Candidatus Pelagibacter ubique

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Candidatus Pelagibacter ubique“
Systematik
Domäne: Bakterien (Bacteria)
Abteilung: Proteobacteria
Klasse: Alphaproteobacteria
ohne Rang: Candidatus Pelagibacter“
ohne Rang: Candidatus Pelagibacter ubique“
Wissenschaftlicher Name
Candidatus Pelagibacter ubique“
Rappé et al. 2002

Candidatus Pelagibacter ubique ist wahrscheinlich die häufigste Bakterienart. Sie wurde ursprünglich SAR11 genannt und war nur durch ihre ribosomale RNA bekannt, die erstmals 1990 in Proben aus der Sargassosee identifiziert wurde. Die dafür verantwortlichen Bakterien wurden 2002 isoliert und als Pelagibacter ubique benannt. Dies geschah jedoch nicht nach den Regeln des Bakteriologischen Codes (ICBN), so dass Pelagibacter ubique kein valide publizierter Name ist und das Bakterium daher als „Candidatus Pelagibacter ubique“ Rappé et al. 2002 zu bezeichnen ist.[1][2]

Candidatus Pelagibacter ubique“ kommt auf der ganzen Welt vor und lebt als Teil des Planktons, also frei schwimmend in den Weltmeeren. Sie gehören zu den kleinsten fortpflanzungsfähigen Zellen mit einem Durchmesser von nur 0,12 bis 0,20 µm.

Mit nur 1354 Genen haben diese Bakterien ein relativ kleines Genom. Es enthält weniger Paraloge als jede andere untersuchte frei lebende Zelle, keine viralen Gene und nur sehr wenig nichtkodierende DNA. „Candidatus Pelagibacter ubique“ ist also eine sehr effiziente Lebensform, was auch das massenhafte Vorkommen bestätigt.

Allgemeines zum Bakterium[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es handelt sich um sehr kleine marine α–Protebakterien, sie sind in allen Ozeanen zu finden und machen dort etwa 25 % aller Zellen aus. Es ist das erste kultivierte Mitglied der winzigen α–Protebakterien. Es hat das bisher kleinste Genom aller bekannten fortpflanzungsfähigen Zellen und besitzt für alle 20 Aminosäuren biosynthetische Funktionen. „Candidatus Pelagibacter ubique“ wächst durch im Wasser gelöste Kohlenstoffverbindungen und bezieht seine Energie von einer lichtgesteuerten Proteorhodopsin-Pumpe und durch die Zellatmung. Bei Untersuchungen des Genoms von „Candidatus Pelagibacter ubique“ stellte man fest, dass es DNA-aufnehmende Gene enthält, und vermutet daher, dass das Bakterium Fremd-DNA aufnehmen kann. Bei diesen Untersuchungen fand man ebenfalls heraus, dass der Anteil von Guanin und Cytosin im Genom bei etwa 29,7 % liegt. Da die meisten Transporter im „Candidatus Pelagibacter ubique“ eine sehr hohe Substrataffinität besitzen, wird weniger Energie in Form von ATP verbraucht, was auch die Lebensfähigkeit großer Populationen in nährstoffärmeren Medien erklärt.

Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es wird zunehmend in Zweifel gezogen, dass es sich bei „Candidatus Pelagibacter ubique“ tatsächlich um einen frei lebenden Verwandten der obligat parasitischen Rickettsien handelt. Vielmehr dürfte der nach dem Prinzip der Maximum parsimony statistisch errechnete Verwandtschaftsgrad auf einem Artefakt namens Compositional Bias beruhen.[3] Diese Ergebnisse legen eine Ordnung Pelagibacterales als Schwestertaxon zu den Rickettsiales nahe. Morris et al. (2005) und Gote et al. (2012) gliedern diese wie folgt in Unterruppen:[4][5]

