Neuer Deutscher Film

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Der Neue Deutsche Film (auch Junger Deutscher Film, abgekürzt JDF) war ein Filmstil in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er und 1970er Jahre. Prägende Regisseure waren Alexander Kluge, Edgar Reitz, Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Hans-Jürgen Syberberg, Werner Schroeter und Rainer Werner Fassbinder. Diese Filmemacher stellten Gesellschafts- und politische Kritik in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, auch in Abgrenzung zu reinen Unterhaltungsfilmen. Als Autorenfilme wurden diese Produktionen in der Regel unabhängig von großen Filmstudios realisiert. Der Neue Deutsche Film wurde von der französischen „Nouvelle Vague“ und der 68er-Protestbewegung beeinflusst.

Von Joe Hembus bis zum Oberhausener Manifest

Joe Hembus forderte 1961 in seinem Pamphlet: „Der deutsche Film kann gar nicht besser sein“ eine Neuorientierung des deutschen Spielfilms. Der war im Deutschland ab den 50er Jahren dominiert von Themen wie Heimat-, Karl-May-, Schlager- und Edgar-Wallace-Filmen. Die Wortführer des JDF forderten dagegen eine Auseinandersetzung mit politischen, gesellschaftskritischen und zeitgeschichtlichen Themen. Der Film solle nicht unterhalten, sondern Denkanstöße für den Zuschauer geben. Filmemacher sollten finanziell unabhängig werden. 26 junge Filmemacher folgten am 28. Februar 1962 Joe Hembus und verlasen auf den Kurzfilmtagen das sogenannte Oberhausener Manifest. Am 1. Februar 1965 wurde das Kuratorium junger deutscher Film e.V. gegründet, das mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums zahlreiche junge deutsche Filme mit Krediten unterstützte.

Anfänge in den 60er-Jahren

Jean-Marie Straubs Film „Nicht versöhnt“ (1965) war eines der ersten Beispiele des Neuen Deutschen Films. Straub verfilmte den Böll-Roman „Billard um halbzehn“, zeigte ein Brechtsches Lehrstück deutscher Vergangenheit und Gegenwart. „Nicht versöhnt“ spaltete die Kritik in zwei unversöhnliche Lager: Die einen waren begeistert, andere ließen kein gutes Haar an dem „neumodischen Machwerk“.

Auf den Filmfestspielen von Cannes 1966 fiel „Der junge Törless“ auf. Volker Schlöndorff interpretiert den Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ von Robert Musil vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Der Schüler Törleß beobachtet in einem Jungeninternat die Misshandlung eines jüdischen Mitschülers, er ist nicht einverstanden, aber er greift auch nicht ein.

Eine junge jüdische Frau, die aus der DDR in die Bundesrepublik flieht, aber auch dort nicht akzeptiert wird, ist die Protagonistin in Alexander Kluges Film „Abschied von gestern“, der beim Festival in Venedig 1966 mit einem Sonderpreis der Jury prämiert wurde.

Am 1. Januar 1968 trat das neue Filmförderungsgesetz in Kraft und die Filmförderungsanstalt (FFA) wurde in West-Berlin gegründet.

Einen der größten kommerziellen Erfolge des Neuen Deutschen Films erzielte May Spils mit der Komödie „Zur Sache, Schätzchen“, die am 4. Januar 1968 ins deutsche Kino kam. Der Autorenfilm zeigt die philosophischen Ergüsse eines Schwabinger „Aussteigers“.

Bei der Berlinale 1968 wurde Werner Herzog für „Lebenszeichen“ mit dem Silbernen Bären für Regie ausgezeichnet. Ein junger Soldat scheitert gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinem Aufbegehren.

Vom 16. bis 18. Februar organisiert eine Gruppe junger Filmemacher die „1. Hamburger Filmschau“. Ein Wochenende, das als Film-Happening in die Geschichte des Neuen Deutschen Films eingegangen ist.

Jagdszenen aus Niederbayern“ von Peter Fleischmann löste 1969 wiederum heftige Kontroversen aus und begründete eine Welle kritischer Heimatfilme. Ein Homosexueller zieht den Hass der bayerischen Landbevölkerung auf sich, wird des Mordes verdächtigt und gnadenlos gejagt.

Im selben Jahr debütierte Rainer Werner Fassbinder mit „Liebe ist kälter als der Tod“ auf der Berlinale. Sein Erstlingsfilm orientiert sich am amerikanischen Genrefilm und an Jean-Marie Straub, zeigt eine entfremdete Studie der Münchener Unterwelt: klinisch hell der Vordergrund, mit kahlen Hintergründen.

