  • Claus Löser: Gerhard Lamprecht. Von den Höhen und Tiefen des „Milljöhs“. In: Berliner Zeitung. 26. Juni 2013. (berliner-zeitung.de)
  • Otto Nagel: Heinrich Zille – Leben und Schaffen. Henschel Verlag, Berlin 1968.
  • Detlev J.K. Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne. (= edition suhrkamp. 1282). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987.
  • Gerd-Peter Rutz: Darstellungen von Film in literarischen Fiktionen der zwanziger und dreißiger Jahre. (= Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte. Band 8). LIT Verlag, Münster 2000, ISBN 3-8258-4342-4.
  • Ralf Schenk: Die Spukpioniere von Weißensee. In: Berliner Zeitung. 20. November 2013. (berliner-zeitung.de)
  • Bärbel Schrader, Jürgen Schebera: Die „goldenen“ zwanziger Jahre: Kunst und Kultur der Weimarer Republik. Hermann Böhlaus Nachf., Wien/ Köln/ Graz 1987.
  • Stephanie Singh: Berlin - Der grüne Reiseführer. (= Michelin: Der grüne Reiseführer.) Univ. Press of Mississippi, 2007, ISBN 978-3-8342-8989-6.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. vgl. Dahlke-Karl S. 342.
  2. vgl. anonymus in tv.heute.at: "Gerhard Lamprecht arbeitete mit Zille erstmals für den Film Die Verrufenen zusammen, der auf Zilles Erzählungen aus dem Milieu basierte. Auf die erfolgreiche Zusammenarbeit folgten zwei weitere Filme, die sich ebenso als von Zille inspiriert auszeichnen: Die Unehelichen und Menschen untereinander, beide aus dem Jahr 1926. Zusammen ergeben sie eine filmische Trilogie Lamprechts, in der er sich gesellschaftlichen Missständen wie sozialen Fragestellungen widmet" (Memento vom 3. Dezember 2013 im Internet Archive), ferner tv-tipp: “Auch während der Dreharbeiten für "Die Unehelichen" und "Menschen untereinander" (beide 1926) arbeitete Lamprecht erneut mit Zille zusammen.”
  3. vgl. anonymus in tv.heute.at: " ... die "Milljöh"-Filme Gerhard Lamprechts, die unter der Beratung des Künstlers Heinrich Zille entstanden, so dass sie auch als "Zillefilme" bezeichnet werden" (Memento vom 3. Dezember 2013 im Internet Archive)
  4. vgl. Singh, S. 46, und Rutz S. 192 f.
  5. vgl. dazu Baumeister-Föllmer-Müller S. 333 f.
  6. vgl. cinegraph.de und digitour.de
  7. vgl. cinegraph.de
  8. vgl. allocine.fr
  9. mit 995 Sitzplätzen nach dem “Ufa-Palast am Zoo” das zweitgrößte Lichtspieltheater Berlins, vgl. Boeger 1993.
  10. vgl. Birett S. 124 zu B 12 648, VIII 819 (T)
  11. Berliner Börsencourier, 4. April 1926.
  12. Reichsfilmblatt, 3. April 1926, S. 11.
  13. Deutsche Filmwoche, 23. April 1926, S. 17.
  14. Die Filmwoche, 14. April 1926, S. 372, zit. nach: ARTE Web-Seite Stummfilm auf ARTE
  15. zit. nach koki.freiburg.de
  16. Claus Löser in BZ 26. Juni 2013.
  17. Menschen untereinander. In: prisma. Abgerufen am 21. Juli 2021.
  18. Lukas Foerstner in taz.de am 27. Juni 2013.
  19. afk-filmkreis Karlsruhe, Wintersemester 97/98
  20. so Wolfgang Jacobsen: Zeit und Welt – Gerhard Lamprecht und seine Filme. edition text + kritik, München 2013.
  21. vgl. Musikverlag Ries & Erler, rieserler.de (Memento vom 31. Oktober 2013 im Internet Archive)
  22. vgl. ensemble-mosaik.de
  23. vgl. Filmspotting: "Die von Bernd Schultheis für Ensemble komponierte Filmmusik liefert eine musikalische Interpretation jener Epoche. Unter seiner Leitung begleitet das ensemble mosaik und Gäste am 30. Juni in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz um 18 Uhr..." (Memento vom 3. Dezember 2013 im Internet Archive) sowie volksbuehne-berlin.de (Memento vom 27. November 2013 im Internet Archive)