Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands

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Das Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands wurde am 4. Oktober 1935 als Einrichtung der NSDAP in Berlin auf Betreiben des nationalsozialistischen Historikers Walter Frank gegründet und war dem Reichswissenschaftsministerium unterstellt. Als Hauptaufgabe befasste es sich mit der „Judenfrage“ und war somit ein Instrument der NS-Propaganda. Eine 1936 gegründete Zweigstelle 1936 an der Universität München für die Forschungsabteilung Judenfrage wurde von Wilhelm Grau geleitet. Zu den bekanntesten Mitgliedern gehörten die „RassenforscherEugen Fischer, Hans F. K. Günther sowie Otmar Freiherr von Verschuer. Explizit nationalsozialistische und nationalkonservative Historiker wie Johannes Grandinger, Erich Botzenhart und Hermann Kellenbenz und der antisemitische Tübinger Theologieprofessor Gerhard Kittel waren auch vertreten.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Institut wurde auf Betreiben des nationalsozialistischen Historikers Walter Frank und durch Erlass von Bernhard Rust vom Reichsminister für Erziehung, Bildung und Volksbildung am 4. Oktober 1935 rückwirkend zum 1. Juli 1935 gegründet und hatte seinen Sitz in Berlin.[1] Das Institut sollte die 1928 von Friedrich Meinecke gegründete Historische Reichskommission ersetzen.

Die offizielle Gründung erfolgte am 19. Oktober 1935 mit einem Festakt an der Berliner Universität in Anwesenheit von Rudolf Heß, Alfred Rosenberg, Baldur von Schirach und Wilhelm Stuckart.[2] Nach Harm Peer Zimmermann strebte Frank eine Clearing- und Zensurstelle für die Aufsicht, Ausrichtung und Koordinierung der gesamten geschichtswissenschaftlichen Forschung an.[3]

Als Präsident des Instituts wurde Walter Frank ernannt, die Geschäftsführung des Gesamtinstituts übernahm Gerhard Schröder.[4]

Als Zweigstelle des Reichsinstituts wurde am 19. November 1936 an der Universität München offiziell die Forschungsabteilung Judenfrage gegründet, unter Leitung des Geschäftsführers Wilhelm Grau. Diese Forschungsabteilung war dem Reichswissenschaftsministerium unterstellt. Zu den bekanntesten Mitgliedern gehörten die Rassenforscher Eugen Fischer, Hans F. K. Günther sowie Otmar Freiherr von Verschuer. Explizit nationalsozialistische und nationalkonservative Historiker wie Johannes Grandinger, Erich Botzenhart und Hermann Kellenbenz und der antisemitische Tübinger Theologieprofessor Gerhard Kittel waren vertreten. Der Genealoge Friedrich W. Euler gehörte zu den engeren Mitarbeitern.

Ende 1941 folgte Karl Richard Ganzer Frank kommissarisch als Präsident des Instituts nach.[5] Nach dessen Tod folgte ihm Erich Botzenhart bis 1945.

1939 entließ Frank den Geschäftsführer Grau, da dieser zu eigenmächtig handelte. Als Grau im Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage eine Anstellung fand, wo ihn der Sponsor Alfred Rosenberg sogar zum Direktor einer eigenen Außenstelle ernannte, entbrannte ein Machtkampf zwischen beiden Einrichtungen um den Führungsanspruch zur „Judenfrage“.

Das Reichsinstitut besaß drei Forschungsschwerpunkte: Der erste beschäftigte sich mit der „Politischen Führung im Weltkrieg“, der zweite mit dem „Nachkrieg“, und der dritte trug den Namen „Forschungsabteilung Judenfrage“, ab April 1938 „Hauptreferat Judenfrage“. Die Gewichtung der Schwerpunkte sowie die Aufgabenstellung innerhalb der Einzelbereiche verlagerten sich parallel zum Kriegsverlauf. So begann das Reichsinstitut bei Kriegsausbruch gegen England damit, antijüdische Artikel gegen englische Juden zu publizieren. Bis zum Fall Benito Mussolinis gehörte die Recherche an italienischen Blutlinien in Deutschland zu den Aufgaben des Instituts. Hierdurch sollte die positive Assimilation der Juden dokumentiert werden. Nach dem Sturz Mussolinis wurde die Arbeit sofort gestoppt.

Frank befasste sich zunächst mit der Sicherung von Nachkriegsdokumenten zum Thema Juden und erhielt dafür die offizielle Erlaubnis, gewaltsame Requirierungen von Bibliotheksmaterial und Archivbeständen vorzunehmen. So wurden beispielsweise Daten über Judentaufe und Mischehen gesammelt.

Ab ca. 1942 begann die fotografische Erfassung jüdischer Friedhöfe, da die komplette Vernichtung des Judentums in Europa geplant war.

Um das Ziel einer völkischen Gemeinschaft zu erreichen, wurde z. B. bei einem Preisausschreiben ein Preisgeld in Höhe von 400 Reichsmark für den besten Artikel zum Thema Hofjuden in Österreich ausgesetzt.

Das Institut wurde nach Kriegsende aufgelöst.

Aufgabenstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bibliotheksstempel auf einem Exemplar der Jüdischen Lesehefte (1938)

In der Satzung des Reichsinstituts war die Aufgabe festgelegt, „die neuere deutsche Geschichte, vor allem im Zeitraum zwischen der Französischen Revolution und der nationalsozialistischen Revolution zu erforschen und darzustellen“.[6] Das Institut diente dazu, der nationalsozialistischen Regierung eine Rechtfertigung für ihre antijüdische Politik zu liefern. Die Wissenschaftler beschafften dabei pseudowissenschaftliches Material zur Erklärung des Antisemitismus. Die Politik benutzte die Wissenschaft, um die Frage, wer ein Jude ist, zu „klären“. Das Reichsinstitut wurde Zentrum der antijüdischen deutschen Geschichtsschreibung.

Durch seine Veröffentlichungen erfüllte das Institut für die nationalsozialistische Partei den Anspruch, nachweisbare wissenschaftliche Fakten für ihr politisches Verhalten präsentieren zu können. Hierbei fand eine enge Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt statt, bei der geheime Informationen von Konsulaten und Geheimdiensten ausgetauscht wurden. Zur Veröffentlichung der Arbeiten dienten nicht nur Fachzeitschriften, sondern auch die Tagespresse und der Rundfunk. Selbst Ausstellungen und Filme wie Der ewige Jude dienten dazu, die Notwendigkeit der Rassengesetzgebung zu erklären.

Autoren der Reihe Forschungen zur Judenfrage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außer den Genannten publizierten bis 1944 in den Forschungen zur Judenfrage:[7]

Ehrenmitglieder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helmut Heiber: Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. 13, ISSN 0481-3545). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1966.
  • Karl Christian Lammers: Die „Judenwissenschaft“ im nationalsozialistischen Dritten Reich. Überlegungen zur „Forschungsabteilung Judenfrage“ in Walter Franks „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ und zu den Untersuchungen Tübinger Professoren zur „Judenfrage“. In: Freddy Raphaël (Hrsg.): „… das Flüstern eines leisen Wehens …“. Beiträge zu Kultur und Lebenswelt europäischer Juden. Festschrift für Utz Jeggle. UVK-Verlags-Gesellschaft, Konstanz 2001, ISBN 3-89669-810-9, S. 369–391.
  • Patricia von Papen: Schützenhilfe nationalsozialistischer Judenpolitik. Die „Judenforschung“ des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland“ 1935–1945. In: „Beseitigung des jüdischen Einflusses …“: Antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Nationalsozialismus (= Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. 1998/1999). Campus, Frankfurt am Main u. a. 1999, ISBN 3-593-36098-5, S. 17–42.
  • Patricia von Papen-Bodek: Judenforschung und Judenverfolgung. Die Habilitation des Geschäftsführers der Forschungsabteilung Judenfrage, Wilhelm Grau, an der Universität München 1937. In: Elisabeth Kraus (Hrsg.): Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze (= Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München. 4). Teil 2. Utz, München 2008, ISBN 978-3-8316-0727-3, S. 209–264.
  • Sebastian Pella: Der Kriegsbeitrag des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ – „Judenforschung“ im Dienste der „kämpfenden Wissenschaft“. Fotoaufnahmen und Dokumente aus dem Nachlass F. W. Euler. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jahrgang 58, Heft 11, 2010, S. 900–923.
  • Dirk Rupnow: Rasse und Geist. Antijüdische Wissenschaft, Definitionen und Diagnosen des „Jüdischen“ im „Dritten Reich“. In: zeitgeschichte. Jahrgang 34, Heft 1, 2007, S. 4–24.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Michael Fahlbusch, Ingo Haar, Alexander Pinwinkler: Handbuch der völkischen Wissenschaften: Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme. Walter de Gruyter, 2017, S. 1375.
  2. Dirk Rupnow: Judenforschung im Dritten Reich. Wissenschaft zwischen Politik, Propaganda und Ideologie (= Historische Grundlagen der Moderne. 4). Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6421-4, S. 67, (Zugleich: Wien, Universität, Habilitations-Schrift, 2009).
  3. Harm-Peer Zimmermann: Vom Schlaf der Vernunft. Deutsche Volkskunde an der Kieler Universität 1933 bis 1945. In: Hans-Werner Prahl (Hrsg.): Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen des Beirats für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein. 16). Band 1. Malik Regional Verlag, Kiel 1995, ISBN 3-89029-967-9, S. 171–274, hier S. 176.
  4. Werner Schochow: Deutsch-jüdische Geschichtswissenschaft. Eine Geschichte ihrer Organisationsformen unter besonderer Berücksichtigung der Fachbibliographie (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. 3, ISSN 0067-5857). Colloquium, Berlin 1969, S. 160, (Berlin (West), Freie Universität, Dissertation, vom 28. Juli 1961).
  5. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945 (= Fischer. 16048, Die Zeit des Nationalsozialismus.). Aktualisierte Ausgabe, 2. Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 174.
  6. Dirk Rupnow: Vernichten und Erinnern. Spuren nationalistischer Gedächtnispolitik. Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-871-X, S. 140, (Zugleich: Klagenfurt, Universität, Dissertation, 2002).
  7. Vgl. Max Weinreich: Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany’s Crimes Against the Jewish People. (1946). New edition. Yale University Press, New Haven CT u. a. 1999, ISBN 0-300-05387-8, S. 56f.