Steigendes Ansehen in den 1970er-Jahren

Im nächsten Jahr, 1970, löste Michael Verhoevens Film „o.k.“ einen Eklat auf den Berliner Festspielen aus. Amerikanische Soldaten vergewaltigen und ermorden in Vietnam ein Mädchen, Verhoeven verlegt die Handlung in die Wälder Bayerns – mit Brechtschen Verfremdungseffekten. Die Berlinale wurde abgebrochen.

Am 18. April 1971 wurde in München der genossenschaftliche „Filmverlag der Autoren“ gegründet, der Verleih und Produktion der Filmemacher organisieren sollte.

1971 hatte man in Berlin aus dem Eklat des Vorjahres gelernt und ein eigenes „Internationales Forum des Jungen Films“ der Berlinale angegliedert.

1972 arbeiteten zum ersten Mal der Regisseur Werner Herzog und der Schauspieler Klaus Kinski in dem Film „Aguirre, der Zorn Gottes“ zusammen. Die Handlung geht auf eine historische Begebenheit im 16. Jahrhundert zurück: Ein spanischer Eroberer scheitert, als er den idealen Staat am Amazonas errichten will. Herzog prangert imperialistischen Wahn und irrsinnige Führerideen an.

Am 15. April 1973 lösten der Regisseur Wolfgang Petersen und der Autor Wolfgang Menge mit der fiktionalen Dokumentation „Smog“ im WDR eine Umweltdiskussion aus. Wirtschaftsvertreter, Kommunal- und Landespolitiker fürchteten um das Image des Ruhrgebiets.

Mit „Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ gelang Bernhard Sinkel 1975 der erste Publikumserfolg. Am 9. Oktober 1975 führte der Kassenerfolg von Volker SchlöndorffsDie verlorene Ehre der Katharina Blum“ zu einer neuen Euphorie im JDF. In der Verfilmung der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll wird Katharina Blum durch eine Zufallsbekanntschaft mit einem angeblichen Terroristen zum Opfer von Boulevardpresse und einer aufgeheizten Öffentlichkeit, bedrängt durch die einseitig ermittelnde Justiz.

Die zeitgleich produzierten Reportfilme, Lederhosenfilme, Edgar-Wallace-Filme und Lümmelfilme schienen die Gegensätzlichkeit zwischen Kommerzfilm und künstlerisch wertvollem Film zu bestätigen. Während diesen Filmen jeder künstlerische Anspruch abgesprochen wurde und besonders die Sexfilme in öffentlichen Debatten und gesellschaftlichen Diskussionen gegen die Filmwirtschaft verwendet wurden, stellten ARD und ZDF – noch ohne private Konkurrenz und Quotendruck – dem künstlerischen Film einen Platz zur Verfügung. Auch die deutschen Feuilletons standen auf der Seite der „Jungfilmer“. Der meist geringe Publikumszuspruch hatte keine Folgen, da Kunst und Kommerz als geradezu unvereinbar galten, und so „unterstrichen viele dieser Filme gerade in der finanziellen Erfolglosigkeit den Anspruch auf Hochkultur“.[1]

Dokumentarfilme

1976 zeigten Klaus Wildenhahn mit „Emden geht nach USA“ und Eberhard Fechner mit „Die Comedian Harmonists – Sechs Lebensläufe“ die Stärken des JDF im Dokumentarfilm.

Im Sommer 1975 drohte der ostfriesischen Region um Emden eine ernste Krise, weil VW ein Zweigwerk in den USA errichten wollte. Wildenhahn beobachtete, wie die Arbeiter reagieren und sich Abwehrmaßnahmen überlegen. Die Kritik lobte die hervorragende Kameraarbeit.

Die „Comedian Harmonists“ waren mit ihren A-cappella-Stücken („Mein kleiner grüner Kaktus“) sehr populär in den 1920er Jahren. 1935 wurden sie von den Nationalsozialisten aufgelöst, weil drei ihrer Mitglieder Juden waren. Der gleichnamige Film von Eberhard Fechner zeigt nicht in erster Linie, wie die populären Künstler lebten, sondern will den Zuschauer zum Nachdenken über die deutsche Vergangenheit anregen.

