Hormesis

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Möglichkeiten der biologischen Wirksamkeit

Hormesis (griech.: „Anregung, Anstoß“, engl.: adaptive response) bezeichnet das Phänomen, dass geringe Dosen schädlicher oder giftiger Substanzen und stressauslösender Umweltfaktoren eine positive Wirkung auf Organismen haben können.[1] Bei vielen Gift- und Arzneistoffen ist ein solcher dosisabhängiger Umkehreffekt schon länger bekannt und gut nachweisbar (z. B. Digitalis, Colchicin oder Opium). Bei einer Reihe anderer Substanzen und der Wirkung ionisierender Strahlung auf Umwelt und Lebewesen wird die Hypothese in Fachkreisen sehr kontrovers diskutiert.

Hormetische Effekte zeichnen sich durch eine nach oben oder unten geöffnete J- oder U-förmige Dosis-Wirkungs-Kurve aus (z. B. rote Kurve im Bild rechts). Hormetische Effekte kommen in unterschiedlichen Kontexten vor und haben unterschiedliche ihnen zugrundeliegende Mechanismen.[1]

In jüngster Zeit wurde das Konzept bzw. die Hypothese vor allem von Edward Calabrese vertreten.

Strahlenhormesis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vereinzelt konnten hormetische Effekte von ionisierender Strahlung (Radioaktivität) nachgewiesen werden. Hier wird auch von Strahlenhormesis (engl. radiation hormesis oder radiation homeostasis) gesprochen.[2][3]

Die Krebsmortalität war unter den Nukleararbeitern mit einer durchschnittlichen arbeitsplatzbedingten Strahlenexposition, die nur ein kleines Vielfaches der natürlichen Hintergrundstrahlung betrug, in einigen Studien 15 bis 20 % geringer als die in der allgemeinen Bevölkerung.[4] Allerdings ist bekannt, dass eine arbeitende Population grundsätzlich gesünder ist als der allgemeine Bevölkerungsdurchschnitt, da dieser auch alle aus körperlichen Gründen arbeitsunfähigen Menschen beinhaltet, was man als Healthy-Worker-Effekt bezeichnet.

Auch das Einatmen von radioaktivem Radon oder das Trinken radonhaltigen Wassers (Radonbalneologie) soll einen positiven Einfluss auf rheumatische Erkrankungen sowie chronisch degenerative Erkrankungen der Gelenke oder der Wirbelsäule haben.[5] Epidemiologische und tierexperimentelle Untersuchungen liefern bisher widersprüchliche Ergebnisse. Die extrem geringen Wirkungen kleiner Strahlendosen sind schwer zu interpretieren, da sie einerseits von der natürlichen Strahlenexposition als auch von anderen krebserregenden Faktoren aus Ernährung und Luftverschmutzung schwer zu unterscheiden sind.

Linear no-threshold model[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fachleute für Strahlenschutz gehen daher konservativ (im Sinne von „zur sicheren Seite hin“) von einer linearen Dosis-Wirkungs-Kurve (engl. Linear no-threshold model, LNT-Modell) ohne Schwellenwert und somit einem Schädigungspotential auch bei beliebig niedrigen Strahlendosen aus. Die Befunde über eine stimulierende oder hormetische Wirkung kleiner Dosen werden von vielen internationalen Gremien wie der Internationalen Strahlenkommission (ICRP), dem BEIR Komitee der Akademie der Wissenschaften der USA und dem Komitee der Vereinten Nationen über die Wirkung der atomaren Strahlung (UNSCEAR) als nicht hinreichend überzeugend angesehen, um von der linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung ohne Schwellenwert abzuweichen.[6] Es wird jedoch angezweifelt, dass die LNT-Methode die richtige Abschätzung ergibt; diese soll eher aus Strahlenschutzgründen als Oberabschätzung der Gefahren betrachtet werden.[7][8][9] Das LNT-Modell ignoriert nicht nur die eventuelle Strahlenhormesis, sondern auch die wohlbekannte Fähigkeit der Zellen, Erbgutschäden zu reparieren, sowie die vom Organismus, beschädigte Zellen zu entfernen.[7] Diese beiden Mechanismen bewirken, dass eine kleine Dosis über längere Zeit weniger gefährlich ist als eine große Dosis über kurze Zeit.

Mitohormesis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mitochondriale Hormesis oder kurz Mitohormesis wird ein biochemischer Prozess genannt, bei welchem die Aktivierung von Mitochondrien zu einer vermehrten Bildung von freien Radikalen in der Zelle führt, welche letztlich zu einer Aktivierung der zelleigenen Abwehr gegen Sauerstoffradikale führt.

Das Konzept der Mitohormesis wurde von Michael Ristow aufgestellt.[10][11] Diese Beobachtung wurde nachfolgend vielfach auch an weiteren Modellorganismen und von anderen Arbeitsgruppen reproduziert.[12][13][14]

Hierauf aufbauend konnte Ristow erstmals zeigen, dass die seit langem bekannte gesundheitsfördernde und lebensverlängernde Wirkung von Ausdauersport ebenfalls auf der Wirkung von freien Radikalen bzw. reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) beruht. Zusammen mit Matthias Blüher in Leipzig gelang ihm der Nachweis, dass Antioxidantien der Diabetes-vorbeugenden Wirkung von Sport entgegenwirken bzw. diese vollkommen verhindern, indem Antioxidantien der Bildung freier Radikale entgegenwirken[15].

