Quantitative Revolution

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Die Quantitative Revolution bildet einen der wichtigsten Paradigmenwechsel in der Geschichte der modernen Geographie[1] und bedeutete eine Abkehr von der traditionellen, idiographischen Forschung. Sie trat während der 1950er und 1960er-Jahre ein und markiert einen schnellen Wechsel in der Methode der geographischen Forschung, von Länderkunde in eine räumliche Wissenschaft.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die geographische Wissenschaft wurde in der Nachkriegszeit stark vernachlässigt, galt als schwach und unwissenschaftlich. In den frühen 1950ern gab es wachsendes Bedürfnis dafür, zu untersuchen, wie physische, wirtschaftliche, soziale und politische Prozesse räumlich organisiert sind. Aus einem abstrakten, theoretischen Ansatz zur geographischen Forschung entwickelte sich die analytische Methode der Ermittlung. Die analytische Methode der Untersuchung führte zur Entwicklung von Verallgemeinerungen, die logisch gültig über die räumlichen Aspekte einsetzbar waren.

Die Revolution[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Quantitative Revolution begann in den Universitäten Europas, vor allem in England (University of Cambridge, University of Bristol) und Schweden (Universität Lund), und denen der Vereinigten Staaten (University of Iowa, University of Washington). Besonders der Kooperation zwischen den Universitäten von Lund und Washington kam große Bedeutung zu.[2]

Im deutschen Sprachraum wurde sie zunächst nur zögerlich aufgenommen.[3] Insbesondere im Deutschen Geographentag von Kiel 1969 kulminierten jedoch verschiedene „revolutionäre“ Bestrebungen in der Geographie, unter denen die Quantitative Revolution letztendlich die größte Bedeutung erlangte.[4] Junge Fachvertreter (vor allem Fachdidaktiker) stellten Anforderungen an die künftige Entwicklung der wissenschaftlichen Geographie, die sich als eine theoretische, eine methodische und eine anwendungsbezogene Neuorientierung zusammenfassen lassen.[5]

Theorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In theoretischer Hinsicht wegweisend war insbesondere die Habilitationsschrift von Dietrich Bartels, Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen.[6] Neuartig war neben dem grundsätzlichen Ansatz, allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Raums zu suchen, auch dessen wissenschaftstheoretische Fundierung.

Methodik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die „Revolution“ führte zu einem erhöhten Einsatz von EDV-statistischen Methoden, insbesondere multivariaten Analysen der geographischen Forschung. Die neu angewandten Methoden reflektieren eine Reihe von mathematischen Techniken, die die Genauigkeit verbessert. Die quantitative Geografie lässt sich im Wesentlichen in zwei Bereiche unterscheiden: 1. Methoden der Statistik und 2. mathematische Verfahren zur Modellbildung. Einige der Techniken, die die Revolution verkörpern:

Die überwiegende Schwerpunkt auf statistische Modellierung wurde schließlich zum Verhängnis der quantitativen Revolution. In den 1970er-Jahren verlor die quantitative Geografie an Bedeutung.

Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In ihrer Anwendungsorientierung war die „Revolution“ vor allem an der Maßgabe gesellschaftspolitischer Relevanz orientiert. Wurde die mangelnde Anwendbarkeit zunächst teilweise kritisiert,[3] versuchten Bartels[7] und später Martin Boesch,[8] eine „engagierte“ Geographie auf Grundlage des raumwissenschaftlichen Ansatzes zu konzeptionalisieren. Im englischen Sprachraum gab es mit der welfare geography einen ähnlichen, an Wohlstandsindikatoren wie dem Wohlbefinden orientierten Ansatz.

Die Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die größten Auswirkungen der quantitativen Revolution brachte nicht die Revolution selbst, sondern der Effekt der Verbreitung von positivistischen Denken. Das steigende Interesse an der Erforschung der Entfernung als kritischer Faktor für das Verständnis der räumlichen Anordnung der Phänomene während der Revolution führte zur Formulierung des ersten Hauptsatzes der Geographie von Waldo Tobler. Die verstärkten Einsatz von Computern in der Geographie führte auch zu vielen neuen Entwicklungen in der Geomatik, wie etwa die Schaffung und Anwendung von GIS und Fernerkundung.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Dietrich Bartels: Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1968 (Erdkundliches Wissen – Geographische Zeitschrift, Beihefte Nr. 19).
  • Dietrich Bartels (Hrsg.): Wirtschafts- und Sozialgeographie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1970 (Enthält v. a. Übersetzungen englischsprachiger Aufsätze).
  • Fachverband Geowissenschaften: Bestandsaufnahme zur Situation der deutschen Schul- und Hochschulgeographie. In: Wolfgang Meckelein und Christoph Borcherdt (Hrsg.): Deutscher Geographentag Kiel 1969. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1970, S. 191–207 (Deutscher Geographentag: Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen Nr. 37).
  • Ernst Giese: Entwicklung und Forschungsstand der Quantitativen Geographie im deutschsprachigen Bereich. In: Geographische Zeitschrift 68, Nr. 4, 1980, ISSN 0016-7479, S. 256–283.
  • Peter Sedlacek (Hrsg.): Zur Situation der deutschen Geographie zehn Jahre nach Kiel, Universität Osnabrück, Osnabrück 1979, ISBN 3-922043-01-1 (Osnabrücker Studien zur Geographie Nr. 2).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bernd Belina: Geographische Ideologieproduktion – Kritik der Geographie als Geographie. In: ACME: An International E-Journal for Critical Geographies. Band 7, Nr. 3, 2008, S. 510–537 (acme-journal.org [PDF]).
  2. Anoop Nayak, Alex Jeffrey: Geographical Thought: An Introduction to Ideas in Human Geography. Pearson Prentice Hall, Harlow / New York 2011, ISBN 978-0-13-222824-4, S. 37–38.
  3. a b Ernst Giese: Entwicklung und Forschungsstand der Quantitativen Geographie im deutschsprachigen Bereich. In: Geographische Zeitschrift. Band 68, Nr. 4, 1980, S. 256–283.
  4. Heike Egner: Theoretische Geographie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-22846-1, S. 94.
  5. Gerhard Bahrenberg: Quantitative Geographie: Zum Stellenwert mathematischer Methoden und Modelle in der Geographie. In: Geographische Rundschau. Band 38, Nr. 4, 1986, S. 170–174.
  6. Dietrich Bartels: Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1968 (Erdkundliches Wissen – Geographische Zeitschrift, Beihefte Nr. 19).
  7. Dietrich Bartels: Raumwissenschaftliche Aspekte sozialer Disparitäten. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft. Band 120, Nr. 2, 1978, S. 227–224.
  8. Martin Boesch: Engagierte Geographie: zur Rekonstruktion der Raumwissenschaft als politik-orientierte Geographie (= Erdkundliches Wissen. Band 98). Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1989, ISBN 3-515-05514-2.