  • Nives Konik: Berliner Maifestspiele. Dokumentarfilm, Vitri film production, Berlin, 2004[2]

Internationaler Durchbruch

Den internationalen Durchbruch erzielte Wim Wenders 1977 mit „Der amerikanische Freund“. Die Verfilmung eines Romans von Patricia Highsmith interessiert sich mehr für die Psychologie der Protagonisten als für die äußeren Spannungsmomente. Nachdem ein Hamburger Handwerker von seiner tödlichen Krankheit erfahren hat, begeht er Morde gegen Bezahlung.

1978 entstand unter der Führung von Alexander KlugeDeutschland im Herbst“, eine Filmarbeit mehrerer Regisseure des JDF, der sich mit der politischen Situation in Deutschland zur Zeit der Terroristenjagd beschäftigte und international viel beachtet wurde.

Im gleichen Jahr entstand Reinhard HauffsMesser im Kopf“, der sich mit dem gleichen Thema beschäftigte. Ein Wissenschaftler wird bei einer Razzia angeschossen und verliert zeitweise seine Sprache und seine Erinnerung. Er sucht nach der Wahrheit und findet heraus, dass die Angst das Hauptmotiv für die übereilte Handlung des Polizisten war.

1979 entstand „Die Ehe der Maria Braun“ von Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff erhielt für seine Günter-Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ die Goldene Palme, den deutschen Filmpreis und den ersten Oscar für einen deutschen Film.

Niedergang

Im September 1979 versuchten Münchener Filmemacher in der „Hamburger Erklärung“ den JDF noch einmal wiederzubeleben, doch ohne nachhaltigen Erfolg. 1981 erschien mit Der Stand der Dinge ein Film von Wim Wenders über einen Regisseur (Friedrich Munro) und dessen Film, der aus Geldmangel nicht produziert werden kann.

Während der 1970er Jahre hatten sich auf der einen Seite „Jungfilmer“ und regierende SPD, auf der anderen Seite „Altfilmer“ und oppositionelle CDU/CSU angenähert. Die Regierungsübernahme von Helmut Kohl (CDU) 1982 konnte deshalb nicht ohne Folgen bleiben. Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) setzte 1983, ausgelöst durch Herbert Achternbuschs Film Das Gespenst, wesentliche Änderungen für die Vergabe der Bundesfilmpreise durch. In der Bundestagssitzung vom 24. Oktober 1983 erklärte Zimmermann, er werde keine Filme finanzieren, die außer dem Produzenten niemand sehen wolle.

Zu dieser Zeit zeichnete sich aber auch allgemein ein Wandel des Filmverständnisses ab. 1983 erschien mit Reinhard Münsters Dorado – One Way ein weiterer Metafilm, der schwarzweiß in der Art eines typischen Autorenfilms beginnt, sich aber dann immer mehr der Werbeästhetik annähert.

Der Junge Deutsche Film hatte keine herausragenden Erfolge mehr, das Publikum wandte sich mehrheitlich den amerikanischen Blockbustern zu. Auch der einheimische Unterhaltungsfilm mit internationaler Beteiligung erlebte ein Comeback, an dem der Produzent Bernd Eichinger einen erheblichen Anteil hatte. Die Regisseure des Neuen Deutschen Films arbeiteten weiter, aber sie gingen nach Hollywood, arbeiteten für das Fernsehen oder drehten Experimentalfilme für ein Minderheitenpublikum. Eric Rentschler resümierte: „Für viele junge deutsche Filmemacher wurde das polierte Kommerzkino zum neuen El Dorado.“[3]

Oft wird der Tod des Hauptvertreters Rainer Werner Fassbinder 1982 als das Ende des Neuen Deutschen Filmes angesehen.[4]

Die Filme des Neuen Deutschen Films, speziell die von Fassbinder, werden von den Filmemachern der Berliner Schule mit der mehrteiligen Werkschau Hands on Fassbinder im Jahr 2012 sehr positiv rezipiert. In diesem Sinne wird die Tradition des Neuen Deutschen Films von der Berliner Schule seit etwa 2004 wieder aufgegriffen.[5] Der Theaterregisseur und Filmemacher Christoph Schlingensief bezeichnete seinen Film Die 120 Tage von Bottrop als letzten neuen deutschen Film.[6]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 197
  2. www.vitri-film.de
  3. Eric Rentschler: Film der achtziger Jahre, in: Geschichte des deutschen Films 2. Aufl. 2004, S. 286
  4. http://www.imdb.com/name/nm0001202/bio
  5. Newsletter von Revolver, abgerufen am 17. Dezember 2012.
  6. Die 120 Tage von Bottrop (1996) – Der letzte Neue Deutsche Film