  • Untergruppe Ia, offener Ozean, Kronengruppe (englisch crown group) – mit „Candidatus Pelagibacter ubique“ HTCC1062
  • Untergruppe Ib, offener Ozean, Schwesterklade zu Ia
  • Untergruppe II, Küste, basal zu Ia + Ib
  • Untergruppe III, Brackwasser, zusammen mit ihrer Schwesterklade IV basal zu I + II
  • Untergruppe IV, auch bekannt als LD12-Klade, Süßwasser[6]
  • Untergruppe V, mit Alphaproteobacterium HIMB59, basal zum Rest

Darstellung dieser Beziehungen in einem Kladogramm der Pelagibacterales:





Untergruppe Ia (vorgeschlagen als Pelagibacteraceae, mit „Pelagibacter“)


   

Untergruppe Ib



   

Untergruppe II



   


Untergruppe IIIa


   

Untergruppe IIIb



   

Untergruppe IV (benannt Klade LD12, mit SAR11 Bakterien)




   

Untergruppe V (mit α-Proteobakterium HIMB59)


Kultivierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Kultivierung von „Candidatus Pelagibacter ubique“ wurden natürliche mikrobielle Gemeinschaften verdünnt und in sehr niedrig dosierte Nährmedien isoliert. Das Nährmedium bestand aus sterilem Küstenwasser aus Oregon, das mit Phosphat (KH2PO4), Ammonium (NH4Cl) und einer Mischung aus definierten Kohlenstoffverbindungen ergänzt wurde. Bei der Isolierung der Zellen machte man sich die Tatsache zum Vorteil, dass die Substratkonzentration in natürlichem Meerwasser etwa ein Drittel von der in Labormedien beträgt. Nach der Isolation markierte man die Arrays der „Candidatus Pelagibacter ubique“-Kulturen mittels FISH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung), um die Sichtbarkeit unter dem Mikroskop zu verbessern.

Nach einer Inkubation bei 15 °C 23 Tage lang bei Dunkelheit oder in einem 14 h/10 h-Hell-Dunkel-Zyklus wurden kleine Volumina der Kulturen auf eine Polycarbonatmembran aufgetragen. Man untersuchte daraufhin die intergenischen Nukleotidsequenzen der isolierten Kulturen und stellte fest, dass es drei genetisch unterschiedliche Gruppen gibt, die sich jeweils nur um einige Nukleotide oder um eine Einfügung (engl. „insertion“) oder Löschung (engl. „deletion“) unterscheiden. Da in zwei der drei Gruppen (die dritte enthält nur eine Kultur) die Inkubation sowohl im Hell-Dunkel-Zyklus als auch nur bei Dunkelheit stattfand, konnte man eine Beeinflussung durch Licht ausschließen.