Die daraus resultierende Fragwürdigkeit antioxidativer Nahrungsergänzungsmittel mit möglicher schädlicher Wirkung im Menschen wurde auch in der internationalen Presse eingehend diskutiert.[16][17][18][19]

Mehrere Metaanalysen kamen analog hierzu unabhängig von Ristow zu dem Schluss, dass die Gabe von bestimmten Antioxidantien (beta-Carotin, Vitamin A und Vitamin E) beim Menschen die Entstehung von Krankheiten einschließlich Krebs fördert.[20][21]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Hormesis – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b E. Calabrese et al.: HORMESIS: The Dose-Response Revolution. In: Annu Rev Pharmacol Toxicol 43, 2003, S. 175–197, PMID 12195028.
  2. Anderson: Effects of low-dose radiation on the immune response. In: Biological Effects of Low Level Exposures to Chemicals and Radiation. Ed. E.J. Calabrese. Lewis Pub. Inc., Chelsea, Michigan, USA, 1992; 95–112.
  3. Makinodan: Cellular and subcellular alteration in immune cells induced by chronic, intermittent exposure in vivo to very low dose of ionizing radiation (ldr) and its ameliorating effects on progression of autoimmune disease and mammary tumor growth. In: Low-Dose Irradiation and Biological Defense Mechanisms. eds. Sugahara T, Sagan LA, Aoyama T. Exerpta Medica; Amsterdam, London, New York, Tokyo, Japan, 1992; 233–237.
  4. Kendall, G. M., Muirhead, C. R., MacGibbon, B. H., O’Hagen, J. A., Conquest, A. J., Goodill, A. A., Butland, B. K., Fell, T. P., Jackson, D. A., Webb, M. A., Haylock, R. G. E., Thomas, J. M., Silk, T. J.: Mortality and Occupational Exposure to Radiation: First Analysis of the National Registry for Radiation Workers. Br. Med. J. 304: 220–225 (1992).
  5. Radon-Heilkuren. In: BfS. 31. August 2023, abgerufen am 28. Januar 2024.
  6. Bundesamt für Strahlenschutz: Hormesis. Abgerufen am 6. März 2018.
  7. a b M. Tubiana, L. E. Feinendegen, C. Yang, J. M. Kaminski: The linear no-threshold relationship is inconsistent with radiation biologic and experimental data. In: Radiology. Band 251, Nummer 1, April 2009, S. 13–22, doi:10.1148/radiol.2511080671, PMID 19332842, PMC 2663584 (freier Volltext).
  8. The 2007 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection, Internationale Strahlenschutzkommission, abgerufen am 31. Juli 2015
  9. Health Impacts, Chernobyl Accident Appendix 2 (Memento des Originals vom 17. Juni 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.world-nuclear.org, World Nuclear Association, 2009. Abgerufen am 31. Juli 2015.
  10. Schulz, T. J. et al. (2007): Glucose restriction extends Caenorhabditis elegans life span by inducing mitochondrial respiration and increasing oxidative stress. In: Cell Metabolism. 6(4); 280–293; PMID 17908557
  11. Ristow, M. et al. (2011): Extending lifespan by increasing oxidative stress. In: Free Rad Biol Med 51, 327-336; PMID 21619928
  12. Yun, J & Finkel, T. (2014): Mitohormesis in: Cell Metabolism, 19, 757-766; PMID 24561260
  13. Ristow, M (2014): Unraveling the truth about antioxidants: mitohormesis explains ROS-induced health benefits. in: Nature Medicine, 20, 709–711; PMID 24999941
  14. Shadel, G.S. & Horvath, T.L. (2015): Mitochondrial ROS signaling in organismal homeostasis. in: Cell, 163, 560-569; PMID 26496603
  15. Ristow, M. et al. (2009): Antioxidants prevent health-promoting effects of physical exercise in humans. In: Proc Natl Acad Sci106: 8865-8870; PMID 19433800
  16. [1]The New York Times: Vitamins Found to Curb Exercise Benefits
  17. [2] BBC: Vitamins "undo exercise efforts"
  18. [3]Der Spiegel: Vitaminpillen bremsen positive Wirkung von Sport
  19. [4]Deutsches Ärzteblatt: Warum Sport nur ohne Vitamine die Gesundheit fördert
  20. Bjelakovic, G. et al. (2007): Mortality in randomized trials of antioxidant supplements for primary and secondary prevention: systematic review and meta-analysis. In: JAMA 299(7); 842-857; PMID 17327526
  21. Bjelakovic, G. et al. (2012): Antioxidant supplements for prevention of mortality in healthy participants and patients with various diseases. In: Cochrane Database Syst Rev 14; CD007176; PMID 22419320