Die maximale Zelldichte variiert zwischen 2,5*105 Zellen pro ml und 3,5*106 Zellen pro ml, was davon abhängt, wo und wann die Proben entnommen wurden, aber unabhängig von der Kohlenstoffzusammensetzung ist. Auf Grund dieser Ergebnisse geht man davon aus, dass natürliche Faktoren die Population von „Candidatus Pelagibacter ubique“ kontrollieren. Das ist von großer Bedeutung für die ozeanografische Forschung, denn das lässt den Schluss zu, dass man mit der Untersuchung des Wachstums von „Candidatus Pelagibacter ubique“ chemische Faktoren im Wasser identifizieren könnte. Durch eine BLAST-Suche nach paralogen Genfamilien stellte man fest, dass „Candidatus Pelagibacter ubique“ aus einem Duplikationsereignis heraus entstanden sein muss.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • N. A. Logan, H. M. Lappin-Scott, P. C. F. Oyston (Hrsg.): Prokaryotic Diversity: Mechanisms and Significance. Cambridge University Press, Cambridge und New York 2006, ISBN 0-521-86935-8.
  • Stephen J. Giovannoni u. a.: „Genome Streamlining in a Cosmopolitan Oceanic Bacterium“. In: Science, 19. August 2005, S. 1242–1245.
  • Steven Ashley: „Lean Gene Machine“. In: Scientific American, Dezember 2005, S. 26–28.
  • Michael S. Rappé u. a.: „Cultivation of the ubiquitous SAR11 marine bacterioplancton clade“, „Nature“ Ausgabe August 2002, S. 630–633.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jean Euzéby, Aidan C. Parte: Some names included in the category Candidatus (Taxonomic category not covered by the Rules of the Bacteriological Code). In: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN). Abgerufen am 16. Dezember 2019.
  2. Taxonomy Browser Candidatus Pelagibacter. In: Website National Center for Biotechnology Information (NCBI). Abgerufen am 16. Dezember 2019.
  3. Naiara Rodríguez-Ezpeleta, T Martin Embley: The SAR11 Group of Alpha-Proteobacteria Is Not Related to the Origin of Mitochondria. In: PLoS One. 7. Jahrgang, Nr. 1, 2012, S. 22291975, doi:10.1128/JB.00934-06, PMC 3264578 (freier Volltext). Abstract:Although free living, members of the successful SAR11 group of marine alpha-proteobacteria contain a very small and A+T rich genome, two features that are typical of mitochondria and related obligate intracellular parasites such as the Rickettsiales. Previous phylogenetic analyses have suggested that Candidatus Pelagibacter ubique, the first cultured member of this group, is related to the Rickettsiales+mitochondria clade whereas others disagree with this conclusion. In order to determine the evolutionary position of the SAR11 group and its relationship to the origin of mitochondria, we have performed phylogenetic analyses on the concatenation of 24 proteins from 5 mitochondria and 71 proteobacteria. Our results support that SAR11 group is not the sistergroup of the Rickettsiales+mitochondria clade and confirm that the position of this group in the alpha-proteobacterial tree is strongly affected by tree reconstruction artefacts due to compositional bias. As a consequence, genome reduction and bias toward a high A+T content may have evolved independently in the SAR11 species, which points to a different direction in the quest for the closest relatives to mitochondria and Rickettsiales. In addition, our analyses raise doubts about the monophyly of the newly proposed Pelagibacteraceae family.
  4. Robert M. Morris, Kevin L. Vergin, Jang-Cheon Cho, Michael S. Rappé, Craig A. Carlson, Stephen J. Giovannoni: Temporal and Spatial Response of Bacterioplankton Lineages to Annual Convective Overturn at the Bermuda Atlantic Time-Series Study Site, in: ASLO Limnology and Oceanography 50(5) vom 18. November 2005, S. 1687–1696, doi:10.4319/lo.2005.50.5.1687
  5. J. Grote, J. C. Thrash, M. J. Huggett, Z. C. Landry, P. Carini, S. J. Giovannoni, M. S. Rappé: Streamlining and core genome conservation among highly divergent members of the SAR11 clade. In: mBio. 3. Jahrgang, Nr. 5, 2012, S. e00252–12, doi:10.1128/mBio.00252-12, PMID 22991429, PMC 3448164 (freier Volltext).
  6. M. M. Salcher, J. Pernthaler, T. Posch: Seasonal bloom dynamics and ecophysiology of the freshwater sister clade of SAR11 bacteria 'that rule the waves' (LD12), in: ISME J, 2011, doi:10.1038/ismej.2011.8. PMID 21412347.
  7. Hyun-Myung Oh, Kae Kyoung Kwon, Ilnam Kang, Sung Gyun Kang, Jung-Hyun Lee, Sang-Jin Kim, Jang-Cheon Cho: Complete Genome Sequence of “Candidatus Puniceispirillum marinum” IMCC1322, a Representative of the SAR116 Clade in the Alphaproteobacteria, in: Journal of Bacteriology, 26. Mai 2010, doi:10.1128/JB.00347-10, PMID 20382761
  8. Ilnam Kang, Hyun-Myung Oh, Dongmin Kang, Jang-Cheon Cho: Genome of a SAR116 bacteriophage shows the prevalence of this phage type in the oceans, in: PNAS 110 (30), 23. Juli 2013, S. 12343–12348, doi:10.1073/pnas.1219930110